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Hallo, ich bin Jens, bin 42 Jahre alt und habe mich hier angemeldet, weil ich hoffe, dass mir hier jemand ein paar Tipps geben könnte, da ich mit meinem Wissen und Kräften am Ende bin. Ich bin mit ca. 19 Jahren an einer Sozialphobie erkrankt. Dies passierte plötzlich bei einem Schulreferat und ich wusste nicht, was passierte. Kurze Zeit später hatte ich eine Diagnose und wurde behandelt mit den ersten Medikamenten. Ich bin mir nicht mehr sicher, was es war. Ich meine, es war Citalopram. Wieder kurze Zeit später verbrachte ich ein halbes, dreiviertel Jahr in einer Tagesklinik. Dort wurde ich mit Trevillor behandelt und hin und wieder anderen Medikamenten, wovon ich nicht mehr weiß, welcher es war. Der Hauptbestandteil war Trevillor und Verhaltenstherapie. Meine Angststörung äußerte sich so, dass ich überall, wo andere Menschen waren, nicht mehr reagieren konnte. Wenn ich zum Beispiel öffentlich etwas essen sollte, in einem kleinen Raum wie einer Bäckerei, fing ich an zu zittern, mir wurde übel, Kaltschweiß, mein Herz raste und ich konnte nicht mehr sprechen. Das Gefühl, das jeder kennt, man hat Angst, einen Herzinfarkt zu bekommen. Durch die Tagesklinik lernte ich, damit umzugehen. Und es ist heute so, dass nichts mehr davon da ist. Ich kann völlig normal mit anderen Menschen interagieren. Ich kann in der Öffentlichkeit essen. Ich kann mich auch blamieren, auch absichtlich blamieren. Es ist alles weg. Mein Kopf ist frei. Ich habe vom Kopf her keine Angst mehr. Allerdings mein Körper sieht das scheinbar anders. Denn zwei Ängste sind geblieben. Die Angst, zum Beispiel vor einer Schulung in einem kleinen Raum zu sitzen mit mehreren Leuten. Sobald ich dort angesprochen werde, beginnen die körperlichen Symptome. Ich kann nicht mehr reagieren, muss den Raum panikartig verlassen. Ich kann nicht sitzen bleiben. Der zweite Auslöser sind Konfliktsituationen. Immer wenn ich in eine Situation komme, in der es zu einem Streit kommt, fängt mein Körper an mit den Symptomen. Ich habe auch zwischenzeitlich bei zwei oder drei Therapeuten Hilfe gesucht. Niemand konnte mir helfen. Seit ca. drei Monaten ist es wieder verstärkt da. Ich bin Vater und muss funktionieren, um für meine Kinder da zu sein. Ich kann unter anderem an Elternabenden oder wenn es Konflikte gibt mit Mitschülern, in denen das Gespräch mit den Eltern zu suchen wäre, nicht funktionieren. Ich kann auf der Arbeit nicht funktionieren, weil ich dort auch öfter Konflikte habe. Ich suche nun nach einem Mittel, um diese körperlichen Symptome abzuschalten. Mein Kopf ist frei. Ich habe keine Angst. Ich gehe auch den Situationen nicht aus dem Weg. Aber wenn ich sie betrete, beginnt mein Körper und ich halte es nicht aus. Hat mir irgendjemand eine Idee, was ich machen könnte? Ein Medikament? Ich würde auch eine Operation, wenn es irgendetwas gibt, in Betracht ziehen. Egal was, ich suche einfach nach einem Strohhalm, weil ich so nicht mehr leben möchte. Es ist nicht so, dass ich suizidgefährdet bin, aber manchmal wünsche ich mir einfach nicht mehr aufzuwachen. Liebe Grüße, Jens.

16.09.2025 10:51 • 19.09.2025 x 2 #1


9 Antworten ↓


Hi Jens, so schwer es klingt, am einfachsten ist es, die Situationen auszusitzen und zu warten bis die Symptome abklingen. Eine Verhaltenstherapie würde bestimmt helfen. Alles Gute!

