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Ich bin jetzt Mitte dreißig. Als ich Anfang zwanzig war, da hatte ich eine soziale Phobie. Das war nicht einfach, aber diese habe ich soweit gut überwunden. Ich bin immer noch kein Fan von großen Partys oder dem Karneval, und bin generell auch noch etwas schüchterner, aber es ist kein Vergleich mehr zu früher. Inzwischen habe ich mir auch einen großen Freundeskreis aufgebaut. Wir sind im Grunde eine große Familie, und die Hälfte der Woche ist mit festen Events wie Kochabend, Videoabend, gemeinsam schwimmen gehen und so weiter ausgebucht.

Aber ich bin Single, und das nagt an mir. Ein Grund dafür ist, dass ich nur recht selten neue Leute kennenlerne. Auch sind mir Freundschaften sehr viel wert, von daher habe ich bisher nie versucht aus einer platonischen Freundschaft mehr zu machen, in der Sorge, dass es nicht funktionieren könnte, und ich dann die Person nicht nur als Partner sondern auch als Freundin verliere. Und dann kommen eben die üblichen Geschichten dazu: was erwarte ich und was kann ich bieten. Ich glaube nicht, dass irgendetwas davon außergewöhnlich ist.

Na wie dem auch sei: ich könnte zufrieden sein. Ich habe viele liebe Freunde, bin gesund, einen guten Job, lebe in einer tollen Stadt, und meine Familie liebt mich. Aber trotzdem bin ich einsam. Wenn ich Paare aus dem Freundeskreis herumschmusen sehe, wenn man z.B. im Park ist, dann tut das schon weh. Oder wenn Freunde von ihrer neuesten großen Liebe erzählen. Oder sie zusammenziehen, in eine Wohnung, und sich zusammen eine Zukunft aufbauen. Und auch wenn ich Teil vom Freundeskreis bin, habe ich dann doch das Gefühl am Seitenrand zu stehen, unbeteiligt zuzusehen wie andere ihr Glück finden.

Ich denke hin und wieder darüber nach, wo ich als nächstes Urlaub machen könnte. Aber immer wieder kommt der Gedanke: zu zweit wäre es schöner. Die Erfahrungen teilen zu können. Jemanden an der Seite zu haben mit dem man sich austauschen könnte, zusammen genießen, gegenseitig das Leben bereichern und wertvoller machen könnte.

Manchmal denke ich nicht weiter darüber nach. Dann bin ich zufrieden, alles ist gut. Und an anderen Tagen denke ich über die Zukunft nach. Ich bin jetzt Mitte dreißig. Werde ich jemals noch jemanden finden? Wenn ich den Rest meines Lebens so einsam sein sollte wie jetzt, was ist dann das Leben überhaupt wert?

Klar kenne ich Leute, die auch Single sind, und ihr Leben genießen. Ich wünschte ich wäre auch so, aber mir fehlt die Nähe, die Zweisamkeit, die Reise auf welcher man sich und den Partner gemeinsam entdeckt, und vertrauter wird als mit sonst einer Person.

Ich versuche natürlich Partner zu finden. Meist über Dating-Webseiten. Meine letzte Beziehung, die so ein Jahr lang hielt, war zu einer Person die ich auf so einer Seite kennenlernte.

Das Schlimmste sind einfach jene Tage, an denen ich mich nach Nähe sehne, und es mir scheint, als würde ich an jeder Straßenecke glückliche Paare sehen, und ich mich frage, was für ein Mensch ich sein muss, dass ich so etwas nicht verdiene. Aber dann schüttele ich diese Gedanken wieder ab, konzentriere mich auf die Arbeit, die Freunde und mein Leben. Aber lange hält das nie.

16.07.2015 09:16 • 20.07.2015 #1


2 Antworten ↓


MrsAngst
Schön das du deine soziale Phobie soweit überwunden hast, das ist ein großer Schritt der dein Leben ja wirklich bereichert hat

Das du dich allerdings trotz Freunde und Familie einsam fühlst kann ich verstehen. Man wünscht sich immer einen Partner an die Seite jemanden der einen kennt und versteht wie kein anderer.

Aber wieso wagst du nicht den Schritt aus der Friendzone raus zu brechen? Weil du Angst hast, ja. Aber manchmal wartet der Ideale Partner genau dort, in der Friendzone. Gibt es denn dort jemanden, die dir gut gefallen würde?

16.07.2015 14:33 • #2


F
Entschuldige meine späte Antwort.

