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F
Hi zusammen,

Kurze Frage in die runde: ein sozialpädagoge warf mir diese Woche vor, vor mir selber weg zu laufen.

Nun frage ich mich wie das gehen soll? Wie kann man vor sich selbst weglaufen bzw sich verlieren?

Danke für Antworten

19.09.2021 17:20 • 28.09.2021 #1


9 Antworten ↓


S
Es bedeutet, Zeit mit dir allein zu verbringen, deine Komfortzone zu verlassen, traurige Momente auszuhalten und Verantwortung für dich selbst zu übernehmen und eben nicht es/sie zu verdrängen.

19.09.2021 17:33 • x 5 #2


A


Kann man sich selbst verlieren?

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F
Naja sagen wir es mal so. Ich bin die ganze Zeit mit mir allein. Die Komfortzone habe ich seit Jahren nicht mehr. Aktuell ziehe ich quer durch die Republik ohne Punkt und Ziel.

Ich wechsel jeden Monat den Job und den Ort bzw die Stadt.

19.09.2021 17:51 • #3


P
Zitat von Fabs1985:
Ich wechsel jeden Monat den Job und den Ort bzw die Stadt.

Das ist schon ungewöhnlich und das Gegenteil von ankommen. Man könnte es als weglaufen verstehen. Die Frage ist nur: vor wem oder was läufst du davon? Wenn es da nichts konkret Externes gibt, könnte es daran liegen, dass du den steten, schnellen Wandel brauchst, um nicht in die Situation zu kommen, über gewisse Dinge nachdenken zu müssen. Bei so einem Nomadenleben stehen ja grundsätzlich andere Dinge im Vordergrund als interne Themen. Du musst ja permanent auf Job- und ggf. auch Wohnungssuche sein, wenn du nur 4 Wochen am selben Ort bleibst. Da bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Warum tust du das?

19.09.2021 22:37 • x 3 #4


silverleaf
Für mich bedeutet das, ähnlich wie @portugal das auch geschrieben hat, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.

Wenn ich so darüber nachdenke, kommen mir dazu ein paar Gedanken in den Kopf (wichtig: @Fabs1985: Das sind meine Gedanken zum Thema Selbstverantwortung, keiner dieser Punkte bezieht sich in irgendeiner Form auf Deine persönliche Situation, von der weiß ich nichts, es ist also in keinster Form als Kritik an Deiner Person gemeint, es sind nur meine Gedanken zu dem Thema).
Und das gilt natürlich auch für alle anderen User, ich beziehe mich hier auf niemanden aus diesem Forum, ich beziehe mich auf die vielen Mitpatienten, die ich in all den Jahren getroffen habe, und natürlich auf mich selber.
Niemand soll sich durch meine Worte angegriffen fühlen.
Es sind nur die Erkenntnisse der letzten 10 Jahre Therapie, die vielen Sackgassen eines großen Labyrinths, in denen ich mich verirrt habe oder in denen sich Mitpatienten von mir verlaufen haben, mit den Resultat, das eigentliche Ziel der Therapie aus den Augen zu verlieren: mit sich selber in einen guten und ehrlichen Kontakt zu kommen.

Für mich bedeutet diese Selbst-Verantwortung:

- Sich seinen Problemen zu stellen, mit radikaler Ehrlichkeit und radikaler Akzeptanz, und nicht vor ihnen wegzulaufen oder ihnen auszuweichen, sondern an ihnen zu arbeiten. Keine Vermeidung. Nicht vermeiden, nicht verdrängen, sondern zulassen und bearbeiten.

- Die eigentlichen Probleme anzugehen und nicht ständig Nebenkriegsschauplätze aufzumachen, also nicht Ursache und Wirkung miteinander zu verwechseln. Die Ursache/die Wurzel der Probleme anzugehen und nicht nur an Symptomen zu arbeiten. Oder mit ständig neuen Symptomen die eigentlichen Probleme bewusst oder unbewusst zu verschleiern, denn auch das ist ein Vermeidung-Mechanismus. Emotionen auf Dauer zu vermeiden führt nur dazu, dass sie eine übergroße Macht über uns bekommen.