A


Die Angst ist zurück

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Hallo Nicky, vielen lieben Dank für deine Antwort. Verhaltenstherapie hatte ich während der Tagesklinik gelernt. Diese hat mir tatsächlich 80% meiner Ängste genommen. Schulungen und Konflikte schaffe ich nicht. Erfolge mit Aussitzen hatte ich das eine oder andere mal, aber die körperlichen Symptome wollen nicht verschwinden. Nochmals danke

Hallo Jensh,

hier im Forum begrüße ich Dich. Dein Problem halte ich für lösbar.
Warum, versuche ich hier mal zu beschreiben. Dabei gehe ich ganz direkt auf Deine Beschreibung zu.
Bitte erschrecke nicht, wenn ich von möglichen Fehlern spreche, die Du eventuell gemacht hast oder
noch heute machst.

Zitat von Jensh:
Meine Angststörung äußerte sich so, dass ich überall, wo andere Menschen waren, nicht mehr reagieren konnte.

Angststörungen haben fast immer etwas mit anderen Menschen zu tun.

Zitat von Jensh:
Und es ist heute so, dass nichts mehr davon da ist.

Zitat von Jensh:
Ich habe vom Kopf her keine Angst mehr.

Ich weiß nicht, was Du für ein persönliches Weltbild hast. Leider kann es nicht sein, dass Du vom
Kopf her keine Angst mehr hast.
Wie Du das machst, dass Du in den entscheidenden Situationen keine Angst mehr empfindest, darüber
können wir mal sprechen, wenn Du das möchtest.
Jeder Mensch empfindet fast ständig Angst vor irgendetwas. Du also auch. Wir Menschen steuern uns
überwiegend über Angstgefühle.

Zitat von Jensh:
Allerdings mein Körper sieht das scheinbar anders.

Dein Körper kann gar nichts sehen. Der Körper kann nur etwas ausführen. Nämlich das, was er
vom Gehirn mitgeteilt bekommt.
Dein Körper reagiert folglich auf einen Energieüberschuss, der von Deinem Gehirn in die Nerven
Deines Körpers geleitet wird. Dies zu erkennen und zu verstehen, könnte etwas schwierig werden.
Also stelle ich das erst einmal zurück.

Zitat von Jensh:
Die Angst, zum Beispiel vor einer Schulung in einem kleinen Raum zu sitzen mit mehreren Leuten. Sobald ich dort angesprochen werde, beginnen die körperlichen Symptome.

Die körperlichen Symptome werden deshalb in diesen Situationen beginnen, weil der Kontakt
mit den Menschen, in Dir eine Angstsituation erzeugt. Die Energie, die Deine Angst im Gehirn erzeugt,
staut sich in Sekunden auf. Weil Du sie aber nicht direkt wieder abbauen kannst, fließt die Energie
über die Nerven in Deinen Körper und erzeugt da körperliche Symptome, die Du uns hier
beschreibst.

Zitat von Jensh:
Der zweite Auslöser sind Konfliktsituationen. Immer wenn ich in eine Situation komme, in der es zu einem Streit kommt, fängt mein Körper an mit den Symptomen.

Auch hier ist Deine Angst davor, in Konfliktsituationen nicht richtig reagieren zu können der
Grund, dass Du in Sekunden eine Angst aufbaust, diese Angst aber nicht im Griff halten kannst.

Zitat von Jensh:
Ich kann auf der Arbeit nicht funktionieren, weil ich dort auch öfter Konflikte habe.

Du könntest das nach und nach üben. Es trainieren, wie Du Dich, Deine Meinung und Deine
gesellschaftliche Stellung angemessen verteidigst.

Zitat von Jensh:
Ich suche nun nach einem Mittel, um diese körperlichen Symptome abzuschalten.

