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Spaceman
Hallo alle zusammen,

Ich bin neu hier und möchte erst einmal damit beginnen, mein Problem loszuwerden.

Ich bin mittlerweile 45 und hatte bereits in der Kindheit Probleme mit sozialer Angst, was aber scheinbar niemandem aufgefallen war. Mit 16 kam dann noch Schulangst hinzu und so kam es zu Schulabbruch, Depressionen, Ausbildungsabbruch, Rauswurf bei meinen Eltern mit 21, ständige Probleme mit Sozial- und Arbeitsamt und so weiter.

2010 hat es mich dann in ein Dorf im Landkreis meiner Heimatstadt verschlagen, wo ich fataler Weise entschied, mich ab sofort von Menschen fernzuhalten. Ich bin ein ziemlich typischer Computer-Geek und habe höchstwahrscheinlich leichte Autismus-Züge. Alleine zu sein, macht mir viel weniger aus, als anderen Menschen. Aber naja, auch ich sehne mich nach Freunden, Liebe, Zärtlichkeit und Partnerschaft.

Und jetzt stehe ich hier, vor 25 Jahren sozial abgestürzt und nie wieder richtig hoch gekommen. Seit 10 Jahren keine Freunde mehr, seit ewigen Zeiten keine Freundin. Praktisch keine sozialen Kontakte, außer seltenen Besuchen bei meinen Eltern, denen ich aber auch immer mehr aus dem Weg gehe. Wohne als völlig zurückgezogener Einzelgänger in einem Dorf wo man sich kennt. Ich bin 20 Kilo zu dick geworden, habe eine heftige Hyperhidrose vor allem am Kopf entwickelt und bin in einem Alter, wo ich merke, dass dann so langsam mal die Zeit eng wird.

Ich hab's geschafft: völlig isoliert und fast vollständig vereinsamt. Mit einem Herzen, das zum Bersten gefüllt ist mit Sehnsucht, einer Seele voller Angst, Zweifel, Scham, Traurigkeit und Enttäuschung und einer Psyche, die 'nen heftigen Knacks hat. Irgendwann im Winter ging es dann los, dass das alles durchbrach. Seit dem vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht von hoffnungsvollen oder romantischen Fantasien und anschließenden Abstürzen in tiefe Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit geplagt werde.

Das richtig fiese aber ist, dass ich ebenso furchtbare Angst vor genau den Menschen habe, die mir helfen könnten: Ärzte, Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter, Selbsthilfegruppen, etc.

Mir reicht's, ich will hier raus und das hier ist der Anfang. Einfach mal irgendwem die Sache anvertrauen, darüber reden, Leute finden, die es verstehen können und Hoffnung, Trost oder Tipps geben können. Vielleicht vorsichtig reale Kontakte aufbauen und den Mut finden, diesen Irrsinn endlich zu lösen.

Ich freue mich über alle positiven, hilfsbereiten und Hoffnung spendenden Kommentare.

Danke für's Lesen!

10.07.2021 21:10 • 23.07.2021 x 8 #1


28 Antworten ↓


Ela_33
Willkommen im Forum!

Ich denke du wirst hier sicher den ein anderen finden, der bereits in einer ähnlichen Situation war.

Der erste Schritt ist getan! Du hast darüber gesprochen und nun kannst du dich mit anderen darüber austauschen, wie die weiteren Schritte aussehen können.

Liebe Grüße!

10.07.2021 21:24 • x 1 #2


A


35 Jahre Angst und jetzt reichts

x 3


flügelpupser791
@Spaceman
Das ist ja Schon mal ein richtiger Weg ich bin mir sicher das du es schaffst. Ich leide auch fast 17,5 Jahre unter meinen Ängsten.

10.07.2021 21:32 • x 1 #3


M
@Spaceman hi spaceman,
Gut dass du diese Entscheidung für dich getroffen hast. Es ist die absolut richtige. An deiner Stelle würde ich mich mal bei 2,3,4 psychotherapeuten in deiner Nähe vorstellen und ihnen am besten genau diesen Text vorlesen oder erzählen. So können Sie dich am besten einschätzen und dir weiterhelfen. Vermutlich wirst du wie fast alle etwas auf den Start einer Therapie warten müssen. Aber du solltest es damit definitiv versuchen.
Wie lernt man Leute kennen, die zu Freunden werden? Gute Frage. Am leichtesten ist es sicher, wenn sich eine Gruppe neu findet (zb Vereine, soziale Netzwerke, bei denen sich fremde Menschen erstmals live treffen). Wenn alle neu sind, ist es recht leicht ins Gespräch zu kommen und sich kennenzulernen.

10.07.2021 21:39 • x 1 #4


Spaceman
Erst einmal vielen Dank an Euch alle.

