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decemberist
Hallo …

Ich habe hier derzeit zwar schon einen (recht langen) Thread am laufen, aber ich würde dieses Thema hier gerne ausklammern, weil es eine andere Thematik ist.

In dem anderen Thread habe ich schon mal erwähnt, dass ich Probleme mit dem Essen habe. Seit längerer Zeit schon und in einem Maße wo ich es selbst nicht mehr weiß ob das schon als Essstörung klassifiziert wird oder nicht. Ich habe auch mal Phasen wo ich ganz gut zurechtkomme, leider sind die in den letzten Monaten eine Seltenheit geworden und gerade läuft es ehrlich gesagt eher besch***en.

In dem anderen Thread habe ich auch bereits erläutert, dass ich zwar ziemlich genau mein Verhalten beschreiben kann, aber nie erklären kann, warum ich bestimmte Dinge denke oder fühle. Dasselbe Problem habe ich beim Thema Essen auch. Ich kann da sehr genau zurückverfolgen wo meine Probleme anfingen und ich kann diverse Situationen aufzählen, die wahrscheinlich alle dazu beigetragen haben, dass ich diese Probleme entwickelt habe, aber ich kann absolut nicht sagen WARUM das so ist. Das sind Situationen wo ich objektiv sagen würde, dass man da normalerweise nicht so ein Drama drum macht und dass man da vielleicht mal kurz wütend oder enttäuscht ist (wenn überhaupt) und dann vergisst man das wieder. Man steigert sich da nicht so rein und denkt noch Jahre später darüber nach und sieht das dann als Grund nicht mehr zu essen.
Ich habe Essen nie so wirklich einfach als Ansammlung von Nährstoffen und Kalorien betrachtet sondern irgendwie als etwas anderes … ich habe alles, was mit Essen zu tun hat irgendwie immer sehr persönlich genommen und wenn mir z. B. Essen verwehrt wurde, dann war das für mich immer ein Zeichen dafür dass man mich nicht mag oder dass ich nicht wichtig bin oder dass man sich vor mir ekelt und mich ablehnt. Selbst dann wenn ich weiß dass es nicht intentional war.
Ich kann das schlecht erklären, deshalb zähle ich ein paar Beispielsituationen auf – die übrigens zu den peinlichsten Momenten in meinem Leben gehören und über die ich normalerweise eigentlich nicht rede. Ich weiß dass es kindisch ist und dass meine Reaktion absolut übertrieben ist, aber ich bekomme diese Situationen bis heute nicht aus meinem Kopf.

