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Tandera
Hi, liebe Forum-Freunde,
es folgt hier die 3. Fortsetzung meines Beitrags: Wie ich die Agoraphobie überwand.

Es ist wichtig zum Verständnis der Agoraphobie, das man den Menschen in seiner tieferen Natur versteht, dass man weiß, es gibt in ihm dreierlei Prinzipien, die zusammenwirken und erst den ganzen Menschen ausmachen:

In der Anthroposophie versteht man den Menschen als ein dreifach gegliedertes Wesen. Er besteht aus Körper, Seele und Geist. Von diesen Bestandteilen ist nur der physische Körper sichtbar, Seele und Geist durchdringen den physischen Leib auf eine übersinnliche Weise. Zwei Drittel des Menschen sind sozusagen unsichtbar, sind aber dennoch vorhanden, sind von ganz konkreter Wirklichkeit.

Die Seele ist es, die in unserem Körper die Lebenserscheinungen hervorruft (vegetative Seele), ferner ist sie die Ursache für alles Erleben des Menschen, insofern er Eindrücke von außen empfangen und ein inneres Leben in Empfindungen, Gefühlen, in Lust und Leid entfalten, sowie nach außen hin durch seinen Willen tätig werden kann (sensitive Seele). Die Seele vermittelt dem Menschen das Selbstgefühl. –

Durch seinen Geist (sein Ich) wiederum ist der Mensch ein denkendes Wesen, ein Wesen, das nicht nur Selbstgefühl hat wie das Tier, sondern auch denkendes Selbstbewußtsein zu entfalten vermag, das sich also bewußtseinsmäßig von sich selbst als bloßem Körper loslösen und auch vom bloßen Eigensein seines seelischen Lebens Abstand nehmen kann, sich unterscheiden kann, um von einem höheren Standpunkt aus denkend zu betrachten, wie die Welt an sich beschaffen ist (nicht nur wie ich sie subjektiv empfinde), hinter der ja auch in allen Dingen immer ein Geistiges steht, ja er kann auch denkend betrachten, wie er selbst an sich beschaffen ist. Das heißt, der Mensch kann sich ausserhalb seiner eigenen Subjekivität stellen und diese objektiv denkend betrachten. Allein dieser Tatbestand zeigt, dass der Mensch auch ein geistiges Wesen ist, denn sonst könnte er nicht auf Körper und Seele blicken und gelegentlich auch in Konflikt mit ihnen geraten, wenn diese zum Beispiel etwas begehren, was er als denkender Mensch eigentlich unvernünftig findet und deshalb nicht will.

Die schulmedizinische Auffassung von der sogenannten Psychosomatik kennt immerhin zwei dieser genannten Prinzipien im Menschen, nämlich Körper und Seele, und sie weiß, das beide in Konflikt oder in gesundheitlich problematische Wechselbeziehungen treten können (etwa bei dem typischen Fall eines Magengeschwürs durch z.B. eine übermäßige und jahrelang andauernde berufliche Anspannung). Bei der Agoraphobie ist es aber wieder anders, da handelt es sich darüber hinaus noch sozusagen um ein Phänomen der Pneumosomatik, nämlich um ein fehlerhaftes Wechselspiel auch zwischen Körper und Geist, wie ich im Folgenden zeigen will:

Jeder Gegenstand, den wir wahrnehmen, erregt in uns eine Empfindung von seiner realen Anwesenheit. Diese Empfindung lebt in unserem Ich auf, indem es den Gegenstand erkennt. Das Ich des Menschen taucht sozusagen ein über die Sinneserlebnisse in die äußere Welt, es ertastet das Sein der Welt, die Realität der Dinge in Raum und Zeit. Dieses Ich taucht aber gleichzeitig auch in den eigenen Körper unter und ertastet mit den Körpersinnen (Gleichgewichtssinn, Lebenssinn, Bewegungssinn, Tastsinn) des Menschen eigenes, leibliches Sein, woraus das leibliche Selbstbewußtsein resultiert, also die Realität des eigenen körperlichen Daseins erfahren wird. Das Sein der Welt und das Sein des eigenen Selbstes mit allem was dazugehört, beides wird umgriffen von jedem menschlichen Ich.

