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K
[size=150][/size]Hallo zusammen,

ich bin neu hier und bin über Eure Offenheit erfreut.

Kurz zu mir: ich bin männlich, in den 40ern, seit 15 Jahren ziemlich glücklich verheiratet und habe ein Kind

Im Alter von 5 Jahren bin ich von meinem Vater 4mal missbraucht worden. Danach war ich nicht mehr der aufgeweckte, neugierige, lustige, freie und auch fordernder Junge (Eigenschaften, die nun mein Kind hat, was mich sehr freut), sondern ein ängstlicher, stiller, zurückgezogener und innerlich sehr wütender und zerrissener Junge.

Es folgten endlose Jugendjahre der Einsamkeit, der Traurigkeit, der Verzweiflung, der Zweifel an der Welt und an mir.

Ich hatte langsam den Missbrauch vergessen. Aber ich merkte, dass ich anders war als meine Altersgenossen. Ich spürte Ablehnung und zog mich noch weiter zurück.

Nach dem Studium lernte ich meine Frau kennen und ich war nach vielen, vielen Jahren endlich nicht
mehr allein und endlich glücklich. Ich machte mich selbstständig. Dann kamen - nach Jahrzehnten - die Erinnerungen an den Missbrauch wieder. Ich forschte nach und arbeitete viel auf.

Mein Vater verstarb vor 20 Jahren. So hatte ich keine Möglichkeit, mit ihm über den Missbrauch zu sprechen. Ich habe viel nachgedacht und kann meinen Vater nun verstehen und habe ihm verziehen. Er hat einen Platz in meinem Herzen und ist mir ein Freund und Ratgeber.

All die Jahre drückte ich meine Wut weg. Auch heute noch. Und so bin ich immer der Liebe, der Verständnisvolle, derjenige, auf den man sich 100%ig verlassen kann (was meine Frau wahrscheinlich alles an mir schätzt). Durch ein perfektes Frühwarnsystem gehe ich konsequent zu erwartenden Konfliktsituationen aus dem Weg.

Ich habe (ausser bei meiner Familie) das Gefühl, dass etwas ganz Schreckliches passieren wird, wenn ich ´mal ein unfreundliches Wort jemandem gegenüber aussprechen muss oder wenn ich ´mal auf den Tisch hauen muss. (Während des Missbrauchs hatte ich das Gefühl, ich müsste sterben, wenn ich mich wehre.) Nun, natürlich haue ich auch ´mal auf den Tisch - unter Aufbietung aller mir zur Verfügung stehenden Kräfte. Aber das Erfolgserlebnis bleibt nicht im Gedächtnis. In der nächsten Tisch-hau-Situation ist die Angst so riesig wie immer.

Augenkontakt fällt mir sehr schwer, weil ich immer riesige Angst davor habe, dass dann jemand meine innere verbogene Wut sehen könnte, was natürlich Unsinn ist. Es ist schrecklich für mich, wenn ich merke, dass ich meinem Gesprächspartner (auch während ich spreche) nicht in die Augen sehen kann. Mir ist das furchtbar peinlich. Noch schlimmer sind die Irritation und die Ablehnnung , die ich damit beim Gegenüber auslöse. Ich leide dann noch mehr. Ich bekomme in solchen Situationen die Augen nicht unter Kontrolle. Es ist furchtbar.

Zum Wutabbau mache ich z. T. heftigen Sport, was aber nichts nützt.

Hat jemand eine Idee oder ähnliche Erfahrungen ?

