Zitat von Greta__: Wieso ist das Warum nicht wichtig?
Darüber musste ich jetzt erst mal länger nachdenken. Ich fühle so was Du sagst, weil ich auch oft an dem Punkt stand (und auch noch stehe). Platt gesagt glaube ich, dass die Akzeptanz noch fehlt wenn das Warum noch da ist. Wenn wir beim Warum sind, sind wir noch in der Schiene Ich will den sch. einfach weg haben. Das funktioniert aber leider nicht. Ziel sollte es eher sein, sich so zu akzeptieren, wie man ist. Dass die Ängstlichkeit ein Stück weit zu einem gehört. Ich bin wie ich bin und das darf so sein. Und erst dann wird die Angst gehen. Hört sich paradox an, ist aber so.
Bei mir ist ja auch alles angstbehaftet, was sich draußen abspielt. Spazierengehen, Stadtbummel, Urlaub, Fahrten in fremde Umgebung. Weil mein Stresssystem sich über den Darm reguliert - sprich, ich bekomme sofort Durchfall. Dafür brauche ich dann entweder ein blickdichtes Gebüsch oder ein Klo. Was es für mich natürlich nicht einfacher macht, überhaupt das Haus zu verlassen. Daher wurde mein Radius auch immer kleiner. Ich bewegte mich nur noch in bekanntem Terrain. Im Laufe der Zeit ging es mal besser, mal schlechter. Aber es stabilisierte sich nie. So wie bei Deinen Gassigängen.
Dann war ich dieses Jahr zusammen mit meinem Therapeuten wandern. Und er erlebte eine Durchfallattacke live mit. Sie kam, nachdem ich schon fast die ganze Wanderung super gemeistert hatte und schon überhaupt nicht mehr damit rechnete. Ich floh fluchtartig hinter den Busch. Danach brachten wir die Wanderung noch gut zu Ende. In der nächsten Stunde meinte mein Therapeut, dass es echt gut war, dass er das einmal live und in Farbe miterlebt hat. Es hat ihm eine ganz neue Sicht der Dinge gegeben. Als ich aus dem Busch kam, wäre ich ein komplett anderer Mensch gewesen - wie komplett zusammengebrochen. Und das ist auch so. Immer nach einer Durchfallattacke fühle ich mit schuldig, als Versager, nicht normal, dumm, unfähig. Weil ich nicht so bin wie andere. Wir haben dann intensiv nochmal an dem Thema Selbstakzeptanz gearbeitet.
Das Muster, Druck über den Darm abzulassen, ist typisch für eine frühkindliche Prägung aus vorsprachlicher Zeit. Sprich, es gab bei mir irgendwas, was für mich bedrohlich war und was nicht über meine Bezugspersonen abgefangen wurde. Das muss kein schlimmes Ereignis sein. Das können auch atmosphärische Störungen im Umfeld sein, die man als kleines Kind nicht zuordnen kann. Oder längeres Alleinlassen. Oder Anforderungen, für die ich noch zu klein war. Was es ganau war, ist hier auch gar nicht wichtig. Sondern die Erkenntnis und das Wissen, dass dieses Muster bei mir angelegt WURDE. Durch andere. Oder durch die Umstände. Aber ich kann nichts dafür. Es ist niicht meine Schuld, dass ich so bin wie ich bin. Ich bin nicht doof oder unfähig. Es wurde mit mir gemacht.
Und der einzige Weg da raus, ist es zu akzeptieren. Mich trotzdem gern zu haben als der beschädigte Mensch der ich bin. Denn das macht mich aus. Ich kann das nicht loswerden. Aber ich kann dem kleinen Mädchen sagen, dass es nicht ihre Schuld ist.
Das hat unglaublich viel in mir ausgelöst. Und gab mir eine ganz neue Sicht auf die Dinge. Und plötzlich verschwand ich mit einer ganz anderen Einstellung hinterm Busch. Und merkte dann, dass mich diese Durchfallattacken plötzlich nicht mehr so erschöpfen. Und ich mich hinterher nicht mehr schuldig fühle. Sondern es ist was es ist - eine Durchfallattacke weil der Druck gerade wieder zu groß war. Und dann wurde es plötzlich besser. Und ich konnte einige Dinge aus meinem täglichen Leben wieder angstfrei erledigen. Das hat mich wirklich komplett geplättet.
Natürlich habe ich auch Rückfälle. Im Moment zum Beispiel. Ich habe gerade beruflich eine sehr turbulente Zeit, weil in meiner Firma gro0e Umwälzungen stattfinden und ich plötzlich über bin. Es steht sogar eine betriebsbedingte Kündigung um Raum. Jetzt klappt die Fahrt zur Firma wieder gar nicht mehr und ich hockte schon das ein oder andere Mal im Maisfeld. Aber ich akzeptiere es als das was es ist - viel Druck von außen, den mein Nervensystem noch nicht komplett verarbeiten kann.
Und noch zum Thema, dass Du nicht verstehst, was der Therapeut von Dir will. Auch das ist normal. Ich habe inzwischen auch gelernt, dass im Inneren das ankommt, was dran ist. Wenn etwas nicht ankommt, dann ist es im Moment nicht wichtig.
Mein Therapeut hat am Anfang immer am Ende der Stunde gefragt, was ich denn aus der Stunde mitnehmen. Frau Krümel, komplett auf Leistung getrimmt, hat immer versucht, eine möglichst perfekte Zusammenfassung der Stunde abzuliefern. Dann bin ich nach Hause gefahren, um die Stunde in meinem Therapietagebuch festzuhalten - und habe festgestellt, dass das meiste komplett weg war aus dem Gehirn. Das hat mich in den Wahnsinn getrieben. Ich habe dann mit meinem Therapeuten darüber gesprochen. Und der sagte: Das ist nicht schlimm. Dann war das eben noch nicht dran. Ich frage das am Ende der Stunde bei Ihnen nicht ab um zu prüfen, ob Sie aufgepasst haben. Wir sind hier ja nicht in der Schule. Ich möchte wissen, was bei Ihnen hängengeblieben ist, weil genau das dann das Thema ist, das aktuell wichtig ist. Das hat mich dann auch sehr erstaunt.
Seitdem kommt jedes Mal, wenn ich wieder den Perfektionsmodus bei der Zusammenfassung anschmeiße: Nicht anstrengen!. Das reicht mir um den Modus zu wechseln und einfach das zu sagen, was hängen geblieben ist. Manchmal war das auch gar nix. Ist dann auch ok. Vielleicht kannst Du an der Stelle mal versuchen, etwas Druck aus dem Kessel zu nehmen. Du musst nicht alles verstehen. Dein Inneres wird Dir trotzdem den Weg weisen. Und Du wirst es merken, wenn ein Thema gerade dran ist - wie in der einen Stunde, als es Dir anschließend so schlecht ging. Auch auf diese Weise zeigt das Innere, wenn ein Thema wichtig und dran ist.