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Hallo ihr Lieben,

bin noch neu in dem Forum, und nachdem ich mich hier etwas umgesehen habe, hab ich mich dazu entschlossen, hier zu schreiben.
Es geht um meine Beziehung. Ich bin seit einem halben Jahr mit meinem Freund zusammen. Wir verstehen uns fantastisch, lachen sehr viel zusammen, haben gemeinsame Interessen und eigentlich ist alles perfekt. Er ist etwas älter als ich, 28, ich bin 20. Das stellt aber absolut kein Problem da - es passt einfach. Sogar meine Eltern, die bei meinen bisherigen Freunden (2 an der Zahl) sehr, sehr skeptisch waren, sind ziemlich in ihn verschossen. So weit, so traumhaft.

Nach einem halben Jahr Beziehung wird die Chose nun langsam etwas ernster. Diese lockere Verliebtheit, das Dauer-Kuscheln und den-ganzen-Tag-nackt-im-Bett-liegen ebbt ein wenig ab; wir reden viel mehr, unternehmen viel, steigen auf ähnliche Hobbies um. Die Beziehung hat sehr - oder fast nur - körperlich angefangen, wir haben viel geredet, aber nicht über sehr persönliches. Und ist jetzt zu etwas sehr Wichtigem für mich geworden. Nur gibt es ein Problem: Mich. Ich bin Borderlinerin, habe so ziemlich alles durch, Selbstverletzung, Essstörung, Angst. Selbstverletzung und Essstörung habe ich soweit im Griff, ich habe eine 12-monatige, freiwillige Therapie gemacht, arbeite hart an mir und gebe praktisch nie den 'Borderline-Trieben' in mir nach (also Manipulation, extreme Anhänglichkeit etc.). Mein Freund weiß, dass ich Borderliner bin. Zu allem Überfluss ist er auch noch psychiatrischer Krankenpfleger, und hat mit 'Meinesgleichen' schon gearbeitet - war sogar schon mit einer Borderliner in einer Beziehung, was aber sehr eskaliert sein muss - von ihrer Seite aus. Er ist ein sehr geduldiger und ruhiger Mensch, kommt mir nicht zu nahe und lässt mir Freiraum. Wenn er merkt, dass etwas nicht stimmt, lässt er mich erstmal in Frieden, fragt vielleicht mal nach, ob etwas ist. Meistens nimmt er mich irgendwann in den Arm, drückt mich einmal fest und sagt mir, dass ich mit ihm sprechen kann. Wenn ich dann nichts sage, lässt er mich auch in Ruhe. Er lässt mich auch weinen und hat mich dabei einfach im Arm, fragt dann ob ich reden möchte, und wenn ich nicht will, drückt er mich noch eine Weile und kitzelt mich dann durch. Ergo: Er behandelt mich exakt richtig, er weiß wie er mit mir umgehen muss, setzt mir Grenzen, gibt mir Kontra, lässt mir Freiraum. Ich habe mich noch nie für etwas so ins Zeug gelegt, wie für diese Beziehung, ich wachse an ihr, habe mich immer besser im Griff und bin auch ziemlich stolz darauf, was ich leisten kann (das muss ich einfach mal sagen) Und es ist auch so, dass ich mir durchaus vorstellen kann, mit ihm zusammen zu bleiben, es ist das erste Mal, dass ich jemanden 'behalten' möchte, und wenn ich ihn mit Kindern auf dem Arm sehe, bekomme ich weiche Knie (dafür ist aber weiß Gott noch Zeit).


