
Valivale
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Wen ich besonders anprechen will ist Menschen mit generalisierter und spezifischer Angststörung und Depressionen.
Als Menschen mit psychischen Problemen werden wir oft darauf reduziert. Alles was man von sich gibt wird irgendwie in den Charakter interpretiert. Bestes Beispiel: ich traue mich mittlerweile gar nicht mehr zu sagen wenn es mir schlecht geht. Denn dann wird heruminterpretiert und in 2 Stunden hab ich 40 verpasste Anrufe von Leuten die sich ausgemalt haben was ich mir ja in so einer Situation alles antun könnte. Es hat natürlich etwas extrem Schönes, Leute zu haben die sich Sorgen um einen machen. Viele haben das nicht, und es ist trotzdem ein Zeichen von Loyalität. Ich will sich gar nicht auf diese Leute eingehen. Menschen tun was sie können. Ich will eher auf ein größeres, gesellschaftliches Problem eingehen.
Man kann nichts von sich geben, ohne dass das deinen Charakter in der Gesellschaft ändert. Alles hat Bedeutung für die Zukunft. Mir wird heute gesagt dass wenn ich jetzt nicht das Haus verlasse, das nie wird, und dann kann ich nicht für meinen Unterhalt aufkommen, und vereinsame, und sterbe einsam. Dabei. ist man halt einfach mal nicht rausgegangen.
Ich will hier niemanden demotivieren. Rausgehen hat was therapeutisches, und wir sollten alle mehr rausgehen. Ich hab Agoraohobie, draußen sein bringt mir Panikattacken, und selbst ich verstehe das. Wenn man aber einen Tag nicht kann, dann kann man einfach einen Tag nicht. Die Welt geht weiter, morgen ist sie schon ne ganz andere.
Man kann das Nihilismus nennen, oder dem alles mögliche zuschreiben. Aber es ist okay, seine Grenzen zu akzeptieren. Manchmal kann man eben nur so viel tun. Ich nenne das immer 'therapiebereit sein'. Ja, wenn ich mich für 4 Monate jeden Tag rausquäle, über jedes Limit, dann hab ich mich 4 Monate jeden Tag raugequält. Das verdient definitiv auch seinen Respekt. Aber das Problem ist dadurch nicht gelöst. Man muss sich in eine Lage bringen, in der man therapiebereit ist. Wenn der Körper müde und schlaff ist, heißt das nicht, dass er für immer müde und schlaff bleibt. Aber dem Körper geht es auch nicht besser, wenn man ihn zwingt, das zu tun, was gesellschaftlich akzeptiert ist.
Ich will hier anmerken, dass ich ein Mensch mit wenig Verantwortung bin. Was ich damit hauptsächlich meine ist dass ich keine Kinder habe. Dieser ganze Beitrag gilt auch für Eltern, aber vielleicht auf eine etwas andere Art und Weise.
Das wichtigste ist hier, den Moment abzufangen, in dem der Körper bereit ist. Aber es gibt auch nur einen Grund, warum dies so schwer ist: körperliches Ausruhen bei psychischen Krankheiten wird angesehen als Schwäche, als würde man einfach nicht probieren. Wenn man aber nicht mehr kann, dann kann man auch nicht mehr. Man begiebt sich also aktiv in eine Situation, in der um dich herum alle auf dich herunterschauen. Und das gibt einem ein Mindset, was es schwer macht, wieder rauszukommen. Denn allein in so einer Situation zu sein ist anstrengend, sowohl körperlich als auch psychisch. Das Auruhen ist nicht effektiv, sprich die Depression wird Stück für Stück immer schlimmer.
Würde man einfach mal akzeptieren, dass 'carpe diem' nicht alles ist, dass es okay ist, auch über längere Zeit nicht jeden Tag Therapie zu machen, dann würden wir das Signal viel besser verstehen. Dann wöllten wir auch raus. Und ja, das rausgehen ist schwer, es wird verdammt schwer. Und auch das können wir akzeptieren. Es ist nun mal schwer. Es ist nicht 'warum kann ich nicht wie andere Menschen?' sondern 'ich kann, obwohl es schwer ist'. Es ist 'ich habe extreme Angst, mein Körper reagiert extrem, und trotzdem überrasche ich mich ummer wieder' oder 'ich habe keine Energie und kein Interesse, bleibe aber beständig und trotz allem suche ich nach dem, was mich wirklich erfüllt'. Wir sind stark.
Ich kann zur Zeit nur schwer alleine Leben. Agoraphobie macht einem das recht schwer. Und doch heile ich am besten, wenn ich nicht diesen Druck hab. Und wo heile ich deswegen am besten? In meiner eigenen Wohnung, wo niemand jeden Schritt den ich mache kommentiert. Wo ich einfach sein kann. Wo meine psychische Krankheit nicht mehr ist als meine psychische Krankheit. Und so muss ich die Dinge halt selbst schaffen.
