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Liebes Forum,
ich wende mich heute verzweifelt an euch, um euch um Rat und Rückmeldung zu bitten!
Die quälendste Frage ist für mich: Bin ich eine unnormale Ausnahme, mit meinen starken Beschwerden?

Vorgeschichte:
Bereits seit meiner Kindheit plagen mich starke Ängste. Soziale Ängste, Angst vor Krankheiten und Tod, vor dem erbrechen. Ich fühlte diese Angst so bleischwer auf meinen Schultern und war unheimlich einsam damit. Im mittleren Schulalter begann es, dass ich mich auch körperlich krank fühlte, wie mit einer schweren Grippe. In der Pubertät gab es einige Erfahrungen, die diese massiven Ängste zur Krankheit werden ließen. Zum Beispiel bin ich in einer Disko umgekippt und habe danach ganz tief in meinem Unterbewusstsein begonnen, immer nach Notausgängen Ausschau zu halten. Dann gab es eine Reise ins Ausland, auf der ich plötzlich krank wurde und fürchtete, niemals nach Hause zurück zu kommen. Dort hatte ich tagelang Todesangst. Als ich wieder zu Hause war begann meine wahre Krankengeschichte. Ich begann, unter spontaner Panik zu leiden, vermied alles, was mit Kontakt zu anderen Menschen zu tun hatte, verließ die Wohnung nicht mehr, stand unter Daueranspannung und hatte ständig unheimlich starke körperliche Symptome. Mein ganzes Sein war nur noch Angst, es waren furchtbare Jahre.
Ich schleppte mich lange Zeit so herum, erste Therapien halfen nicht. Als ich meinen Sohn bekam war ich einige Monate beschwerdefrei. Ich war so glücklich, doch nach dem abstillen kam die Krankheit mit voller Wucht zurück. So stark, dass ich eigentlich nur noch im Bett lag, mich hin und her wiegte und selbst ohne jegliche Reize nicht zur Ruhe kam. Doch nun hatte ich den besten Grund der Welt, gegen meine Angst zu kämpfen und das tat ich auch! Ich absolvierte eine Verhaltenstherapie, besuchte die Tagesklinik, las alle möglichen Angstratgeber, probierte alle verkäuflichen Methoden, besuchte Heiler und Heilpraktiker, bezahlte einen persönlichen Coach der mir helfen sollte, mein Vermeidungsverhalten abzubauen. Es ging immer mal wieder einen Schritt aufwärts und zwei zurück. Aber es war Bewegung eingetreten.
Ich bekam von meinem Therapeuten Medikamente, die ich überhaupt nicht vertrug. Ich befand mich tagelang in Dauer- Todesangst und setzte sie schließlich wieder ab. Daraufhin beendete mein Therapeut die Therapie. Es folgte das schlimmste halbe Jahr meines Lebens. Ich weiß nicht, wie ich die Tage unter so massiver Anspannung überstand. Ständig von Panik geschüttelt und wenn es keine Panik war, dann war es diese Anspannung, die sich anfühlte, als würde ich innerlich explodieren. Rückblickend habe ich keine Ahnung mehr, was ich tat, dass mich aus dieser Phase herausbrachte... Ich hatte eine Hypnosestunde, habe mich viel mit der gewaltfreien Kommunikation beschäftigt und plötzlich ging es aufwärts. Es ließ einfach nach... Die Panik wurde weniger, die Anspannung reduzierte sich, die Symptome gingen auf ein Minimum zurück. Bis ich ein beinahe normales Leben führte. Ich war zwar ständig erschöpft, aber ich verließ die Wohnung, hatte wunderbare Ausflüge mit meinem Sohn. Es war, als hätte jemand in meinem Gehirn ein Schalter umgelegt und ich konnte es Monate lang kaum glauben. Es war schwer, in dieses neue Lebensgefühl zu vertrauen, weil ich keine Ahnung hatte, was es bewirkt hatte. Und wenn man sich das nicht erklären kann, dann fällt es schwer zu glauben, dass das alte Elend vorbei ist...
Um diesen Zustand zu stabilisieren besuchte ich eine Klinik. Das hätte ich vorher niemals geschafft, denn man muss ja schon in der Lage sein, das Programm dort durchzuhalten. Es war eine enorme Belastung, ausserhalb meines Schutzraumes zu sein und ich hatte nicht das Gefühl, dass man mir wirklich helfen konnte, weil sie mich als schwierigen Fall bezeichneten- obwohl ich in einem ganz anderen Zustand war, als zuvor. Dennoch wollte ich es tun. Einfach was normales tun, was anderen auch hilft.
Wieder zu Hause führte ich mein Leben stabil und wirklich glücklich weiter. Manchmal kam noch die Panik, doch wenn, dann konnte ich sie gelassen an mir vorbei ziehen lassen. Ich begann, alles was war zu vergessen und weit weg zu schieben. Ich redete mir ein: Dahin wirst du niemals wieder kommen, denn heute weißt du viel mehr über dich, hast gelernt nein zu sagen, kennst deine Bedürfnisse, hast Strategien entwickelt, um anders zu leben...

