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F
wer einsam sein will - und das wollen wir hier alle: sonst wären wir es ja nicht - muss sich erstmal drüber klar werden, was das ist.
Allein Sein beschreibt es nämlich nicht. Einsamkeit heißt für mein Verständnis:
Unberührbar zu sein für andere und gefangen in sich selbst.
Das gelingt, wenn man es richtig anstellt mitten unter Menschen - ja je größer das Getümmel desto einfacher.

Was braucht es also, um unberührbar zu werden?
- du mußt unberührbar WIRKEN. und das ist gar nicht so schwer:
schau niemanden direkt an. richte den Blick am besten auf den Boden. Trage eine kalte abweisende Miene. Notfalls geht auch tragisch, leidend. Lächle auf keinen Fall. Bei all dem am besten noch den Eindruck arroganter Souveränität hinterlassen - das geht indem man intellektuell reagiert, wo Emotionen gefordert wären.
Innerhalb kurzer Zeit wird kaum noch jemand wagen dich anzusprechen.

- Für die wenigen Menschen, die sich völlig grundlos eine Bresche durch diese Dornenhecke schlagen wollen: Ignoriere alles was auf dich direkt reagiert. Lenke es um deine Person herum. Rationalisiere am besten, wenn du den Eindruck von unvermittelter Freundlichkeit hast. Sage dir und anderen, dass das gar nichts mit dir als Person zu tun hat, sondern nur dem Kontaktbedürfnis des Heckenschützen entspringt.
Reagiere nicht auf Ansprache, schon gar nicht auf angelächelt werden. Wirst du nach deinem Wohlbefinden gefragt, seufze tief, mache düstere Andeutungen - aber unter keinen Umständen frage zurück, bevor du nicht klargestellt hast, dass dein Leid unheilbar ist und alles was vom anderen kommt im Vergleich dazu völlig unerheblich.


- Manchmal lassen sich auch für den Profi Kontakte nicht ganz vermeiden. Eine gute Möglichkeit besteht darin, sich mit Leuten zu umgeben, die möglichst große Probleme mit sich herumschleifen. Tu so als würde dich das brennend interessieren. Höre zu, gib gute Ratschläge. Der Trick besteht darin: Du wirst dich weiterhin - auch mitten im Gespräch mit diesen Kandidaten völlig einsam fühlen können, solange du es aufmerksam vermeidest irgendetwas von dir selbst preiszugeben. Gleichzeitig wird die Phalanx problemgebeugter Pseudofreunde jeden unmittelbar an dir selbst Interessierten zuverlässig auf Abstand halten.

wie stellt man es an sich in sich selbst gefangen zu setzen?

- Suche dir ein paar Hobbies, die auf keinen Fall einen lebenden Menschen interessieren und berichte ausgiebig davon, wenn jemand durchaus nicht ablassen will. Computerthemen eignen sich hervorragend. Extremsportarten auch, wenn es keine Mannschaftsspiele sind. Triatlon würd ich vorschlagen.

- Unternimm auf keinen Fall etwas, das einfach nur Spaß macht. Wenn so etwas beobachtet wird, wirst du die Eindringlinge kaum noch los. Singe nicht - oder wenn dann nur düster. Auf keinen Fall Tanzen. Wenn du schon reden mußt, dann rede über Probleme.

- mache von zeit zu zeit versuche aus deiner Einsamkeit auszubrechen. Achte dabei aber peinlich darauf, dich völlig zu überfordern. Wenn also dein größter Horror ein Fetenbesuch ist, veranstalte ein Fest mit mindestens 10 Menschen, die dich überhaupt nicht interessieren. Am besten Menschen die sich auch untereinander nicht kennen. Wähle Musik aus, die keiner mag. Irgendwas schwermütiges oder peinliches. Gib dir aber bei alldem schreckliche Mühe, scheue nicht Zeit und nicht Kosten. Das wird dich selbst auf lange Zeit daran hindern ernsthaft in Kontakt mit irgendjemand treten zu wollen - so hältst du deine Sehnsucht in Schach.

