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M
Hallo zusammen,

ich habe seit meiner Kindheit eine extreme Redeangst bzw. Lampenfieber. Ich arbeite bei der Justiz und bin mittlerweile in einer Führungsposition. In vier Wochen steht eine Besprechung an und ich muss vor größerer Runde zu mehreren Themen referieren. Seit Tagen geht mir das nicht mehr aus dem Kopf. Es rattert und rattert. Der Gedanke an die Besprechung ist ununterbrochen da. Ab heute habe ich Urlaub und ich kann ihn kaum genießen, weil die Gedankenschleife nicht endet.
Ergänzend möchte ich noch mitteilen, dass ich dieses Jahr fünf Monate wegen Burnout zuhause war und mich in neurologischer und psychtherapeutischer Behandlung befinde.
Hat jemand von euch einen Tipp?
Eigentlich weiß ich, dass ich das hinbekomme mit dem Vortrag. Trotzdem will dieser Gedanke nicht verschwinden.

18.10.2021 09:40 • 18.10.2021 x 1 #1


9 Antworten ↓


moo
Zitat von Mike_44:
Eigentlich weiß ich, dass ich das hinbekomme mit dem Vortrag. Trotzdem will dieser Gedanke nicht verschwinden.


Servus Mike,

mir hat bei sowas immer geholfen, mich auf die Inhalte zu konzentrieren, die ich dem(n) Gegenüber(n) klarmachen wollte. Je detaillierter ich in der Sache drin war, umso sicherer war ich auch beim Sprechen. Wenn ich jemanden was erklären will, kann ich sehr in den Flow kommen und da ist es dann dahin mit Lampenfieber.

Das direkte Lampenfieber ganz zu Beginn jedoch konnte ich nie ablegen. Es gibt viele Künstler, Redner etc., die sagen, dass sich das auch nach Jahrzehnten bei ihnen nicht gemindert hat. Natürlich macht es einen Unterschied, in welchem Rahmen man spricht.

Derlei Aktionen kann ich inzwischen gut vermeiden, da mein Burnout zu einer (unfreiwillig-freiwilligen) Berufsaufgabe führte. Normalerweise wird Dein Körper während des Vortrags die nötigen Hormone ausschütten, sodass alles normal läuft. Bei einem echten Burnout jedoch arbeiten meiner Überzeugung nach die Nebennieren nicht mal mehr auf Halbleistung und das kann bei Anforderungspeaks dann schon anstrengend werden. Nach 5 Monaten Stress-Abstinenz mag alles anders laufen als (früher) gewohnt. Vielleicht deshalb die Gedanken...? Hattest Du die früher auch schon so lange vor den jeweiligen Terminen?

18.10.2021 10:05 • #2


A


Redeangst Gedankenschleife

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M
@moo ich hatte es tatsächlich noch nie so penetrant wie aktuell.
Ich bin eigentlich firm in den Themen und das Publikum kenne ich gut. Bin mit allen per Du. Im Grunde muss ich mir keine Sorgen machen. Trotzdem hat sich dieser Gedanke so festgesetzt, dass ich ihn nicht abstellen kann.

18.10.2021 11:35 • x 1 #3


P
Ich hatte auch seit meiner Kindheit überdurchschnittlich starkes Lampenfieber. Musikauftritte - Horror, Referate meist eine riesige Herausforderung. Reden in größeren Meetings - schwierig, Präsentieren vor großen Gruppen - quasi unmöglichen, habe mich ein paar Mal davor gedrückt. Irgendwann wurde es mir zu doof ubd ich habe wingwave ausprobiert. Eine Sitzung und seit dem ist es deutlich besser geworden. Zusätzlich kannst du dir Videos auf Youtube ansehen zu Rhetorik/Präsentation aber auch gezielt zu Redeangst und Lampenfieber. 3. Säule: bereite die Präsentation jetzt schon vor und halte sie täglich. Dann hast du maximale Sicherheit für den Inhalt und musst nur noch an der Angst arbeiten.