Die Natur des Ich ist rein geistig. Wenn sich auch der Mensch als Ich mit dem eigenen Körper bis zu einem gewissen Grad identifiziert, so ist es doch unabhängig davon bestehend in einer rein geistigen Seinsform. Hat aber ein Mensch durch verschiedene ungünstige Umstände in seiner Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen einerseits nicht gelernt, das Ich als ein vom Körper unabhängiges geistiges Wesen zu erleben und andererseits seine sogenannten unteren Sinne (Selbstwahrnehmungssinne der eigenen Körperlichkeit) zu schwach für ein robustes leibliches Selbsterleben ausgebildet, dann kann es geschehen, das das Ich im leiblichen Seinserleben so in den Leib untertaucht, dass es dasjenige mitnimmt, was es draußen in der Welt erlebt und empfindet an dem Sein der Dinge, z.B. die Empfindungen des Raumes. Dadurch fühlt der Mensch statt der gesunden Unterlage seines körperlichen Selbstbewußtseins die Irritationen durch das, was nicht er selbst ist als Körper, sondern was von außen in diesen hereinfließt als das beschriebene Raumgefühl.

Das Ich des phobisch erkrankten Menschen ist nicht in der Lage, sich als ein geistiges Wesen unabhängig vom eigenen Körper zu erleben, sich innerlich zu halten im geistigen Ich-Bewußtsein, es ist blind für seine eigene geistige Natur, es verwechselt sich mit dem eigenen Leib und deshalb durchbricht es die Souverenität des leiblichen Selbsterlebens und verwebt seinen geistigen Erlebensinhalt der Welt (das Erleben des Raumes und anderes) auf ungesunde Weise mit dem Leib. Der Mensch wird dadurch im eigenen Körper bedrängt von etwas aus der Welt, das das Ich geistig in ihn hineinschiebt.

Das Ich kann es gar nicht anders machen, denn es ist immer mit dem verbunden und teilt dessen Existenz, was es erlebt, und das ist eben immer: Geist und Materie, wobei im Normalfall das Ich das Geistige als Innenwelt und die materiellen Dinge als Außenwelt empfindet. Der eigene Leib müßte nun eigentlich vom Standpunkt des Ich als geistigem Wesen als zur materiellen Außenwelt gehörig empfunden werden, wird er aber fälschlich nicht, das Ich verwebt sich zu sehr mit seinem Leib, wodurch auf der Bewußtseinsebene der Körpererfahrung eine Vermischung von Geist und Materie stattfindet, das heißt eine Vermischung von Ich, Welterfahrung und dem eigenem Leib, die zwangsläufig die phobischen Erlebnisse entstehen läßt (schwer nachzuvollziehen, ich weiß!).

Die phobischen Ängste sind daher keine erlernten, bloß erwarteten, oder bloß eingebildeten Ängste, sondern sie sind der Ausdruck einer Erkrankung des menschlichen Selbstbewußtseins. Diese Ängste sind die unmittelbare Folge realer körperlicher Beeinträchtigungen von sehr belastender Art!

Gewisse äußere Gegenstands- beziehungsweise Raumempfindungen treten sozusagen über das Ich in den Körper ein und machen – anstatt nur im Ich geistig erlebt zu werden, ihre Kräfte dort geltend, wo sie nicht hingehören, wo sie die vegetativen Funktionen des Körpers stören. Daher treten die so überaus peinvollen Symptome auf, so als ob etwas aus der umgebenden Welt mich in meinem körperlichen Daseins-Erleben verdrängen will! Dies ist aber nicht Wirkung der Gegenstände, sondern eine unbewußte Fehlfunktion des Ich bei gleichzeitig vorliegender zu schwacher Unterlage für ein gesundes Erleben des körperlichen Selbstbewußtseins! Die Gegenstände selbst erzeugen keine Angst, sie sind ja auch völlig harmlos (enge Räume oder weite Plätze tun einem ja gewöhnlich nichts!).

