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M
Hallo, ich bin neu hier und bin derzeit etwas verzweifelt. Ich habe keine Ahnung unter welches Thema ich das hätte schreiben sollen. Ich hoffe, hier ist das ok. Ich bin weiblich und 29 Jahre alt aus Schleswig-Holstein.

Ich will gar nicht zu viel schreiben, deshalb versuche ich es eher kurz zu fassen.

Ich fühle mich so energie- und freudlos. Und ich kann nur vermuten woher das kommt.
Zum Einen fühle ich mich selbst nicht wohl. Wenn ich unter anderen bin (zb in der Klasse - schulische Ausbildung), verstelle ich mich meist, versuche mich anzupassen. Ich versuche irgendwie jemand anderes zu sein, obwohl ich eigentlich gar nicht so genau weiß wer ich bin. Ich stelle oft meine eigenen echten Gedanken in Frage. Ja, ich bin mir selbst nicht sicher wer oder wie ich bin. Meist hinterfrage ich alles 10x was ich tue, komme immer zu dem Ergebnis, dass irgendwas, was ich gesagt oder getan habe, komisch rüber kommen könnte. Ich empfinde es mittlerweile nur noch anstrengend überhaupt unter Leuten zu sein und vermeide es, wenn es geht.

Hinzu kommt teilweise ein starker Perfektionismus, der es mir auch oft schwer macht. Seit über 10 Jahren habe ich Probleme mit dem Essen in den verschiedensten Ausprägungen. Aktuell struggle ich wieder sehr. Ich habe auch sehr viel abgenommen, über ein Drittel meines alten Gewichts (war vorher im starken Übergewicht durch jahrelange FAs). Jetzt bin ich nur noch einige Kilos von einem normalem Gewicht entfernt. Ich denke mir oft, ich will das jetzt alles hinter mir lassen. Jetzt könnte ich eine ganz gesunde Ernährung anpeilen, sehe oft gesunde Dinge, die ich dann auch gern essen würde. Ich habe aber eine Kaloriensperre in meinem Kopf, die das nicht möglich macht. Ich glaube es ist der Perfektionismus in mir, der sich daran festhält. Ich will den ganzen Mist loslassen, klammere mich aber daran fest.

Mir macht nichts mehr Freude, weil ich alles was ich tue nur mache, weil ich darin besser werden will, Ziele erreichen, alles muss perfekt sein. Zb habe ich jetzt mit dem Laufen begonnen. Ich wollte es extra langsam angehen lassen, wollte es zum Ausgleich. Aber schon nach wenigen Tagen wurde es wieder der strebsame Trott, immer mehr, immer schneller, Hauptsache besser als das Mal davor.
Früher hab ich gern gemalt oder gezeichnet. Heute macht es mir keinen Spaß mehr, weil das Ergebnis für mich nie zufriedenstellend ist.
Und so ist es auch bei meinem Gewicht. An jedem Tag, wo es nicht „besser“ ist als den Tag zuvor, bin ich unzufrieden.

Ich halte meine Leistungen in der Ausbildung durchweg auf 1. Mein Ziel war besser als 1,5 zu sein. Mittlerweile bin ich eigentlich nur noch mit 1,0 zufrieden. Mein Stand ist aktuell eine 1,2. Ich will das alles gar nicht. Natürlich ist die Leistung gut, aber der Preis ist hoch. Ablegen kann ich es aber auch nicht.

Ich habe oft überlegt mir Hilfe zu suchen, aber der Gedanke daran, dann nicht mehr „perfekt“ zu sein, weil ich den Drang danach ja zwangsläufig ablegen müsste um daraus zu kommen, macht mir Angst und irgendwas in mir will das auch nicht. Es ist als säßen mir 2 Männchen auf den Schultern. Der eine will eigentlich einfach nur Spaß und leben, der andere will dass alles perfekt ist. Die streiten sich permanent, aber gewinnen tut immer der eine.