Bestimmt ist es zunächst einmal ganz schwer zu verstehen.
Sobald Du keine überdurchschnittlich große Angst mehr davor hast, mit Kollegen möglicherweise
in einen, mit Worten geführten Streit zu geraten, werden Deine körperlichen Symptome bald
merklich nachlassen.

Zitat von Jensh:
Mein Kopf ist frei. Ich habe keine Angst.

Noch einmal weise ich darauf hin. Ich bin sehr sicher, Du beurteilst das völlig falsch.
Wenn Du das möchtest, können wir uns hier gern intensiver darüber unterhalten.

Zitat von Jensh:
Ich gehe auch den Situationen nicht aus dem Weg. Aber wenn ich sie betrete, beginnt mein Körper und ich halte es nicht aus.

Interessant, wie Du das beschreibst. Ich denke es ist eher so. Du bekommst so eine starke Angst
vor der ungewissen Situation, das sogar Dein Körper mit explosionsartig auftretender Energie reagiert.

Viele Grüße

Bernhard

Hallo lieber Bernhard, auch dir danke ich erstmal für deine Antwort. Ich bin über jede Hilfe sehr dankbar, denn ich möchte, dass diese Angst endlich verschwindet. Ich verstehe leider so vieles selber nicht an dieser Erkrankung. Früher, bevor diese Angst da war, war ich jemand, der keine Angst vor Konflikten hatte. Im Gegenteil, ich habe gerne diskutiert und war mir auch in den Dingen, die ich sage, sehr sicher. Und selbst wenn ich nicht sicher war, hatte ich niemals Angst. Ich habe Reden gehalten, vor größeren Menschenmengen, auch ohne Probleme. In meiner Schulzeit hatte ich ebenfalls nie Probleme mit Gedichten oder Referaten. Das Ganze begann in der Berufsschule, während eines Referates, das ich halten sollte. Ich ging morgens vor, habe damit begonnen und habe ungefähr zwei, drei Seiten vorbereitet gehabt. Nach der ersten Hälfte musste ich abbrechen, weil ich mich nicht gut fühlte. Mir wurde schlecht, ich hatte Schwindel und Schweißausbrüche und dachte, das wäre der Kreislauf. Ich bin nach einer Viertelstunde wieder zurück und wollte das Referat weiterführen. Und es war nochmals die gleiche Situation.
Die einzige Erklärung, die ich als Auslöser nehmen könnte, war ein Konflikt in meiner Ausbildung mit meinem Vorgesetzten und dem damaligen Chef. Wenn du möchtest, kann ich diese Situation gerne genauer ausführen. Es war etwas, wo ich für etwas beschuldigt wurde, das ich nicht getan habe. Ich selbst sicher zu meinem Chef bin, das ihm erklären wollte, und er mich angebrüllt hat. Er gab mir keine Chance, etwas dazu zu sagen. Ich stand da wie ein kleiner Schuhjunge. Ich vermute, dass dies der Auslöser war.