Nicht die Gegenstände oder Situationen machen also Angst, sondern die Körpersymptome, die durch ein falsches Erleben dieser Gegenstände und Situationen im Körper ausgelöst werden!

Versteht man dies, dann kann man die phobischen Ängste nicht mehr irrational nennen, man muss sie als real und begründet bezeichnen! Nur liegt ihre Realität in Bewußtseinsvorgängen, die sich in falscher Weise mit dem Körpergefühl verbinden und nicht in äußerlich faßbaren Dingen, und auch nicht in bloßen Falschbewertungen von Situationen! Die Krankheit fordert uns sozusagen auf, dass wir hinter den Schleier der nur äußerlich erkennbaren Dinge blicken. Das kann eben die Anthroposophie!

Wie verhält es sich aber mit den Ängsten eines phobisch erkrankten Menschen, die aus dessen Sorgendenken, aus der Angst vor der Angst usw. entstehen? Da kann man ja nicht davon sprechen, es wirke ein falsches Raumgefühl! Das ist richtig, aber deswegen kann man die daraus resultierende Angst eben auch nicht eine phobische nennen: Wenn das Ich sich nur in Gedanken etwas vorstellt, nimmt es nicht die Empfindung von etwas Realem auf, sondern nur ein Bild der Sache. Dass der angstkranke Mensch – wie jeder andere auch – trotzdem Angst verspüren kann bei bloßen Vorstellungen von angstauslösenden Situationen liegt daran, dass dies eben eine neurotische, das heißt, eine aus rein seelischen Vorgängen hervorgehende Angst ist. Daher muss man sagen, dass immer bei Entwicklung einer phobischen Erkrankung sich auch dasjenige, was als sekundäre Angst zu bezeichnen ist, hinzugesellt zur Grunderkrankung. Es entsteht immer auch eine Angst vor der Angst, eine Erwartungsangst, eine neurotische Angst, die erlernt wird durch die belastenden Erfahrungen mit der Phobie, und das ist eben immer eine durch Vorstellungen wirkende Angst. Diese Angst kann und muß für sich bekämpft werden ganz im Sinn der gängigen Prinzipien der Verhaltenstherapie. Die Agoraphobie selbst aber kann nicht auf diesem Weg wirklich überwunden werden! Dazu bedarf es einer therapeutischen Arbeit am Bewußtsein des Selbst des Kranken (nicht am Selbstbewußtsein im üblichen Sinn!), um eine Art von therapeutischer Nachreifung des Ich-Bewußtseins.



Eine agoraphobische Angsterkrankung im eigentlichen Sinn entsteht frühestens am Ende der Pubertät, zu der Zeit, wo das reale geistige Ich des Menschen seinen letzten Schritt (innerhalb der verschiedenen Entwicklungsstufen des heranwachsenden Menschen) in den physischen Leib antritt. Da taucht es nun völlig unter in den Körper – womit z.B. das Geschlechtsreifwerden seinen Abschluss findet und der Mensch seine volle Mündigkeit erlangt – und nimmt das falsche Raumgefühl mit, das von dem zu schwach entwickelten leiblichen Selbstgefühl nicht draußen gehalten werden kann. In der Empfindung von vermischtem Welt- und Selbsterleben entsteht auf diese Weise die phobische Angst.

Lernt aber das Ich durch geeignete Methoden sich selbst unabhängig vom Körper als Geist zu erleben, dann taucht es in gesunder, sich selbst vom Körper unterscheidender Weise unter in seinen Leib und findet die Kraft, das, was es in der Welt erlebt hat an Geistigem durch die Sinneserlebnisse, außerhalb des Körpers zu belassen. (Das Ich taucht ja jeden Morgen nach dem Aufwachen in seinen Leib ein, in jeder Nacht verlässt es ihn im Schlaf. Das In-den-Körper-Eintauchen unseres Ich ist also ein alltäglicher, normaler Vorgang, nur beim Phobiker wird es zum alltäglichen Problem, weil es in zu intensiver Weise geschieht!).
Man muss bei alledem wissen, dass wir mit jeder Sinneswahrnehmung immer auch ein Geistiges durch das Ich aufnehmen, denn alles in der Welt enthält Geist!

