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S
Hallo,
ich möchte mich kurz vorstellen, ehe ich auf meine heikle psychische Situation eingehe und um Hilfe bitte:
Nennt mich einfach M (nicht dass durch einen blöden Zufall noch rauskommt wer ich bin), in den 20ern, Master-Student eines technischen Studiengangs, arbeite neben dem Studium, zuhause wohnend, Single, Migrationshintergrund.

Mein Problem:
Ich war schon immer eher der schüchterne und mit zunehmendem Alter stellte ich auch fest, dass ich Angst davor habe, vor anderen Menschen etwas falsch zu machen. Damit ging natürlich auch immer eine Gehemmtheit/Verkrampftheit in der Öffentlichkeit einher. Interessanterweise bin ich z.B. bei Vorträgen zwar nervös, meistere sie aber gekonnt (dem Feedback nach zu urteilen). Ebenso bin ich auch vor Prüfungen nervös, allerdings stimmen die Ergebnisse meistens. Wenn ich aber z.B. mit den öffentlichen Verkehrsmitteln irgendwo hinfahren muss, dann geht es los: Ich habe das Gefühl, ich würde im Mittelpunkt stehen und verkrampfe regelrecht bzw. das Herz fängt an zu rasen, was sogar soweit geht, dass ich nichtmal mehr den Kopf nach links und rechts bewegen kann. Ein Gefühl von Ja-nix-falsch-machen sowie eine Angst vor Kontrollverlust machen sich breit. Außerdem setze ich mich meistens nicht hin, da sich die Situation in der Enge für mich verschärft und es mich aus der Fassung bringt, wenn ich angestarrt werde. Als ob das nicht schon genug ist, verkrampfe ich auch regelrecht, wenn ich im Job in einem Meeting sitze oder zu Tisch beim Essen.
Eine Zeit lang war es einigermaßen OK, aber nach Stresssituationen wie z.B. nach der letzten Klausurenphase ist es immer stärker geworden. Dieses Problem habe ich nicht, wenn ich mit jemandem am Tisch sitze, der sagen wir mal nicht so dominant ist. Leider habe ich dieses Problem auch, wenn der Vater am Tisch sitzt (dazu später mehr).

Es liegt klar auf der Hand, dass ich dagegen etwas tun muss, weil die Lebensqualität darunter leidet und das wohl auch für das Herz nicht gut ist, wenn ständig der Blutdruck steigt. Ich meine die meisten Leute sagen einfach Ich fahre mit der U-Bahn zu Punkt x und für sie ist das nix Weltbewegendes. Bei mir ist es aber so, dass ich mir vorab 1000 Gedanken mache und die Reise selbst nicht angenehm ist.

Ich mache mir natürlich Gedanken woran das liegt und habe auch schon etwas im Internet gelesen. In Frage kann Genetik kommen, oder aber schwere Phasen in der Kindheit. Ich vermute bei mir die schwere Kindheit und gerade nach Stressphasen wie nach Klausuren erwischt es mich besonders. Die Sache ist die, dass sich die Eltern sehr oft gestritten haben und das während meiner Gegenwart. Ich kann mich erinnern, dass ich als kleiner Junge immer dachte der Streit liegt an mir und deshalb habe ich die Spielecke penibel aufgeräumt, in der Hoffnung, es würde zu Ende gehen (natürlich ging es danach nicht zu Ende, weil es ja auch nicht an mir lag). Dazu kommt, dass ich selbst oft Ärger meistens wegen Nichtigkeiten bekommen habe (aber keine Schläge). Naja irgendwann ging es familiär ins Ausland, wobei irgendwann die Mutter mit mir plötzlich in die deutsche Heimat zurück ist, da sie sich dort nicht wohlfühlte. Damit verbunden war natürlich ein erneuter Schulwechsel, wobei das gerade in jungen Jahren bitter ist, da Klassenkameraden in dem Alter richtig fies sein können. Irgendwann lebten sich die Eltern wieder hier in Deutschland zusammen (Mutter eher von schwacher Natur, der Vater dominant), wobei es dann streitmäßig genauso weiter ging wie davor und trotz Drohungen wie Scheidung, Verlassen, etc. wurde dann wieder gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Ich wurde hauptsächlich vom Vater häufig fertig gemacht, wegen Dingen die ihm nicht gepasst haben oder einfach als Sündenbock - logisch dass man dann irgendwann mal an sich selbst zweifelt und stets alles perfekt machen möchte, wobei alles auf Leistung ausgerichtet ist.
Naja, so vergingen die Jahre und ich frage mich, ob ich nicht lieber eine Ausbildung hätte machen sollen, nur um mit 18 in Frieden alleine zu wohnen. Ich kann euch auch nicht sagen, warum mich das gerade jetzt so mitnimmt. Vielleicht liegt es daran, dass ich endlich ausziehen will und man auch mit reiferem Alter zunehmend sieht, wie unbeschwert andere Menschen in meinem Alter sind. Vielleicht liegt es auch daran, dass gerade die Bologna-Reform noch mehr von den Studenten abverlangt. Zwar habe ich gute Freunde, die auch meinen Lebensweg kennen, aber niemand weiß wie es mir wirklich geht. Über das Thema Beziehungen zum anderen Geschlecht brauche ich gar nicht zu sprechen, denn da sieht es schlecht aus.

