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Ich hab mir über eine Sache sehr viele Gedanken gemacht in den letzten Tagen und will das einfach mal teilen.

Wen ich besonders anprechen will ist Menschen mit generalisierter und spezifischer Angststörung und Depressionen.

Als Menschen mit psychischen Problemen werden wir oft darauf reduziert. Alles was man von sich gibt wird irgendwie in den Charakter interpretiert. Bestes Beispiel: ich traue mich mittlerweile gar nicht mehr zu sagen wenn es mir schlecht geht. Denn dann wird heruminterpretiert und in 2 Stunden hab ich 40 verpasste Anrufe von Leuten die sich ausgemalt haben was ich mir ja in so einer Situation alles antun könnte. Es hat natürlich etwas extrem Schönes, Leute zu haben die sich Sorgen um einen machen. Viele haben das nicht, und es ist trotzdem ein Zeichen von Loyalität. Ich will sich gar nicht auf diese Leute eingehen. Menschen tun was sie können. Ich will eher auf ein größeres, gesellschaftliches Problem eingehen.

Man kann nichts von sich geben, ohne dass das deinen Charakter in der Gesellschaft ändert. Alles hat Bedeutung für die Zukunft. Mir wird heute gesagt dass wenn ich jetzt nicht das Haus verlasse, das nie wird, und dann kann ich nicht für meinen Unterhalt aufkommen, und vereinsame, und sterbe einsam. Dabei. ist man halt einfach mal nicht rausgegangen.

Ich will hier niemanden demotivieren. Rausgehen hat was therapeutisches, und wir sollten alle mehr rausgehen. Ich hab Agoraohobie, draußen sein bringt mir Panikattacken, und selbst ich verstehe das. Wenn man aber einen Tag nicht kann, dann kann man einfach einen Tag nicht. Die Welt geht weiter, morgen ist sie schon ne ganz andere.

Man kann das Nihilismus nennen, oder dem alles mögliche zuschreiben. Aber es ist okay, seine Grenzen zu akzeptieren. Manchmal kann man eben nur so viel tun. Ich nenne das immer 'therapiebereit sein'. Ja, wenn ich mich für 4 Monate jeden Tag rausquäle, über jedes Limit, dann hab ich mich 4 Monate jeden Tag raugequält. Das verdient definitiv auch seinen Respekt. Aber das Problem ist dadurch nicht gelöst. Man muss sich in eine Lage bringen, in der man therapiebereit ist. Wenn der Körper müde und schlaff ist, heißt das nicht, dass er für immer müde und schlaff bleibt. Aber dem Körper geht es auch nicht besser, wenn man ihn zwingt, das zu tun, was gesellschaftlich akzeptiert ist.

Ich will hier anmerken, dass ich ein Mensch mit wenig Verantwortung bin. Was ich damit hauptsächlich meine ist dass ich keine Kinder habe. Dieser ganze Beitrag gilt auch für Eltern, aber vielleicht auf eine etwas andere Art und Weise.

Das wichtigste ist hier, den Moment abzufangen, in dem der Körper bereit ist. Aber es gibt auch nur einen Grund, warum dies so schwer ist: körperliches Ausruhen bei psychischen Krankheiten wird angesehen als Schwäche, als würde man einfach nicht probieren. Wenn man aber nicht mehr kann, dann kann man auch nicht mehr. Man begiebt sich also aktiv in eine Situation, in der um dich herum alle auf dich herunterschauen. Und das gibt einem ein Mindset, was es schwer macht, wieder rauszukommen. Denn allein in so einer Situation zu sein ist anstrengend, sowohl körperlich als auch psychisch. Das Auruhen ist nicht effektiv, sprich die Depression wird Stück für Stück immer schlimmer.

Würde man einfach mal akzeptieren, dass 'carpe diem' nicht alles ist, dass es okay ist, auch über längere Zeit nicht jeden Tag Therapie zu machen, dann würden wir das Signal viel besser verstehen. Dann wöllten wir auch raus. Und ja, das rausgehen ist schwer, es wird verdammt schwer. Und auch das können wir akzeptieren. Es ist nun mal schwer. Es ist nicht 'warum kann ich nicht wie andere Menschen?' sondern 'ich kann, obwohl es schwer ist'. Es ist 'ich habe extreme Angst, mein Körper reagiert extrem, und trotzdem überrasche ich mich ummer wieder' oder 'ich habe keine Energie und kein Interesse, bleibe aber beständig und trotz allem suche ich nach dem, was mich wirklich erfüllt'. Wir sind stark.