Die große Schwierigkeit ist, dass ich ziemlich genau weiß, WAS ich tun muss. Das aber durchzuführen fällt mir unendlich schwer. Ich arbeite daran, zum Sozial-Psychiatrischen-Dienst zu gehen und hoffe, dass die irgendwie helfen können.

Naja, der Anfang ist jedenfalls gemacht. Mir ging es heute echt mies, aber nach den angenehmen Reaktionen gehts schon besser. Das hat mit aber schon nervlich verausgabt. Deshalb gehe ich jetzt erst mal ins Bett und lese noch etwa.

Schaue morgen wieder rein.

Und danke noch mal!

10.07.2021 22:07 • #5


M
@Spaceman mach das und halt uns hier mal auf dem laufenden.

Gn8

10.07.2021 23:27 • #6


Y
Mir kommen so einige Dinge bekannt vor: Ich habe über 20 Jahre gebraucht, um mich wirklich anderen Menschen anvertrauen und über meine Ängste / Gefühle reden zu können.

Mit Ärzten, Psychologen, Therapeuten reden oder in eine Selbsthilfe gehen? Keine Chance, das schaffe ich nie!... so dachte ich.

Mir ging es lange Zeit schlecht. Sehr schlecht. Aber eben dann doch noch nicht schlecht genug, um diese Hemmungen und Ängste überwinden zu können. Häufig ändert man erst wirklich etwas, wenn die Alternative dazu noch schlimmer ist. Bei mir bedeutete das konkret: Ich musste die 2. Phase der Suizidalität erleben (d.h. der abstrakte Gedanke fängt an zu einer real erscheinenden Lösungsmöglichkeit zu werden).

13.07.2021 13:03 • x 1 #7


Spaceman
Hallo yaro, danke für Deinen Beitrag!

Zitat von yaro:
Mir ging es lange Zeit schlecht. Sehr schlecht. Aber eben dann doch noch nicht schlecht genug, um diese Hemmungen und Ängste überwinden zu können.


Genau so ist es!

Zitat von yaro:
Häufig ändert man erst wirklich etwas, wenn die Alternative dazu noch schlimmer ist. Bei mir bedeutete das konkret: Ich musste die 2. Phase der Suizidalität erleben (d.h. der abstrakte Gedanke fängt an zu einer real erscheinenden Lösungsmöglichkeit zu werden).


Und genau das versuche ich mit allen Mitteln zu verhindern. Ich habe panische Angst, dass konkrete Selbstmordgedanken an einem schlimmen Tag plötzlich zur Durchführung gelangen könnten. Glücklicherweise bin ich davon noch weit entfernt.

Aber das ist der Grund, weshalb ich gerade alles ins Gefecht werfe, was ich über die Jahre und Jahrzehnte an Techniken zur Angstbewältigung zusammengetragen habe. Arbeit mit Worst-Case-Szenarien, negativistische Grübeleien sofort unterbinden und durch positive Gedanken ersetzen, Ängste aufschreiben und Satz für Satz durch realistische Situationen ersetzen, AT, Vipassana, etc.

13.07.2021 18:31 • x 2 #8


moo
Zitat von Spaceman:
Vipassana




Wie kamst Du dazu? Hattest Du einen Lehrer? Kurse besucht?

14.07.2021 11:18 • x 1 #9


Spaceman
Nee, keine Lehrer oder Kurse, da ich nur die Grundübung mache. Die habe ich vor Jahren mal in irgendeinem Selbsthilfebuch gefunden. Mich hat das Thema Meditation schon lange fasziniert, zwecks Geistesschulung und Entspannung. Aber ich unterlag lange dem Irrglaube, man müsse spirituell oder esoterisch veranlagt sein, damit das funktioniert. Lehrer/Kurse braucht man meiner Meinung nach für die Grundübung nicht, da sie so einfach ist.

Falls irgendwer mitliest und das ausprobieren möchte:

Du setzt dich hin - Stuhl reicht auch, die übliche Beinbrezel-Gymnastik ist nicht unbedingt nötig - und machst die Augen zu. Jetzt optional gerne eine kurze Runde AT machen, um schneller zu entspannen. Dann konzentrierst du dich auf die Atmung, genauer auf das Gefühl des sich hebenden und senkenden Bauchs oder Brustkorbes.

Diese Empfindungen benennst du, indem du leise im Hinterkopf die Wörter Heben und Senken denkst. Wirst du durch irgendwas abgelenkt - und das wirst du sehr schnell, wie zum Beispiel Gedanken, Erinnerungen, Pläne, Passagen aus Songtexten, Kinderreime, Juckreiz, Autolärm, Hundegebell, etc - benennst du auch das ganz entspannt und gehst wieder ruhig zu den Atembewegungen zurück.

