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Hallo zusammen,

was mein wirkliches Problem ist, kann ich schwer sagen. Selbst eine Therapie war nicht sehr hilfreich und ich fühlte mich irgendwie nicht verstanden.

Hier ein Beispiel. Ich habe vor 2 Wochen meine Arbeitsplatte aus Holz in der Küche geschliffen. Man muss dazu sagen, dass ich die Küche vor 8 Jahren vom Vormieter übernommen habe, die Küche bestimmt schon 20 Jahre oder älter ist und generell der letzte Schrott ist. Jetzt habe ich an einer Stelle eine Delle reingeschliffen. Die Küche funktioniert noch und nichts fällt um, lediglich wackeln manche Sachen leicht auf dieser Delle.

Mein Problem an der Sache ist, dass ich den Fehler nicht akzeptieren kann und mich ständig quäle.

Wie drückt sich das aus:

- Ich denke ständig daran
- mache mir Vorwürfe
- muss immer wieder zur Arbeitsplatte und die Delle begutachten
- ich stelle Sachen auf die Delle, lass sie wackeln und quäle mich noch mehr
- ständig bin ich in Gedankenschleifen gefangen hätte ich doch. Warum hast du das so gemacht. Wie kannst du das wieder korrigieren. usw
- ständig nerve ich meine Freundin und suche Bestätigung, dass es doch gar nicht so schlimm ist (ihr sind so Sachen sowieso Sch. egal)

So ist das immer bei mir, wenn ich Fehler mache und nicht wirklich Kontrolle darüber habe. Andere Fehler, wie z. B. Sachen die ich sofort beheben kann, sind mir komplett egal.

Kennt jemand dieses Problem? Falls ja, wie kommt ihr aus diesem Teufelskreis heraus? Habt ihr Erfahrungen mit Büchern zu dem Thema?

Liebe Grüße

Heute 13:27 • 17.10.2025 x 1 #1


12 Antworten ↓


@Buzz Hallo Buzz,
was du beschreibst, kennen viele Menschen, die sehr hohe Ansprüche an sich selbst haben oder stark auf Kontrolle und Perfektion reagieren. Wenn etwas „unwiederbringlich“ schiefgeht – wie deine geschliffene Stelle – aktiviert das Nervensystem eine Art inneren Alarm: „Fehler = Gefahr = ich muss das beheben.“
Das ist kein rationaler Gedanke, sondern eine Körperreaktion auf Kontrollverlust.

Versuch einmal Folgendes:
Wenn der Drang kommt, wieder zur Arbeitsplatte zu gehen, halte kurz inne, atme tief aus und sag dir:
„Ich darf den Fehler jetzt da sein lassen. Ich bin trotzdem sicher.“
Oder leg die Hand auf dein Herz und summ leise, bis du merkst, dass der Körper sich beruhigt – das hilft, den Alarmkreis zu unterbrechen.

Fehler sind Spuren von Leben. Sie zeigen, dass du Dinge ausprobierst, statt dich zu verstecken, LG Rainer

A


Gedankenschleifen und Perfektionismus

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Hallo @Raiauer,

das bedeutet, dass es in die Richtung der Zwangsgedanken geht?! Ich habe mir nämlich das Buch Tyrannen in meinem Kopf gekauft und lese es gerade. Es ist wirklich gut geschrieben, aber ich war mir nicht sicher, ob es das Richtige für mich ist.

Meine Therapeutin hat mir z. B. immer wieder die Stopp Methode (wo man sich selbst stopp sagt, um Gedanken zu unterbrechen) nahegelegt. Die hat mich nur noch verrückter gemacht und sie konnte das nicht verstehen. In dem Buch steht, dass diese Methode komplett falsch und veraltet ist, da sie die Gedanken nur noch schlimmer macht, mehr Alarm auslöst und sogar zur Konditionierung des Problems führen kann.

