Ich bin vor einiger Zeit auf dieses Forum gestoßen und habe seitdem diverse Beiträge gelesen. Mich einer wiederkehrenden Aussage vieler Autoren anschließend, wenn man es auch egoistisch/sarkastisch interpretieren könnte: Es tut einem gut, es freut einen, es gibt Halt, mit seinen ganzen Geschichten offenkundig in großer Gesellschaft zu sein. Danke!
Oje, ich ahne, der Text wird länger; ich bemühe mich.
Warum ich hier schreibe?:
1.: Vielleicht kann ich mit meinen Ausführungen in irgendeiner Art einen Beitrag für andere Mitglieder leisten, so wie eben auch ich hier partizipiere. 2: Eventuell ergeben sich interessante Kontakte, neue Anregungen, etc. 3: Ich rede es mir von der Seele. 4: Ich habe irgendwie einfach das Bedürfnis.
Also, Versuch, mich möglichst kurz zu fassen; grob zu meiner Person: ich bin 48 Jahre alt (oha. . .naja. . .), männlich und habe die letzten 30 Jahre eine Bilderbuch-Karriere rund um besagte Themen hingelegt. Ich schildere einfach einmal die „Meilensteine“.
Es begann mit 18 Jahren („offiziell ausbrechend“, wer weiß, was da wo in mir schon vorher waltete, rumorte) in meiner Zivildienstzeit, ich war dort als Fahrer für Präparate, Patienten, etc. eingeteilt.
So fuhr ich auf der Autobahn, neben mir eine ältere Dame den Fahrdienst in Anspruch nehmend, „alles ok“. Dann der vorbildliche Ablauf. Die Frau plauderte und sprach irgendwann von „dem schlimmen Schicksal einiger junger Menschen aus ihrem Umfeld, die unerwartet plötzlich an Herzinfarkt, Schlaganfall, usw. starben“.
Zack. Das hat gesessen. Unweigerlich keimte in mir die nächsten Minuten irgendetwas Komisches auf – im gleichen Maße zunehmend versuchte ich, mich zu beruhigen und „normal weiter zu ‚Seien‘ “ – nach kurzer Zeit dann immer schnellerer Puls, Schweißausbrüche, Panik zu sterben, Schwindel, Benommenheit, das typische Programm (u.a. Hyperventilation – das war mir da noch kein Begriff). Gerade noch auf den Seitensteifen gefahren, aus dem Auto gerannt – und um Hilfe gewunken, es hielt keiner an. Mit Atemnot und völlig wirr irgendwie wieder ins Auto gequält und losgefahren bis zur ersten „rettenden“ Gelegenheit, einem Gasthaus – in das ich hineinstürmte, mich auf eine Bank legte und um Hilfe bat. Arzt – Valium – etc., dann wieder alles „ok“, zuhause ausgeruht. Seitdem in der Zivi-Zeit ca. 10x hyperventiliert beim Autofahren, immer Valium usw. dabei, andauernd ekelhafte Panikattacken, permanente untergründige Angst, Getriebenheit, widerliche Derealisation, uvm.
Zwei Jahre später (hatte mich gerade selbständig gemacht mit Unternehmensberatung, Angst Co einigermaßen im Griff [dachte ich wohl]) gab ich ein Seminar – wie vom Blitz getroffen mit einmal schwummerig, schwindelig/schwankend, superkomisch fühlend – und Panik. Projekt abgebrochen, nach hause gequält unter Valium und 2 Underberg zur Beruhigung.
Der Zustand schwelte so vor sich hin, mal mehr, mal weniger derealisiert, alle paar Stunden bis Tage Angstanfälle, Panik, immer totale Unruhe. Ich quälte mich irgendwie halbwegs durch meinen Job.