Ich hoffe, dass das jemand liest und ein paar hilfreiche Worte niederschreibt. Dass eine Heilung sehr schwer wird und nicht so leicht geht wie bei einem gebrochenen Arm ist mir klar. Mir leuchtet es nicht ein, wie das die anderen Menschen machen, also wie es ihnen absolut nichts ausmacht, z.B. in der Mitte eines Restaurants zu sitzen.

Danke vielmals!

Gruß,
M

09.03.2014 17:28 • 17.03.2014 #1


7 Antworten ↓


D
Hallo M.
Das Problem kenne ich nur zu gut. Ich kann dir nur raten hier wirklich aktiv zu werden! Und das nicht halbherzig.
Warum? Weil sich diese Art der Ängste in stressigen Lebensabschnitten nur verstärken. Ich habe das selbst durchgemacht und das hatte leider gravierende Konsequenzen...
Zum Ende meines Studiums hatte ich so eine Phase (unglücklich verliebt, Oma schwer krank, Stress auf Arbeit und einige kleinere unangenehme Situationen). Dann kam die Abschlussarbeit.
Irgendwie hatte ich es geschafft mich sozial zu isolieren, fiel in eine Depression und konnte die Arbeit nicht schreiben, was natürlich zur Exmatrikulation führte und das trotz bis dahin exzellenter Noten...

Das ist natürlich der Worst-Case, aber daher der Rat hier wirklich ernsthaft etwas zu unternehmen! Ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass es mich so extrem erwischt.

Zum wie:
Mein erster Versuch war es mit Hilfe von Selbsthilfebüchern (z.B. ISBN: 3407229380 oder 3801722376).
Ersteres ist ausführlicher geschrieben mit besseren Beispielen, Zweiteres ist kürzer und prägnanter. Beide Bücher orientieren sich aber an der kognitiven Verhaltenstherapie um sich diesem Thema anzunehmen. Gibt auch andere Bücher, zu denen ich aber nichts sagen kann.
Leider hatte ich diese Übungen nicht konsequent genug durchgeführt und mein Versuch dann einen Psychotherapieplatz mit zu finden ist im ersten Anlauf auch im Vorfeld gescheitert (nur Absagen - Aufgegeben).

Inhalte sind in etwa:
- Selbstakzeptanz üben (also schiefgelaufene Situationen akzeptieren ohne Selbstvorwürfe)
- Angst kennenlernen (negative Gedanken identifizieren und denen im zweiten Schritt widersprechen bzw. deren Wahrheitsgehalt/Warscheinlichkeit überprüfen)
- Entspannungstechniken (PMR, Autogenes Training, Yoga,...)
- Selbstvertrauen/Selbstwertgefühl aufbauen
- Konfrontation (bewusst mittelschwere Situationen aufsuchen und in ihnen verweilen, bis die Angst spürbar nachlässt und sich dann langsam steigern)

Sollte das nicht helfen, bleibt nur eine professionell begleitete Verhaltenstherapie bei einem Psychologen (, die ich jetzt auch grade begonnen habe... viel zu spät...).