18.10.2021 11:46 • #4


moo
Du schriebst ja schon in einem anderen Beitrag über Deine kreisenden Gedanken. Derlei kann sich durch das Erlebnis eines plötzlichen (?) Burnouts einstellen bzw. verstärken.
In der Verhaltenstherapie lernst Du mit Sicherheit die Adaptierung Sicherheit vermittelnder Erlebnisse. Quasi die Re-Justierung. Hast Du hier die Gedanken schon mal angesprochen?
Oder geht es eher in Richtung Zwangsgedanken? Falls ja, waren die wohl früher schon da?

18.10.2021 11:49 • #5


M
Ich habe in der Vergangenheit ja schon bei solchen Dienstbesprechungen vorgetragen. Und im Grunde weiß ich ja, dass ich das hinbekomme. Gleichwohl geht der Gedanke nicht weg.

18.10.2021 16:54 • #6


M
Also reden wir eher von einem Zwangsgedanken. Ich bekomme ihn mit meinem Willen nicht weg.

18.10.2021 17:26 • x 1 #7


moo
Habs mir fast gedacht - hierzu ein paar Anmerkungen:

Die klassische Lehre der Zwangsverfestigung:

Schuldgefühle sind ein ganz typisches Erkennungsmerkmal von Zwangsgedanken und -handlungen. Du darfst hier nicht den (nachvollziehbaren) Fehler machen, Korrelation mit Kausalität zu verwechseln.

Wenn Du also vor etwas auf der Hut sein willst, dann vor allem vor den Zwängen und nicht vor den Gedanken oder Themen, die die Zwänge auslösen (Vortragssituation, meine Wirkung auf Andere etc.).

Du kannst Zwänge ziemlich gut mit A.l.k.- oder Tablettenmissbrauch vergleichen: Immer wenn ein Gedanke oder eine Situation Dir Unbehagen bereitet, reagierst Du mit Konsum der D.r.o.g.e. Im Fall von Gedankenmissbrauch hast Du Dir anstelle von Substanzen eben Gedanken oder Handlungen als Reaktion angewöhnt!

Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich idR um eine schleichende Entwicklung handelt. Sie durchläuft mehrere Stadien:

1. Hypothetische Gedanken, Fantasien, Wunschgedanken (Was wäre, wenn...?)

2. Wiederholung, Gewöhnung an diese Gedankenreaktion.

3. Adaption (die Gedanken müssen häufiger und intensiver erfolgen, um den beruhigenden Effekt zu erzielen). Ich denke darüber nach/ich fürchte mich davor - also kümmere ich mich darum und komme so meiner Verantwortung nach (!)

4. Kontrollverlust (die Gedanken oder Handlungen werden zum Zwang und erfüllen gleichzeitig nicht mehr ihren Beruhigungszweck).

5. Zwangserkrankung (ein Leben ohne Zwänge erscheint unmöglich. Die freie Handlungsfähigkeit ist stark eingeschränkt und die Lebensqualität sinkt merkbar. Depressionen und Angststörungen entwickeln sich).

In der Regel wird einem die Misere erst ab Stadium 4 so richtig bewusst.

Denken und Gedanken sind zwei verschiedene Dinge - nichtsdestotrotz gehen sie Hand in Hand. Diese Unterscheidung ist wichtig für das Verständnis der Geistesfunktion. Am Denkvorgang sind neben den Gedanken(objekten) immer auch Gefühle und damit verbundene Bewertungen beteiligt. Ebenso bilden und verändern sie die Wahrnehmung und das Bewusstsein.