Bald darauf hatte der „böse Geist“ sich den nächsten, gemeinen Level überlegt. Ich fühlte mich einigermaßen „mittel“, wollte zum Kunden fahren – mit einmal Taubheitsgefühle im linken Bein – typischer Ablauf, klar, Panik kam auf, ich argumentierte innerlich dagegen, usw. Es wurde immer schlimmer – es kroch hoch, es war tatsächlich zum Schluss meine ganze linke Seite gelähmt, ich war sicher – „so, das war’s. Schlaganfall – sterben“. Ich rief um Hilfe und wurde sofort ins Krankenhaus gebracht. Dort 1000 Untersuchungen und, oje, bei Liquor-Untersuchung erhöhte Eiweißwerte. Schlussendlich – wie so oft supersensibel von den Ärzten kommuniziert, „Verdacht auf MS, Sie haben mit so einer Krankheit aber gute Chancen, noch Jahre einigermaßen klarzukommen – und es gibt gute Therapien, wenn die Schübe kommen“. Knall. Voll neben der Spur, absolut derealisiert, plus gelähmt vor Angst. (Das geniale von dem Dämon, der mir das antat war ja, dass er damit die hilfreiche innere Beruhigungs-Argumentation „Es passiert Dir nix, es ist ‚nur‘ Angst und Panik“ langsam begann, zu demontieren.
Nach sehr entspannter und optimistisch erfreuter Wartezeit von 5 Tagen auf einen MRT-Termin ergab dieser, dass ich keine MS hätte. Erstmal vordergründig erleichtert. Es sei dann wohl eine „ganz leichte virale Meningitis“, ich bekam 1 Woche Antibiotikum intravenös. Dann wurde ich entlassen mit den Worten „der Rest legt sich, aber sie fühlen sich noch eine ganze Zeit flau im Kopf“ (OJE, wieder genau das Richtige, natürlich fühlte ich mich dann absolut extrem „flau“). Nach 2 Monaten Nachkontrolle – erneut Punktion – Liquorwerte weiter gestiegen (Oh Gott). „Kümmern Sie sich nicht darum, sie haben gute Chancen, dass sich das von alleine langsam wieder normalisiert, solange müssen sie natürlich mit gewissen seltsamen Befindlichkeiten, Benommenheit, bla, etc. rechnen“ (super, danke, das ist genau das, was einen unterstützt, wenn man ohnehin gegen ständige Panikattacken, Angst, etc. kämpft).
Es zeigten sich – na klar – dann auch komische Symptome – alles, was das Herz begehrt, sogar ein Krampfanfall war dabei (rückblickend klarerweise ausgelöst durch Panikattacke plus falsche Medikation). So war ich dann mittlerweile richtig schön konditioniert, ich glaube, ich bestand nur noch aus Angst. 1-2x am Tag eine unbeschreibliche Unruhe, bei der ich nur noch wegrennen konnte. Dennoch „zusammengerissen“ und Psychotherapie begonnen – ohne Erfolg, ich trickste den Therapeuten aus, wo es ging, wollte eigentlich innerlich wohl nur, dass er mich auffängt und mir meine Last nimmt, was ja vom Ansatz her Quatsch ist – er schrie mich an. . .und ich beendete die Therapie. Dann wieder die Halbseiten-Lähmung. . .plus völlig neben der Spur – so, dachte ich, das war es, es macht keinen Sinn mehr, Du bist nicht mehr lebensfähig. Suizidversuch mit Schlaftabletten und 1er Flasche Cognac – und dilettantischem Versuch, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Ich wohnte damals noch in einer Wohnung über meinen Eltern, sie im Erdgeschoss, ich oben. Irgendwie packte es mich, als ich merkte wegzudämmern – und schleppte mich nach unten – in den Garten, wo mein Vater mir entgegenkam. Ich sagte weinend „ich wollte mich umbringen, ich kann nicht mehr“ – er erwiderte „warum hast Du denn nie etwas gesagt“ (hatte ich natürlich, aber, das ist ein anderes Thema, es wird sowieso schon viel viel zu viel Text, Entschuldigung). Dann ins Krankenhaus, Magen auspumpen etc., Haloperidol erhalten, 3 Tage Intensivstation zur Überwachung und Entgiftung – danach nach Hause, starke Derealisation, seelisch psychisch erstarrt, innerlich fast tot. Einige Tage später wies ich mich selbst ein in eine stationäre offene Psychiatrie. Das war (aus meiner Sicht) ein großer Fehler (aber, naja, „meine Sicht“ – vielleicht rettete es mich ja auch). . .mein Eindruck: man ist abgeschoben, wird vollgepumpt mit diversen Präparaten, testweise, „um die optimale Medikation einzustellen“, gammelt aber 95% der Zeit in einem fürchterlichen Kämmerchen vor sich hin, es finden so gut wie keine Gespräche und Therapien statt, uvm.