Gruß Dennis

09.03.2014 18:57 • x 1 #2


A


Zwanziger und sich verstärkende soziale Angst

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S
Hallo Dennis,

tut mir Leid, was Dir passiert ist und Danke für Deinen Beitrag. Ich bin froh dieses Forum gefunden zu haben und hoffe das Beste für uns alle hier. Natürlich schießen einem 1000 Gedanken durch den Kopf, man fragt sich nach dem Warum und sagt sich im gleichen Atemzug aber auch dass man kämpfen muss.

Rückblickend muss ich sagen, dass es immer sinnvoll ist, nicht verbissen an eine Sache ranzugehen und sich Urlaub und Freizeit zu gönnen. Das ist aber auch leichter gesagt als getan wenn man es mit einem schweren Studiengang zu tun hat...

Ich merke dass ich momentan bzw. seit der letzten Klausurenphase wirklich auch ständig unruhig bin, d.h. selbst in Ruhephase einen hohen Puls habe und der positive Effekt von z.B. Schwimmen mit Freunden rasch verpufft und die Unruhe zurückkehrt. Der Schlaf ist natürlich auch von Unruhe geprägt. Würden Medikamente hier Sinn machen und wenn ja welche? Hat jemand sonst noch einen Rat wegen dieser Unruhe?

Ich würde mich über weitere Beiträge auch von anderen freuen.

Gruß
M

10.03.2014 19:12 • #3


D
Mhm... also für richtige Medikamente solltest du deinen Arzt fragen.
Ich hatte mal eine Zeit lang Sertralin, ein SSRI, genommen. Gebracht hatte es mir nichts, außer Nebenwirkungen (u.a. 12+ Stunden Schlafbedürfnis, Magen-Darm Probleme,...).

Ein bisschen hatte mir LAIF 900 geholfen.
Das ist ein hochdosiertes Johanniskrautextrakt, welches rezeptfrei in jeder besser sortierten Apotheke zu erwerben ist. Bei Online-Apotheken ist das allerdings deutlich günstiger.
Ich überlege ernsthaft das nochmal zu probieren, da ich momentan auch wieder etwas stärker mit innerer Unruhe und Schlafstörungen zu kämpfen habe.

13.03.2014 22:05 • #4


S
Ich habe mir in der Zwischenzeit 1,2 Videos über autogenes Training auf YouTube vor dem Schlafengehen angeschaut und immerhin klappt das Einschlafen jetzt ganz gut, auch wenn ich nachts leider plötzlich wach werde.

Mich belastet die gesamte Problematik leider sehr stark und macht mich sehr traurig. Ich stelle mir vor, wie schön es wäre, wenn alles normal wäre und es schmerzt mich sehr, dass ich z.B. in den öffentlichen Verkehrsmitteln regelrecht verkrampfe und es mir schon schwer zusetzt, wenn mich jemand anstarrt. Da sieht man andere Fahrgäste, wie sie völlig normal den Kopf nach links und rechts bewegen und durch andere regelrecht hindurchsehen, während ich mir 1000000 Gedanken mache und starr wie ein Stock bin.
Die große Herausforderung ist auch, den ständigen Gedanken an dieses Problem los zu werden. Wenn man schon beim Losgehen daran denkt, dann wird es auch genauso vorkommen (Stichwort: negative Gedanken).

Sind hier eigentlich auch Leute vom Fach angemeldet?

-Es würde mich interessieren, ob jemals Normalität erreicht werden kann oder ich ein Leben lang mit diesem speziellen Problem rumlaufen muss?
-Könnte es besser werden, wenn ich von zuhause ausziehe und damit mit der wahrscheinlichen Ursache von dem ganzen Schlamassel nicht mehr unter einem gemeinsamen Dach wohne (was ich im Moment so schnell wie möglich vorhabe) oder besteht die Gefahr, dann erst recht in ein Loch zu fallen?

14.03.2014 22:03 • #5


S
Wirklich niemand?

15.03.2014 20:26 • #6


D
Also mir ist nicht bewusst, dass hier auch Profis unterwegs sind. Ich befasse mich allerdings schon länger mit dem Thema.