Jein. Das mit der Friendzone ist eine schwierige Sache. Ich habe zwei Freundinnen in meinem großen Freundeskreis, bei denen ich zumindest zeitweise davon ausging, dass es passen würde.

Eine davon kenne ich seit so 12 Jahren, und unsere Freundschaft wurde über diesen Zeitraum immer enger. Wir sind sehr vertraut miteinander, schlafen im gemeinsamen Zelt, begrüßen uns mit innigen Umarmungen oder auch mal einen Kuss auf die Wange und seltener auf den Mund, sitzen bei diversen Events immer beeinander und wenn wir im Kino oder auf ähnlichen Ereignissen sind sucht sie auch immer meine Hand.
Ich bin froh, dass, als wir uns kennenlernten, ich nicht versucht habe eine mehr als freundschaftliche Beziehung zu erreichen, denn damals war ich aufgrund der sozialen Phobie noch nicht wirklich dazu fähig. Und inzwischen... Der Unterschied zwischen unserer Freundschaft und einer richtigen Beziehung ist jener, dass wir körperlich nicht so intim werden (wobei sie das auch mit ihrem jetzigen Partner, mit dem sie in einer Polz-Beziehung ist, nicht wird), und dass wir eben nicht eine gemeinsame Zukunft planen. Aber so gut wie wir uns kennen weiß ich auch, dass wir in sexueller Hinsicht doch andere Vorstellungen haben, von daher bin ich mit dem jetztigen Status unserer Freundschaft ganz zufrieden.

Dann gab/gibt es da noch eine zweite Person, die ich seit so fünf Jahren kenne. Zuerst sah man sich nur durch Zufall, da sich der Freundeskreis überschnitt, auf dem einen oder anderen Event. Inzwischen sehen wir uns auch einfach so hin und wieder. Es gibt so eine Dating-Webseite, auf der man Fragen beantworten, die Wichtigkeit auswählen und entscheiden kann wie ein idealer Partner sie beantworten sollte. Jene Person und ich haben über 1000 gleiche Fragen darauf beantwortet, und laut des Algorithmus der Seite passen wir zu 99% zusammen. Das mag sich nach Humbug anhören, aber bei der Anzahl an gemeinsamen Fragen ist das Ergebnis tatsächlich recht akkurat, und mit allen engen Freunden die auf dieser Seite registriert sind habe ich auch recht hohe Match-Ratings. Aber mit jener Person... Selbst wenn ich der Webseite sage suche mir im Umkreis alle Leute raus die zu mir passen würden, dann ist sie bei den Top 3, und selbst international, und die Seite ist wirklich populär, taucht sie bei den Top-Treffern auf.
Na ja... Als wir uns anfangs durch Zufall über den Freundeskreis kennenlernten, war ich generell etwas nervös, der vielen neuen Leute halber. Außerdem wollte ich Freundschaften finden, und nicht einen ersten Eindruck erzeugen, laut dessen ich mich über alle Frauen hermache. Aber mit der Zeit entwickelte sich eine Freundschaft, die ich dann doch nicht romantische Avancen riskieren wollte. Außerdem muss man auch mal realistisch sein: sie ist nicht nur gebildet als ich, sondern kann mit ihrem Aussehen die Männer sich praktisch frei aussuchen, während ich da eher zum Durchschnitt hin tendiere.

Sie hat regelmäßig Beziehungen. Ich glaube ich habe noch nie erlebt, dass sie über mehr als einen Monat gar keine Beziehung hatte, aber bisher sind diese Beziehungen nie gut geendet. Ich hatte mich da auch nicht groß eingemischt, mich über die Zeit mit ihr gefreut, die wir mit diesen oder jenen Aktivitäten verbrachten, und ihre Beziehungspartner gingen mich bisher nie wirklich was an. Jetzt versucht sie aber ihre neueste Eroberung auch mal in den Freundeskreis einzubringen, und dann ist das plötzlich nicht mehr so angenehm. Die Personen, die für mich bisher nur Phantome waren, werden nun real, und das ist jetzt schmerzhafter als ich dachte.

Ich habe sie kürzlich darauf angesprochen, dass, wenn wir uns über jene Dating-Seite kennengelernt hätten, wir jetzt vielleicht eine andere Beziehung zueinander hätten, da ich mir dann nie die Sorgen hätte machen müssen eine gute Freundin zu verlieren, bei dem Versuch ihr näher zu kommen.

Sorry für diverse Rechtschreibfehler, bin gerade etwas unter Zeitdruck.

20.07.2015 12:26 • #3





Dr. Reinhard Pichler