- An sich zu arbeiten und nicht darauf zu warten, dass andere Menschen einem das abnehmen, also:
Hilfe immer als Hilfe zur Selbsthilfe begreifen und sich nicht in einen Zustand zu begeben, in dem man alle Verantwortung für sich selber an andere Menschen delegiert. Es ist völlig ok und auch ein Zeichen von Selbstverantwortung, sich Hilfe zu holen, wenn man sie benötigt. Aber dann bitte nicht die eigenen Probleme in die Hände des Helfenden zu legen, auch wenn es sich erstmal tröstlich anfühlt. Hilfe muss immer Hilfe zur Selbsthilfe sein und bleiben.

- Die erlernte Hilflosigkeit zu überwinden, sich seiner Selbstwirksamkeit Schritt für Schritt bewusst zu werden, sich aktiv um eine Verbesserung der eigenen Situation zu bemühen und sich nicht unter dem warmen Mäntelchen der Passivität einzukuscheln und aufzugeben (denn das ist eine böse Falle), im schlimmsten Fall noch in der Hoffnung, dass einen jemand anders rettet. Die eigene Kraft in sich selber wiederzuentdecken. Und zu verstehen, dass man selber aktiv auf seine Situation einwirken kann, Schritt für Schritt, und nicht nur hilflos den Umständen ausgeliefert ist.

- Sich die Zeit geben, die man braucht, um diese Verbesserungen herbeizuführen. Es ist egal, wie lange es dauert, und es darf auch Rückschläge geben, Hauptsache, man bewegt langsam aber sicher in die richtige Richtung. In all der Langsamkeit, die vielleicht notwendig ist. Die Probleme, die über Jahrzehnt entstanden sind, können nicht in ein paar Monaten überwunden werden.

- Man kann sich nur selber retten, das kann niemand anders für uns tun.

- Zu akzeptieren, dass der Weg zur Verbesserung der eigenen Situation durch den Schmerz hindurchführt, nicht um diesen herum. Irgendwann muss man sich den Geistern der Vergangenheit stellen, dem Schmerz in die Augen blicken, ihn zulassen, ihn durchleben. Vor ihm wegzulaufen wird auf Dauer nicht funktionieren. Den Schmerz zulassen, aushalten, ihm Raum geben, damit man dann vielleicht mit ihm abschließen kann.

Dann kann man sich meiner Meinung nach wiederfinden.

LG Silver

19.09.2021 22:40 • x 9 #5


Nora5
Zitat von silverleaf:
Es sind nur die Erkenntnisse der letzten 10 Jahre Therapie, die vielen Sackgassen eines großen Labyrinths, in denen ich mich verirrt habe oder in denen sich Mitpatienten von mir verlaufen haben, mit den Resultat, das eigentliche Ziel der Therapie aus den Augen zu verlieren: mit sich selber in einen guten und ehrlichen Kontakt zu kommen.

Liebe Silver,

vielen vielen Dank für Deinen Beitrag, den ich als sehr bereichernd empfinde. Wie von einer richtig guten Therapeutin. Nur aussagekräftiger, weil Du es als Betroffene schreibst.

Zitat von silverleaf:
- Sich seinen Problemen zu stellen, mit radikaler Ehrlichkeit und radikaler Akzeptanz, und nicht vor ihnen wegzulaufen oder ihnen auszuweichen, sondern an ihnen zu arbeiten. Keine Vermeidung. Nicht vermeiden, nicht verdrängen, sondern zulassen und bearbeiten.

das nehme ich jetzt gleich mit in die Therapiesitzung. Danke dafür.

