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Guten Tag,

heute habe ich mich entschieden, mich hier anzumelden, in der Hoffnung, andere zu finden, mit denen zusammen ich meine Einsamkeit überwinden kann.

Viel Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit schlägt mir hier entgegen, was ich gut verstehen kann, denn auch ich kämpfe mein Leben lang - und mit bald 63 Jahren, die ich auf dem Buckel habe, ist das schon recht lang - gegen meine Einsamkeit an, ohne dass ich sie hätte jemals wirklich überwinden können.

Trotzdem gibt es in mir immer noch eine Quelle der Hoffnung, die mir die Sicherheit gibt, dass es sich weiterhin zu kämpfen lohnt.

Ich werde mich also wieder einmal in den Kampf stürzen und strampeln - wie der Frosch, der in die Milch gefallen ist und sich nur retten konnte, weil er aus der Milch Butter durch seine Strampelei Butter machen konnte.

Mal wieder beginne ich damit, mich 90 Tage lang auf Ziele zuzubewegen, die ich ganz alleine für mich erreichen kann und mir das Mantra Ich bin nun bereit, mich zu akzeptieren, wie ich bin 300 Mal vorzusagen.
Also - ich hab mir mal wieder Doris Wolffs Einsamkeitsbuch herausgeholt und bin entschlossen, den vorgeschlagenen Weg zu gehen.

Dass es dieses Mal klappen könnte ist nicht ausgeschlossen, schließlich habe ich auch nach 40 Jahren mit dem Rauchen aufgehört auf eine ganz sachte und langsame Art.

Hier möchte ich darüber schreiben, weil ich das als ersten Schritt in die Öffentlichkeit raus aus meinem Schneckenhaus sehe, wenn mir auch klar ist, dass das nur ein sehr winzigkleiner ist und die Einsamkeit im wirklichen Leben zunächst trotzdem bestehen bleibt.

Aber vielleicht gibt es wirklich die Möglichkeit, in kleinen Schritten dieses Gefängnis zu verlassen. Ich mache die Tür also einen winzigen Spalt auf.

Einsam bin ich in einer kleinen 2-Zimmerwohnung mit einem phantastischen Blick auf die Bergkette und den Flughafen gegenüber und über große Felder und kleine Wälder, die das weite Hügelland vor mir bedecken.

Hier in der Wohnung herrscht Chaos, wie immer wenn ich jeden Kontakt zu Außenwelt verloren habe: Berge ungebügelter Wäsche türmen sich, der Teppich ist seit Tagen nicht mehr gesaugt, die Coach vor dem Fernsehen zerwühlt, weil ich seit Tagen die Nächte darauf verbringe und nach schlechtem Schlaf mit Kreuszschmerzen aufwache.

Ich habe Ferien - seit fast 4 Wochen und quäle mich damit, wie ein Tiger im Käfig zu Hause herumzuliegen, zu rennen, zu wühlen. Der Urlaub, die ich mit Bekannten geplant habe, sagte ich unter dem Vorwand, krank zu sein, ab, weil ich einen Horror davor hatte, mit den andern zusammen zu sein, mich nicht durchsetzen zu können, an den gemeinsamen Unternehmungen nicht teilnehmen zu können, weil meine Arthroseschmerzen das verhindern könnten.

Das ist meine Ausgangslage - schlimmer kann es eigentlich nicht werden, und das trotz jahrelanger Therapien, trotz unendlich vieler Versuche, mein Käfig zu verlassen.

Ich will diesen Faden nicht zum Jammern benutzen, will beschreiben, Bilanz ziehen, Auswege suchen.

Über Eure Beiträge zu diesem Faden freue ich mich.

Was ich nicht brauchen kann sind defätistische Beiträge nach dem Motto: Wusste ich, dass das nicht klappt oder wegen dem kleinen Minierfolg freust du dichß das solleinen Ausweg darstellen?
Ja, ich würde mich über ermutigende Beiträge freuen, denn die kann ich brauchen.

So, nun werde ich mich also in den ersten der 90 Tage des Selbstversuches stürzen und heute Abend Bilanz ziehen - hier.

Walküre

22.08.2012 09:54 • 25.08.2012 #1


6 Antworten ↓


S
Schöner Name, den du dir da ausgesucht hast!
Eine Kämpferin, die ihr Leben nun meistern will.