Zu der Sache mit dem Kopf frei kann ich dir ein aktuelles Beispiel nennen. Gestern habe ich meinen Sohn zum Schulanfang zur Schule gefahren. Unsere Schule ist ganz in der Nähe des Rathauses. Dort gibt es viele Parkplätze. Ein besonderer Parkplatz dort besteht aus drei Parkplätzen, die ein bisschen auf der Seite sind von den normalen. Vor diesen drei ist einer markiert als Behindertenparkplatz und zwei sind normale Parkplätze. Allerdings steht dort auch eine Ladesäule für E-Fahrzeuge. Es gibt dort aber keine Beschilderung, keine Markierung. Ich habe mich auch selbst mal beim Rathaus erkundigt. Dort wurde mir bestätigt, dass dies auch wenn Parkplätze voll sind als normaler Parkplatz genutzt werden darf. Natürlich sollte man sie trotzdem möglichst frei halten. Gestern war aber durch den Schulanfang alles voll und ich dachte mir, gut, die fünf Minuten, da wird schon nichts passieren. Und habe auf einem dieser Parkplätze geparkt, meinen Sohn zur Schule gebracht und auf dem Rückweg schon gesehen, dass dort ein Mann steht und sich ärgert. Weil das Ladekabel zu kurz war, dass er von der Säule zu seiner Anschlusstelle kommt. Dann hat er das Auto gewendet und ich bin schon Richtung Parkplatz gelaufen. Er hat mich auch gesehen, ich habe ihn gesehen und ich wusste, das wird jetzt eine Diskussion geben. Ich habe mich aber nicht gescheut, ich hatte keine Angst, das war für mich völlig klar. Ich habe ja nichts Verkehres getan, die Situation war ein bisschen blöd. Ich hätte da nicht parken sollen unbedingt, aber rechtlich gesehen hätte ich es ihm erklären können. Er saß dann im Auto, ich bin in mein Auto eingestiegen und er hat nur eine Handbewegung in meine Richtung gemacht. So eine Handbewegung wie, was soll das? Und ich war bereit, mit ihm zu diskutieren, doch dann kam die Angst. Ich bin nicht fähig gewesen, etwas dazu zu sagen. Es ging nicht, ich bin dann einfach weggefahren. Diese Situation beschäftigt mich nun seit gestern. Ich ärgere mich nicht die Situation geklärt zu haben.

Du hast mit deinen Aussagen recht, mein Körper kann nichts sehen... doch was triggert meinen Kopf so sehr, dass er mit Angst reagiert? Ich komme einfach nicht drauf. Als die Angst vor 20 Jahren akut war, konnte ich zb nicht in der Öffentlichkeit essen. Der Grund war, dass ich dachte, die Leute würden über mich tuscheln wie ich esse. Heute ist es mir egal was jemand über mich denkt. Ich könnte völlig bekleckert rumlaufen, kein Problem...

Liebe Grüße

Hallo Jensh,

danke für Deine Antwort.

Zitat von Jensh:
Ich verstehe leider so vieles selber nicht an dieser Erkrankung.

Da sagst Du was. Das ist schon etwas sehr Zentrales, dass nicht nur Du, sondern kaum jemand,
der eine Angststörung entwickelt hat, anfangs überhaupt nicht versteht, was da in unserem Kopf
überhaupt abgeht.
Da ich mich schon jahrzehnte mit der Verbesserung von Angststörungen beschäftige, fällt es mir
häufig eher leicht, damit umzugehen und auch das zu beschreiben, was da ungefähr abgeht.
Zwei Sachen sollten grundsätzlich ganz wichtig sein.
Wir denken mit zwei Bereichen in unserem Gehirn. Das musst Du wissen. Diese Bereiche nenen sich
das Unterbewusstsein und das Bewusstsein. Dazu schreibt der Professor für Psychologie und auch
Hirnforscher Stefan Kölsch.

Zitat:

Wir haben nicht nur ein einziges Denkorgan im Gehirn, sondern
zwei - eines für bewusstes und eines für unterbewusstes Denken.
Unterbewusstes Denken ist spontan, intuitiv-es braucht weder bewusste Absicht noch
bewusste Aufmerksamkeit und kann sogar leicht vom bewussten Denken ablenken.

Bewusstes Denken hingegen braucht Konzentration. Es ist in der Lage, logische
Schlussfolgerungen zu ziehen, komplizierte Pläne zu entwerfen und knifflige Probleme
zu lösen.
Bewusstes Denken wird jedoch oft als anstrengend und langsam empfunden.

Zitat Ende.

Vielleicht verdeutlicht es auch eine von mit erstellte Grafik, die ich diesem Text anfüge.