Nun war ich „drin“ – und ließ es über mich ergehen, ich hatte einfach keine Kraft mehr; nach zwei Monaten wurde ich entlassen, angeblich „in stabilem Zustand“ – meine Befindlichkeit hatte sich aus meiner Sicht nicht sehr verändert – aber das ist ja immer so eine Sache mit der Eigenwahrnehmung und –Bewertung.
Meine Firma hatte für die Zeit ein Mitarbeiter einigermaßen über Wasser gehalten.
Ich zog aus der Wohnung im Elternhaus sehr zeitnah aus; ich hatte die folgenden Jahre recht wenig Panikattacken, nahm im „Normalfall“ keine Medikamente, Alk. allerdings überdurchschnittlich; ich stand aber latent immer neben mir, schaute zu, Milchglaswand, altes Thema Derealisation. Wenn es zu schlimm wurde – und dann die Angst explosionsartig stieg, nahm ich mal eine Valium. Nach zwei Jahren extreme Unwirklichkeitsgefühle – und im Nacken immer noch dieses Bild vom erhöhten Liquorwert, der „sich ja eigentlich normalisieren sollte“. Ich wandelte nur noch wie ein Geist im Nebel durch die Welt („vielleicht ja Hirntumor – oder noch anderes ganz Schlimmes“). Ich wies mich also einmal wieder ein und ließ ein Rundumcheck inklusive Punktion, MRT uvm. machen – alles in Ordnung, auch der Liquorwert. Puh. Ich bekam Risperdal – und kam ganz gut wieder auf die Beine. Risperdal abgesetzt – ein Jahr zwar benebelt aber sonst ok, dann wieder dasselbe; wieder auf Eigeninitiative MRT etc. – wieder alles in Ordnung, erstmal wieder beruhigt, wenig Attacken – aber benebelt.
In der Phase, etwa 4 Jahre später, wo meine Eltern im Sterben lagen und meine Firma zunehmend anstrengte, dann der zweite Genie-Streich von meinem inneren Dämonen, um das Prinzip „Du hast nur Angst, Dir passiert nix“, zu widerlegen: ich war Essen beim Italiener, mir wurde „komisch“, ich sagte mir „es passiert nix, alles gut“ – und kollabierte – als ich aufwachte, lag ich in der Mitte vom Lokal, alle standen/saßen um mich herum. Notarzt – Intensivstation, etc. „alles in Ordnung, sie haben eine Magen-Darm-Infektion, da kann das schonmal passieren“.
„Sehr schön! – Danke nochmal!“ Ich war nun vollkommen verunsichert und fertig, traute mich nirgends mehr hin, es sei denn, unter allem Möglichen an Medikamenten usw.
So ging es gar nicht weiter – ich konsultierte betreffs dieser akuten Symptomatik nochmals einen Kardiologen – der dann eindeutig eine Diagnose stellte (vasovagale Synkopen) (ein körpereigener über gewisse Rezeptoren gesteuerter Mechanismus bewirkt bei „zu dollem Pumpen“ des Herzens, einen Reflex, der zum schlagartigen Blutdruckabfall und zur Ohnmacht führt). Dagegen bekam ich dann Betablocker. Diese Arie ist 12 Jahre her – und diese Symptomatik ist nie wieder aufgetreten.
Meine Angst, meine Attacken – und andere Lieblings-Freunde waren aber unverändert da – auch die Benommenheit (u.a.: Kopfbewegung, „Gehirn dreht verspätet mit“), Unwirklichkeit. Totale Schlaflosigkeit, wenn man „just in den Schlaf sacken wollte, stieß man auf eine undurchdringliche harte Fläche“. Ich nahm nochmals einen Anlauf – und ging zum Psychiater, in erster Linie (ich weiß, das ist eigentlich nicht „der Weg“), um irgendwie helfende Medikamente für den Moment zu erhalten, er verschrieb mir Mirtazapin (plus Tavor für den Zeitraum des Einschleichens). Mirtazapin habe ich total schlecht vertragen, es gab ein Feuerwerk in meinem Kopf – vermutlich sind meine Synapsen andersherum gepolt; stundenweise wechselnd dazu totale Übelkeit, dann Schwindel, dann Kopfschmerzen. . .also versucht, wieder abzusetzen – Schlafen – immer noch Fehlanzeige.