Was macht dich denn eigentlich einsam? Was möchtest du gerne ändern? Was vermisst du, was du gerne mit anderen gemeinsam machen würdest?

Du tippst von einer Wohnung, die seit ein paar Tagen leichtes Chaos aufweist. Bei vielen hier sind es nicht nur ein paar Tage. Bei mir ist es schon sehr lange so. Ich habe seit ich ausgezogen bin einfach viel weniger Platz als bei meinen Eltern.

Ich möchte es auch schaffen, in kleinen Schritten aus der Unordnung heraus und in ein geregelteres Leben zu kommen.
Und freue mich, dann von deinen kleinen und größeren Fortschritten zu lesen.

22.08.2012 12:40 • #2


A


Die Hoffnung stirbt zuletzt . und treibt mich immer weiter

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W
Zitat von Sommerbluete:
Schöner Name, den du dir da ausgesucht hast!
Eine Kämpferin, die ihr Leben nun meistern will.

Tja, leider ist Nomen nicht immer Omen - oder doch?

Was macht dich denn eigentlich einsam?

Das ist ganz einfach zu beantworten: Meine Menschenangst (die mir Leute, die mich nicht näher kennen, sicher nicht glauben würden), mein angeschlagenes Selbstvertrauen (schon sehr lange angeschlagen - natürlich), meine Minderwertigkeitsgefühle (die ich gut verstecken kann) - das reicht ja schon mal - wenn ich lange suchen würde, fände ich sicher noch Weiteres.

Was möchtest du gerne ändern?

Davon später.

Was vermisst du, was du gerne mit anderen gemeinsam machen würdest?
Oh, Vieles - Verreisen z.B., aber ohne meine Angst vor Berührung und meine riesengroße Sehnsucht danach. Inzwischen meine ich mit Berührung eher geistige Berührung - Austausch, der mich begeistert, zum Nachdenken bringt, mir Lebendigkeit, Schalk, vermittelt, geistreich ist...

Und freue mich, dann von deinen kleinen und größeren Fortschritten zu lesen.

Schön - freut mich auch.

Immerhin ...habe ich es geschafft, mit mir einen schönen Abend zu verbringen - mit gutem Essen, das ich mir eigens gekocht habe, einem köstlichen Apèritiv auf dem Balkon in der Abendkühle genossen - in sauberer Küche und sauberem Wohnesszimmer.


...konnte ich einige wichtige Dinge erledigen, weil sofort Hand angelegt.

...habe ich heute (wider Erwarten) die Angst vor einer Woche Ferien mit mir alleine verloren, weil ich mich nicht mehr unter Druck setze, einen optimalen Kurzurlaub zu organisieren, sondern mich treiben lassen werde - nach Frankreich und an die Mosel.

Noch - schäme ich mich, allein zu sein, niemand zu haben, der mit mir seine Zeit verbringen möchte.

Dabei erinnere ich mich an Margret Mead, die schreibt, dass eines der ältesten menschlichen Bedürfnisse ist ... , jemanden zu haben, der sich fragt, wo man nur bleibt, wenn man in der Nacht nicht heimkommt.

Außer narzistischen Bekannten, die mir von ihrem grandiosen Erleben berichten möchten, rief niemand an.( Ich werde also trotz meiner Angst vor Ablehnung selbst anrufen müssen.

Übrigens- so sehr ich mich nach gutem Kontakt sehne, so sehr genieße ich auch das Alleinsein - aber eben nicht immer und nicht dann, wenn ich keine Alternative habe.

Wlalüre

22.08.2012 23:39 • #3


S
Das ist doch sehr schön, was du alles geschafft hast.

Ich halte dich für so tiefsinnig, dass ich unbedingt der Meinung bin, dass du dir den Namen mit Sinn und Überlegung gegeben hast.

Scham ist das letzte Gefühl, dass man in Bezug auf Einsamkeit entwickeln sollte. Warum denn das überhaupt? Einsamkeit wertet einen ja nicht ab. Nur weil man grad keine Leute kennt, die gut zu einem passen, ist man doch nicht weniger Wert als Leute mit einem Haufen Bekannten. Es passt halt nicht immer und gerade besondere Puzzleteile finden nun mal nicht so leicht Gegenstücke. Und mit einem Teil, das mit einem Hammer in die Verbindungsstellen gekloppt werden müsste, wollen wir uns doch auch nicht abgeben, oder? - Wir brauchen schon leute, die uns gemäß sind.
Also, wenn man Zeit hat, viel unter Leute gehen. Das werde auch ich tun und mir Zeit dafür nehmen.