Ich kann zur Zeit nur schwer alleine Leben. Agoraphobie macht einem das recht schwer. Und doch heile ich am besten, wenn ich nicht diesen Druck hab. Und wo heile ich deswegen am besten? In meiner eigenen Wohnung, wo niemand jeden Schritt den ich mache kommentiert. Wo ich einfach sein kann. Wo meine psychische Krankheit nicht mehr ist als meine psychische Krankheit. Und so muss ich die Dinge halt selbst schaffen.

Wie gesagt, ich will niemanden schlechtreden. Wir kennen es einfach nicht anders. Überall sieht man Probleme, die nicht nur gelöst werden müssen, sondern spezifisch VON DIR gelöst werden müssen. Das treibt uns an, das macht uns zu Menschen. Nur darf man nicht vergessen, dass wir nun mal Menschen sind, und keine Probleme. Ich habe Probleme, die man lösen muss. Ich bin aber kein Problem. Ich bin krank und muss gesund werden. Punkt aus ende.

Und plötzlich habe ich auch ein ganz anderes Bild auf Emotionen. Ich habe in der ersten Hälfte des Jahres begonnen, Escitalopram zu nehmen. Ich hab hierzu auch im Forum ein ausführliches Tagebuch geführt. Sie haben geholfen, wo sie helfen mussten. Ich hatte einen Burnout und diese Tabletten haben mir diese Zeit sehr erleichtert. Ich persönlich bereue bis jetzt nicht, sie genommen zu haben, aber entgültig ist das nicht. Aber irgendwann. hatte ich diesen Effekt nicht mehr. Ich nahm sie also weiter. Ich merkte, wie mich die Tabletten immer weiter von meinen Emotionen entfernten. Aber das war auch gut, ich hatte weniger Traurigkeit, weniger Angst, weniger Tränen. Ich war einfach sehr stabil in meiner Stimmung. Diese Stimmung war absolute Lethargie. Und die ist natürlich besser als traurig sein, oder?

Spulen wir vor. Ich nehme seit einer Woche die Tabletten nicht mehr. Ich kann nicht viel sagen, aber ich weine wieder mehr. Anfangs dachte ich mir ach Gott, wieder das, diese sch. schon wieder. Aber jetzt genieße ich es. Denn weinen tut gut, auch wenn weinen als schwach angesehen wird. Bin ich halt schwach. Dafür fühle ich mich frei.

Was ich sagen will ist: wir sind mehr als unsere psychischen Probleme. Wir sind Menschen mit Bedürfnissen, Träumen, Gefühlen. Nicht alles was wir tun muss auf unsere Genesung abzielen. Wir können auch einfach existieren. Nur dürfen wir uns selber nicht verlieren. Wenn es sich gut anfühlt, viel zu schlafen, viel zu Hause zu sein, dann sollten wir das tun. Wenn das irgendwann aufhört, dann sollten wir weitermachen, rausgehen, mit der Therapie beginnen. Wir sind einfach alles nur Menschen.

Eine Sache schieb ich noch rein: ich bin nicht arbeitsfähig aktuell. Ich bin offiziell eine Last für das Steuersystem. Also, ich bekomme Dinge wie Kindergeld und Halbwaisenrente, aber das auch nur, weil ich eigentlich studiere und aktuell krankgeschrieben bin. Und ja, das ist schwer. Aber es ist nicht meine Schuld. Ich bleibe bei meinem Vergleich von psychischen und körperlichen Krankheiten. In beiden Fällen kommen oft ähnliche Symptome: Kurzatmigkeit, Kopfschmerzen und andere Schmerzen, Antriebslosigkeit, depressive Verstimmung, Lethargie, Schwäche, usw. Warum sollte also eine psychisch Kranke Person nicht dasselbe Recht haben? Niemand würde zu einer langfristig körperlich kranken Person hingehen und sagen sie soll sich einfach mal zusammenreißen und trotz der Symptome arbeiten gehen. Genauso wenig sollten wir uns das vorwerfen.