Das Bewusstsein von Mike_44 beinhaltet u. a., dass sich irgendeine Sache so und so verhält (Möglichkeit des Versagens o. ä.) - es hat sich(!) eine Meinung gebildet und hält diese für richtig. In Wirklichkeit ist aber diese Meinung eine rein subjektive Sache, die mit der objektiven Lage der Dinge überhaupt nichts zu tun hat. Obgleich Dir der letzte Satz bestimmt einleuchtet, verhält sich das Bewusstsein völlig anders: Im Fall von gegensätzllichen Behauptungen anderer entstehen (automatisch und unbewusst) Gefühle unangenehmer Art. Hingegen im Fall von bestätigenden Äußerungen von außen entstehen (ebenfalls automatisch und unbewusst) Gefühle angenehmer Art. Unmittelbar mit den Gefühlen entstehen die o. g. Bewertungen. Unsere (Für-)Wahrnehmung ist bereits von diesen Bewertungen gefärbt und somit alles andere als neutral oder objektiv. Das alles ist der passive und idR unbewusste (!) Part des Vorgangs.

Der aktive Part ist unsere - und jetzt kommt´s - bewusste Reaktion. Diese Reaktion erfolgt in dreierlei Gestalt: Erneute Gedanken, Rede und/oder Tat. Sie kann mehrgestaltig auftreten, aber niemals ohne Gedanken.

Wenn man ganz genau hinschaut, erkennt man, dass diese bewussten Reaktionen eigentlich eine Art Kompensationshandlung darstellen. Wir wollen (müssen!) uns dazu äußern. Das ist auch der Grund, weshalb viele Psychologen sagen dass wir unserer Meinung Luft machen sollen indem wir sowohl verbal als auch körperlich Klartext reden. Das Bewusstsein ist also eigentlich ständig getrieben. Getrieben von was? Von den Sinneseindrücken und der unbewussten, passiven, automatischen (internen) Beantwortung durch Gefühl und Bewertung (s. o.).

Die Grübelei wie Du sie nennst ist ein innerer Disput, ein Spannungsverhältnis zwischen Ich und Welt. Tatsächlich ist solch ein Gegrübel ein nicht zu unterschätzendes existenzielles Problem und somit auch nur schwer abzulegen, wenn man die o. g. Abläufe nicht auf dem Schirm hat.

Weshalb ist es existenziell und schwer abzulegen? Weil das (vermeintliche) Ich (Selbst, Ego) sich aus diesem o. g. Ablauf zusammensetzt! Und zwar aus nichts anderem!

Wenn mich nun jemand kritisiert (oder vermeintlich kritisch zu mir steht), fühlt sich mein Bewusstsein bedroht - da es nicht mit meinem Selbst-Bild übereinstimmt. Wenn mich jemand lobt - vica versa.

Die Lösung für Grübelei liegt schlicht in der achtsamen Repertorisierung des eben Gesagten. Am besten täglich und öfters. Sofern man das Verstehen der o. g. Abläufe verinnerlicht und am eigenen Geist und Körper erfährt, erwächst zunehmend geistige Freiheit. Ganz nebenher erledigen sich viele aus unseren o. g. (aktiven) Reaktionen resultierenden Probleme. U. a. auch Schuldgefühle, Angst, Panik...

Das war jetzt sehr kompakt und vielleicht könnte man es auch simpler vermitteln. Bitte entschuldige meinen Stil - er ist für mich (!) ideal um meine Einsichten zu formulieren aber ich kann mir vorstellen, dass er für andere bisweilen etwas trocken und verwirrend wirkt.

Alles Gute Dir!

18.10.2021 18:21 • x 1 #8


M
@moo ich danke dir. Ich arbeite seit einiger Zeit mit der App 7Mind. Die Meditationen tun mir gut und ich hoffe, dass ich die Gedankenschleife bald durchbrechen kann.

18.10.2021 18:34 • x 1 #9


M
Ich versuche den Gedanken umzulenken und denke an die Teilnehmer der Besprechung, welche ich schon lange Jahre gut kenne. So belastet der Gedanke mich nicht mehr so sehr.

18.10.2021 21:47 • x 1 #10


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