Liebe Grüsse Kuschel

29.07.2012 10:38 • 10.09.2012 #1


90 Antworten ↓


A
Hi kuschel,
ich bin gerade dabei meine bereits lebenslange Angst vor dem Augenkontakt zu verlieren, daher weiß ich, dass es dabei zumindest bei mir nicht um das eigentliche Symptom geht, sondern um die Gefühle, die dahinter stecken.
Ich habe lange versucht durch irgendwelche Übungen usw. den Augenkontakt halten zu können, aber allein diese ständigen erfolglosen Versuche haben mich immer nur noch weiter verunsichert. Da ich inzwischen die Selbstakzeptanz für mich nutze, um alle meine Angstprobleme zu bewältigen, habe ich dies auch bei diesem Problem angewendet.
Dabei geht es darum, dass man erst einmal lernt dieses Verhalten zu akzeptieren und sogar zuzulassen. Wir bestimmen erstaunlicherweise selbst, wie wir unter einem körperlichen Symptom der Angst leiden. Du kannst selbst entscheiden, ob du dich für deine Angst vor dem Augenkontakt schämst und es dir peinlich ist und wie du dich dafür selbst fertig machst, oder ob du dir dies verzeihst, es als momentanen Teil deiner Angststörung akzeptierst und lernst gelassen damit umzugehen.
Diese Akzeptanz und Gelassenheit zu lernen ist anfangs sehr mühsam und widerspricht völlig der bisherigen Gewohnheit, besonders weil das Symptom nicht verschwindet, aber dadurch kann man sehr gut die Angst vor dem Symptom und den Druck der Angst abbauen.
Dies ist auch in sofern wichtig, weil es bei jedem Symptom der Angst eigentlich um tiefer oder sogar viel tiefer liegende Konflikte geht, die man erst auflösen muss, damit dann das Symptom meist sogar von ganz alleine verschwindet.
Bei dir wäre es schon mal die Wut, die du nicht zeigen kannst.
Die Wut und andere negative oder unangenehme Gefühle nicht zeigen zu können ist, nach meiner persönlichen Erfahrung, nicht gut. Das bedeutet jetzt nicht, dass du vor Wut alles klein schlagen sollst oder deine Mitmenschen damit tyrannisieren sollst, aber du solltest möglichst einen Weg finden sie zu zeigen oder auch mit anderen zu teilen. Es geht dabei einfach darum auch mal der unbequeme und nicht so liebe Mensch zu sein, der seine Emotionen zeigen und auch konstruktiv damit umgehen kann.
Ich war früher auch immer ein sehr lieber und für andere bequemer Mensch, der nie Nein sagen konnte und der jedem Konflikt aus dem Weg gegangen ist. Bei mir war aber kein körperlicher Missbrauch die Ursache, sondern eher ein psychischer, wo mir mein Vater seit frühester Kindheit vermittelt hatte, dass ich nichts wert bin. Dazu kam dann noch Jahre langes schlimmes Mobbing in der Schule und schlechte Erfahrungen mit Menschen, wodurch ich mich unendlich abgelehnt und wertlos gefühlt habe.
So ein angepasster, lieber und für andere bequemer Mensch zu sein war dann eine Strategie, um dieser Ablehnung zu entgehen.
Ich habe lange geraucht, um dies alles aufzuarbeiten, wobei ich auch gelernt habe auch mal ein unbequemer Mensch zu sein und meine Gefühle offener zu zeigen. Anfangs sorgte dies für Irritationen bei den Menschen, die mich anders kannten, aber sie haben sich inzwischen daran gewöhnt.

Ich habe glücklicherweise keine Erfahrung mit körperlichen Missbrauch, aber ich habe gelernt, dass es bei schlimmen Erinnerungen wohl sehr darauf ankommt, dass man lernt zu verstehen und zu verzeihen. Dabei gibt es aber zwei Seiten, die Seite des Täters und die des Opfers. Du kannst deinen Vater jetzt verstehen und hast ihm verziehen, aber wie sieht es mit dir und deiner Rolle in dieser Sache aus?
Meine schlimmen Erinnerungen konnte ich erst vollständig loslassen, als ich auch lernte mein damaliges Ich und mein Verhalten zu verstehen und vor allem auch zu verzeihen, wobei bei ich mir besonders meine damalige Hilflosigkeit verzeihen lernen musste.

Dies alles und auch noch meine sonstige Arbeit an meinen Minderwertigkeitsgefühlen und sonstigen Angst bedingten Problemen hat mir geholfen sehr viel selbstsichererer, gelassener und offener zu werden, so dass ich vor einigen Wochen überrascht festgestellt habe, dass ich anfange den Menschen in die Augen zu schauen. Inzwischen kann ich sogar solchen Menschen in die Augenschauen und ihrem Blick standhalten, wo ich früher immer sehr unsicher war. Nur an manchen Tagen, wo meine Unsicherheit bedingt durch beispielsweise Stress stärker ist, kann ich es nicht, aber das verzeihe ich mir völlig .