Das ist im Wesentlichen alles und völlig ausreichend zum Entspannen und Beruhigen. Schwierig ist am Anfang nur, dass du jegliches Funktions- und Erfolgsdenken beiseiteschieben musst und dich nicht aufregen darfst, wenn der Nachbarshund mal wieder alles kaputt macht.

14.07.2021 17:29 • x 4 #10


-IchBins-
@Spaceman
Ich habe auch damit begonnen und leider es wieder etwas schleifen lassen. Aber wenn man kontinuierlich übt mit einer gewissen Gelassenheit, führt das tatsächlich zu einem Umdenken, was ich bei mir beobachten konnte und auch in vielen Dingen um einiges gelassener reagiere als früher...habe heute erst ein interessantes Video gesehen von Joe Despenza (Beitrag in meinem Tagebuch, falls Interesse).
Auch Peter Beer hat gute Anleitungen finde ich.

14.07.2021 18:10 • x 1 #11


Spaceman
Ja, das mit der Disziplin ist so eine Sache, habe ich auch immer Probleme mit. Für mich hat Vipassana noch den sehr praktischen Vorteil, dass ich danach deutlich konzentrierter arbeiten kann.

Das Video hat in der Tat einige sehr interessante Aspekte, danke dafür. Ich fand es nur etwas schade, dass er in die Quanten-Philosophie abrutschen musste.

14.07.2021 21:18 • x 1 #12


moo
Hi Spaceman,

danke für Deine Beschreibung. Die von Dir geschilderte Vorgehensweise ist jedoch eher eine grundsätzlich einleitende Übung um den Geist zu beruhigen. Vipassana selber dient letztendlich der Einsicht in die drei Daseinsmerkmale: Vergänglichkeit, Unzulänglichkeit, Nicht-Ich. Sie greift also tiefer und fundamentaler, als nur als beruhigendes Element zu dienen - was allerdings natürlich legitim ist

15.07.2021 09:02 • #13


Spaceman
Zitat von moo:
danke für Deine Beschreibung. Die von Dir geschilderte Vorgehensweise ist jedoch eher eine grundsätzlich einleitende Übung um den Geist zu beruhigen.


Ah! Danke für die Info. Das Buch hatte sie als einfachste Form der Vipassana-Meditation bezeichnet und ich hatte nicht weiter nachgeforscht.

Zitat von moo:
Vipassana selber dient letztendlich der Einsicht in die drei Daseinsmerkmale: Vergänglichkeit, Unzulänglichkeit, Nicht-Ich. Sie greift also tiefer und fundamentaler, als nur als beruhigendes Element zu dienen - was allerdings natürlich legitim ist


Dass es bei der vollständigen Form um noch viel mehr geht, war mir klar. Wie gesagt, ich bin weder spirituell, noch esoterisch oder religiös orientiert. Andererseits interessieren mich Teile der buddhistischen Philosophie. Hältst Du es angesichts dessen für sinnvoll für mich, da mal tiefer einzusteigen?

15.07.2021 15:14 • #14


moo
Zitat von Spaceman:
Andererseits interessieren mich Teile der buddhistischen Philosophie. Hältst Du es angesichts dessen für sinnvoll für mich, da mal tiefer einzusteigen?


Ich persönlich halte das absolut für sinnvoll - daher meine vorherige Frage, wie Du zu Vipassana kamst. Teile daraus werden ja auch bei MBSR nach Jon Kabat-Zinn mit großem Erfolg seit über 10 Jahren zum Einsatz gebracht. Letzteres ist ein Beweis dafür, dass die buddhistischen Lehren und Praktiken auch in völlig unreligiösem Kontext genutzt werden können - zumindest bis zu einem gewissen Grad. Wenn es wirk-lich in Richtung Befreiung gehen soll, muss es allerdings schon ein ernsthaft verfolgter Teil des Lebens werden. Und das wird es nur, wenn man sich anfangs irgendwie davon angesprochen fühlt. Bei mir war das so und ich kenne inzwischen viele.

Welche Teile der Buddha-Lehre interessierten Dich bisher konkret?

15.07.2021 16:35 • #15


Spaceman
Zitat von moo:
Letzteres ist ein Beweis dafür, dass die buddhistischen Lehren und Praktiken auch in völlig unreligiösem Kontext genutzt werden können - zumindest bis zu einem gewissen Grad.

Und sich auch in immer mehr Aspekten mit meiner geliebten Naturwissenschaft vertragen.

Zitat von moo:
Welche Teile der Buddha-Lehre interessierten Dich bisher konkret?