@Buzz Ja, genau — das, was du beschreibst, geht in Richtung Zwangsgedanken. Es sind nicht die Gedanken selbst, die gefährlich sind, sondern die ständige innere Reaktion darauf: das Grübeln, Kontrollieren, Bewerten. Dein Nervensystem bleibt dadurch in Alarmbereitschaft.

Das Buch „Tyrannen in meinem Kopf“ passt sehr gut zu deiner Situation. Es erklärt wunderbar, dass der Versuch, Gedanken aktiv zu stoppen (wie bei der Stopp-Methode), genau das Gegenteil bewirkt: Der Körper versteht das als Signal – „Achtung, Gefahr!“ – und schickt noch mehr Stressenergie nach oben.

Heilsamer ist es, die Gedanken wie Wolken ziehen zu lassen, ohne sie zu bekämpfen. Atmen, summen oder den Körper kurz spüren – das erdet dich im Hier und Jetzt und signalisiert: „Ich bin sicher, auch wenn der Gedanke da ist.“

Du bist also auf einem sehr guten Weg, den Kreislauf zu verstehen – und das ist schon der erste Schritt aus ihm heraus.

@Raiauer schade, dass das meine Therapeutin nicht wirklich erkannt hat und ich jetzt erst einmal warten muss, bis ich eine neue Therapie von der Kasse bewilligt bekomme.

Sie wollte mir eher ausreden, dass ich Zwangsstörungen habe, obwohl ich ihr oft genug gesagt habe, dass ich teilweise stundenlang auf dem Boden krieche, weil ich andere Fehler suche, die meinen eigenen Fehler eventuell relativieren. Oder dass ich am Wochenende alle 30 Minuten in die Tiefgarage laufe und mir einen Kratzer an meinem Auto anschaue, den jemand verursacht hat und Fahrerflucht begangen hat. Als könnte ich den Kratzer wegschauen (wie weg radieren).

Gedanken wie Wolken ziehen lassen funktioniert beim Meditieren ziemlich gut. Leider kann ich nicht 24 Stunden am Tag meditieren Zumindest versuche ich es täglich zu machen und wenn es nur 10 Minuten ist. Problematisch ist nur, dass ich bei einem neuen Fehler in ein Loch falle, schlecht schlafe und mich dann richtig zwingen muss, etwas Gutes für mich zu tun.

Ein paar Tage nach der Sache mit der Arbeitsplatte bin ich in den Urlaub gefahren und war wie geheilt. Kaum zurück, war ich direkt wieder schlecht gelaunt, habe nochmal geschliffen (hat es etwas besser gemacht) und ruck zuck bin ich wieder im alten Teufelskreis gefangen

@Buzz Das, was du beschreibst, zeigt ganz deutlich, wie erschöpfend und ernsthaft Zwangsgedanken sein können – und wie wenig sie mit „einfach mal loslassen“ zu tun haben. Dein Beispiel mit dem Kratzer oder der Arbeitsplatte beschreibt perfekt den Kreislauf: Der Gedanke erzeugt Druck, du handelst darauf, suchst Kontrolle – und der Körper reagiert mit kurzfristiger Erleichterung, aber langfristig mit noch mehr Alarm.

Dass du das inzwischen so klar beobachten kannst, ist schon ein sehr großer Schritt. Das ist nicht „nichts“, sondern genau der Beginn, an dem Heilung ansetzt – weil du nicht mehr voll im Automatismus steckst, sondern erkennst, was passiert.

Meditation kann diesen Prozess wunderbar unterstützen – nicht, um den Zwang „wegzumeditieren“, sondern um Ruheinseln im Nervensystem zu schaffen. Und das funktioniert, wie du sagst, auch mit 10 Minuten am Tag.

Ich finde es stark, dass du weiter suchst, was dir hilft, und dich nicht von einer schlechten Erfahrung mit der Therapeutin entmutigen lässt. Vielleicht war das einfach nicht der richtige therapeutische Stil für dich – viele Menschen mit Zwangsstörungen profitieren mehr von Ansätzen, die den Körper und das Nervensystem mit einbeziehen, statt nur kognitiv zu arbeiten.