29.07.2012 12:22 • #2


A


Angst vor Augenkontakt

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K
Hallo Avalon,

ich sitze hier, lese Deine Nachricht und weine - etwas was ich seit Jahren nicht mehr gemacht habe. Du bist der erste Mensch, der versteht, was ich meine. Ich danke Dir von Herzen. Ich beruhige mich gerade wieder.

Zu Deiner Frage:
Dabei gibt es aber zwei Seiten, die Seite des Täters und die des Opfers. Du kannst deinen Vater jetzt verstehen und hast ihm verziehen, aber wie sieht es mit dir und deiner Rolle in dieser Sache aus?
Als Missbrauchsopfer mache ich mir keine Vorwürfe. Ich war damals zu klein, um für mich andere Reaktionsmöglichkeiten in diesen extremen ,sprich missbrauchenden Situationen zu suchen und zu finden. Für mich ist es in Ordnung, so, wie ich damals reagiert habe, nämlich mich nicht gegen die Übergriffe meines Vaters zu wehren, egal, ob das objektiv die einzige und beste Lösung war oder nicht.

Der Grund für meine nicht herausgelassene Wut und auch für meine Angst vor Augenkontakt liegt daran, dass ich Angst habe, von dem Betroffenen dann nicht mehr geliebt zu werden. Diese Angst zieht sich durch mein ganzes Leben. Bei männlichen Gegenüber gibt es auch die Angst vor Gewalt gegen mich.

Meine Schwierigkeiten die ich mit dem Augenkontakt habe, habe ich ziemlich akzeptiert. Es ist halt so. Vorwürfe mache ich mir deswegen nicht.

Du schreibst Die Wut und andere negative oder unangenehme Gefühle nicht zeigen zu können ist, nach meiner persönlichen Erfahrung, nicht gut. Da gebe ich Dir recht. Ich bin viel zu lieb und nett. Zwar sage ich häufig meine Meinung, aber eben immer freundlich, sachlich. Ich versuche mich nicht mit jemanden zu streiten, sondern jemanden von meiner tollen Argumentation zu überzeugen. Das ist sehr anstrengend. Anstatt ´mal einfach zu sagen, so, jetzt reicht´s , soundso wird´s jetzt gemacht!

Ich kann Deine jahrelangen inneren Schmerzen (Schulmobbing) gut nachvollziehen und finde es um so beeindruckender, wie konsequent und hartnäckig Du Deine Probleme angehst. Das macht mir Mut.
Zu Deinen Fortschritten bezüglich der Augenkontaktaufnahme: Alle Achtung!

Liebe Grüsse kuschel

29.07.2012 14:12 • #3


G
Entschuldige bitte, aber wenn mir jemand das Leid des Missbrauchs angetan hätte, würde ich dafür NULL Verständniss aufbringen und es ihm schon gar nicht verzeihen! HALLO?? Gehts noch? Für Missbrauch gibt es niemals ein Recht! - Oder einen berechtigten Grund! Selbst, wenn er selbst als Kind missbraucht worden sein sollte! - Nein! Dann auch nicht! Gerade da sollte man wissen, wieviel Leid das beim Opfer auslöst!

Du sagst, du hast eine versteckte, unterdrückte Wut in dir und sprichst gleichzeitig davon, dass du deinem Vater verzeihst und ihn sogar als Ratgeber achtest. Verherrlichst du den Mann, der ein Krimineller war? Genetisch war er dein Erzeuger, aber geliebt hat er dich nicht, sonst hätte er dir das nicht angetan! Er war dir kein Vater! Er war ein Krimineller, der ein Kind missbrauchte!

Ich glaube, du wirst dein Augenkontaktproblem und dein Wutproblem niemals lösen, solange du davon ausgehst, dass dein Vater dich missbrauchen durfte! Deine Angst vor Konflikten ist vielleicht in dem Moment geboren worden, als du die Angst beim Missbrauch hattest, wenn du dich wehrst, müssest du sterben! Du lässt mit dir immer noch Sachen machen, die du nicht willst, wehrst dich nicht, weil du Angst hast!

Ich weiss nicht, ob ich richtig liege! Aber in dir sehe ich immer noch das kleine missbrauchte Kind, das mit Recht Angst vor einem bösen Menschen hat, dem eigenem Vater. Du bist immer noch der kleine Junge, der dringend beschützt werden muss, dem geholfen werden muss, den Missbrauch richtig zu sehen! Ihn als eine Straftat zu betrachten! Sich selbst als Opfer zu sehen!