Zitat von StudentKummer:
-Es würde mich interessieren, ob jemals Normalität erreicht werden kann oder ich ein Leben lang mit diesem speziellen Problem rumlaufen muss?
Definiere Normalität. Es ist wie beim Sport, wenn du einen Muskel trainierst, wird das gehobene Gewicht nicht leichter, du hast nur mehr Kraft zur Verfügung. Und wenn du dann das Training zu lange aussetzt und den Muskel nicht entsprechend weiter belastest, verliert dieser die Kraft mit der Zeit wieder.
Was ich damit meine ist, dass ich davon ausgehe, dass man dieses Problem nie komplett los wird. Aber durch Übung soll man das sehr gut in den Griff bekommen.
Aber genau hier besteht das Rückfallrisiko. Wenn man es irgendwann zu sehr schleifen lässt, verlernt man Selbstbewusstsein und Sozialkompetenz wieder und geht u.U. wieder in die Vermeidung.
In dem einen oben erwähnten Buch wird das Transtheoretische Modell zur Verhaltensänderung beschrieben. Aber es wird auch darauf hingewiesen, dass der letzte Schritt (der Abschluss) von einigen erreicht wird, von anderen aber nie. Hier muss man halt in gewissen Abständen nochmal eine Stufe zurück gehen und diese erneut durchlaufen, was jetzt aber nicht soo schlimm ist.
Wichtig ist es halt das Problem überhaupt aktiv anzugehen.

Zitat von StudentKummer:
Die große Herausforderung ist auch, den ständigen Gedanken an dieses Problem los zu werden. Wenn man schon beim Losgehen daran denkt, dann wird es auch genauso vorkommen (Stichwort: negative Gedanken).
Da hast du mir gegenüber schon einen großen Vorteil. Diese Gedanken laufen bei mir nämlich unterbewusst ab. Sprich, erster Teil meiner Therapie wird es sein diese Gedanken wahrzunehmen und ihnen dann im zweiten Schritt aktiv(!) zu widersprechen bzw. einen Realitätscheck durchzuführen.
Am Anfang schriftlich in Form eines Gedankentagebuchs, danach irgendwann gedanklich und irgendwann soll das dann zur Gewohnheit werden und automatisch ablaufen.

Zitat von StudentKummer:
-Könnte es besser werden, wenn ich von zuhause ausziehe und damit mit der wahrscheinlichen Ursache von dem ganzen Schlamassel nicht mehr unter einem gemeinsamen Dach wohne (was ich im Moment so schnell wie möglich vorhabe) oder besteht die Gefahr, dann erst recht in ein Loch zu fallen?
Das wird dir wohl niemand beantworten können.
Einerseits ist Eigenständigkeit sehr gut. Ich komme z.B. aus einem sehr behüteten Elternhaus und meine Mutter hat mir viel zu lange viel zu viel abgenommen. In einem solchen Fall ist ein Auszug sehr empfehlenswert.
Das mit dem Loch kann ich aber auch nachvollziehen. So ein Umzug bedeutet natürlich Stress (Wohnungssuche, Finanzierung, Formalitäten klären, Umzug, ungewohnte neue Dinge tun zu müssen wie Wäsche, Einkaufen, etc.). Ob das nun guter oder böser Stress ist musst du beurteilen. Solltest du in jedem Fall eher in die Semesterferien legen.

Gruß Dennis

16.03.2014 19:25 • #7


S
Hallo Dennis,

vielen Dank für Deinen Beitrag.
Mein Primärziel ist im Moment, den Stress abzubauen. Keine Ahnung, ob die soziale Phobie durch den jahrelangen Stress und Leistungsdruck erst diese Ausmaße angenommen hat oder ob ich einfach von Natur aus so bin, aber auf jeden Fall muss ich mich entspannen, um die Waffen überhaupt erst einsetzen zu können.
Auch wenn Du so gesehen nicht vom Fach bist, freue ich mich, dass zumindest ein Mensch in meinem Thread postet, der sich in die Materie gut eingelesen hat.

Gruß,
StudentKummer

17.03.2014 21:21 • #8





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