Am interessantesten finde ich das (von mir jetzt sehr pragmatisch gedachte) Grundkonzept der Leidminderung durch Genügsamkeit, Abbau von Begierden und ethisches Verhalten. Wobei Letzteres für mich vor allem Toleranz, Güte, Hilfsbereitschaft, Respekt vor allem Leben und damit auch allen Menschen sowie Konzepte wie Vergebung und Nächstenliebe bedeuten.

Weiterhin mag ich am Buddhismus, dass um einen Prozess des Erkennens geht und dabei Wert auf die eigene Suche gelegt wird, statt auf blinde Autoritätshörigkeit; sprich: Empirismus. Auch Teile der Kosmologie sprechen mich an, wie die Einsicht, dass in der Welt irgendwie alles miteinander verbunden ist.

15.07.2021 20:01 • x 2 #16


Watermelon
Ich habe auch den Weg zur Meditation gefunden. Auch AT, PMR und yoga haben mir in den letzten Jahren geholfen.
Dachte ich zumindest.
Seit ca 6 Wochen habe ich einen Therapeuten und er sagte mir das alles sei Vermeidungsverhalten weil es mich von meiner Angst ablenken soll.
Finde es noch schwierig rauszufinden was ich alles falsch gemacht hab, oder besser gesagt was ich alles getan hab um die Angst aufrecht zu halten.

21.07.2021 19:36 • x 1 #17

Sponsor-Mitgliedschaft

Sonne1968
Zitat von Spaceman:
Hallo alle zusammen, Ich bin neu hier und möchte erst einmal damit beginnen, mein Problem loszuwerden. Ich bin mittlerweile 45 und hatte bereits in ...

Hallo Spaceman,

ich lese mich etwas durch die Beiträge, bin mehr stille Leserin, aber dieses Forum war mir die letzten 10 Jahre immer wieder eine große Hilfe. Ich hoffe Du erlebst es auch so.

Was mich nun dazu bewegt Dir zu schreiben ist dass ich Dir einfach mal ein großes Kompliment machen möchte. Deine Ausdrucksweise, die Art wie Du schreibst, Sachen erklärst, Deine Zustände beschreibst, wie Du Dir Gedanken machst und das hier mitteilst, wirklich hervorragend. Es zeugt von einer enormen Fähigkeit sich mit Menschen zu unterhalten und ich bin sicher, Deine Gesprächspartner werden das sehr schnell auch so sehen. Ich finde es sehr gut den Weg aus dieser Isolation zu beginnen. Auch wenn es sicher dauern wird, so wünsche ich Dir die nötige Kraft, Geduld und Ausdauer und eine sehr realistische Aussicht auf genau dieses Leben dass Du Dir vorstellst.

Alles Gute für Dich!

21.07.2021 19:58 • x 1 #18


Spaceman
Zitat von Watermelon:
Seit ca 6 Wochen habe ich einen Therapeuten und er sagte mir das alles sei Vermeidungsverhalten weil es mich von meiner Angst ablenken soll.


Interessant, das höre ich zum ersten Mal.

Ich habe über die Jahre so einige Selbsthilfebücher (auch von psychologisch/psychiatrischen Fachleuten) sowie (populär-)wissenschaftliche Fachliteratur gelesen. AT, PMR, Mediation werden fast immer als wirksame Maßnahme für die akute Angstbewältigung angesehen sowie als eine Therapie unterstützende Maßnahme für langfristige Veränderungen.

Mich würde interessieren, was er im Falle akuter Angstzustände empfiehlt. Da sind meiner Erfahrung nach die besagten Methoden kaum zu schlagen.

21.07.2021 20:29 • x 1 #19


Spaceman
Hi @Sonne1968

Vielen Dank für das Kompliment und die Wünsche!

Zitat von Sonne1968:
aber dieses Forum war mir die letzten 10 Jahre immer wieder eine große Hilfe. Ich hoffe Du erlebst es auch so.


Absolut! Ich habe das Gefühl, dass ich in diesen eineinhalb Wochen mehr Fortschritte gemacht habe, als in, ich weiß nicht, 15 Jahren.

Zitat von Sonne1968:
Deine Gesprächspartner werden das sehr schnell auch so sehen.


Schwierig wird es leider immer im direkten Gespräch. Ich denke eher in die Tiefe und gründlich, aber das kostet Zeit. Im persönlichen Gespräch bin ich entweder sehr hibbelig und verhasple mich oft oder ich sage sehr wenig. Ich hoffe, dass das irgendwann im Rahmen von Gruppentherapien oder wenn ich wieder regelmäßige Gesprächspartner habe, besser wird.

Zitat von Sonne1968:
Alles Gute für Dich!


Für Dich auch!

~Zu irgendwas wird es gut sein~

Und wenn nicht, dann machen wie es zu etwas Gutem!

21.07.2021 20:34 • x 1 #20


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