Der Ist- Zustand
Und dann ging es mit einem Mal wieder los.... Ich bekam Panikattacken. Aber solche, die auf einmal nicht mehr beherrschbar erschienen. Sie trafen mich mit voller Wucht, quälten mich Stunden lang. Ich dachte: Ach, eine kleine schlechte Phase, das geht vorbei... Aber es wurde von Tag zu Tag schlimmer. Mein Körper begann wieder verrückt zu spielen. Ich brach in Schweiß aus, wenn nur das Telefon klingelte. Bekam Brechreiz, konnte kaum essen. Fühlte mich, als würde mein ganzes Nervensystem vollkommen überreizt und überempfindlich sein. Zunächst versuchte ich, dass gelassen zu beobachten. Ich wollte mich mental davon abgrenzen und ließ es über mich ergehen, hoffte, dass der nächste Tag wieder besser würde. Doch mittlerweile bin ich wieder genau da, wo ich mal war. Ich liege im Bett, weil es mir körperlich so schlecht geht. Sobald ich aktiv werde, den Haushalt mache, wie bewege, hinausgehe- sofort beginnen die körperlichen Beschwerden. Das schlimmste ist: Ich kann kaum Zeit mit meinem Sohn verbringen. Ich bekomme diese starken Beschwerden, wenn ich mit ihm alleine bin. Ich bekomme sie, wenn es an der Tür klingelt, oder ich eine Sms bekomme. Und je nach Tagesform komme ich aus diesem Zustand gar nicht mehr raus- so niedrig ist die Panikschwelle. Ich fühle mich wie eine Irre. Wie eine abartige Irre und ich verstehe nicht, was mit mir passiert. Ich fühle mich vollkommen ausgeliefert, fremdbestimmt, einfach nur komplett verrückt. Alles, was ich mir in der Therapie mühsam erarbeitet habe scheint zu versagen. Mein Körper reagiert und ich zittere vor Angst. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich war mal so hoffnungsvoll. Ich hatte die Illusion, dass ich etwas tun kann und meinem Nervensystem nicht einfach nur ausgeliefert bin. Ich dachte, ich könnte auf meine Seele Einfluss nehmen und mich stabilisieren. Jetzt habe ich keine Hoffnung mehr. Mein Therapeut, der immer nur sagte: Sie machen das alles super! Ist jetzt auch vollkommen ratlos. Ich habe super mitgearbeitet, es gibt keinen ersichtlichen Grund, für diesen Zusammenbruch.
Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Ich halte es kaum aus und mein Verstand sagt mir: Tu was. IRGENDWAS. Aber was soll dass sein? Ich habe doch bereits alles getan, was man tun kann. Eine normale Klinik würde mich in diesem Zustand gar nicht nehmen, da müsste ich in die Psychiatrie gehen. Aber ich kann mir nicht eingestehen, dass ich dort hin muss. Dort wird man mir Medikamente geben. Kein Mensch kann Tag und Nacht neben meinem Bett sitzen und es würde mich zweifellos vollkommen zur Entgleisung bringen, wenn ich jetzt meinen Schutzraum verlasse. Ich habe aber panische Angst wieder zu hören: Frau... Sie sind ein Schwerstfall. Medikamente zu Hause anfangen? Die haben meinen Zustand bisher so sehr verschlechtert und ich habe solche Angst davor.
Gibt es irgendjemand, der meinen Zustand verstehen kann? Der mir sagen kann: Ich verstehe dich, du bist nicht alleine?
Menschen, denen es genauso geht?
Ich bin für jede Antwort dankbar!
Merle

26.09.2014 20:25 • 30.09.2014 #1


5 Antworten ↓


martin170de
Miaflorentine!