Ich war mit 16 für ein Schulhalbjahr in England, und ich würde im Nachhinein sagen, dass da meine Probleme mit dem Essen anfingen. Ich hatte das damals unbedingt machen wollen, aber es lief dann leider nicht so wie ich erwartet hatte, was aber auch meine Schuld war, weil ich irgendwie dann doch nicht damit klar kam da allein zu sein. Ich hatte mir das Leben in einer Gastfamilie da einfach anders vorgestellt und gedacht, ich würde da wirklich Teil dieser Familie sein. Das lief dann aber alles etwas anders und mein Verhältnis zu meiner Gastfamilie war irgendwie komisch. Nicht schlecht, aber einfach komisch … ich habe irgendwie bis zum Schluss nicht ganz kapiert, was die eigentlich von mir gedacht haben und ob sie mich wirklich da haben wollten oder nicht. Die waren schon nett und haben mich auch oft nach meiner Familie und meinem Leben in Deutschland und so gefragt und Interesse gezeigt, aber ich war mir oft nicht sicher ob das nicht nur aus Höflichkeit geschah. Ich hatte oft das Gefühl dass ich ihnen als Person ziemlich egal war und ich für sie mehr so eine Art Untermieter war und sie kein Interesse daran hatten mich in ihre Familie zu integrieren.
Es gab zwei sehr ähnliche Situationen, die in mir dieses Gefühl hervorgerufen haben und beide hatten mit Essen zu tun. Das eine Mal war als ich da noch nicht so lange wohnte und meine Gasteltern Besuch von Freunden bekamen. Meine Gasteltern hatten das auch vorher angekündigt, dass die kommen würden, und ich hatte dann gedacht dass sie mich dem Besuch vorstellen würden und dass ich wie immer mit ihnen zu Abend essen würde. Ich war dann in meinem Zimmer oben und habe irgendwann mitbekommen dass unten geredet wurde, dachte also der Besuch wäre gerade angekommen und ich sollte besser runtergehen und hallo sagen. Als ich dann ins Esszimmer kam, stellte ich fest, dass alle am Tisch saßen und längst mit dem Essen angefangen hatten. Und dass es nicht vorgesehen gewesen war dass ich mitesse. Mein Gastvater ist dann zwar sofort aufgestanden und hat mir einen Teller geholt, und ich habe mich dann auch hingesetzt und etwas gegessen weil es sonst auch seltsam gewesen wäre wenn ich dann wieder gegangen wäre. Ich habe mich dann auch sehr schnell wieder entschuldigt und bin wieder in mein Zimmer gegangen.
Mir war das schon extrem unangenehm weil ich die Situation falsch interpretiert hatte, aber daraus gelernt habe ich dann scheinbar trotzdem nicht, sowas ähnliches ist mir einige Wochen später dann nämlich noch mal passiert. Da war es so dass die Eltern von meiner Gastmutter abends zum Essen kommen sollten und sie war dann den ganzen Nachmittags damit beschäftigt das Essen vorzubereiten. Ich dachte dann halt, ich bin mal nett und helfe und hab dann auf die beiden jüngeren Kinder aufgepasst, damit sie in Ruhe kochen konnte. Sie hat dann auch extra noch gesagt wie dankbar sie mir für meine Hilfe wäre. Dann kam mein Gastvater irgendwann nach Hause und meine Gastmutter meinte dann zu mir, sie würden mich jetzt nicht mehr brauchen und ich könne in mein Zimmer gehen, weil er ja jetzt auf die Kinder aufpassen könnte. Kurz darauf kamen dann die Gäste und sie haben zusammen gegessen und ich saß wieder alleine und ohne Essen in meinem Zimmer. Nur war das halt auch so dass ich direkt nach der Schule die ganze Zeit auf die Kinder aufgepasst und da nichts gegessen hatte und das hätte meine Gastmutter theoretisch wissen müssen. Also habe ich an dem Abend dann gar nicht gegessen, weil ich auch nicht dann runtergehen wollte wenn Gäste da waren. Und das war dann wieder so eine Situation mit der ich einfach nicht umgehen konnte, weil ich wohl einfach nicht sozial kompetent genug bin um zu erkennen welchen Platz ich habe und wie ich mich zu verhalten habe.
Normalerweise habe ich da auch jeden Tag mit der Familie zu Abend gegessen, das änderte sich dann aber auch irgendwann weil ich dann mal ein paar Abende spät nach Hause kam und sie das wohl so interpretierten, dass ich nicht mit ihnen essen wollte und mich dann auch nicht mehr gerufen haben wenn es Essen gab. Ich hab dann nie was gesagt weil ich nicht wusste wie, und sie haben mich auch nie darauf angesprochen, ich musste dann also selber gucken, dass ich mir etwas zu essen organisiere. Und das lief dann darauf hinaus, dass ich jeden Abend zum Supermarkt ging und fast mein komplettes Geld für Essen aus dem Fenster warf. Ich habe dann jeden Abend damit zugebracht mir stundenlang irgendwelche Serien reinzuziehen und währenddessen eine Tafel Schokolade nach der anderen zu essen. Ich habe dann eigentlich jeden Abend um die 300 g Schokolade gegessen oder zwei Packungen Kekse oder eine komplette Packung Cereals pder 14 Riegel Snickers-Eis. Für ein paar Monate waren das meine Hauptnahrungsmittel. Und dann musste ich halt schauen, wie ich die ganzen Verpackungen unauffällig wieder entsorge.

Als ich wieder in Deutschland war hat sich mein Essverhalten dann zum Glück auch wieder normalisiert, aber halt auch nicht für lange … nur war es dann das genaue Gegenteil, dass ich dann anfing, mein Essverhalten sehr zu kontrollieren. Warum genau kann ich auch jetzt nicht sagen, aber mir ist schon klar dass das sehr viel mit Kontrolle zu tun hat. Wenn andere sowieso denken dass ich nicht essen sollte, dann ist es weniger peinlich wenn ich Essen von Vornherein ablehne. Etwas verwehrt zu bekommen was man sowieso nicht wollte, ist immerhin weniger peinlich als wenn man es insgeheim wollte und dann wie der letzte Idiot dasteht.

Ich weiß auch nicht warum ich so bin und warum ich alles so persönlich nehme was mit Essen zu tun hat. Nachdem ich aus England zurück war, war da auch so eine Situation, wo auch einfach nicht wusste wie ich mich da verhalten sollte. Da war ich auch wo zu Besuch und es gab Lasagne zu essen und ich hatte mich darauf gefreut weil ich Hunger hatte und weil das damals eins meiner Lieblingsgerichte war. Und dann wurde ich beim Austeilen einfach übergangen … oder vergessen. Jeder normale Mensch hätte wahrscheinlich einfach kurz bescheid gesagt dass man vergessen wurde, aber ich hab den Moment natürlich verpasst, weil ich es nie hinkriege das zu tun was man normalerweise tun sollte. Und ich habe natürlich nichts gesagt und dann nur Salat gegessen und war das ganze Essen über total gestresst weil ich Panik hatte dass irgendwann jemandem auffällt dass ich als einziger keine Lasagne hatte und etwas gesagt hätte und ich dann hätte erklären müssen warum ich nichts gesagt habe. Natürlich hat es aber keiner bemerkt und obwohl ich froh darüber war weil es mir eine peinliche Diskussion erspart hat, war das doch wieder ein Zeichen dafür dass es niemanden interessiert ob ich esse oder nicht und ich es dann eigentlich sein lassen kann.