Wie gesagt, ich will niemanden schlechtreden. Wir kennen es einfach nicht anders. Überall sieht man Probleme, die nicht nur gelöst werden müssen, sondern spezifisch VON DIR gelöst werden müssen. Das treibt uns an, das macht uns zu Menschen. Nur darf man nicht vergessen, dass wir nun mal Menschen sind, und keine Probleme. Ich habe Probleme, die man lösen muss. Ich bin aber kein Problem. Ich bin krank und muss gesund werden. Punkt aus ende.
Und plötzlich habe ich auch ein ganz anderes Bild auf Emotionen. Ich habe in der ersten Hälfte des Jahres begonnen, Escitalopram zu nehmen. Ich hab hierzu auch im Forum ein ausführliches Tagebuch geführt. Sie haben geholfen, wo sie helfen mussten. Ich hatte einen Burnout und diese Tabletten haben mir diese Zeit sehr erleichtert. Ich persönlich bereue bis jetzt nicht, sie genommen zu haben, aber entgültig ist das nicht. Aber irgendwann. hatte ich diesen Effekt nicht mehr. Ich nahm sie also weiter. Ich merkte, wie mich die Tabletten immer weiter von meinen Emotionen entfernten. Aber das war auch gut, ich hatte weniger Traurigkeit, weniger Angst, weniger Tränen. Ich war einfach sehr stabil in meiner Stimmung. Diese Stimmung war absolute Lethargie. Und die ist natürlich besser als traurig sein, oder?
Spulen wir vor. Ich nehme seit einer Woche die Tabletten nicht mehr. Ich kann nicht viel sagen, aber ich weine wieder mehr. Anfangs dachte ich mir ach Gott, wieder das, diese sch. schon wieder. Aber jetzt genieße ich es. Denn weinen tut gut, auch wenn weinen als schwach angesehen wird. Bin ich halt schwach. Dafür fühle ich mich frei.
Was ich sagen will ist: wir sind mehr als unsere psychischen Probleme. Wir sind Menschen mit Bedürfnissen, Träumen, Gefühlen. Nicht alles was wir tun muss auf unsere Genesung abzielen. Wir können auch einfach existieren. Nur dürfen wir uns selber nicht verlieren. Wenn es sich gut anfühlt, viel zu schlafen, viel zu Hause zu sein, dann sollten wir das tun. Wenn das irgendwann aufhört, dann sollten wir weitermachen, rausgehen, mit der Therapie beginnen. Wir sind einfach alles nur Menschen.
Eine Sache schieb ich noch rein: ich bin nicht arbeitsfähig aktuell. Ich bin offiziell eine Last für das Steuersystem. Also, ich bekomme Dinge wie Kindergeld und Halbwaisenrente, aber das auch nur, weil ich eigentlich studiere und aktuell krankgeschrieben bin. Und ja, das ist schwer. Aber es ist nicht meine Schuld. Ich bleibe bei meinem Vergleich von psychischen und körperlichen Krankheiten. In beiden Fällen kommen oft ähnliche Symptome: Kurzatmigkeit, Kopfschmerzen und andere Schmerzen, Antriebslosigkeit, depressive Verstimmung, Lethargie, Schwäche, usw. Warum sollte also eine psychisch Kranke Person nicht dasselbe Recht haben? Niemand würde zu einer langfristig körperlich kranken Person hingehen und sagen sie soll sich einfach mal zusammenreißen und trotz der Symptome arbeiten gehen. Genauso wenig sollten wir uns das vorwerfen.
Zusammengefasst: man darf die Genesung nicht im Kontext der Gesellschaft sehen. Leute haben immer Meinungen, und bestenfalls unterscheiden sich diese Meinungen auch noch wie Tag und Nacht. Es ist extrem schwer, die ganzen Kommentare zu ignorieren und sich auf seine eigene Gesundheit zu fokussieren. Aber mal als Hilfestellung: psychische Krankheit ist einfach auch eine Krankheit. Sie muss geheilt werden, wie auch jede körperliche Krankheit. Die Behandlung ist verschieden, das stimmt. Aber der Fakt bleibt. Sobald Menschen Moral an deine Genesung hängen, oder deine Persönlichkeit deiner psychischen Krankheit gleichstellen, ist das einfach eine wertlose Meinung, hart wie es klingt.
Lasst euch einfach mal durchatmen. Alles wird letzt endlich gut, auf eure eigene Art und Weise.
11.08.2025 16:04 • • 18.08.2025 x 9 #1