Zusammengefasst: man darf die Genesung nicht im Kontext der Gesellschaft sehen. Leute haben immer Meinungen, und bestenfalls unterscheiden sich diese Meinungen auch noch wie Tag und Nacht. Es ist extrem schwer, die ganzen Kommentare zu ignorieren und sich auf seine eigene Gesundheit zu fokussieren. Aber mal als Hilfestellung: psychische Krankheit ist einfach auch eine Krankheit. Sie muss geheilt werden, wie auch jede körperliche Krankheit. Die Behandlung ist verschieden, das stimmt. Aber der Fakt bleibt. Sobald Menschen Moral an deine Genesung hängen, oder deine Persönlichkeit deiner psychischen Krankheit gleichstellen, ist das einfach eine wertlose Meinung, hart wie es klingt.

Lasst euch einfach mal durchatmen. Alles wird letzt endlich gut, auf eure eigene Art und Weise.

11.08.2025 16:04 • 18.08.2025 x 9 #1


20 Antworten ↓


Zitat von Valivale:
In meiner eigenen Wohnung, wo niemand jeden Schritt den ich mache kommentiert. Wo ich einfach sein kann. Wo meine psychische Krankheit nicht mehr ist als meine psychische Krankheit.

Ich brauche es auch zuhause zu sein, wenn es mir nicht gut geht.

Mein Bruder meint immer, ich müsste dann raus, raus, raus. Das ist seine Art mit Dingen umzugehen, immer aktiv sein, bloß nicht zur Ruhe kommen. Würde ich mit ihm etwas unternehmen, würde ich mich wie unter Beobachtung und dadurch unter Druck fühlen.

Aber mich setzt das unter Druck. Draußen muss man funktionieren. Aber zuhause kann ich in meinem eigenen Tempo vorgehen, mit der nötigen Ruhe und so dosiert rausgehen, wie es für mich nicht zu viel ist.

Zuhause bin ich nicht unter Beobachtung und keiner stellt Erwartungen an mich.

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Realistisches Heilen

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Kein Druck von außen ist auf jeden Fall enorm wichtig.

Ich bin allerdings der Meinung, dass ausruhen nur bis zu einem gewissen Grad hilft. Gut meisterbare Herausforderungen und auch körperliche Anstrengungen lassen einen wachsen, gesunden.

Das sollte im Idealfall intrinsisch motiviert sein und nicht von außen erzwungen.

Ich hatte auch ahoraphobische Ängste und habe mir meine Angstsituationen in gut schaffbare Challenges definiert und diese habe ich abgearbeitet bis ein normales Leben wieder möglich war.

Auch heute gibt es Situationen, die möchte ich vermeiden, habe mir aber mittlerweile ein dann auf jeden Fall durch!-Mind-set antrainiert und werde mental immer noch stärker, resilienter.

Mit ein Grund, dass ich mich mittlerweile als geheilt betrachte.

Zitat von Valivale:
Ich nenne das immer 'therapiebereit sein'. Ja, wenn ich mich für 4 Monate jeden Tag rausquäle, über jedes Limit, dann hab ich mich 4 Monate jeden Tag raugequält. Das verdient definitiv auch seinen Respekt. Aber das Problem ist dadurch nicht gelöst. Man muss sich in eine Lage bringen, in der man therapiebereit ist.

Es geht letztlich darum, die Therapie selbstbestimmt gestalten zu können.
Das ist - grade am Anfang - schwer, weil psychische Krankheiten einen meist erstmal wie ein Häufchen Elend irgendwo in der Ecke liegen lassen.
Da braucht es zunächst Hilfe von Aussen, also durch Therapeuten, Ärzte oder auch Mitmenschen die gleiches erlebt haben, aber auch durchaus durch Medikamente u. ä.