- Du musst deine Wut auf deinen Vater rauslassen! Sie wird dich sonst immer im Griff haben und dich Leiden lassen!

29.07.2012 14:20 • #4


G
Und was die Ablehnung von anderen angeht und Das geliebt werden wollen


Im Leben geht es nicht darum, von anderen angenommen zu werden, oder geliebt zu werden!

Mir ist das sowas von egal, ob mich jemand so annimmt, wie ich bin, oder ob er mich mag, oder akzeptiert! Ich bin so, wie ich bin - immer gerade aus! Ich weiss, wer ich bin und ich weiss, was ich bin und ich weiss, was ich will! Ich gehe meinen Weg, mit Respekt anderen gegenüber, mit Rücksichtnahme und mit Ehrlichkeit! Wenn mir jemand gegenüber tritt und mir das Gefühl vermitteln will, dass er mich nicht mag, dann lache ich darüber und sag: Verzieh dich! Wer bist du? Du hast in meinem Leben nichts verloren! Ich kenne dich nicht! Flutsch und weg mit dem! Wenn ich Umgang haben muss mit Lügnern oder Egoisten, sage ich denen deutlich und höfflich meine Meinung! - wenn es Not tut, ansonsten rutschen sie mir den Puckel runter! - Und sind mir sowas von egal! und Mobbing? Sollte jemand mich versuchen zu mobben, - und mir damit Schaden zufügen oder der Firma damit Schaden zufügen, dann ist der drann! Dann wird das geklärt! Ansonsten, ist es mir sowas von egal! soll sich jemand das Maul zereissen! Es interessiert mich nicht, weil: Ich weiss, wer ich bin!

29.07.2012 14:32 • #5


K
Hallo Gina68,

wenn ich verstehe, warum mein Vater mich missbraucht hat, heisst das nicht, dass ich damit einverstanden bin, dass er mich missbraucht hat.

Menschen sind nicht NUR gut oder NUR schlecht. Sie sind beides, Du, ich, mein Vater, alle.

Ich war jahrelang fassungslos und wütend über das Leid ,dass ich durch ihn erfahren habe. Ich habe viele Gespräche (er war da schon tot) mit ihm geführt. Irgendwann merkte ich, dass diese Wut mir nicht guttat. Irgendwann ist Schluss mit hassen. Und dann habe ich mir meinen Vater von allen Seiten betrachtet und musste feststellen, dass es nicht nur ein SCHWEIN, sondern auch ein fürsorglicher, hilfsbereiter, manchmal auch liebevoller MENSCH war. Ob Dir das nun passt oder nicht. Ich hatte mit dieser Erkenntnis anfangs ziemliche Probleme. Nach weiteren Jahren merkte ich, dass ich einen Schlussstrich unter das Thema Vater ziehen wollte. Ich verzieh ihm.


LG Kuschel

29.07.2012 15:31 • #6


G
Es geht nicht darum, ob es mir passt oder nicht! Es ist nicht wichtig, ob es mir passt, oder ob ich damit einverstanden bin, was du tust! Dir muss es mit dem Schlussstrich gut gehn. - Wenn es das wirklich tut, ist es ja gut, - aber ist es wirklich beendet? Oder hast du nur eine Flucht angetreten und stellst dich der Sache nur nicht mehr? Ich frage das, weil du immer noch leidest!
Du glaubst Frieden mit deinem Vater geschlossen zu haben. - Aber hast du wirklich Frieden gefunden? Wenn das so ist, warum steckt dann noch soviel Wut in dir? Warum hast du dann immer noch Angst vor Konflikten? Warum hast du Angst nicht geliebt und angenommen zu werden, wenn du auf den Putz haust?

Es ist richtig, es bringt dir nichts wütend auf deinen Vater zu sein und es bringt nichts ihn zu hassen! - Aber Verzeihen brauchst du ihm auch nicht, um Frieden zu finden!

Sicher gibt es Gut und Böse in jedem Menschen, aber es gibt auch Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen! Jemand, der ein Kind missbraucht ist für mich ein Krimineller! Da kann er ansonsten noch so lieb und nett gewesen sein!