Zitat von silverleaf:
Die eigentlichen Probleme anzugehen und nicht ständig Nebenkriegsschauplätze aufzumachen,

ouh, ja

Zitat von silverleaf:
Emotionen auf Dauer zu vermeiden führt nur dazu, dass sie eine übergroße Macht über uns bekommen.

absolute Zustimmung

Zitat von silverleaf:
Die eigene Kraft in sich selber wiederzuentdecken.

genau davon bin ich im Moment immer wieder erschreckend abgetrennt

Zitat von silverleaf:
Es ist egal, wie lange es dauert, und es darf auch Rückschläge geben, Hauptsache, man bewegt langsam aber sicher in die richtige Richtung

super guter Punkt

Zitat von silverleaf:
Zu akzeptieren, dass der Weg zur Verbesserung der eigenen Situation durch den Schmerz hindurchführt, nicht um diesen herum.

ja. Da war mein Therapeut so ein bisschen anderer Ansicht, ich habe diese These sehr stark vertreten. Er sagte, er würde es in Frage stellen. In dem Sinne, den Schmerz wie einen unliebsamen WG-Mitbewohner da sein zu lassen und möglichst normal seinen Aktivitäten weiter nachzugehen

27.09.2021 15:40 • x 1 #6


silverleaf
Zitat von Nora5:
vielen vielen Dank für Deinen Beitrag, den ich als sehr bereichernd empfinde.

Liebe Nora,
vielen lieben Dank für Deine lieben Worte, darüber freue ich mich sehr !

Zitat von Nora5:
In dem Sinne, den Schmerz wie einen unliebsamen WG-Mitbewohner da sein zu lassen und möglichst normal seinen Aktivitäten weiter nachzugehen

Ich glaube, dass sich das für mich gar nicht gegenseitig ausschließt. Das Bild von schwierige Emotionen wie einen unliebsamen Gast zu sehen ist auch das Bild, mit dem ich mental arbeite. Gerade was den Umgang mit schwierigen Emotionen im Alltag angeht.
Es bedeutet für mich, das Gefühl da sein zu lassen, seine Anwesenheit zu akzeptieren und einen Umgang damit zu finden. Nicht in die Vermeidung zu gehen. Die Vermeidung wäre für mich in diesem Bild, den unliebsamen Gast gar nicht erst reinzulassen. Diesen Gast weder reinzulassen noch sonst irgendwie mit ihm Kontakt zu haben. Stattdessen lässt man die Emotion zu, man empfindet sie, lässt sie da sein, spürt ihre Gegenwart, setzt sich mit ihr auseinander. Schaut hin und nicht weg (bzw. fühlt hin und nicht weg). Akzeptiert ihre Gegenwart und versucht nicht, sie gleich wieder loszuwerden. Dazu gehört auch, die Emotion zu versorgen, wenn es nötig wird, ihr bzw. sich also Trost und Selbstfürsorge zukommen zu lassen, wenn die Emotion, z.B. ein Gefühl von Trauer, sehr stark wird, und nicht einfach darüber hinwegzugehen. Und ansonsten sein Leben mit dem Gast/der Emotion zu leben, zu akzeptieren, dass sie Teil meines Lebens ist.
Und manchmal kann man dann vielleicht sogar erleben, dass sie irgendwann weniger unliebsam wird oder sogar von selber wieder geht, wenn man sich gut um sie gekümmert hat. Wie der Gast, der sich plötzlich vielleicht besser benimmt, nicht mehr so unangenehm ist, vielleicht gar nicht mehr so oft am Tag da ist oder spürbar ist.
Fast so ein bisschen wie nach dem physikalischen Prinzip von Druck erzeugt Gegendruck. Wenn man keine Widerstände gegen die Emotion aufbaut oder zeigt, reagiert die Emotion auch mit weniger Gegendruck und aufdringlichem/unangenehmem Verhalten.

Aber unabhängig davon glaube ich tatsächlich auch daran, dass es auch mal zu Gefühls-Explosionen kommen darf, dass es mal Therapiestunden geben darf und sollte, in denen man wirklich voll und ganz in die Emotion eintaucht. Sich besonders intensiv mit ihr auseinandersetzt. Sich mit ihr intensiv konfrontiert. In dem Bild mit dem unliebsamen Gast wäre das eine Phase, in der man mit diesem das problemorientierte Gespräch sucht, sich mit ihm zusammensetzt und intensiv ein schwieriges und schmerzhaftes Gespräch mit ihm führt.
Darum glaube ich auch daran, dass man nach dem Aufbau einer gewissen Grundstabilität und dem Aufbau positiver eigenen Ressourcen auch durchaus eine Exposition-Phase in der Traumatherapie machen sollte, wenn die Zeit dafür reif ist.
Und dann wirklich durch den Schmerz hindurchgeht. Natürlich nur in der Intensität, die man kompensieren kann.