Aber dann heisst es: lerne dich und deine Krankheit so gut wie nur möglich kennen. Es gibt durchaus Standards für psychische Erkrankungen, aber letztlich ist jede psychische Krankheit so individuell wie der Mensch der sie hat und Therapeuten und Ärzte können uns nur die richtigen Werkzeuge in die Hand drücken. Den für uns richtigen Umgang damit müssen wir selbst lernen und uns selbst zum Experten für unsere Krankheit ausbilden.

Und genau dieser Expertenstatus - den jeder von uns früher oder später erlangt - wird leider (in der Regel aber unbeabsichtigt) mit jedem Das würde dir aber gut tun ..., Reiss dich doch mal zusammen! und Jetzt muss es aber auch mal gut sein! mit Füßen getreten.

Sich selbst mit seiner Krankheit auskennen und dementsprechend zu reagieren und zu leben ist eine große Stärke. Es wird von der Umwelt nur oft leider als Schwäche, Faulheit oder Ignoranz aufgefasst. Und lässt man diese Rückmeldung umkommentiert stehen und unreflektiert auf sich wirken, kann das dazu führen sich selbst wieder schwach, hilflos und unsicher zu fühlen.

Wer nichts tut, nichts wagt, nichts hinterfragt, sich nicht auch mal anstrengt und es sich allzu einfach macht wird nicht gesunden. Wer dagegen in blinden Aktionismus verfällt und sich womöglich von der Umwelt noch ein schlechtes Gewissen einreden lässt, der hat keine Energie mehr – weder für seine Heilung noch für das Leben selbst.

Das Leben mit der Krankheit und der Weg aus ihr raus müssen in Balance sein. Und die muss jeder selbst für sich festlegen.

@DrSeltsam Und genau dieser Expertenstatus - den jeder von uns früher oder später erlangt - wird leider (in der Regel aber unbeabsichtigt) mit jedem Das würde dir aber gut tun ..., Reiss dich doch mal zusammen! und Jetzt muss es aber auch mal gut sein! mit Füßen getreten volle Zustimmung. Heute rief mich ein kluger und gebildeter Freund an, war aber ständig am Aufmuntern. Irgendwie hat er noch nicht begriffen ,dass er jetzt mit einem ganz andern Menschen spricht. Hat zwar nicht die dummen Sprüche abgelassen, aber es war trotzdem anstrengend, so small zu talken. Habe gar keine Kraft dafür.

Zitat von Immaculatus:
aber es war trotzdem anstrengend, so small zu talken. Habe gar keine Kraft dafür.

Ja, absolut! Dass es sich dabei auch meist um Menschen handelt, die man liebt und die einem ja nur helfen wollen macht es oft umso schwieriger.

Bei einer sehr heftigen PA damals war mal ein guter Freund dabei:
Aber Du musst doch gar keine Angst haben! Sieh mal, es ist doch alles in Ordnung.
Als wäre man ein Schwachsinniger oder ein kleines Kind. Und das ist auch kein Wunder, denn jemand mit einer heftigen PA ist kein alltäglicher Anblick und wie soll jemand, der sich das Gefühl einfach nicht vorstellen kann auch sonst reagieren?

Eine Möglichkeit: lernen und akzeptieren, dass es dem anderen wirklich mies geht, er sich aber der ganze Problematik voll bewusst ist und keinen Vortrag über Sachen braucht, die jedes Schulkind weiss.
Ein aufmunterndes auf die Schulter klopfen, ein tut mir leid, dass es dir grade nicht gut ist oder auch ein ehrliches Interesse ohne Schulmeisterei bringen beide wieder auf eine Augenhöhe.

@Pauline333 der Meinung bin ich definitiv auch. Kleine, machbare Challenges, die einen genug stressen, dass ein Therapieeffekt da ist. Auch die ein oder andere Panikattacke schadet auf lange Sicht nicht. Allerdings funktioniert das bei mir nur, wenn ich ausgeschlafen bin, ich mich vorbereite etc. Das kann ich nur, wenn ich zu Hause bin. Ausruhen ohne weiteres ist natürlich falsch, aber ich glaube das ist allseits bekannt. Weniger bekannt ist, dass ausruhen hin und wieder auch mit dazugehört. Deswegen steht das auch so im Vordergrund in meinem Beitrag.