Guten Abend!

Leider bin ich etwas unter Eile. . .ich habe eben gerade Deinen Ruf gelesen.

Aus meiner Sicht bist Du keine unnormale Ausnahme, auch keine normale Ausnahme, sondern Du. . .und völlig OK, ES gehört anscheinend oft dazu. . .

Also, als erste Worte, nur ganz kurz. . .es (er)geht wahnsinnig(im wahrsten Sinne) Vielen auf ihre jeweilige Art so, wie Dir. . .vorab, bist Du schon mal nicht alleine (ich selbst kann es ebenfalls nachempfinden).

Vielleicht wäre es in irgendeiner Art hilfreich, einmal meine Geschichte zu lesen:
agoraphobie-panikattacken-f4/meine-30jaehrige-angst-panik-co-karriere-t60832.html

Alles Weitere ein anderes Mal, ich werde nun blöderweise verlangt, schade. . .
Ganz viele liebe Grüße und Alles Gute!
Martin

26.09.2014 22:16 • #2


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Verzweifelt: Ausnahmefall?

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Lieber Martin,

vielen Dank, dass du mir geantwortet hast. So eine Frage zu stellen und dann keine Antwort zu erhalten zerrt an meinen Nerven :-/ Ich habe deine Geschichte gelesen und bin berührt davon! Was für ein Leidensweg! Einerseits macht es mir Angst, dass es so lange gehen kann. Andererseits beruhigt es mich sehr zu lesen, dass ich nicht alleine bin. Danke dafür. Du schreibst, dass es dir heute etwas besser geht. Bist du einsam, oder hast du ein soziales Netzwerk, dass dich begleitet? Wie kommst du mit dem Gedanken zu recht, dass soviele Jahre an diese Krankheit gegangen sind? Ich werde am Dienstag 30 Jahre alt und mir fällt es furchtbar schwer zu hoffen, dass es noch etwas anderes für mich geben wird... Gleichzeitig erzeugt es Druck Jetzt muss sich mal was ändern! Solange ich diese gute Phase hatte konnte ich denken: Es gehört zu dir und es ist okay, denn es hat dich zu dem gemacht, was du heute bist. Aber seit alles wieder so schlimm ist fällt es mir sehr schwer. Meine Bilanz ist bitter: Seit ich denken kann in dieser Angst. Sovieles verpasst im Leben. Kein Studium, keine Arbeit die ich freu wählen konnte. Und nun 30 Jahre alt. Ich habe keine Ahnung, was aus meinem Leben werden soll.
Danke für deine Worte, ich würde mich über eine weitere Antwort freuen- so, wie es für dich passt.
Vielleicht mögen ja auch andere noch schreiben? Dass wäre so schön...
Merle

27.09.2014 08:45 • #3


martin170de
Liebe Merle,

danke für Deine offenen und inhaltsvollen Ausführungen!

Ich werde nachher noch richtig antworten, ich muss jetzt erstmal weitereilen!