Bleib dran, so ehrlich und aufmerksam mit dir selbst umzugehen – das ist die Basis, auf der sich wirklich etwas verändern kann, LG

@Raiauer vielen Dank für deine Worte.

Mir ist seit einem Nervenzusammenbruch vor gut einem Jahr sehr wohl bewusst, dass ich Hilfe brauche. Deswegen war ich froh, direkt eine Therapie zu bekommen (vielleicht hätte ich da schon stutzig werden müssen, denn wer bekommt heutzutage innerhalb von 3 Wochen eine Therapie). Davor habe ich die Sache immer schön geredet und meine Zwangsstörung abgestritten. Ich habe den Fehler nie bei mir gesucht und war fest davon überzeugt, dass meine Reaktion auf Fehler ganz normal ist, weil meine Probleme die einzig wahren sind. Das ist natürlich Blödsinn, da meine beiden Beispiele das Gegenteil beweisen. Das sind nämlich keine gravierenden Probleme - ich lebe noch, bin gesund (außer das im Kopf), die Küche kann noch genutzt werden und das Auto bringt mich weiterhin von A nach B.

@Buzz Du beschreibst das unglaublich ehrlich – und genau das ist schon ein wichtiger Schritt in Richtung Heilung. Es braucht Mut, sich selbst so klar zu sehen, gerade nach Jahren, in denen man alles „im Griff“ behalten wollte.

Vielleicht hilft dir das Bild eines Baumes mit seinen krummen Ästen: Er wächst nicht perfekt, aber genau das macht ihn schön und lebendig. Jeder Ast erzählt seine eigene Geschichte – manche gerade, manche verdreht, manche vernarbt. Trotzdem trägt er Blätter, spendet Schatten und steht fest im Boden.

Wir Menschen sind im Grunde genauso. Auch wenn manches in uns schiefgewachsen ist durch Stress, Angst oder Zwang – das ändert nichts an unserem Wert. Es zeigt nur, dass wir gelebt und überlebt haben. Ich liebe dieses Bild und daran zu denken entspannt mich, LG

@Raiauer
Echt super erklärt alles.
Ich sehe es wie du.

@Buzz
Ich kenne deine Probleme.
Mein Tipp (neben denen von @ralauer):

- regelmäßig bisschen Sport/Bewegung
- regelmäßig gute soziale Kontakte
- bewusst versuchen, ES auszuhalten (das geht anfangs schwer, wird aber besser mit der Zeit)

Viel Erfolg dabei!

Zitat von Buzz:
Mein Problem an der Sache ist, dass ich den Fehler nicht akzeptieren kann und mich ständig quäle.



Hab ich im Internet geklaut und spricht mir aus der Seele:

Es klingt ein wenig dubios, aber Fehler sind etwas Gutes, aus Fehlern lernen aber immer noch eine hohe Kunst. Sie mögen sich manchmal nicht gut anfühlen, man schämt sich dafür, ärgert sich, macht sich selbst manchmal noch dafür fertig. Mit dem richtigen Umgang von Fehlern entwickelt man sich jedoch weiter, lernt und kann sie als Helfer anerkennen.

Sich zu ärgern über das, was man falsch macht, ist natürlich. Viele von uns wachsen mit dem Verständnis auf, dass Fehler schlecht sind und vermieden werden müssen. In der Schule werden rote Stifte zum Markieren von Fehlern benutzt, blaue Briefe zu den Eltern geschickt und viele Eltern sehen schwarz, wenn Fehlverhalten auftritt. Ein buntes Treiben, bis schlechte Leistungen durch Nachhilfe, Druck oder Mahnungen auf mindestens ein Mittelmaß gehoben werden oder man aufgibt, an sich zu glauben.