So gehe ich z.B. davon aus. Wenn Du schreibst. Ich habe keine Angst aber mein Körper
reagiert, vermute ich.
Bewusst denkend, ist es Dir gelungen, zu verstehen und auch umzusetzen, dass Du in vielen
Situationen keine Angst vor anderen Menschen haben brauchst.
Das ist Teil eins.
Dies zeigt der sehr kleine grüne Bereich in meiner Grafik

Ich gehe aber davon aus, dass in Deinem unterbewussten Denken Deine Angst noch nach wie
vor fast vollständig aktiv ist und Dich ärgert.
Und was Deine unterbewusste Angst an körperlichen Symtomen auslöst, das beschreibst Du ja
hier ständig. Das ist dann Teil zwei Deiner Gedanken.
Unglücklicherweise denken wir aber zu etwa 70 bis 95 % schnell und unterbewusst.

Nun ist es erst einmal erforderlich, dass wir irgendwo einen Gesprächsanfang finden.

Dabei sollte es anfangs nicht hauptsächlich um die Suche nach dem Grund Deiner Angst
gehen. Ich glaube den Grund schon ungefähr zu kennen. Irgendwann wirst Du Deinen Grund
selbst bestimmt erkennen.
Für Dich erscheint es mir erst einmal ganz wichtig zu sein, zu verstehen, wie Du auch Deine
unterbewusst enstehende Angst verstehen und abschwächen lernst.

Später schreibe ich noch mehr dazu.

Zitat von Jensh:
Vor diesen drei ist einer markiert als Behindertenparkplatz und zwei sind normale Parkplätze. Allerdings steht dort auch eine Ladesäule für E-Fahrzeuge. Es gibt dort aber keine Beschilderung, keine Markierung. Ich habe mich auch selbst mal beim Rathaus erkundigt. Dort wurde mir bestätigt, dass dies auch wenn Parkplätze voll sind als normaler Parkplatz genutzt werden darf. Natürlich sollte man sie trotzdem möglichst frei halten.

Dann hast Du es ja eindeutig geklärt.

Zitat von Jensh:
Und habe auf einem dieser Parkplätze geparkt, meinen Sohn zur Schule gebracht und auf dem Rückweg schon gesehen, dass dort ein Mann steht und sich ärgert. Weil das Ladekabel zu kurz war, dass er von der Säule zu seiner Anschlusstelle kommt. Dann hat er das Auto gewendet und ich bin schon Richtung Parkplatz gelaufen. Er hat mich auch gesehen, ich habe ihn gesehen und ich wusste, das wird jetzt eine Diskussion geben.

Du hast es vermutet. Er hat allerdings keine Diskussion angefangen, weil er offensichtlich wusste,
dass Du dort parken darfst.

Zitat von Jensh:
aber rechtlich gesehen hätte ich es ihm erklären können. Er saß dann im Auto, ich bin in mein Auto eingestiegen und er hat nur eine Handbewegung in meine Richtung gemacht. So eine Handbewegung wie, was soll das? Und ich war bereit, mit ihm zu diskutieren, doch dann kam die Angst. Ich bin nicht fähig gewesen, etwas dazu zu sagen. Es ging nicht, ich bin dann einfach weggefahren. Diese Situation beschäftigt mich nun seit gestern.


Warum solltest Du etwas sagen? Solch eine Handbewegung verpflichtet Dich nicht etwas zu sagen.
Du hast an dieser Stelle das gleiche Recht zu parken, wie der Besitzer eines E-Autos.

Zitat von Jensh:
was triggert meinen Kopf so sehr, dass er mit Angst reagiert? Ich komme einfach nicht drauf.

Scheinbar bist Du im Bereich von zwischenmenschlicher Kommunikation eher sehr ungeübt und
deshalb unsicher.
Deine Unsicherheit erzeugt unterbewusst sehr leicht Angst. Kannst Du Dich hier meiner
Sichtweise anschließen? Oder wie siehst Du das?

Gab es in Deinen ersten Lebensjahren für Dich Gelegenheiten, eine gute Kommunikation und
Verteidigung Deiner Meinung und Deiner Sichtweisen zu üben?
Von wem hast Du gelernt, wie Du Dich selbst angemessen behaupten und verteidigen kannst?