Nächster Anlauf: ich geriet an eine „liebe“ Neurologin. . .und sie empfahl mir, es mit Saroten zu versuchen – wir schlichen es ein – und der Schlaf kam zurück. In der Phase des Einschleichens fühlte ich mich teils sehr abgedreht, seltsam, als „würde ich gleich völlig verrückt“ – aber es ging langsam besser.
Das ist jetzt 9 Jahre her.
Ich habe die Dosis vom Saroten vor 7 Jahren (nach erfolglosem Absetzversuch) letztendlich halbiert (1x abends 25mg).
Mir geht es mittlerweile halbwegs gut – bzw. „ich komme einigermaßen klar“. Tagsüber mal mehr, mal weniger Unruhe, alle paar Wochen mal eine PA; sobald ich „irgendwo hin muss“ (geschäftlich oder privat) merke ich die Angst vor der Angst deutlich stärker, ich werde manches mal auch panisch außerhalb – prophylaktisch nehme ich, wenn ich ahne, es sonst nicht im Griff zu behalten, eine viertel Valium. Der Schlaf ist gut. Der Alk. ist zu hoch (was einerseits die Wirkung vom Saroten schwächt – und natürlich generell nicht gesund ist und sich auch negativ auf Psyche Co auswirkt) (ich habe mir just ein Glas Sekt geholt).
Nun muss ich bald mal zum Schluss kommen, meine Güte.
Einfach noch ein paar Anmerkungen. Schade ist es, dass man wenig Chancen hat, es Mitmenschen, die diese Befindlichkeiten nicht selbst erlebt haben, angemessen zu vermitteln. Dies führt oft dazu, als „Ansteller“ oder „hysterisch“ oder einfach „seltsam, komisch“ eingeordnet zu werden. Es ist halt immer noch „erlaubter“, mit einem gebrochenen Bein krank zu sein.
Meine Lähmungsanfälle übrigens, es war damals noch nicht so publik, beruhten auf einer speziellen Migräne-Form (Migräne accompagnée), klassischer Ablauf: 1 Hälfte sukzessive taub / leicht gelähmt, nach ca. 15-20min nachlassend, danach in der gegenüberliegenden Seite starke Kopfschmerzen (Cluster-Kopfschmerzen). Und – erhöhte Liquorwerte – in geringem Maße, können durch vielerlei Prozesse entstehen, da reicht schon eine Nebenhöhlen-Entzündung, ein zu hoch dosiertes Antibiotikum und. . .und.
Ja.
„Ein Weg, ein Mittel gegen das alles“. . ., das ist sehr komplex und individuell. Abgesehen von den Instrumenten „Therapie“ und/oder „Medikamente“ alltagstaugliche Haltungen und Mechanismen zu schaffen. . .wir alle hier wissen, denke ich, sich auf die Angst, auf Symptome, zu konzentrieren, verschärft hineinzuhorchen, ist der falsche Weg, wie bekannt, erzeugt jede Kraft eine Gegenkraft – aber das nicht nur rational zu erfassen, sondern umzusetzen, ist verdammt schwer. Die Mutter der ganzen Ängste, meine ich, ist die Urangst vor dem Tode – und sie springt je nach Lust und Laune auf dieses oder jedes Pferd und reitet durch unsere Seele. Vielleicht wäre es ein Ansatz, eine Einstellung zu erreichen, aus deren Perspektive der „Tod“ oder „das Loslassen“ an Bedrohung verliert, ohne dabei gleichgültig zu werden. Vielleicht eine Art Glaube. . .oder Schicksalsergebenheit.
Nungut – so – wer es bis hier geschafft hat mit dem Lesen, der ist wahrlich tapfer gewesen, so viel, wie ich nun doch produziert habe.
Ich wünsche Euch allen weiter viel Erfolg und Kraft – und Glück! Danke und ganz viele Grüße!
Euer Martin.
23.09.2014 16:05 • • 24.12.2014 x 4 #1