Bei einer Angsterkrankung mangelt es an richtiger Ich-Erfassung. Dies ist eine Folge der weltanschaulichen Entwicklung durch den naturwissenschaftlichen Materialismus der letzten Jahrhunderte, der die geistige Natur des Ich leugnet. Diese Leugnung wandelte sich im Lauf der historischen Zeiten bis heute zu einer allgemeinen Lebensempfindung bei allen Menschen: Was erst nur gedacht wurde, das wurde später gefühlt! Das, was die Menschen zwar real immer noch sind: geistige Ich-Individualitäten, aber von sich selbst nicht mehr denkend und vor allem geistig-fühlend erfassen können, das verlieren sie dadurch nach und nach tatsächlich.

Und so kommt es eben, das der moderne Mensch von heute mehr und mehr sein gesundes Ich-Erleben verliert. Er verliert das Erleben der eigenen geistigen Natur des Ich. Er verleiblicht das Ich, identifiziert sich zunehmend nur noch mit dem Körper. Da das Ich aber immer noch Geist ist und die geistigen Inhalte enthält von demjenigen, was es durch die Sinne veranlasst, in der Außenwelt erlebt hat, verleiblicht es seine Erlebensinhalte gleichfalls mit in den Körper. In der phobischen Angst drängt sich der verleugnete Geist von Mensch und Welt dem Menschen als verstörende Körpererfahrung wiederum auf, dringt in ihn ein auf eine falsche Weise. So stört dann die Welt das Körpergefühl. Real tritt die Welt ja nicht in den Leib ein, aber eben die geistigen Wirkungen, was schon auf die geistige Natur des Ich selbst hinweist: es hat die Fähigkeit, geistig die Welt in den Menschen hineinzutragen.

Dadurch aber, dass man verlernt hat, die geistige Natur des Ich zu denken, an ihre Existenz nicht mehr glauben, sie nicht mehr erspüren kann wie frühere Jahrhunderte es noch vermochten, verfällt der heutige Mensch einerseits leichter in phobische Angstzustände, als das früher der Fall war und erschwert sich andererseits auch die Möglichkeit einer Erkenntnis von den falschen geistigen Wirkungen des Ich auf das Körpergefühl. Und was man nicht erkennt, dem ist man hilflos ausgeliefert. Es werden die falschen Ängste so zu einem unlösbaren Rätsel!

Worin nun der anthroposophische Weg im Prinzipiellen besteht, der aus den phobischen Ängsten herausführen kann, das möchte ich interessierten Forum-Mitgliedern im nächsten Beitrag oder über PNs mitteilen.

Liebe Grüße von
Tandera

Weiterlesen:
Teil 1
Teil 2
Teil 4

12.05.2013 23:39 • 09.05.2018 #1


3 Antworten ↓


C
Hallo,
Hatte einen Ich-Abriss und bin ins Unterbewustsein gerutscht, wunderschöne dies geschah während eines Klinikaufenthaltes zur Bearbeitung des Traumas um den Tod meines Sohnes.
Nachdem ich das hinter mir gebracht hatte und mich wieder normal fühlte wollte ich wieder in die Arbeit gehen. Leider habe ich schon nach Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber extreme Agrophobie bekommen.
Gibt es etwas was man akkut tun oder nehmen kann, weil es denn ganzen Tag anhält und unerträglich ist.
Liebe Grüsse
Cäcilia

09.05.2018 09:48 • #2


A


Das Verständnis der Platzangat aus anthroposophischer Sicht

x 3


C
Zitat von Caecilia:
Hallo,
Hatte einen Ich-Abriss und bin ins Unterbewustsein gerutscht
Cäcilia


Was ist ein Ich-Abriss? Und was bedeutet es, ins Unterbewusstsein zu rutschen und wie soll das gehen?

09.05.2018 17:54 • #3


C
Wenn ein Traumta negiert wird kann es zu einem Ichhabrutsch kommen. Das ich steht quasi daneben und das Unterbewusstsein übernimmt.

09.05.2018 19:10 • #4