Hallo, guten Morgen.

Ja, ich glaube, du hast recht, dass meine Fähigkeiten in zwischenmenschlicher Kommunikation nicht unbedingt die besten sind. Wobei ich es nicht unbedingt auf ungeübt glauben würde, sondern auf Unsicherheit. Wenn ich zum Beispiel in meiner Arbeit oder in meinem Freundeskreis hineinschaue, dann würde ich mich dort schon eher als einen beliebten Menschen bezeichnen. Dort schaffe ich es tatsächlich, dass wenn ich oft mit jemandem ein Gespräch führe, dass sich schnell mal 2, 3, 4, 5 Leute da rumgesellen und wir eine gute Runde haben. Dort spüre ich auch keine Panik, es kann dort auch um sämtliche Themen gehen, auch Themen, die mir unangenehm sind. Ich muss auch sagen, dass ich vor dieser Erkrankung jemand war, der, wie gesagt, sehr gerne Diskussionen und diese auch wirklich sehr sicher geführt hat. Von daher würde ich es nicht als ungeübt sehen. Aber womöglich schon sehr unsicher und dann schnell in die Angst verfallen, wenn ich merke, dass jemand vor mir steht, der vielleicht in einer etwas aggressiveren Art mit mir diskutieren möchte.

Ich kann mich erinnern an ein Gespräch mit einem meiner besten Freunde. Es ging damals um das Thema Corona. Ich war mir in einer Sache sehr, sehr, sehr sicher und das Gespräch, und dies passiert öfters in solchen Gesprächen, führte dazu, dass ich sofort mein eigenes, eigentlich sicheres Denken hinterfragt habe, ob ich denn wohl recht habe. Also von daher, ja, zwischenmenschliche Kommunikation ist irgendwie etwas seltsam bei mir.

Auf deine Frage, wer mir beigebracht hat, mich zu verteidigen oder zu behaupten, nun, ich glaube, das ist der Knackpunkt in meiner Kindheit. Ich bin sehr behütet aufgewachsen und immer wenn es zum Beispiel in der Schule Probleme gab, haben meine Eltern dies für mich geregelt. Gab es Probleme mit einem Lehrer, auch bis in die hohen Klassen habe ich es zu Hause meinen Eltern erzählt und mein Vater hat sich meist darum gekümmert. Ich musste quasi nie selber diese Konflikte lösen.

Ich erinnere mich auch daran, dass ich in der Schule einer der Kleinsten war und einer der Schwächsten. Ich musste mich nie prügeln, weil ich immer gekonnt diesen Sachen aus dem Weg gegangen bin. Ich habe auch nie gelernt, wie man sich prügelt. Ich selbst versuche meinen Kindern nahezulegen, vielleicht auch mal einen Kampfsport für sich zu entdecken. Nicht, damit sie rausgehen, um sich zu prügeln, sondern einfach, damit sie das Selbstbewusstsein und die Selbstsicherheit lernen, sich verteidigen zu können, wenn es sein müsste. Dies fehlt mir nämlich komplett. Ich kann mich sogar an eine Situation erinnern. Es muss irgendwo in der zweiten, dritten Klasse gewesen sein. Da war ein Mitschüler, der viele von uns in der Klasse geärgert hat. Heute sehe ich es so, dass er einfach alle geärgert hat. Als Kind fühlte ich mich aber sehr ängstlich vor diesem Mitschüler. Und dieser Mitschüler wollte mich ärgern. Für mich war die Gefahr so groß, dass ich einem anderen Mitschüler einen Teil von meinem Taschengeld gegeben habe, damit er mich beschützt. Im Nachhinein betrachtet ist mir das sogar sehr peinlich. Aber ich wusste mir nicht anders zu helfen.