Wenn ich unter äußerem Druck stehe, mache ich meist gar nichts, da allein dieses 'beobachtet und bewertet werden' allein schon extrem stresst. Erst wenn ich mit meinem eigenen Rhythmus rangehen kann, mache ich die Fortschritte, die du erwähnt hast. Es geht ja auch darum, wieder eine Toleranz aufzubauen. Die ist bei Ausbruch einer Panikstörung und Agoraphobie irgendwo bei 1%. Stück für Stück kann man die immer weiter ausbauen. Was ich heute kann, ist nicht zu vergleichen mit dem, wss ich vor 3 Monaten konnte. Aber all diese Fortschritte habe ich gemacht, als ich allein war, und konnte sie dann nach und nach auch mit anderen nutzen.

@DrSeltsam ich stimme dir bei allem zu. In meiner Erfahrung ist es oft Ignoranz, auch Arroganz die mir zugesprochen wird. Dabei weiß ich mittlerweile (durch Selbsthilfe und Tipps von meinem Therapeuten), was mich überhaupt in die Situation gebracht hab. Man baut sich ja lediglich ein Leben auf, an dem man Freude hat und sich auch mal leicht und zufrieden fühlen kann. Ich weiß zwar noch nicht, was ich dafür machen soll, weiß aber definitiv einiges, das ich nicht machen sollte.

Es geht darum, für sich selbst einstehen zu können, ohne dabei Mitgefühl für die Nächsten zu verlieren. Als Beispiel: ganz am Anfang meines Ausbruchs entwickelte ich hypochondrische Tendenzen. Besonders wirkte sich das aufs Essen aus. Ich hatte extrem Angst vor einem anaphylaktischen Schock. Und so verlor ich ca. 8 Kilo. Stück für Stück erarbeitete ich mir das Essen wieder, und jetzt esse ich wieder so gut wie alles und bin wieder im Normalgewicht. Für mich ein riesen Fortschritt, für andere gar keiner. Später erarbeitete ich mir wieder das Haus, in dem ich wohne. Ich konnte nach einer Woche frei durch jeden Stock gehen. Auch hier dasselbe. Erst als ich durch die Vordertür gehen konnte, bemerkten andere, dass ich mir Mühe gebe. Und jetzt gehe ich immer wenn ich rausgehe (mindestens 3 Mal die Woche) ein Stückchen weiter, mit verschiedenen Aufgaben. Und wieder wird mir gesagt, ich hänge fest und gebe mir keine Mühe. Man muss selbst wissen, was für einen Erfolg ist, und was man kann und nicht. Und das sollte man sich auch nicht ausreden lassen.

@DrSeltsam ich denke, Vertrauen spielt da auch eine große Rolle. Viele Menschen denken, man spiele die Probleme nur vor. Warum irgendjemand eine Panikattacke vorspielen sollte, weiß ich bin heute nicht, aber naja.

Und selbst wenn Menschen einem glauben, kommt oft trotzdem eine leichte Skepsis durch. Vielleicht ist das auch einfach nur, weil das kein einfaches Thema ist. Das lässt sich nicht lösen mit Problem gefunden - Lösungsansatz gefunden - Problem gelöst. Man hält aber mit jeder Kraft daran fest, und wenn im Falle von psychischen Krankheiten dann auffällt, dass das Leben manchmal nicht so einfach ist, wird alles getan, um diese Regel aufrechtzuerhalten. Menschen machen das unterbewusst immer so. Auch ich mache das. Wenn man merkt, dass das Problem nicht mit einem mal lösbar ist, reagiert man gereizt, auch wenn man das gar nicht will. Und diese Gereiztheit zeigt sich entweder durch dumme Kommentare wie 'stell dich nicht so an' oder aber die typischen Floskeln. 'Es gibt keine Gefahr, du musst vor nichts Angst haben. Ich bin bei dir, falls was passiert, regel ich alles.'

Es geht darum, die perfekte Distanz aufzubauen, bei der man seinen Mitmenschen nicht den Rücken kehrt, sich aber auch nicht in Situationen bringt, bei denen man sich ständig rechtfertigen muss. Und dazu muss natürlich auch aktiv eine Therapie laufen. Es ist schwer, und man kann da gar nicht immer richtig liegen mit seiner Herangehensweise, denke ich. Aber das ist okay. Wir sind alle nur Menschen.