Du verstehst also, warum dein Vater dich missbraucht hat? Ich verstehe, wenn ein Hungernder im Laden Mundraub begeht ... und warum die alte Oma schon anfängt über die Straße zu dackeln, obwohl es gerade erst gelb für die motorisierten Verkehrsteilnehmer geworden ist ... ja und dann hört es schon bei mir auf mit dem Verstehen für kriminelle Handlungen.

Wenn einer dein Kind missbraucht, sagst du dann auch,: Oh, ich verstehe dich und verzeihe dir? - Bei dem Gedanken geht dir doch sicherlich schon die Hutfeder hoch!

29.07.2012 16:45 • #7


A
Hi Gina68,
du hast Recht damit, dass der Vater von Kuschel ein Krimineller war und das die Tat im Grunde unverzeihlich ist, aber wie soll man dann als Opfer je einen Schlussstrich darunter ziehen, um seinen Frieden damit zu machen?

Ich finde, dass Kuschel hiermit eine extrem wichtige Einsicht hatte:
Zitat:
wenn ich verstehe, warum mein Vater mich missbraucht hat, heisst das nicht, dass ich damit einverstanden bin, dass er mich missbraucht hat.

Menschen sind nicht NUR gut oder NUR schlecht. Sie sind beides, Du, ich, mein Vater, alle.

Bei dieser Art von Verzeihen geht es nicht darum die Tat als solche zu verzeihen, es geht eher darum den Menschen hinter der Tat wieder als Menschen wahrzunehmen und nicht als übermächtigen Täter. So eine Einsicht ist sicherlich keine Flucht, und ich vermute, dass es sehr schwer war diese Einsicht zu erarbeiten.
Dies ist aber immer nur ein Schritt auf dem Weg, weil es dann eben auch darum geht, das Vertrauen in Menschen und sich selbst wiederzufinden.

29.07.2012 19:27 • #8


G
Kennst du das Wort Unmensch?, Avalon?

Avalon, du schreibst:
Bei dieser Art von Verzeihen geht es nicht darum die Tat als solche zu verzeihen, es geht eher darum den Menschen hinter der Tat wieder als Menschen wahrzunehmen und nicht als übermächtigen Täter.

Mein Eindruck ist, dass Kuschel seinen Vater immer noch als übermächtigen Täter sieht, weil: Er immer noch Konfliktprobleme hat. Er konnte sich nicht gegen den Vater wehren, hatte sogar Angst zu sterben und das schreibt er im Zusammenhang mit Konflikten und auf den Tisch hauen! Er ist immer noch voller Wut (und er ist zurecht wütend).

Es ist schlimm, dass eine Person, zu der man als Kind ein Urvertrauen hat, von der man eigentlich Liebe und Fürsorge erwartet, einen missbraucht!

Ich will Kuschel auch nicht zu nahe treten. Er muss ein gutes Gefühl haben bei seinem Schlussstrich.

Avalon, du schreibst:

du hast Recht damit, dass der Vater von Kuschel ein Krimineller war und das die Tat im Grunde unverzeihlich ist, aber wie soll man dann als Opfer je einen Schlussstrich darunter ziehen, um seinen Frieden damit zu machen?


Ich denke, dass manchen Missbrauchsopfern nur geholfen werden kann, wenn sie eine Therapie machen und jemanden haben, der sie durch dieses Trauma begleitet.

29.07.2012 19:53 • #9


G
Also Kuschel, entschuldige, wenn ich dir zu nahe getreten bin. Ich bin einfach entrüstet, wenn jemand einem Kind etwas zu leide tut! Ich kenne Wut in mir kaum, aber wenn jemand einem Kind oder einem Schwächerem etwas tut, dann kann ich schon, ... also ... dann hau aber auch mal so richtig aufn Putz! Du bist zwar jetzt erwachsen, aber das Kind in dir (und irgendwie bleibt immer etwas Kind in einem) das hätte ich gern beschützt, als man ihm weh tat!

29.07.2012 20:20 • #10


K
Hallo Gina68,

Du schriebst mir:

Du glaubst Frieden mit deinem Vater geschlossen zu haben. - Aber hast du wirklich Frieden gefunden? Wenn das so ist, warum steckt dann noch soviel Wut in dir? Warum hast du dann immer noch Angst vor Konflikten? Warum hast du Angst nicht geliebt und angenommen zu werden, wenn du auf den Putz haust?