Wer Fehler gemacht hat, hat meistens nur Erfahrung gesammelt.
–Oscar Wilde

Betrachtet man Fehler als Helfer (einfach Buchstaben umstellen!), werden sie plötzlich zu einer der erstaunlichsten und verblüffendsten Sachen der Welt. Und fantastische Dinge sollten nicht vermieden, sondern gepflegt und geschätzt werden, meinen Sie nicht?

„Aus Fehlern lernt man“ – Neues ausprobieren, dabei auch mal scheitern, um wieder aufzustehen und es beim nächsten Mal besser zu machen. Daraus entstanden die Wunder der Welt und nicht nur Abraham Lincoln fiel mehr als einmal auf die Nase, bevor er schließlich zu Größerem aufstieg und nach vielen Niederlagen schließlich zum Präsidenten der USA wurde.

Kindern wird durch das Lernen aus Fehlern die Sprache möglich und manche nutzen sie später wie Genies und lassen wundervolle Lyrik entstehen. Aus Fehlern zu lernen ist – wenn Sie so wollen – der Gegenspieler des als-Meister-vom-Himmel-Fallens…

Wer vor großen Fehlern Angst hat, hat auch nur Mut zu kleinen Erfolgen.
–Prof. Dr. Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger

@Raiauer die Metapher mit dem Baum ist wirklich gut. In meinem Urlaub war ich in einem alten europäischen Urwald und habe mich an der Schönheit der ganzen alten, krummen, nicht geometrischen Bäumen erfreut. Da könnte ich mich doch auch über mein krummes Leben erfreuen.

@Ingolstädter nach meinem Zusammenbruch habe ich mit Kampfkunst begonnen und bin bei einer traditionellen Ninja Schule. Das hilft sehr, da es mich geistig und körperlich fördert. Bei der Arbeit bin ich leider komplett unterfordert und bettel ständig nach mehr und geistreicher Arbeit. Bin im öffentlichen Dienst und nichts ändert sich. Die wissen, dass man sich den ganzen Tag in der Nase bohrt und nichts ändert sich. Das soll einer verstehen.

Das Aushalten ist sehr schwierig. Kaum mache ich einen Fehler, kommt der Perfektionist hervor, denkt ständig daran was ich falsch gemacht habe, warum ich das gemacht habe und mir gehen tausend Sachen durch den Kopf, wie ich das wieder korrigieren kann (obwohl es nicht mehr zu korrigieren ist oder gar kein Bedarf besteht etwas zu korrigieren).

Zitat von Icefalki:
Sich zu ärgern über das, was man falsch macht, ist natürlich. Viele von uns wachsen mit dem Verständnis auf, dass Fehler schlecht sind und vermieden werden müssen. In der Schule werden rote Stifte zum Markieren von Fehlern benutzt, blaue Briefe zu den Eltern geschickt und viele Eltern sehen schwarz, wenn Fehlverhalten auftritt. Ein buntes Treiben, bis schlechte Leistungen durch Nachhilfe, Druck oder Mahnungen auf mindestens ein Mittelmaß gehoben werden oder man aufgibt, an sich zu glauben.

Gefällt mir sehr gut. Das zeigt, wie ungesund die Gesellschaft und falsche Erwartungen sind. Ruck zuck hat man emotionale Krüppel (sorry für die Wortwahl) herangezüchtet.

Mein Vater ist Amerikaner und hat das goldene Zeitalter bis 1970 voll miterlebt. Er war der typische Amerikaner bigger, higher, faster, better. Auch wenn mir das mit meinem Problem nicht hilft, ich glaube von ihm habe ich diesen übertriebenen Perfektionismus.

Danke, dass ich mich hier auskotzen dürfte und danke für die aufmunternden Worte. Das bewirkt manchmal Wunder. Mir ist eben ein Knoten geplatzt und ich konnte seit längerem mal wieder Emotionen zeigen.

A


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