Und zuhause hatte ich solche Situationen sowieso ständig, besonders weil mein Vater gerne beim Essen irgendwelche politischen Diskussionen anfängt über Dinge die ich komplett anders sehe, oder weil sowieso immer ALLES beim Essen ausdiskutiert wird. Vor nicht so langer Zeit hat meine Mutter meinen Vater am Telefon gefragt was ich essen wolle weil sie an dem Tag etwas kochen wollte von dem sie weiß dass ich das nicht mag, und ich habe dann gesagt dass ich es nicht wisse weil ich halt nicht wollte dass sie wegen mir extra etwas anderes kocht und nichts extra haben wollte, und mein Vater hat mich dann deswegen so dermaßen fertig gemacht dass ich dann zwei Tage lang gar nichts gegessen habe. Oder ich komme runter und sehe dass meine ganze Familie da sitzt mit Eis das sie gerade vom Eiswagen geholt hatten und niemand war auf die Idee gekommen mir auch eins zu holen obwohl sie wussten dass ich da war. Und mit diesen ewigen Diskussionen am Esstisch bin ich eh nie klargekommen und mein Vater hat mich schon ein paar Mal rausgeschickt weil er angepisst darüber war dass mir bei der negativen Stimmung der Appetit vergangen war und er nicht sehen wollte wie ich „so ein Gesicht“ ziehe und in meinem Essen herumstochere.

Das sind einige Beispiele wo ich einfach nicht mit klarkomme. Es bringt mir auch nichts dass ich weiß dass das Kinderkram ist und dass ich da ein unglaubliches Theater wegen Sachen mache die objektiv nicht schlimm sind. Aber ich weiß weder warum ich sowas so extrem persönlich nehme und da bis heute nicht mit zurechtkomme, noch wie ich dafür sorgen kann dass mir das nicht mehr so nahe geht. Ich kann überhaupt nicht mehr normal essen weil ich mit Essen nur noch negative Emotionen verbinde und ich immer denke ich habe das eh nicht verdient.

30.03.2015 23:11 • 01.04.2015 #1


3 Antworten ↓


Icefalki
Beschäftige dich mal mit Verhaltenstherapie..

Negative Erfahrung im Zusammenhang mit (bei dir essen) führt zur Vermeidung, bzw. wird angstbesetzt.

Es Liegen noch andere Probleme dahinter..

Aber dein Essverhalten ist Folge negativer Erlebnisse.

Das kann man auch wieder umkehren. Aber......... Wie ich schon sagte, du brauchst therapie.

30.03.2015 23:43 • #2


A


Mit Essen nicht normal umgehen können

x 3


decemberist
Was ich nicht verstehe ist warum das so ist ...

Das sind an sich ja keine negativen Erlebnisse. Ich mache sie nur dazu indem ich mich da reinsteigere. Ich weiß dass das objektiv keine schlimmen Situationen sind, kann aber trotzdem nicht beeinflussen dass ich da so empfinde.
Das war mit 16 so und das ist jetzt auch noch so ... Ich kann mir tausendmal vornehmen jetzt normal zu essen und dann braucht nur einer ein falsches Wort zu sagen oder mich anzuschauen sodass ich das negativ interpretiere, und dann es sich mit dem normal essen wieder erledigt ....

01.04.2015 19:04 • #3


Icefalki
Deine hintergrundsproblematik wird ein extrem mangelndes Selbstbewusstsein, versagensängste und was noch alles sein. Das muss aber der Therapeut rausfinden. Da weiß ich nicht so gut Bescheid.

Das Essproblem ist nur Symptomatik, bzw. deine Schüchternheit, deine Ängste dich zu blamieren, zu versagen sind bei dir mit Essen gekoppelt. Dort hast du deine negativen Gefühle entwickelt. Gleichzeitig kannst Du auch das Essen selbst steuern. Kannst dich damit bestrafen, verweigern oder es auch tun. Damit hast du Kontrolle.

Aber ich bin selbst darin nicht so bewandert, dass ich mich da super gut auskenne.

Und weil du nicht verstehst, warum das so ist, darum muss du ja auch in therapie.

Nochmal, zu Problemen
Kannst du das verstehen, dass man z.b. Nicht in einer Warteschlange an der Kasse anstehen kann, weil man meint, dass man jetzt umfallen könnte?
Dass man meint, ständig wirklich ernsthaft krank zu sein? Körperlich krank und Angst hat zu sterben?.
Dass man so eifersüchtig ist,,dass man dadurch seinen geliebten Partner vertreibt?

Kann man das verstehen? Und doch gibt es hier wahnsinnig viele, die täglich mit ihren persönlichen Monstern zu kämpfen haben.

Und sehr wenige schaffen das alleine.

01.04.2015 19:27 • #4