Die Sache ist einfach und kompliziert: Als Erwachsener bin ich sehr froh, dass ich nach solanger Zeit Frieden schliessen konnte mit meinem Vater. Es erleichtert mein Leben. Auch meinem inneren Kind-Teil
tut dieser Kontakt in den Gesprächen mit meinem Vater gut. Als Kind wollte ich immer, dass mein Vater mich lieb hat und ich meinen Vater lieb haben kann. Es ging nicht mehr, nachdem was er mir angetan hatte. Nun scheint sich vorsichtig eine Annäherung zu entwickeln.

Auf der anderen Seite sind da die Erinnerungen an den Missbrauch, die in bestimmten Schlüsselsituationen blitzschnell eingeblendet werden und bei meinem inneren Kind sofort z. B. zu Angst führen, so schnell, dass es mir als Erwachsener nicht möglich ist, einzugreifen und z. B. zu beruhigen. Daher die Probleme u. a. mit dem Augenkontakt.

Gina68, ich bin Dir nicht böse. Deine Entrüstung kann ich gut verstehen.

Liebe Grüsse Kuschel

29.07.2012 21:13 • #11


K
Hallo Avalon,

Du schriebst mir:

Ich habe lange gebraucht, um dies alles aufzuarbeiten, wobei ich auch gelernt habe auch mal ein unbequemer Mensch zu sein und meine Gefühle offener zu zeigen. Anfangs sorgte dies für Irritationen bei den Menschen, die mich anders kannten, aber sie haben sich inzwischen daran gewöhnt.
Du hast Recht. Ich habe nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich mich mehr diesen
für mich angsteinflössenden Situationen aussetzen werde, um neue Erfahrungen zu sammeln. Ich werde also versuchen, mehr wütend zu werden, mehr Neins zu sagen, mehr klare Ansagen an andere zu richten, weniger zu argumentieren und nicht mehr so nett, sondern mehr ich zu sein.

Und ich werde jeden Abend hier im Forum kurz berichten, ob und was ich geschafft habe.

Liebe Grüsse Kuschel

29.07.2012 21:39 • #12


K
Hallo,

wie gestern von mir angekündigt, schreibe ich Euch einen kurzen Bericht über meine angestrebten inneren Grenzüberschreitungen. Grenzüberschreitungen deswegen, weil ich Angst vor Augenkontakt (AK) und Angst davor habe, unfreundlich, frech oder gar wütend zu werden. Beide Ängste grenzen mich stark in meinem alltäglichen Leben ein und rauben mir durch meine mannigfaltigen Ausweichstrategieen sehr viel Kraft.

Also, was war heute bei mir los?

Eine Kollegin hat mir ein paar Minuten etwas von ihr erzählt. Habe fast die ganze Zeit AK gehalten.
Hatte ein bisschen Bedenken, dass das wie Glotzen aussieht. War mir dann egal. Ich war aber ein
bisschen innerlich verkrampft. Egal.
Ich hatte jemanden telefonisch gesagt, er solle den bei mir durch Vergesslichkeit verursachten
Schaden bezahlen. Er ging konstruktiv darauf ein. Da bin ich ein bisschen stolz.
Ich habe mehrmals etwas zu Kollegen gesagt und dabei zumindest zeitweise AK gehalten. (Sprechen
und AK ist für mich sehr schwierig.) Das ging garnicht so furchtbar schwer.
Ich habe eine Kollegin ein bisschen zur Rede gestellt, z. T. mit AK, nur kurz, aber immerhin.
Im Zug ragte ein (mein) Bein ein bisschen in den Mittelgang. Als der Kontrolleur vorbeiging, nahm ich
es nicht weg. Das war nicht nett von mir. Pech.


So, das war´s für heute. Bis morgen Kuschel

30.07.2012 20:38 • #13


G
Kuschel!

30.07.2012 21:27 • #14


K
Hallo zusammen,

danke Dir Gina68 erstmal für Deine Bekräftigung.