und für die Ignoranten, die jetzt fragen, wozu sie das denn machen sollen: die unabweisbaren Vorteile der Einsamkeit
- Einsamkeit ist jederzeit verfügbares Leid - man braucht keinerlei lästige äußere Anläße.
- Einsamkeit ist risikolos. Es passiert nichts, was du nicht schon kennst. Du hast alles selbst unter Kontrolle
- Einsamkeit ist der Nordpol, von dem aus es nur nach Süden gehen KANN. Bist du erstmal einen Schritt gelaufen, ändert sich das sofort. - also Vorsicht, immer schön stehen bleiben
- Einsamkeit ist eine Form der Freiheit, die keinerlei Verantwortung erfordert oder gar erzwingt
- Einsamkeit verleiht Bedeutsamkeit und Würde
- Einsamkeit erfordert keinerlei Entscheidungen - sie kommt von alleine, wenn man einfach aufhört zu handeln
- Einsamkeit ist anspruchslos in der Pflege
- Einsamkeit verhindert unangenehme Bilder von sich selbst durch andere aufgedrängt zu bekommen.
- Einsamkeit wird bedauert. Menschen versuchen Trost zu spenden. Wenn man weiß wie man sich untröstlich macht, kann man andere damit beherrschen






nein - im Ernst - ich finde es nicht lustig. Trotzdem denke ich dass man Einsamkeit herstellt und nicht einfach als Schicksal erlebt. Und wenn ich weiß, was ich dafür tue einsam zu sein, kann ich vielleicht anders entscheiden, anderes ausprobieren.
Und kenne ich die Vorteile der Einsamkeit, kann ich mir überlegen, wie ich die Wünsche, die sich dahinter verbergen anders erfüllen kann, oder?

Vielleicht habt ihr ja noch ein paar bessere Tricks auf Lager? Wahrscheinlich überseh ich gerade die, die für mich am besten funktionieren - sonst würden sie ja nicht funktionieren.
Ich fände es interessant, vielleicht auch lustig? (ja ich weiß, wir dürfen keinen Spaß haben - aber hier sind wir ja unter uns...) zu hören wie ihr das macht: Einsam sein.

Ich habe mal ne Kontaktanzeige gelesen, die fand ich wirklich lustig (und das ist echt schwierig: lustige Kontaktanzeigen...) die ging so:
Einsamer sucht Einsame zum einsamen. Die ist doch wenigstens ehrlich, oder? (Nein, es geht nicht um Sex....)

10.11.2007 19:47 • 22.06.2016 x 1 #1


7 Antworten ↓


T
Hallo flojoflo

wie wahr, wie wahr. Deine Anleitung zur Einsamkeit trifft den Nagel auf den Kopf. Mehr in dieser Art gibt es hier
http://www.psychotipps.com/glueck-saboteure.html

Grüße Tobi

10.11.2007 20:05 • #2


A


Anleitung zum Einsam Sein

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D
Guter Beitrag, da findet man sich in vielen Punkten wieder. Da sieht man mal wie man sich verhält ohne das einem das Ergebnis bewusst ist. Vieleicht sollte ich mal probieren offen zu werden und auf Leute mehr eingehen.

11.11.2007 12:58 • #3


F
hi downtown,
kleines experiment für den start:
schau beim vorbeilaufen immer mal wieder auf dein spiegelbild in einer fensterscheibe - wenn du da einen düsteren unfreundlichen faltenzerfurchten Sorgenschrat erblickst (das geht mir nämlich immer so - je unvorbereiteter desto schlimmer) - dann versuche die Muskeln zu lokalisieren, die diesen Krampf verursachen.
Man kann das wirklich im Körper lokalisieren, sogar das Hirn läßt sich entspannen... Na und dann probier mal alle diese verspannungen zu lösen.

So... Geschafft? Jetzt gehst du in eine Bäckerei und kaufst dir ein Brötchen. Schau der Verkäuferin direkt in die Augen, lächle, wenn du das hinkriegst und sei freundlich. Wünsch ihr einen schönen Tag, bedanke dich für die freundliche Bedienung, sei aufmerksam für alle Reaktionen. Erwidere Blicke. Viele reagieren direkt - aber nicht alle. Manche sind traurig, abwesend, gelangweilt - die muß man ein bißchen länger fixieren.
Und wenn du es geschafft hast ein Lächeln zu ernten, dann hast du zwei Menschen fröhlich gemacht - und ein Brötchen hast du außerdem noch.
Alles klar?