Später, ungefähr eben mit 15, 16, kam ich in eine Rebellenphase. Dort wurde ich sehr aufmützig. Und ab da, bis zu diesem Vorfall mit meinem damaligen Chef in der Ausbildung, war ich dann jemand, der tatsächlich keinem Konflikt mehr aus dem Weg gegangen ist. Sondern ich war aus heutiger Sicht sogar ein richtiger Rotzlöffel. Ich habe mir nichts gefallen gelassen. Auch da hatte ich tatsächlich mal eine Prügelei. Nur war dies auch eine Prügelei, in der ich nicht alleine war, sondern wir waren mehrere gegen andere mehrere. Es war eine Gruppe gegen eine andere Gruppe. Es gab sogar zwei solcher Situationen. Aber ich habe dennoch nie die Erfahrung gemacht, mich direkt mit jemand alleine zu prügeln. Ich rede hier immer viel vom Prügeln. Ich möchte mich absolut davon distanzieren. Ich verabscheue körperliche Gewalt sehr und möchte nicht den Eindruck erwecken, dass dies eine bedeutende, wichtige Rolle in meinem Leben spielt oder generell für jemanden spielen sollte. Dennoch denke ich, dass dies einfach irgendeine Schlüsselrolle spielt für diese Erkrankung.

Hallo Jensh,

Zitat von Jensh:
ich glaube, du hast recht, dass meine Fähigkeiten in zwischenmenschlicher Kommunikation nicht unbedingt die besten sind.

es ist nicht schwer das zu erkennen. Bei sehr sehr vielen Menschen gibt es einen direkten
Zusammenhang zwischen einer Angststörung und bestehenden Kommunikation-Auffälligkeiten.
Vereinfacht gesagt. Hast Du wenig Angst davor, Auseinandersetzungen mit anderen, besonders
Dir nicht nahestehenden Menschen auszutragen, belasten Dich Ängste eher selten.

Zitat von Jensh:
Wobei ich es nicht unbedingt auf ungeübt glauben würde, sondern auf Unsicherheit.

Ich möchte jetzt nicht weiter darauf rumreiten. Was man nicht oft geübt und perfektioniert hat, lässt
so so manchen Menschen unsicher zurück.
Ich hoffe, dass es für Dich ok ist. Du fragst hier nach Information zu Ängsten und ich spreche Dich auf
Kommunikation an.

Zitat von Jensh:
Wenn ich zum Beispiel in meiner Arbeit oder in meinem Freundeskreis hineinschaue, dann würde ich mich dort schon eher als einen beliebten Menschen bezeichnen.

Zitat von Jensh:
Dort schaffe ich es tatsächlich, dass wenn ich oft mit jemandem ein Gespräch führe, dass sich schnell mal 2, 3, 4, 5 Leute da rumgesellen und wir eine gute Runde haben.


Das glaube ich Dir sofort. Da wo Du Dich gut fühlst, ist es eher einfach zu kommunizieren.

Zitat von Jensh:
Von daher würde ich es nicht als ungeübt sehen. Aber womöglich schon sehr unsicher und dann schnell in die Angst verfallen, wenn ich merke, dass jemand vor mir steht, der vielleicht in einer etwas aggressiveren Art mit mir diskutieren möchte.

Genau darum geht es. Was machst Du, wenn Dir jemand etwas oder sogar heftiger aggressiv
gegenübertritt?

Zitat von Jensh:
Ich erinnere mich auch daran, dass ich in der Schule einer der Kleinsten war und einer der Schwächsten. Ich musste mich nie prügeln, weil ich immer gekonnt diesen Sachen aus dem Weg gegangen bin. Ich habe auch nie gelernt, wie man sich prügelt.


Zitat von Jensh:
Nicht, damit sie rausgehen, um sich zu prügeln, sondern einfach, damit sie das Selbstbewusstsein und die Selbstsicherheit lernen, sich verteidigen zu können, wenn es sein müsste.