Nun kommt mein 2. Bericht:

Etliches hat zwar nicht so geklappt, wie ich es mir gewünscht hätte, manches aber schon. Ich hatte einige Gespräche mit Kollegen, bei denen ich beim Zuhören immer wieder (für ein paar Sekunden )guten Augenkontakt (AK) halten konnte. Dabei hatte ich nicht so sehr das Gefühl, dass das nach Glotzen aussah. Ist vielleicht Gewöhnungssache.
Während ich sprach, klappte es mit dem AK nicht so gut, aber stellenweise kam es doch zum AK, was mich erstaunt.
Ich hatte einTelefonat mit einer Firmenmitarbeiterin, der ich ziemlich unfreundlich und insistierend meinen Unmut über ein die Firma, aber nicht nicht direkt sie betreffendes Problem mitgeteilt habe. Da hatte sie Pech.
Ich hatte heute ´mal eine kräftigere Stimme. Sonst ist meine Stimme oft belegt oder relativ hoch, was mich ärgert. Da fühle ich mich gleich kräftiger.
Bei der Bäckersfrau konnte ich mit AK meine Bestellung aufgeben. Das fand ich gut.
Beim Plausch mit 3 Nachbarinnen konnte ich manchmal mit AK etwas sagen. (Je mehr Leute mich betrachten, desto unsicherer werde ich.)
Als besonders lieber Zeitgenosse bin ich natürlich hilfsbereit. Heute habe ich (auf ihre Anfrage) jemand gesagt, dass ich nicht das gemacht habe, was sie von mir wollte. Egal.

So, das war´s für heute. Ich wünsche Euch eine gute Nacht.

Kuschel

31.07.2012 21:16 • #15


K
Hallo zusammen,

hier nun mein dritter Tagebuch- Bericht über meine inneren Grenzüberschreitungen:


Ich habe nicht das gemacht, was meine Frau mir vorgeschlagen hatte, obwohl sie mich ein bisschen versucht hatte, dazu zu drängen. Das fiel mir nicht soo schwer.

Ich habe einer Person, von der ich glaubte irgendwie abhängig zu sein, unnachgiebig und nachfragend gesagt, was mir an ihr nicht gefällt. Manchmal sogar mit AK. Ich habe mich nachher selbst über meinen Mut amüsiert.

Ich habe eine Kollegin freundlich, aber unnachgiebig auf ihren beachtlichen Fehler hingewiesen, z. T. mit AK.

Ich habe im Zug einen mir gegeüber sitzenden Mann gebeten, seine Beine woanders hinzustellen, sodass ich für meine auch ausreichend Platz hatte. Das fand ich gut.

Ich hatte wieder einige Gespäche mit Kollegen, bei denen ich gesprochen habe und phasenweise den Augenkontakt (AK) halten konnte, bin aber innerlich noch verkrampft dabei.


Das wär´s schon wieder. Bis morgen Kuschel

01.08.2012 19:52 • #16


K
Hallo, ihr da draussen,

heute ist mir alles schwer gefallen. Ich war den ganzen Tag unerklärlich müde (Selbst-Sabotage?) und hatte viel zu tun. Die Grenzüberschreitungen kosteten mich eine Menge Kraft.
Also, hier mein Tagebucheintrag:


Es gab eine Unstimmigkeit mit einer Kollegin. Ich merkte, wie Wut in mir aufkam (das ist selten und bei mir verbunden mit grosser Angst vor der Wut, weil ich meine Wut als etwas sehr gefährliches ansehe, wegen des damaligen Missbrauchs). Wahrscheinlich, weil ich durch die Müdigkeit geschwächt war, kam es, dass ein Teil meiner Wut äusserlich sichtbar war, etwas, was ich normalerweise unter allen Umständen zu unterbinden versuche und so wie immer der freundlich Korrekte bleibe. Es passierte keine Katastrophe, nur dass mein Gegenüber kleinlauter wurde.
Ich glaube, da habe ich etwas Wichtiges mitbekommen.

Ich habe meiner Frau einen bestimmten Gefallen nicht getan (das auszuführen würde jetzt zu lange dauern). Eigentlich hatte sie Recht und ich hätte es normalerweise auch gemacht. Ich hatte aber keine Lust dazu. Als sie es bemerkte, sagte sie nichts und blieb trotzdem sehr nett zu mir.