Ich hab neulich mit einer Freundin gewettet - die hat das sogar bei einem polnischen Grenzbeamten hingekriegt. und der HAT vielleicht düster ausgesehen - direkt aus dem Grundkurs Stalinismus für Anfänger. Ja ok Frauen habens da leichter - aber vielleicht ist das auch wieder Quatsch...

11.11.2007 22:38 • #4


D
Das mit dem Spiegelbild werde ich auf jeden Fall mal testen! Bzw drauf achten wie ich mich im Spiegelbild empfinde. Das mit der Bäckerin habe ich schon des öfteren gemacht! Aber das kommt immer auf meine momentane Stimmung an. Freundlich reden kann ich eigentlich, was mir schwer fällt ist fröhlich auszusehen, wenn ich angespannt bin. Z.B wenn ich in der Innenstadt durch die Einfaufstrasse gehen, oder auf der Arbeit in der Firma durch den Kundenbrereich laufe. Was mein Selbstbewusstsein runterzieht ist das ich schon so lange Solo bin, oder noch nie ne richtige Beziehung hatte. Früher halt in der Jugenzeit paar kurz Beziehungen. Aber seit Jahren lernt man einfach keine Frauen mehr kennen die Interese haben. Oder wenn man jemanden kennen lernt, ist man zu introvertiert!
Downtown

11.11.2007 23:06 • #5


F
Hi downtown,
was ich sagen will ist: step by step...
nichts ist für Kontakte tödlicher, als das Übermaß unbefriedigter Bedürnisse.
Und das ist ein Teufelskreis:
Je hungriger du wirst, desto schwieriger wird es eben diesen Hunger zu vergessen. Wenn du ihn aber nicht vergisst wirst du ganz bestimmt nicht satt.
Warum nicht? Das ist das alte Sei-Spontan-Paradoxon.
Wirst du aufgefordert spontan zu sein gibt es zwei Möglichkeiten:
1) du bist spontan auf Befehl - also bist du es nicht
2) du bist nicht spontan.
- kurz und gut: eine Möglichkeit spontan zu sein steht dir jetzt nicht mehr offen...
Es sein denn.... du vergisst den Befehl. (Aber vergiss mal was, was du vergessen willst... )
Das mit den Bedürfnissen ist so eine Sache. Im Grunde geht es niemanden was an, was du für Bedürnisse hast - außer dich selbst. Die spielen keine Rolle für andere - und das dürfen sie auch nicht. In funktionierenden Beziehungen werden sie miterledigt - aber sie sind nicht der Kern. Das worum es geht, ist Begegnung - so seh ich das jedenfalls.
Du bist der Einzige auf dieser weiten Welt, der fragen kann, was für Bedürnisse du hast - um dann danach zu handeln. Aber dieses Handeln ist eigentlich immer nur ein Unterlassen. Du kannst nach den Dingen fragen, die dich behindern - und sie dann lassen.
Bedürfnisse sind wie Alarmlampen: sie zeigen dir wo du nicht sein solltest - aber nicht wo du hinwillst. Was willst du sein, downtown? Was willst du leben? Das gibt dir keine Frau - aber auf dem Weg dahin wird dir bestimmt eine begegnen...

Ich weiß zum Teufel nicht, warum Zärtlichkeit in dieser Welt ein solcher MANGEL sein muß. Jeder braucht sie, jeder kann sie geben. Und niemand bekommt genug davon. In Deutschland schon gar nicht. Aber das Jammern bringt die Zärtlichkeit ja nicht zurück. Das beste ist also du fängst selbst damit an und übst dich in der Kunst der absichtslosen Absicht. Seid zart miteinander und liebevoll. Das geht sogar mit der Bäckerin...

11.11.2007 23:41 • #6


D
Ja wenn wir nicht alle so verklemmt wären, würde das vieles leichter machen. Man würde auch ohne feste Beziehung zärtlichkeit bekommen und geben! Aber davon sind wir denk ich sehr weit entfernt. Ich kann mir vostellen das es in anderen Ländern nicht so extrem ist wie hier. Hast du denn deine Einsamkeit überwunden flojoflo? Und bist glücklich in einer Beziehung?

Downtown

12.11.2007 19:29 • #7


K
Ich finde, dass Einsamkeit nichts mit Verklemmung zu tun hat.

22.06.2016 22:54 • x 1 #8





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