Ich hoffe, ich habe damit jetzt nicht irgendwie mehr Verwirrung als Klärung herbeigeführt... ... Ich wollte nur versuchen zu erklären, dass ich zwischen dem, was Dein Therapeut gesagt hat und dem, was ich geschrieben habe, keinen Widerspruch sehe, dass diese Dinge quasi Hand in Hand gehen, dass es mehr eine Frage des Zeitpunkts ist, wann man die möglichst friedliche Co-Existenz wählt und wann die intensive Konfrontation. Nur in die Vermeidung sollte man nicht gehen.

GLG Silver

27.09.2021 17:36 • x 5 #7


Nora5
Zitat von silverleaf:
das Gefühl da sein zu lassen, seine Anwesenheit zu akzeptieren

LIebe Silver,

ich beantworte das noch ausführlich. Aber, mir kam gerade der Punkt liebevolle Annahme. Das ist es glaube ich. Das Ziel ist es, diesen Anteil, der sich nämlich mit Händen und Füßen sträubt, mit den Therapeuten zusammen zu arbeiten, liebevoll anzunehmen und ihm Alternativen anzubieten. Das wäre der Weg. Komme gerade aus zwei Std. Therapie und es war sehr aufwühlend und in mir hat es immer mehr blockiert. Ich muss das erst einmal verarbeiten.

Danke Dir so sehr

27.09.2021 18:27 • x 1 #8


silverleaf
Liebe Nora,

Zitat von Nora5:
diesen Anteil, der sich nämlich mit Händen und Füßen sträubt, mit den Therapeuten zusammen zu arbeiten, liebevoll anzunehmen und ihm Alternativen anzubieten


genauso sehe ich das auch !

Seit meine Therapie auf genau dieses Vorgehen umgestellt wurde, habe ich echte Quantensprünge gemacht (im Vergleich zu vorher), was meine Entwicklung angeht. Für mich ist es genau der richtige Weg, und ich hoffe ganz doll, dass es auch Dein Weg werden wird ! Ich bin dadurch zu einer ganz anderen und neuen Art intensiven inneren Friedens gekommen, das war/ist echt ein tolles Gefühl. Es ist viel Arbeit und es ist alles andere als leicht, aber jedesmal wenn man es schafft, genau diesen Anteil, den Du beschrieben hast, liebevoll anzunehmen und zu versorgen, merkt man, wie der Weg in Richtung Besserung und vielleicht sogar teilweise Heilung aussehen kann. Und das gibt ganz viel Hoffnung.

Ich wünsche Dir soooo viel Kraft und Mut für diesen Weg und hoffe, dass er Dir auch so helfen möge wie mir !

GLG Silver

27.09.2021 18:35 • x 3 #9


Nora5
Zitat von silverleaf:
Aber unabhängig davon glaube ich tatsächlich auch daran, dass es auch mal zu Gefühls-Explosionen kommen darf, dass es mal Therapiestunden geben darf und sollte, in denen man wirklich voll und ganz in die Emotion eintaucht. Sich besonders intensiv mit ihr auseinandersetzt. Sich mit ihr intensiv konfrontiert.

Liebe Silver,

ui, ja, das hatte ich gestern. Alle Therapeuten wollen mir nahlegen, mich von meinem Freund zu distanzieren. In mir ist ein Teil, der auf die Barrikaden geht und alles tun möchte, um die Bindung zu erhalten. Ich habe dann pausenlos diese zwanghaften Gedanken an alles, was schön war und denke, so etwas werde ich nie wieder mit jemand finden.

28.09.2021 23:54 • x 1 #10


A


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