Zitat von Valivale:
Und selbst wenn Menschen einem glauben, kommt oft trotzdem eine leichte Skepsis durch. Vielleicht ist das auch einfach nur, weil das kein einfaches Thema ist.

Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn für Aussenstehende ist es schlicht nicht möglich sich vorzustellen, wie sich eine Angststörung anfühlt.
Selbst ich bin nicht in der Lage eine Panikattacke auf Kommando zu spüren. Ich weiss was dabei in mir vorgeht, ich könnte vielleicht auch eine provozieren wenn ich mir nur genug Mühe gebe. Aber mir das Gefühl vorstellen geht einfach nicht – wie soll dann jemand anderes das auch nur ansatzweise schaffen?
Man kann deswegen niemandem einen Vorwurf machen, aber das Problem ist dass der andere oft weiterhin mit seinem eigenen Maß misst. Das ist in etwa so, als würde ich einem Tauben vorschlagen das Radio ein bisschen lauter zu machen.
Und ja, es kommt dann mitunter auch etwas Ungeduld durch, weil der Kranke einfach nicht nach den normalen Regeln funktionieren will.

Ein weiterer Punkt der zur Skepsis beiträgt: Krankheiten wie generalisierte Angststörung oder Depression sind nicht sichtbar und nicht messbar. Ein Bein wenn es fehlt ist offensichtlich, beim Herzen kann die Leistung gemessen werden, ein Tumor ist ein Gegenstand der existiert ...
Je weniger sichtbar und begreifbar eine Krankheit ist, desto schwieriger ist es das Leid das sie verursacht glaubhaft zu vermitteln.

Zitat von Valivale:
Es geht darum, für sich selbst einstehen zu können, ohne dabei Mitgefühl für die Nächsten zu verlieren. Als Beispiel: ganz am Anfang meines Ausbruchs
[ ... ]
esse ich wieder so gut wie alles und bin wieder im Normalgewicht. Für mich ein riesen Fortschritt, für andere gar keiner.
Später erarbeitete ich mir wieder das Haus, in dem ich wohne. Ich konnte nach einer Woche frei durch jeden Stock gehen. Auch hier dasselbe. Erst als ich durch die Vordertür gehen konnte, bemerkten andere, dass ich mir Mühe gebe. Und jetzt gehe ich immer wenn ich rausgehe (mindestens 3 Mal die Woche) ein Stückchen weiter, mit verschiedenen Aufgaben. Und wieder wird mir gesagt, ich hänge fest und gebe mir keine Mühe. Man muss selbst wissen, was für einen Erfolg ist, und was man kann und nicht. Und das sollte man sich auch nicht ausreden lassen.

Ja, kann ich nachvollziehen. Und auch hier ist es das (natürliche) Unverständnis: kein Aussenstehender kann sich vorstellen, was Du dafür auf dich genommen und wieviel Kraft und Mut dich das gekostet hat. Und nur um etwas zu erreichen, was für andere ganz normal ist.
In der Therapie wurde uns immer wieder klar gemacht, dass gesunde Menschen das was wir zu unserer Heilung leisten gar nicht ohne weiteres schaffen würden. Wir tauchen ganz tief in unser Innerstes ein, reden mir Fremden Menschen ganz offen darüber, überwinden unsere Ängste, durchleben längst verschüttete Erinnerungen nochmal und lernen mehr über uns selbst als andere Menschen in ihrem ganzen Leben - das ist unheimlich anstrengend, auch körperlich.

Daher:
Zitat von Valivale:
Weniger bekannt ist, dass ausruhen hin und wieder auch mit dazugehört.

ist das ein ganz wichtiger Teil. Die Krankheit selbst ist schon anstrengend, aber die Therapie umso mehr.
Lass' dir deine Erfolge nicht nehmen.

Zitat von Valivale:
bei denen man sich ständig rechtfertigen muss

Dieses rechtfertigen ist schrecklich. Man ist so schon total am Ende und muss sich dann noch ständig verteidigen und rechtfertigen. Nur weil der andere nicht damit klar kommt, dass man krank ist. Aber es ist für einen selbst doch am schwersten damit klar zu kommen.

