Zitat von Romina2000: Im Job ist das schon schwieriger, weil ich in einem echte harten Business arbeite und offenbar keine Schwächen zugelassen werden.
Das ist mittlerweile in vielen erfolgreichen Firmen Standard.
Ich verabscheue daher mittlerweile diese Gier nach immer mehr Wohlstand und Geld in einem Industrieland wie Deutschland. Es macht die Menschen selbst mehr und mehr kaputt. Man hat ja in Corona-Zeiten gesehen, wem die Regierung wirklich wichtig ist. Hauptsache, die Wirtschaft darf nicht absaufen. Es verwundert nicht, warum diese Sichtweise einem auch persönlich im Job teils die Tür vor die Nase knallt.
Zitat von Romina2000: Ich denke ja manchmal schon, es würde mir viel besser gehen, wenn ich wüsste, dass zB der Nachbar oder ein Freund auch betroffen sei.
Das ist tatsächlich so. Mir fiel mein Outing erst recht leicht, als ich nach und nach vermehrt gehört hatte von Bekannten, die es total psychisch zerbröselt hat und zwar durch sämtliche Berufsgruppen. Corona hat die, die eh schon immer auf Kante waren, umgeworfen. Ab da fiel es mir sehr leicht, mich zu outen.
Ich würde es jederzeit wieder tun und sage sogar: Wenn nicht jetzt in diesen Zeiten, wann denn bitte sonst?
Die Welt ist schwierig und keinen lassen die letzten zwei Jahre kalt (Corona, der Krieg jetzt, der ständig steigende Leistungsdruck). Es mag ein paar Glückspilze geben, die genetisch mehr aushalten können, als der Rest, aber die meisten wird es nach und nach irgendwann zumindest etwas erwischen mit Burnout und Co. Die große Welle an psychischen Erkrankungen wird meiner Meinung nach sogar erst noch kommen, nämlich dann, wenn Corona sozusagen vorbei ist und viele merken, dass sie nicht mehr fähig sind, einfach den Schalter auf das frühere Leben umzulegen (plötzlich Angst vor sozialen Kontakten haben etc).
Zitat von moo: Das Business könnte (!) Teil des Problems sein.
Absolut (siehe oben). Bei mir war es z.B. auch so. Es ist nicht das alleinige Problem, aber der Job bzw. das komplette Leben (und der Job ist eben ein großer Teil) sollte nicht unterschätzt werden. Keiner will sich eingestehen, dass er keinen Sinn mehr sieht in seinem Job, nur noch wie ein Roboter funktioniert, aber bei vielen ist das so. Im Freundeskreis bei mir habe ich mittlerweile durch mein Outing vieles aus den Leuten herauszkitzeln können. Viele gaben zu, ihren Job nur noch des Geldes wegen zu machen (wobei das Geld bei den meisten kein Problem ist). Einige würden eher lieber einfach Gärtner sein oder ehrenamtlich irgendwelchen Leuten helfen, weil sie darin mehr Sinn sehen würden, als in der bekloppten Firma, die eh nur auf Gewinn schaut. Meine Frau und ich sind beide Beamte. Gott sei Dank gefällt meiner Frau (Lehrerin) ihr Beruf immer noch sehr, auch wenn es aktuell wirklich nicht einfach ist, aber die Kinder geben ihr den Sinn im Beruf. Bei mir (Bürojob) war es dann irgendwann so, dass ich eingebrochen bin. Ich kann diese sinnlose Arbeit auch nicht mehr machen mittlerweile und das ganze Staats-System macht mich krank. Immer mehr Bürokratie, null Effektivität usw.
Zitat von Grace_99: Ich bin seit Ende November AU und bin dabei mich beruflich umzu orientieren.
Ich bin seit August AU und will mich beruflich auch komplett neu orientieren, was definitiv nicht leicht ist. Aber das zeigt, wie weit es kommen musste, dass ich sogar bereit bin, meinen Beamten-Status aufzugeben. Jeder Kollege würde nur den Kopf schütteln, aber was habe ich denn davon, wenn ich staatlich abgesichert bin, aber krank bin bis zum Lebensende. Mein Job ist nicht der Hauptgrund meiner Erkrankung, aber er verhindert ganz eindeutig, dass ich überhaupt wieder irgendwann gesund werden kann.
Zitat von Grace_99: Seit der AU nichts von der Firma gehört. Kein Weihnachtsgruss, kein Kontakt, nada, als wenn es mich nie gegeben hat.
Ist bei mir ähnlich, bis auf 1-2 Kollegen aus dem Büro.
Man ist meist nur eine Nummer im System. Bei mir muss ich aber sagen, dass es durchaus sein kann, dass viele sich nicht trauen, sich zu melden (eben, weil ich explizit gesagt habe, dass ich nicht viel darüber reden mag).
Zitat von Romina2000: Ein Arbeitgeber kann noch so tolerant tun, am Ende gehts um die Wirtschaftlichkeit. Und wenn der Mensch nicht da ist, dann ist das für den Betrieb halt Mist. Traurige Wahrheit.
Das ist so, keine Frage und rein wirtschaftlich logisch. Nur finde ich, dass wir mittlerweile gewisse Grenzen überschritten haben. Moralisch ist das mittlerweile sehr fraglich alles.
Daher kann ich nur raten:
Wer das Glück hat, entweder finanziell gut dazustehen oder vom Lebenslauf her die Möglichkeit hat, sich woanders zu bewerben, der sollte das wirklich wirklich überdenken. Stur einfach so weiter, weil man es nicht wahrhaben will, zuzugeben, dass einen der Job ankotzt oder man keine Erfüllung mehr darin findet, ist der falsche Weg für Leute wie uns. Bei mir hat das sehr lange gebraucht als Beamter (man will diese Sicherheit eben nicht weggeben), aber als ich im August im Büro fast zusammengeklappt bin, war es dann soweit.