Genieß deinen Urlaub dann und denke immer daran, wenn du jemanden vermissen solltest, dass Gemeinschaft auch immer Kompromisse erfordert, und du aber nun frei entscheiden kannst. Es kann mit niemandem Zoff entstehen, was ja so leicht passiert, wenn man nah beieinander ist und kleine Eigentümlichkeiten anfangen zu nerven.

Du tippst ja, dass du auch zuweilen gerne allein bist. Das ist eine sehr gute Voraussetzung. Denn wenn du dich nicht an jeden Strohhalm einer Bekanntschaft klammern möchtest, bleibst du offen für die Leute, die wirklich etwas für dich sind.

Berührung, Austausch, wovor hast du da Bedenken?

Ich bin sehr stolz auf dich, dass du es geschafft hast, Ordnung zu machen. Ich bin da leider nicht weitergekommen, habe nach der Arbeit nur im Netz gelesen und getippt.
Die Sachen in meinem Schlafzimmer liegen da seit ein paar Tagen herum und es wird mehr, Kleidung, Schreibzeug, Bücher, Hefte, Ordner, Bastelkram. Ich hoffe, ich schaffe es noch, das heute Nacht wegzuräumen und ein oder zwei Waschmaschinenladungen zu waschen.

23.08.2012 00:36 • #4


W
Danke für deine Antwort.

Ja, der Name ist mit Bedacht gewählt, aber manchmal kommt mir der Kampfgeist abhanden und ich verharre in meiner Wohnung in einer Art Starre.

Nicht geht mehr und ich werde überwältigt von meiner Einsamkeit. Dann sinne ich über mögliche Diagnosen nach und es fällt mir Unschönes ein.

Ein ganz schrecklicher Tag voller Untätigkeit.

Werde mir morgen etwas einfallen lassen, um die Tür meines Gefängnisses von innen zu öffenen.

24.08.2012 00:58 • #5


S
Was vermisst du?

24.08.2012 18:18 • #6


K
Hallo Walküre, ich finde ganz Klasse das Du die Hoffnung nicht aufgibst!

Ich war auch über 20 Jahre sehr einsam und habe es in kleinen und großen Schritten heraus geschafft. Ging über Jahre....
Du findest bestimmt auch hinaus weil Du es willst und die Hoffnung nicht aufgibst....

Das mit der Unordnung in der Wohnung kenne ich auch. Seit ein paar Monaten arbeite ich daran, auch in kleinen und großen Schritten und es sieht schon viel besser aus. Ein Zimmer sah ganz schlimm aus, mein Freund hat mir dabei geholfen. Ich habe ihn vor acht Monaten kennen gelernt, ist meine erste Beziehung und ich bin 46. Zu dem Bereich hatte ich auch manches Mal die Hoffnung beinnahe aufgegeben, aber plötzlich....
Ich habe wenige sehr gute Freunde und Menschen denen ich alles sagen kann. Die mich so annehmen wie ich bin. Das habe ich früher gar nicht gekannt.

Ich bin viel alleine, ich brauche das auch. Da ich zur Zeit sehr wenig Geld habe kann ich auch nur etwas unternehmen was nichts oder wenig kostet.
Der christliche Glaube war mir über 20 Jahre ganz fern und für mich ist es ein Geschenk ihn wieder gefunden zu haben. Dadurch hab ich auch öfter Menschen kennen gelernt die mir heute nah stehen. Ich liebe auch Bücher sehr und gehe gerne mit einem Buch in ein Café und lese oder schreibe dort etwas. Vor zwei Jahren hab ich mir zwei kleine Vögel gekauft und die bringen auch Leben in die Wohnung und machen mir viel Freude.

Bei dem Weg aus der Einsamkeit bzw zum ändern meines Lebens hatte ich auch sehr gute therapeutische Hilfe. Besonders in einer psychosomatischen Klinik hab ich sehr viel gelernt und auch z.B. Kreativität entdeckt.

Alles Gute wünscht Dir herzlich kerze

25.08.2012 15:58 • #7





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