@Juli84 Man muss sich im Leben nicht rechtfertigen.

Zitat von Ferndorfer:
@Juli84 Man muss sich im Leben nicht rechtfertigen.

Man kommt trotzdem in so eine Situation.

@Ferndorfer mit solchen Ratschlägen tu ich mir halt auch immer schwer weil wir leben ja nicht im Vakuum. Solche Ratschläge ignorieren einfach dass wir alle Menschen sind. Ich meine, am meisten rechtfertigt man sich doch immer vor denen, die einen am meisten lieben. Mein Therapeut sagt auch immer ich soll mich nie rechtfertigen, und so hatte ich innerhalb einer Woche Streit mit ungefähr jedem der mir wichtig ist.

Auch unsere Mitmenschen leiden mit uns, und das ist das ganze Ding. Zwar gehen alle unterschiedlich damit um, und natürlich sollte man sich mit denen umgeben die einen auch ohne rechtfertigung verstehen, aber so einfach ist das nicht. Man muss halt hin und wieder erklären und naja, sich halt rechtfertigen. Es ist zwar anstrengend auf unserer Seite, aber überleg dir wie anstrengend das für den ist, der dir gegenüber sitzt?

Es geht halt ums gesunde Gespräch. Und da muss man sich manchmal rechtfertigen. Mit rechtfertigen meine ich im wahrsten Sinne des Wortes dass man sich das Recht fertigen muss. Sonst isoliert man sich ganz schnell.

Zitat von Valivale:
@Ferndorfer mit solchen Ratschlägen tu ich mir halt auch immer schwer weil wir leben ja nicht im Vakuum. Solche Ratschläge ignorieren einfach dass ...

Ja, genau. Das ist auch bei mir der Punkt. Der, der mich mit am meisten liebt und mit leidet, vor dem muss ich mich am meisten rechtfertigen. Das ist zwar auch unfair, aber wenn jemand anderes nicht gut mit der Erkrankung umgehen kann, dann kommt man leider doch in so eine Situation und quasi in die Bredouille. Dann bleibt einem oft auch nur mit demjenigen gar nicht über die Erkrankung zu reden.

Ich sag dazu nur, dass jeder, der an einer Angsterkrankung leidet, verdammt mutig ist.

Und dass das andere nicht verstehen - was solls.

Angsterkrankungen bekommt man nicht aus Spass und meistens bekommen das Menschen, die aus innerer Unsicherheit unheimlich viel im Griff haben wollen, dass eben irgendwann die Panik ausbricht.

Oder sie haben eine Schilddrüsenproblematik, oder sonstige Vitalstoff- Defizite, oder Hormonstörungen, oder eine erbliche Veranlagung oder, oder.

Unterm Strich bekommt man aber eine 2. Chance, wenn man sich therapeutisch mit sich auseinandersetzt, was Gesunde weniger tun werden. Insofern halte ich uns für sehr wertvoll, da extrem mutig und sehr selbstkritisch.

Und nun kann einem vielleicht durchaus gut gemeinte Ratschläge, aber leider mit Null Ahnung, naja, am Popo vorbei gehen.
Aber es ist doch anerkennenswert, dass andere meinen, sie wüssten........

Ich meine, andere mögen das alles ja durchaus nett meinen, hilft nur leider nicht, denn das ganze Problem sind wir selbst und können es auch nur selbst lösen - egal wie.

Und noch etwas : Man sollte dringend damit aufhören, sich klein, krank und unfähig.... blahblahblah .... zu fühlen.

Wir sind weit mehr als eine Angsterkrankung. Die ist zwar Mist, aber das ist jede Krankheit.

Insofern, nochmal, da es mir sehr wichtig ist: Andere denken, was sie denken. Und wir sind durchaus das, was wir selbst denken. Und hier sollte man ansetzen.

Zitat von Immaculatus:
@DrSeltsam Und genau dieser Expertenstatus - den jeder von uns früher oder später erlangt - wird leider (in der Regel aber unbeabsichtigt) mit jedem Das würde dir aber gut tun ..., Reiss dich doch mal zusammen! und Jetzt muss es aber auch mal gut sein! mit Füßen ...