Viele Grüße, bis später!
Martin

27.09.2014 12:31 • #4


martin170de
Liebe Merle,
hier nun wie angekündigt noch ein paar weitere Zeilen.
Ja – also – mir geht es mittlerweile tatsächlich, wie Du sagtest, „etwas besser“ – und das auch relativ stabil; natürlich wie immer gezeichnet von gewissen Ausreißern, Attacken – oder irgendwelchen sonstig extremeren „Sensationen“.
Naja, einsam oder ein „soziales Netzwerk“ – das ist schwierig, mal eben in meinem Sinne angemessen zu beantworten; einerseits bin ich einsam, so wie jeder nicht ganz durchschnittliche Mensch einsamer mit sich selbst ist, als die anderen. Ich sehe dabei aber nicht nur das sofort mitschwingende Negative; viele Menschen, die „nicht einsam sind“ (vermeintlich), bauen sich Ihre Uneinsamkeit auch hin – indem sie sich ihre Rolle zurecht-konfigurieren, an den authentischen, wirklichen Bestimmungen vorbei – und auch teils schaffen, daran zu glauben. . .andere sind „wirklich nicht einsam“ (aus ihrer eigenen Wahrnehmung, und darum geht es letztendlich ja).
Ein vorbildlich soziales Netzwerk (wie auch immer das dann aussehen würde) habe ich sicher nicht – aber dennoch einige wirklich gute Freunde, guten, intensiven und anspruchsvollen Kontakt zu dem verbliebenen Rest meiner Familie – und auch einige stützende, erbauende peripherere Kontakte – sowie auch die beruflichen Beziehungen.
Wer einen dann wie und wann „begleitet“, ist noch eine andere Thematik; in mir hat sich die Jahre das Bild manifestiert, die wirklich elementaren Herausforderungen an sich eher alleine meistern zu müssen – obwohl – auf gewisser Ebene – diese Kontakte helfen können. . und es einem sicher generell „schlechter“ ginge, wenn sie nicht wären.
„Viele Jahre an die Krankheit“. . .nun, diese Jahre waren ja nicht zu 100% von „Krankheit“ geprägt; wenn man eine gewisse Stufe des Annehmens der Geschichte erreicht hat, so wird sie einem zugehörig, „macht einen als gesamtes Individuum mit aus“. . .aber ist lange nicht Alles. Es ist sicher nicht so, sagen zu wollen/müssen „die Jahre habe ich vergeudet“; man ist gereift, man hat gelebt, und mehr. Klar, Du sagst, wo es nun wieder so schlimm ist, relativiert sich so ein Bild. . .ich denke nicht völlig. . .das „perfekte Leben“ existiert in der Öffentlichkeit, im kollektiven Geist, den Medien – und wird immer gepuscht. . .und fälschlicherweise oft mit dem Normalzustand verwechselt (alles, was abweicht nach unten = Problem / schlecht gehen). Aber. . .im gewissen Maße ist das Leben nun mal ein Kampf (etwas unphilosophisch gesagt).
„Druck“ ist in solchen Dingen selten förderlich – aber der Wunsch, die Bereitschaft sollte da sein. Das Instrument Druck ist in konkreten Modellen, mit definierten Größen und einem messbaren Ziel schon manches Mal ein Mittel der Wahl – aber beim wirklichen seelenhaften Dasein. . .naja.
30 Jahre. . .natürlich ist das relativ – und genau deshalb sage ich einfach mal, das ist doch kein Alter! Es steht Dir garantiert noch so viel Schönes und Gutes bevor. . .sicher kann man es nicht erzwingen, aber die Hoffnung ist absolut am rechten Platze!
Meine Worte könnten teils so wirken, als würde ich das alles, Deine Befindlichkeit, Situation, nicht ganz nachvollziehen können, sei sicher, das kann ich. . .ich schaue bewusst aus anderem Winkel.
Arbeit frei wählen? Das können ganz viele nicht – und von denen, die es angeblich taten, reden sich einige dies auch manchmal etwas ein. Studium – ach. . .was soll’s. . .ich habe auch keins. . .auch keine Ausbildung. . .habe mir irgendwann einen Briefkopf entworfen. . .und selbständig gemacht (vor 20 Jahren) – mittlerweile habe ich 6 Mitarbeiter – trotz immer mal wieder aufkeimender, lauernder Angst. . .
Also – nun mein Wunsch: Du freust Dich auf Deinen 30. Geburtstag, gratulieren tut man ja nicht vorher. . .
Als Geschenk von Dir selbst bekommst Du, offen zu sein für folgende Jahre, die Dir die Dir einiges, vieles bescheren können, was Dich glücklicher und zufriedener – und angstfreier macht.
Erstmal liebe Grüße!
Martin

27.09.2014 14:05 • #5


M
Lieber Martin,

ich habe mich über deine Antwort sehr gefreut. Heute habe ich leider wenig Zeit. Ich möchte dich wissen lassen, dass ich deine Nachricht gelesen habe und sie mir Freude gemacht hat. Ich werde mich in den nächsten Tagen mal durchs Forum lesen, da die Rückmeldungen zu meinem Thema- bis auf deine Teilnahme- ja eher gering sind.
Ganz liebe Grüße, Merle

30.09.2014 08:56 • x 1 #6





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