Ich habe eine Kollegin mit ziemlich guten Augenkontakt (AK) und relativ fester Stimme auf einen Fehler hingewiesen.

Ich hatte heute lange eine tiefere festere Stimme, mit der ich mich wehrhafter fühle.

So, das wär´s wieder. Eine gute Nacht wünscht Euch Kuschel

02.08.2012 20:02 • #17

Sponsor-Mitgliedschaft

K
Hallo,

ich melde mich wieder aus den Niederungen des Alltags.
Ich hatte heute fast pausenlos zu tun. Dennoch gab es ein paar Gelegenheiten, meine inneren Grenzen zu überschreiten, auch wenn das ganz schön Kraft kostete:


Vormittags war ich nicht so müde wie gestern und hatte deshalb eine starke, laute Stimme. Die tut mir sehr gut, fühle ich mich dann doch viel wehrhafter, viel kräftiger und lebhafter. Auch mit dem Augenkontakt geht es dann leichter. Ich nutzte diese starke Stimme so oft es ging. Nachmittags machte sich Erschöpfung breit und ich hatte meine alte, schwache, liebe Stimme zurück. Egal.

Ich erzählte und scherzte mehrmals mit den Kollegen, z. T. mit ziemlich guten Augenkontakt (AK).

Ich bezahlte bei einem Verkäufer. Wir erzählten und der AK war garnicht so schlecht. Ich habe mich
aber verkrampft gefühlt. Macht nichts.

Auch beim kurzen Plausch mit der Dame vom Zeitungskiosk klappte der AK gut.

Gelegenheit zum Wütendsein gab es heute nicht oder ich wollte sie nicht sehen.


Gute Nacht, Kuschel

03.08.2012 20:40 • #18


A
Hi Kuschel,
ich bin sehr beeindruckt von deinen vielen Grenzüberschreitungen, aber ich denke, dass du dich damit auf Dauer auch sehr überfordern könntest.
Man kann und sollte so etwas nicht erzwingen, besonders weil das Gehirn auch einfach Zeit benötigt, um die damit verbundenen Erfahrungen zu verarbeiten und um belastbarer zu werden. So ein Entwicklungsprozess kann Wochen oder sogar Monate benötigen, eine Zeit, die man sich auch nehmen sollte. Sinnvoll wäre vielleicht auch, wenn du die Situationen auch mehr aufarbeiten würdest. Es kommt bei solchen Übungen nicht unbedingt um die Quantität sondern eher auf die Qualität an, so dass man aus den jeweiligen Situationen auch möglichst viel lernen kann.
Die Müdigkeit kann ein Anzeichen für Überforderung sein, daher solltest du dir auch Erholungsphasen/- tage gönnen, wo du bewusst keine Grenzen überschreitest.

03.08.2012 21:10 • #19


K
Hallo Avalon,

viel Dank für Deine Hinweise.

Ich sehe diese Grenzüberschreitungen sportlich. Sie überfordern mich nicht. Sie sind aber manchmal anstrengend. Das macht mir nichts aus. Ich bin viel Arbeit gewohnt und diese Grenzüberschreitungen gehören dazu, wenngleich sie eine besondere Art von Arbeit darstellen. Anstrengend sind sie deshalb, weil ich in letzter Zeit eine Menge normaler Arbeit zu bewältigen habe, daher auch die Müdigkeit.

Du hast Recht, diese neuen Erfahrungen die ich anstrebe und der damit (hoffentlich) verbundene innere Entwicklungsprozess braucht viel Zeit. Ich rechne mit Monaten. Für einen ähnlich langen Zeitraum habe ich auch meine hiesigen Tagesberichte geplant.

Ich bin dankbar für jede Situation, in der ich Gelegenheit habe mich neu auszuprobieren und auch genügend Mut aufbringe. Über den Tag verteilt sind das nicht so viele und die nutze ich möglichst alle. Mit Deinem Beitrag vom 29. 7. wurde mir klar, dass ich nicht mehr länger warten kann. Der Leidensdruck war zu gross und so entschloss ich mich, zu handeln - ohne es zu übertreiben.

Ich wünsche Dir bei Deiner eigenen Weiterentwicklung viel Mut, Kraft und Ausdauer.

Liebe Grüsse Kuschel

03.08.2012 22:33 • #20


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Dr. Reinhard Pichler