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Tachchen!
Ich muss doch grad mal von einem netten Weihnachtsgeschenk berichten, das ich mir selbst gemacht habe (bzw. zu dem ich meinen inneren Schweinehund genötigt habe).

Ich bin doch tatsächlich halbwegs freiwillig in ein Flugzeug gestiegen - und es hat mich bereitwillig 700 km weiter wieder abgesetzt!

Dies soll keine Anleitung zum Genau-so-nachmachen für alle Flugängstler sein. Ich habe in erster Linie Angst vor der Höhe und vor dem Ausgeliefert-sein, vor dem Nichts-ändern-können während des Fluges.
Ich habe keine Angst vor eventuellem Absturz, Turbulenzen, Entführungen oder sowas. Ich FÜRCHTE mich nicht vor irgendwas (bewusst), ich habe ANGST (unbewusst).

Zu meiner Vorgeschichte will ich mal sagen, dass ich 2003/04 eine für meine Verhältnisse erfolgreiche Konfrontationstherapie vor allem gegen meine Höhenangst absolviert habe. Nach dieser spannenden Grenzerfahrung (die ich nicht missen möchte und gewissermaßen auch gesunden Menschen irgendwie mal wünsche) wurde es sukzessive besser mit meinen ganzen kleinen Ängsten. ICE-fahren, Angstgedanken (Hilfe, die Sonne geht unter und ich kann nix dagegen tun!), hohe Berge und natürlich Höhe, Hochhäuser usw. - ich habe gute Instrumente gelernt, die Angst zu akzeptieren und es war ein langer Weg dahin.


Und ich hatte meinen Frieden damit gefunden, halt nie zu fliegen.


Wozu auch? Fliegen in den Urlaub? Blödsinn, ich kenn ja meine Heimat noch nicht mal richtig!
Aber da wusste ich noch nicht, dass meine Band, die wir 2001 dummerweise gegründet hatten, im Jahr 2008 eine gewisse europaweite Relevanz erlangen könnte und wir von Menschen gebucht würden, die weit außerhalb eines zu Lande erreichbaren Radius' leben... Mist!

Und nachdem ich mir im Mai einen wohl legendären Gig in Riga dank Flugangst entgehen ließ und mir seither mächtig in den Ar. biss - war die Entscheidung gefallen: Das nächste Mal fliege ich mit, und wenn ich mir vorher unerhört einen reinhauen muss, damit ich im Stocksuff mitfliege!

Und so wurde also Wien gebucht. Per Flieger ab Berlin.

Ökologisch riesiger schei., aber als Übungsflug musste ich mal drüber wegsehen.
Meine im Nachhinein erfolgreichen Vorbereitungen sahen wie folgt aus:
- 1 Fläschchen Bachblüten Rescue-Tropfen (wirken Wunder! Und das bei mir notorischem Skeptiker!)
- 1 Mutter mit Fachkenntnis in Klassischer Homöopathie, die im Voraus für die offensichtlich richtigen Kügelchen sorgte, die ich 1 Stunde vor Abflug verspeiste.
- 1 iPod mit einem absurden Track zur Progressiven Muskelrelaxation bestückt. Wirkt beruhigend (auf dem Rückflug einschläfernd). Nützt leider beim Start nix, da darf man die Dinge ja nicht einschalten.
- UND, das A O glaub ich: 1 Schlafbrille! Für einen Höhenängstler wie mich eine wunderbare Erfindung und vermutlich ausschlaggebender Faktor für meine unerwartete Ruhe während des Starts.

Hilfreich war ferner, sich per YouTube mit der Flugzeugsituationen und mit TakeOffs im Speziellen vertraut zu machen, so dass ich ungefähr wusste, was mich erwartet, wenn ich aus dem Fenster schaue(n würde).
Und KEIN Alk.. Hatte zu große Befürchtung, dass das nur kontraproduktiv wirken könnte, weiß ich ja nicht, wie das Zeug unter anderen Druckverhältnissen knallt.