Aber je schöner, enger und vertrauter es wird, desto mehr Angst habe ich. Je näher wir uns kommen, desto mehr habe ich das Gefühl, dass eine große Distanz zwischen uns ist. Wir sehen uns am Wochenende, wenn es gut läuft also etwa zwei Tage die Woche. Das klappt aber nicht immer, da er Nachtdienste hat und ich im Studium voll eingespannt bin. Er hat schon Panikattacken von mir mitbekommen, weiß ein bisschen was über meine Vergangenheit. Dass ich Borderlinerin bin, habe ich ihm beim ersten Treffen gesagt, um ihm die Wahl zu lassen. Er weiß, dass ich panische Angst vor Klingeln und Telefonläuten habe, weiß, dass ich manchmal einfach anfange zu weinen, weil alle Gefühle rausmüssen oder ich manchmal unendlich wütend werde, für 5 Minuten ins Bad gehe und mich wieder beruhige. Er hat mir sogar mal gesagt, dass er unglaublichen Respekt vor mir hat, wie ich damit umgehe und wie gut ich die Erkrankung im Griff habe - wüsste er nicht davon, hätte er es nicht vermutet. Aber wie soll das denn in Zukunft laufen? Wenn wir uns öfter sehen? Ich habe Phasen, in denen ich einen kompletten Meltdown habe, auch in Form von unglaublicher Traurigkeit, aber vor allen Dingen Angst. Angst vorm Aufstehen, Gehen, Essen, manchmal habe ich Angst vor Licht, Blumen machen mir Angst, alleine sein, zusammen sein, Atmen macht mir Angst. Diese Phasen sind in ihrer extremen Form meist in 1-2h vorbei, die schwache Form kann aber schon mal 2 Wochen anhalten. Ich kann mich da ganz gut selber rausholen, habe mich studiert und Taktiken entwickelt. Und trotzdem. Ich bin schwierig, anstrengend, seltsam. Ich brauche recht viel Aufmerksamkeit, was ich oft unterdrücken kann, mir dann aber wieder eine Panikattacke einbrockt. Ich habe so Angst davor, wirklich langfristig beziehungsunfähig zu sein, dass er sich von mir trennt, wenn er merkt wie anstrengend ich sein kann. Ich weiß auch nicht, wie ich damit umgehen soll, dass wir uns näher kommen - wir haben von Anfang an gesagt, dass er nicht mein Therapeut ist, und das ist auch so. Aber wie kann ich ihm nahe sein, wenn ich das, was mich im Grunde auch mit ausmacht, von ihm fernhalte? Wenn er von den Gefühlen nichts weiß, und ich sie immer unterdrücken müsste, sollten wir z.B. mal zusammen wohnen. Wie soll das gehen? Er hat auch gesagt, dass ich gerne mit ihm reden kann, und er versucht mir zu helfen, aber es ist diese Gratwanderung. Ich will ihm nicht zu nahe treten, seine persönliche Grenze überschreiten. Manche Dinge will er einfach nicht wissen, was ich verstehen kann. Und wenn er alles von mir weiß, dann gibt's in der Beziehung ein Machtgefälle, wir sind nicht mehr auf einer Augenhöhe, und er hat die Möglichkeit mir wehzutun. Das ist bei meinem ersten Freund so passiert, ´2,5 Jahre Beziehung, und dann hat er alles weiter erzählt und sich über mich lustig gemacht. Ich bin am hin und her überlegen, ob ich die Beziehung beenden soll, weil ich so Angst habe.


Entschuldigt den langen Text. Das musste grade raus, schleppe ich seit Tagen mit mir herum. Habe auch schon mit einer Freundin geredet, aber die hat die Problematik natürlich nicht verstanden. Geht es jemandem ähnlich?

05.07.2016 05:01 • 11.07.2016 #1


2 Antworten ↓


Icefalki
Weißt du Lila, was du schreibst klingt dermaßen toll, dass es einem beinahe das Herz zerbricht.

Du hast soviel erreicht, bist ehrlich, kämpfst und hast Angst. Und dass deine Krankheit kein Spaziergang ist, für beide, weiß ich.

Was bleibt dir aber anderes übrig, als weiter zu machen. Für eure Liebe zu kämpfen? Den Preis einer Nähe, evtl. bezahlen zu müssen?

Kein Mensch kann wissen, wie seine Beziehung auf Dauer funktioniert. Und leiden wirst du immer.

Egal ob jetzt, wenn du aus Angst alles vorzeitig beendest, oder wenn sie wirklich in die Brüche geht.

Oder ihr bekommt das irgendwie hin. Die Chance gibt es doch auch.

Also geb sie dir, gebt sie euch. Und vergiss nicht, auch er würde sehr leiden, wenn du aus dieser Angst heraus, alles beenden würdest.

Rede mit ihm. Mach dich verletzlich. Geh das Risiko ein. Er scheint da ein besonderer Mensch zu sein.
Stoß ihn aus Angst nicht weg.

05.07.2016 09:59 • #2


FeuerWasser
Ich sehe die Sachlage etwas nüchterner. Ihr führt seit 6 Monaten eine Beziehung. Natürlich ist das noch alles frisch, aufregend usw.

Ich glaube nicht, dass das bei dir primär etwas mit Bindungsängsten zu tun hat sondern diese Ängste fokussieren sich auf das Erkrankungsbild
der Borderline Störung und eine Angst vor dem verlassen werden. Auf der einen Seite schreibst du davon, dir vorstellen zu können, mit ihm zusammen
zu bleiben und 2 Sätze später beschreibst du eine immer größer zu glaubende Distanz zwischen euch.
Du schreibst, dass du den Borderline Trieben in dir nicht nachgibst. Du hast eine Diagnose und die zeigt auch ihre Auswirkungen ansonsten wäre
die Diagnose ja gar nicht gerechtfertigt.

Wenn dein Freund als psychiatrischer Krankenpfleger in Folge 2 Frauen hat mit einer Borderline Erkrankung würde ich ihm unterstellen, dass er auch
selbst seelisch nicht ausgeglichen ist. Er behauptet du hättest die Erkrankung gut im Griff. Ich finde, dass ihr euch das beide schön redet denn was ich
aus der Fragestellung lese, ist: Ambivalenz, Verlassensängste, Impulsivität, Panikattacken, sonstige Ängste und das du kurz davor bist die Beziehung zu beenden.
Ich sehe das nicht, dass du irgendetwas im Griff hättest sondern das du genau in den Mustern lebst die du zu unterdrücken glaubst. Weiterhelfen kann
dir langfristig nur Therapie, Therapie und nochmal Therapie bis gewisse Strukturen auf ein Maß gesenkt werden können die es dir erlauben, eine gesunde,
langfristige Beziehung zu führen ohne Ängste.

11.07.2016 00:33 • #3





Dr. Reinhard Pichler