Das kenne ich leider auch, habe eine gute Freundin seit vielen jahren die lebt aber eine ganze Stunde weiter weg, sie hatte mir so viel versprochen, sie meinte da sie nun jede Zweite Woche unter der Woche frei hat, wir mehr zusammen machen könnten, sie verplante einiges mit mir, aber es wurde dann nicht mehr erwähnt, da war spät Frühling, im Sommer wollte sie in ihren grossen Fehrien sich eine Woche ein paar Tage was mit mir unternehmen, am Ende meinte sie, sie fährt nie wieder zu jemanden, da immer nur sie zu den anderen Menschen fahren muss, dafür, die meissten leben in ihrer Umgebung, sie macht mir schon lange Vorwürffe, ich habe ihr nur gesagt, dass ich es verstehe, weil ich keine Lust hatte mich wieder recht zu fertigen. Sie hatte mich noch zu ihren Runden eingeladen,obwohl sie genau wusste wie schlimm das für mich ist und ich nicht kommen kann, dafür habe ich sie immer zum essen eingeladen wenn sie Geburtstag hatte, auch dieses mal, aber ich hatte ihr einen Gutschein dieses mal in ihrer Nähe geschenkt für zwei Personen an einem See, damit sie trozdem essen gehen kann, halt mit jemanden anderen und sie nicht darauf verzichten muss. Doch es verletzt mich dass sie meine Erkrankung so schlecht versteht.
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Im Grunde genommen würden sich die Leute Zeit nehmen oder sich treffen und dazu wohin fahren, wenn es ihnen nur wichtig genug wäre.

Wenn jemand Angst vor dem Auto fahren hätte, wäre es etwas anderes.

Ich denke, vielen Leuten ist man einfach nicht wichtig genug. Mit anderen treffen sie sich ja auch oder haben mehr bzw. intensiveren Kontakt.

@Elemente das hört sich richtig mies an. Ich hatte so was ähnliches auch in der Familie. Im Sinne ich muss immer zu dir fahren, das ist so nervig, und ich finde Zugfahren auch ätzend, also reiß dich zusammen etc. Es ist ja nicht mal dass es nervig ist. Ich würde jeden Tag meines Lebens Nervigkeit der Angst bevorzugen.

Da kann man leider gar nichts anderes machen als irgendwie was an der Beziehung ändern. Entweder ganz aufhören, miteinander zu kommunizieren, oder einfach den Kontankt einschränken oder anpassen.

Schuldgefühle sind das Gift Nr1 bei der Heilung von Agoraphobie. Es kann einem nur gut gehen wenn man einfach akzeptiert dass man an nichts schuld ist. Deswegen: viele Menschen bedeuten uns viel, aber in Extremsituationen zeigt sich oft doch ein ganz anderes Gesicht. Und daran darf man nicht festhalten.

Ich will hier keine Partei übernehmen, aber ich will dir sagen: du hast nichts falsch gemacht! Du bist eine gute Person und obwohl du gerade krank bist, räumst du immer für andere ein und schaust, dass es auch ihnen gut geht. Auch wenn es nicht immer ankommt (und es kommt oft nicht an), bist du stark und ein lieber Mensch. Lass dir da von anderen nichts einreden. Ich versteh dich zu 100%. Du bist mit dem ganzen sch. nicht alleine.

@Valivale

Vielen lieben Dank für deine Worte, das tut gerade gut, es ist wirklich schwer Menschen zu finden die einen Verstehen, ich glaube sie können es nicht nachfühlen, oder denken sich, ich habe ja auch Probleme oder mir gehts auch nicht immer gut, und natürlich ist das so. Bei mir fehlt ja nicht der Wille an sich, sondern es geht oder funktioniert nicht, obwohl ich manches auch gerne machen würde, ich verzichte auf bestimme Dinge und habe mich selber so eingerichtet dass es mir damit gut geht, ich versuche auch immer mal wieder etwas und probiere es aus. Der Druck der Gesellschaft und auch der arbeitende Gesellschaft ist manch mal schwer zu ertragen.

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