Was Du zu körperlichen Auseinandersetzungen schreibst sehe ich wie Du.
Es geht aber bei Angststörungen um eher etwas anderes.
Täglich haben wir Kontakt mit Menschen. Oft mit Menschen, die wir nicht so gut kennen.
Und vor allem auch Menschen, die verständlicher Weise ebenfalls ungeübt sind in Kommunikation.
Zwei in Kommunikation eher ungeübte Menschen werden sich ständig gegenseitig verunsichern, sich
über ihre Worte und ihre Körpersprache ungewollt Angst machen und dann bleibt da oft Unsicherheit
und Aggression zurück.

Zitat von Jensh:
Sondern ich war aus heutiger Sicht sogar ein richtiger Rotzlöffel. Ich habe mir nichts gefallen gelassen.

Dann gab es scheinbar eine Zeit, in der Du Dein Verhalten von Harmonie ins Gegenteil gewechselt
hast. Kommunikationsmäßig betrachtet war das nicht unbedingt klug. Egal, es war halt so.

Zitat von Jensh:
und möchte nicht den Eindruck erwecken, dass dies eine bedeutende, wichtige Rolle in meinem Leben spielt oder generell für jemanden spielen sollte. Dennoch denke ich, dass dies einfach irgendeine Schlüsselrolle spielt für diese Erkrankung.

Für mich stellt sich häufig eine Frage. Wenn Kommunikations-Schwierigkeiten eine Angststörung
verstärken oder überlagern. Gehört dann der Kommunikationsanteil wirklich zu einem
krank machenden Verhalten?

So, so, du Rotzlöffel . Ich habe mich anfangs sehr gewundert, dass deine soziale Phobie so schlagartig auftrat und dann auch in so stark ausgeprägter Form. Nach deinen Schilderungen der Kindheit kann man das nun besser nachvollziehen. Soziale Phobie hat immer etwas mit mangelndem Selbstbewusstsein zu tun, selbst dann, wenn man sich seines Könnens selbst bewusst ist. Das ist kein Widerspruch. Du kannst Bewertungen, insbesondere Abwertungen gegenüber nicht bestehen. Benötigst du dagegen Aufmerksamkeit, Zuspruch und Bestätigung? Auch mit deinen Skills und deiner vermeintlichen Angstfreiheit im Kopf hat sich deine Situation wohl deutlich verbessert, aber manche Ängste überfluten dich in manchen Situationen und sind mit Vernunft nicht mehr steuerbar.
Du stehst unter Druck, du willst und musst als Papa und auf der Arbeit funktionieren. Das heißt im Zusammenhang mit deiner Angst, dass du wo möglich den doppelten Energieaufwand hast, um deinen Alltag bewältigen zu können. Während die Anderen ihre Tätigkeit ohne Nachzudenken entspannt und locker ausüben können, schrammst du immer an der Grenze deiner Ressourcen entlang und bis in einem permanenten Stress, den man dir auch hier anmerkt.
Du leidest also und das liegt daran, dass die Zahl der Situationen und die Dauer der danach benötigten Erholungsphase zu hoch bzw. zu lang ist.

Was kann man raten? Nochmals psychologisch/psychiatrische Hilfe suchen. Möglichkeiten zur Steigerung deines Selbstbewusstseins suchen, z.B. durch sportliche Aktivitäten und auch ein unangepassteres Rotzlöffelgehabe.

Aber denke auch offen und ohne Tabus über dich nach. Eventuell musst du dich davon verabschieden, von einem nicht perfekt funktionierendem Zustand in einen normal funktionierenden Zustand zu kommen. Die Medizin ist weit und hat garantiert ein Mittel. Nein, hat sie vielleicht nicht. Möglicherweise musst du dein Leben um die Krankheit herum anders konfigurieren, so dass du mit ihr leben kannst. Dass die Zahl der belastenden Situationen sich verringert; Ängste nicht dein Leben bestimmen.
Aktuell kannst du für Referate auch ein Bedarfsmedikament verschreiben lassen, was aber eben nur selten benutzt werden darf. Alles Gute!

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Dr. Reinhard Pichler
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