Joah, und dann war's soweit: Natürlich hab ich mir wochenlang vorher gut in die Hose gemacht (nicht wirklich), schlafen konnte ich aber noch gut. Die Fahrt zum Flughafen war ich verdammt aufgeregt, weil ich ja auch nicht wusste, was mich in dieser fliegenden Röhre erwarten würde (Angst vor der Angst).
Tja, und als ich dann endlich in diesem unbekannten Ding und mir die Schlafbrille auf den Augen saß, war ich plötzlich ganz ruhig. Dann die Fahrt übers Rollfeld, die entspannt lachenden Bandkollegen im Ohr, und dann die gelangweilte Durchsage des Captains...:

TakeOff...

Eigentlich hätte ich mir doch spätestens jetzt einen miesen Angstschub verdient, dachte ich... aber nix! Der gelernte Gedanke kam mir, von dem ich inzwischen so überzeugt bin: Angst, Du Teil von mir, wo bist Du denn? Komm her, ich sitze hier und kann nicht weg! Und wo bist Du? Passieren kann mir eh nix, ein paar Schweißausbrüche, Herzklopfen, komische Stiche in der Brustgegend, flache Atmung - So what? Also wo bist Du jetzt, Angst?

Und während ich noch so auf Kollegin Angst wartete, knetete mich schon die Ingengieurskunst ganzer Generationen von Flugzeugbauern mit vollem Schub in den speckigen Kunstledersitz. Und ich konnte mir bildlich vorstellen, wie Frau Angst draußen auf dem Rollfeld hechelnd den Anschluss suchte.
Als sich meine Aufmerksamkeit nach den ganzen interessanten neuen Gravitationserfahrungen schließlich ein neues Betätigungsfeld suchen wollte, erleichterte ich ihr dies mit der Lüftung meiner Schlafbrille in 8km Reisehöhe.


Eine perverse Höhe, die in dem sich mein 28-jähriger Körper noch nie zuvor befunden hatte.


Und doch siegte wieder die Neugier über die Angst (die vermutlich einen Flug später nahm) und der Blick aus dem Fenster bestätigte die famose Richtigkeit der Entscheidung.

Ja, und dann ging's auch schon wieder abwärts. Für einen Höhenängstler ja sowieso wie der leckere Nachtisch nach einem ekligen Essen. Die Turbulenzen, in die die kleine Maschine geriet, waren kein Problem, eher aufregend im positiven Sinne, und die Landung von Captain Känguruh geriet ebenfalls durchaus interessant.

Das Gefühl am Boden war unbeschreiblich: Ich war wirklich geflogen! Ich war innerhalb von einer Stunde von Berlin nach Wien gelangt! Ein Wurmloch, ein Riss im Raumzeit-Kontinuum... ungeheuerlich! Wahnsinn! Ein semiphilosophisches Gedankengewölle über die unfassbaren Errungenschaften des technischen Fortschritts beendete schließlich den an dieser Stelle interessanten Teil meines vorgestrigen Tages...

Ich kann jedem Höhenängstler oder zittrigen ICE-Passagier, der den Erstflug scheut, an dieser Stelle nur die Worte meines Psychotherapeuten ans Herz legen, den ich vor einigen Wochen anlässlich dieses Fluges nach fünf Jahren mal wieder konsultierte und um ein paar vorbereitende Stunden bat:

Fliegen Sie einfach!

...und negierte die Notwendigkeit weiterer vorbereitender Treffen.
Einfach... - Gut, der Mann hat keine Ahnung, was er da sagt, dachte ich mir zu dem Zeitpunkt.
Jetzt weiß ich es besser.

Vielleicht hilft's ja wem hier. Allen anderen wünsche ich eine angst- und stressfreie Weihnachtszeit und einen kampfunfähigen Schweinehund.

Gruß Kuss
Hatti

22.12.2008 19:27 • 24.12.2008 #1


2 Antworten ↓


Herrlich

Danke

Liebe Grüße
bollywood

Huhu,

das hört sich ja toll an....

Ich bin in Deiner Geschichte noch am Anfang....ich möchte auch gerne mal wieder fliegen, aber trau mich nicht - eben nicht wegen Absturz oder so sondern weil ich da nicht weg kann, kein Arzt in der Nähe, kein Krankenhaus etc......

Super hast Du das gemacht...

Lg
gabi




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