Außerdem habe ich große Angst nicht ernstgenommen zu werden, weil eigentlich ist ja alles gut. Zu gut.

ich weiß einfach nicht was ich tun soll

05.02.2023 22:18 • 06.02.2023 x 3 #1


10 Antworten ↓


M
Dir Hilfe zu suchen würde dir aber gut tun. Ich verstehe deine Bedenken. Als ich vor meiner ersten Therapie stand, habe ich mir ähnliches gedacht. Ich wollte gewisse Verhaltensweise nicht loslassen, aufgeben. Was unweigerlich aber zu einer Therapie gehört(e). So manches mal brach ich Therapien wieder ab oder merkte, das bringt alles nichts und irgendwann kam ich zu meinen ersten langjährigen Therapeuten. Der nahm das Gesamtpaket an der Türe im Empfang. Ich sage es mal so, vieles hat sich irgendwann von alleine verändert. Er hat es akzeptiert, dass es Dinge gibt, die ich noch brauche und hat so einfach geschaut, was denn trotz allem mit mir möglich sein könnte. Um es kürzer zu fassen: du kannst deine Sorgen und Ängste direkt am Anfang ansprechen und schauen, wie der / die Therapeutin darauf reagiert und dann kannst du immer noch für dich schauen, kann und möchte ich mich darauf einlassen. Nicht jeder Therapeut hat die gleichen Regeln / Grenzen. Perfektionismus sofort ablegen zu müssen funktioniert ohnehin nicht. Das bedeutet behutsame Arbeit. Es bedeutet aber nicht, dass du am Ende 250kg wiegst, total undiszipliniert bist und dich gehen lässt. Vielleicht macht dir das einfach ein Stück weit Sorge. Perfektionismus hat so viele Ursachen und so viele Funktionen, wofür dieser alles so stehen kann / könnte.

Perfektionismus immer um jeden Preis aufrecht erhalten zu wollen bzw. sich obendrein noch immer verbessern zu wollen und sich super gut zu fühlen passt leider nie zusammen.
Den non plus ultra Perfektionismus gibt es zu guter Letzt ja leider auch nicht. Dazu würde ja dann gehören, dass du Freude und Spaß an deinem Leben hast. Hast du aber nicht. Du leidest. Und du kannst genauso eine 1,0 haben, wenn du dich in Therapie befindest und an dir und deine Sorgen, Problemen arbeitest. Hilfe könnte dir die Möglichkeit geben, dass du genießen und wieder unbeschwerter leben kannst bzw. überhaupt.

05.02.2023 22:56 • x 1 #2


A


Extremer Perfektionismus macht mich fertig - Angst

x 3


J
Ich kenne das mit dem Hang zum Perfektionismus . Es ist anstrengend und zeitraubend und zermürbend . Jedoch hab ich es bei weitem nicht in dem Ausmaß gehabt wie du und mittlerweile würde ich sagen ,dass ich es geschafft habe es abzulegen .
Auch die Sache mit dem ,dass du nicht wirklich wer du bist und wie du bist , genau das habe ich auch ,obwohl ich jedoch so langsam endlich mich entdecke und zu mir finde glaube ich jedenfalls .

Kennst du den Auslöser bei dir für diese Dinge ?

06.02.2023 00:58 • x 2 #3


moo
Willkommen @Maja3005,

gut beschrieben finde ich und ich denke, viele finden sich in Deinen Schilderungen wieder.

Zitat von Maja3005:
Ich will den ganzen Mist loslassen, klammere mich aber daran fest.

Sage einer Ameise, die an der Decke entlang läuft, sie soll loslassen...

Zitat von Maja3005:
Natürlich ist die Leistung gut, aber der Preis ist hoch. Ablegen kann ich es aber auch nicht.

Leistung ist nicht nur Dein Lebenssinn geworden, sondern auch Dein Lebensunsinn. Alles definiert sich über Leistung, auch die Definitionsstruktur selbst.

Zitat von Maja3005:
Ich habe oft überlegt mir Hilfe zu suchen, aber der Gedanke daran, dann nicht mehr „perfekt“ zu sein, weil ich den Drang danach ja zwangsläufig ablegen müsste um daraus zu kommen, macht mir Angst und irgendwas in mir will das auch nicht.

Man kann keinen Drang aktiv ablegen, denn kein Drang wird aktiv erzeugt. Dränge, Triebe und Süchte sind Folgen eines erlebten Konflikts. Wir müssen therapeutisch auch nur selten an diesem Konflikt arbeiten sondern an dessen Erleben.

Perfektionismus ist eigentlich ein falscher Ausdruck, der oft missbraucht wird - insbesondere von den (angeblichen) Perfektionisten... . Es geht nämlich nicht darum, etwas zu erlangen, sondern um das Streben dorthin. Ich würde daher den koketten Ausdruck Perfektionist in Streber umformulieren.

Der Streber findet Erfüllung im Streben selbst, nicht unbedingt im Erreichen. Im Gegenteil - das Erreichen (des Erstrebten) stellt sich regelmäßig als Beweis heraus, dass das Streben letztlich sinnlos war, denn sofort nach dem Erreichen sucht sich der strebende Geist ein neues Ziel, das er anstreben darf.

Unterm Strich ist dem Streber das bewusst, doch er kennt nur (noch) diese engen Grenzen von Zielorientierung und dauernder (empfundener) Unzulänglichkeit. Eine andere Struktur würde sein Selbst- und Weltbild sprichwörtlich entwurzeln.

06.02.2023 13:15 • x 2 #4


Flame
@maya3005

Du hast den grossen Vorteil,dass Du schon vieles über Dich weisst und von daher auch,wo Du ansetzen kannst.

Vielen Menschen geht es schlecht und sie wissen nicht warum.
Du hast schon einen konkreten Ansatz und der ist gut.

Dein Perfektionsstreben brauchst Du gar nicht abzulegen,das verlangt ja niemand.

Ich denke eher in Richtung innere Freiheit denn das,was Du tust,tust Du von jetzt an ganz bewusst und somit freiwillig.
Das ist alles,gar nicht schwer.

06.02.2023 13:59 • #5


Flame
Du brauchst nichts abzulegen ,Du bist perfekt so,wie Du bist.
Auch mit Deinem Perfektionsanspruch.

06.02.2023 14:18 • #6


M
@Madame_I du hast Recht. Aber wenn genau das Problem sich dem quasi in den Weg stellt, weil es sich selbst aufrecht erhalten möchte, ist es so schwer.
Ich denke mir halt, dass ich auf der einen Seite so sein will, aber auf der anderen Seite so nicht (glücklich) leben kann.

06.02.2023 17:34 • #7


M
@july1986 es ist wirklich anstrengend oder?

Es freut mich sehr, dass du es langsam ablegen konntest und zu dir selbst gefunden hast. Das klingt toll - und gibt mir Hoffnung, dass ich das auch irgendwann erreiche.

Die Auslöser kenne ich nicht direkt. Ich vermute dass es viel auch mit der Erziehung meiner Eltern zu tun hat. Ich musste im Grunde von Anfang an funktionieren. Ich war eines der Kinder, die sich allem anzupassen hatten, die von Anfang an im eigenen Zimmer allein schlafen mussten, deren Lungen durch Schreien gestärkt werden mussten. Und bei Gefühlsausbrüchen (auch als Trotz bekannt) hieß es „sei nicht so ne Memme“ „ist doch alles nicht schlimm“ „musste jetzt auch mal lernen“. Für meine Eltern sind Kinder grundsätzlich kleine Teufel, die alles nur aus böswilliger Absicht machen um die Eltern zu ärgern, um den eigenen Willen zu erpressen etc. Ich glaube dass ich für diese Erziehung nicht gemacht war, ich konnte darunter nicht ich selbst werden bzw. konnte nie herausfinden wer ich bin, weil ich immer jemand zu sein hatte. Wahrscheinlich kompensiere ich damit jetzt auch irgendwas. Ich weiß nur nicht was. Ich kann nicht gut mit Gefühlen umgehen, aber ich denke da steckt mehr hinter, was mir nicht bekannt ist.

06.02.2023 17:40 • x 1 #8


M
@moo das macht Sinn. Ja, irgendwie verstehe ich was du da sagst. Aber was macht man dann dagegen? Was kann man tun? Gibts überhaupt etwas?

06.02.2023 17:44 • x 1 #9


M
@Flame Aber wie soll das gehen? Das ist ja genau mein Problem. Icv kenne den Umstand und kann es trotzdem nicht ändern? Wenn ich das nicht ablegen kann, wie soll ich dann frei leben können?

Wenn ich weiß, dass es dumm ist nichts zu essen, weil es nur der innere Drang nach „besser, schneller, toller“ ist und mir sage, ich machs anders, es dann aber nicht schaffe und in dem Trott hängen bleibe, weil es doch so tief in meinem Kopf ist und ich dann doch wieder das „besser“ Gefühl brauche um zumindest in Frieden leben zu können und dann also viel zu wenig esse, dann ist das ja nicht gut.
Oder wenn ich mir vornehme ich möchte mal wieder etwas Spaß haben, irgendwas machen und hole die Malsachen raus, aber innerlich gedrängt bin alles bis ins Detail „perfekt“ (also so wie ich es mir vorstelle) machen zu müssen und das natürlich nicht klappt, dann macht es keinen Spaß, dann geht es mir nur schlecht und ich lasse es sein. Und das zieht sich durch alle Bereiche meines Lebens. Dann hat man plötzlich nichts mehr was Spaß macht. Dann ist gefühlt alles nur noch anstrengend.

Ich kann so nicht (glücklich) leben. Aber ohne kann ich es scheinbar auch nicht, sonst würd ich es ja tun. Ganz komisch

06.02.2023 17:52 • #10


moo
@Maja3005, danke für die Rückmeldungen.

Zitat von Maja3005:
@moo das macht Sinn. Ja, irgendwie verstehe ich was du da sagst. Aber was macht man dann dagegen? Was kann man tun? Gibts überhaupt etwas?

Wie gesagt:
Zitat von moo:
Triebe und Süchte sind Folgen eines erlebten Konflikts. Wir müssen therapeutisch auch nur selten an diesem Konflikt arbeiten sondern an dessen Erleben.


Zitat von Maja3005:
Ich glaube dass ich für diese Erziehung nicht gemacht war, ich konnte darunter nicht ich selbst werden bzw. konnte nie herausfinden wer ich bin, weil ich immer jemand zu sein hatte. Wahrscheinlich kompensiere ich damit jetzt auch irgendwas. Ich weiß nur nicht was. Ich kann nicht gut mit Gefühlen umgehen, aber ich denke da steckt mehr hinter, was mir nicht bekannt ist.

Ich finde, Du bist hier bereits ganz nah dran und hast das auch prima formuliert: ...weil ich immer jemand zu sein hatte. Das bedeutet, Du hast gelernt, immer besser zu sein, als Du Dich eigentlich selber wahrgenommen hast. Dadurch wurde verhindert, ganz normal zu sein.
Ich denke, kompensieren tust Du hier nur immer wieder ein unangenehmes Gefühl: nicht zu genügen. Die Belohnung (Kompensation) ist das angenehme Gefühl: etwas Außergewöhnliches, Besonderes zu erreichen. Und genau dieses Erleben von angenehm und unangenehm ist die Struktur, die zu verändern ist.

Zitat von Maja3005:
Oder wenn ich mir vornehme ich möchte mal wieder etwas Spaß haben, irgendwas machen und hole die Malsachen raus, aber innerlich gedrängt bin alles bis ins Detail „perfekt“ (also so wie ich es mir vorstelle) machen zu müssen und das natürlich nicht klappt, dann macht es keinen Spaß, dann geht es mir nur schlecht und ich lasse es sein. Und das zieht sich durch alle Bereiche meines Lebens. Dann hat man plötzlich nichts mehr was Spaß macht. Dann ist gefühlt alles nur noch anstrengend.

Ein gutes Beispiel. Hier sieht man ziemlich gut, dass Du eigentlich nicht malen willst, sondern irgendwas perfekt machen musst. Und warum? Weil Du vorwiegend gelernt hast, in dem Erreichenwollen der Perfektion eine wesentliche Befriedigung zu finden. Es ist jedoch wie mit allen Befriedigungen: sie befrieden nicht.

Zitat von Maja3005:
Ich kann so nicht (glücklich) leben. Aber ohne kann ich es scheinbar auch nicht, sonst würd ich es ja tun.

Ein weiser Spruch: Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber ich weiß, dass es anders werden muss, wenn es besser werden soll.
Fazit: Orientiere Dich um!
Das bedeutet in der Praxis: Male ein Bild. Aus!
Höre auf, bevor es fertig ist.
Erlebe die Fertigkeit in der Unfertigkeit.
Erlebe den Makel als Schönheit.
Erlebe Dich (vielleicht erstmals) in der Unvollkommenheit, ja, vielleicht sogar in der Niederlage.
Lasse die Unvollkommenheit als das fehlende Gl ied in der Kette Deines Lebensweges zu.

Es wird vielleicht weh tun, etwas nicht zu tun, was Du (gefühlt) eigentlich tun musst, um Dich gut zu fühlen. Aber erkenne genau an diesem Punkt die krasse Unnatürlichkeit dahinter: Lebendigkeit wäre steter Kampf gegen etwas oder für etwas.

Den Kampf zu beenden bedeutet, sich zu öffnen.

06.02.2023 19:19 • x 1 #11


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