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Hallo zusammen,
vielleicht weiß ja jemand hier (zB aus ähnlicher Situation) einen Rat

ich bin Anfang 20, studiere und wohne noch im Elternhaus. Normalerweise ist eigentlich alles ganz ruhig hier, aber manchmal kracht’s – und dann heftig.
Mein Vater ist, was mich betrifft, wirklich nicht immer ein einfacher Mensch. Und meine Mutter ist leider nicht soo viel umgänglicher - zumindest nicht, wenn der Vater mit ins Spiel kommt. Solang alles seinen gewohnten Gang geht, ist alles in Ordnung. Aber wehe IRGENDWAS steht an. Ich bin jetzt wirklich niemand, der Sachen kopflos und nach Holzhammer-Methode angeht, aber wie es mein Vater schafft aus original allem ein Problem zu machen ist sagenhaft.

Das fängt bei kleinen Sachen an. Die Teilnahme an eigentlich sämtlichen Ausflügen oder Restaurantbesuchen ist mir seit Jahren nicht möglich. Mit den lieben Eltern wird alles zum Eiertanz und alles Mögliche ist von einem kafkaesken Regelwerk durchzogen. Beispiele: Selbst Ostersonntag kann aus unbekannten Gründen nicht reserviert werden (wenn man Pech hat steht man letztendlich dann also ohne Essen da, weil alles voll ist); einen Treffpunkt vor einem Lokal zu vereinbaren sei unverschämt; eigentlich hätte man ja woanders hin gewollt und mit meinem Vorschlag sei nun der Tag verdorben – kleiner Auszug. Klingt jetzt vielleicht übertrieben, mir wurde aber mehrfach von diversen Verwandten bestätigt, dass die das alles als ähnlich unangenehm empfanden und deswegen von weiteren gemeinsamen Aktivitäten eher Abstand nahmen.

Tja und wenn man das dann hochskaliert, könnt ihr euch ja denken, was zu anderen Themen alles geht. Wenn ich ein Thema anspreche, kann es entweder damit enden, dass ich nichts weiter sage, und das Thema bis zum St. Nimmerleinstag aufgeschoben ist – oder man hat das Geschrei. Beispiel: Angeblich wäre ihnen mein Auszug sehr recht, andererseits verkrampfen sich sofort die Gesichtszüge und Totenstille tritt ein, wenn ich das Thema konkret anspreche.

Dann ist die Atmosphäre auch wirklich nicht sehr locker. Alles, was ich erzähle – und sei es noch so harmlos – wird auf die Goldwaage gelegt und mir beim nächsten Streit irgendwie zum Nachteil ausgelegt. Jede (Freizeit-)Aktivität, die ich mache ist Mist und alle anderen machen alles viel besser. Dass der höchste Abschluss der beiden der Hauptschulabschluss ist, hindert sie auch nicht daran, mir bei Gelegenheit jetzt noch nach 5 Jahren meine mangelhaften Lateinleistungen vorzuwerfen und zu betonen wie knapp das zeitweise mit der Versetzung war und wie schlecht ich in Mathe war usw.

Und dann wundern sie sich, wieso es keinen Smalltalk mehr gibt oder wieso die Stimmung so eisig ist. Ich hab das alles auch schon x-mal erklärt, an den ganzen Vorwürfen wird aber nichts geändert.

Mein Vater versteht das alles nicht und beweihräuchert sich regelmäßig selbst, was für ein guter Mensch er doch ist – wenngleich sich das alles de facto eher auf den finanziellen Aspekt beschränkt. Ansonsten legt er eine unfassbare, auch verletzende, Ignoranz an den Tag. Er weiß weder mein genaues Alter, noch was ich genau studiere, noch hört er mir (außerhalb seiner Lieblingsthemen) zu.
Jede Diskussion wird grundsätzlich par ordre du mufti beendet ohne dass jemals irgendwas geklärt wird.

Ich möchte wirklich keinen Streit mit den beiden haben und bin um ein gutes Verhältnis bemüht, aber sie machen es einem schon verdammt schwer.
Und wie gesagt, das alles sehen viele Verwandte ähnlich.
Etwas Distanz wäre sicher gut – aber der Master bei dem sie dann (eigentlich) auch endlich was sagen müssen zu einem Auszug ist noch ein Jahr hin (und selbst aus der Distanz geht ja noch einiges, solang man abhängig ist). Selbstfinanzierung des Studiums ist leider keine Option. Ich bin jetzt schon so ausgelastet, dass ich das Studium mit einem Nebenjob wohl direkt beenden könnte. Und noch dazu müssen meine Eltern sich das Geld dafür wirklich nicht vom Munde absparen (um es mal SEHR SEHR vorsichtig auszudrücken) – viel mehr herrschte auch heftiger Druck, dass studiert wird (was aber durchaus auch mein freier Wille) und es wurde groß herumposaunt, dass ich „in der ganzen Welt“ studieren könne usw usw.

Viele Grüße

10.07.2014 00:02 • 10.07.2014 #1


2 Antworten ↓


Z


Was du da gerade durchlebst, nennt sich umgangssprachlich Abnabelungsprozess oder ich-bin-jetzt-erwachsen. Ich denke viele hier und auch da draußen, haben das ganz ähnlich erlebt. Dein Bericht könnte, wenn man einige kleine Details ändert (Magister statt Master ) auch von mir sein.

Es hilft dir jetzt nicht viel, ich weiß, aber diese Phase geht vorrüber und deine Eltern und du selbst, werden einen Weg aus dieser Umbruchsituation finden, ohne dass sich einer um 180° drehen müsste oder es total eskaliert. Mit der Zeit wird man gnädiger, zu sich selbst und zu anderen.

Benutzen wir trotzdem mal ein typisches Bild aus der Familientherapie, vielleicht kann dir das im Moment etwas helfen.

Eure Familie ist wie eine Art Mobile, an dem ihr alle verstrebt miteinander hängt. Bisher hat das Ausgleichen gut geklappt und das Ding hing immer relativ gerade. Wo der eine schwächelt, hat der andere eine Stärke und wo du gewachsen bist und an Wissen zugelegt hast, da haben deine Eltern schätzungsweise auch an Gewicht zugelegt und an Erfahrung.
Nur jetzt kommt ihr in eine Phase, wo stärkere Veränderungen an dem Konstrukt Mobile auftreten. Irgendwie wird's schief und wackelt. Und das hat seine Gründe.
- Da ist die Tatsache, dass du nun erwachsen bist und theoretisch deine eigenen Wege gehen könntest. Das ist für deine Eltern ein enormer Ballast, denn da passiert ja auch ganz viel auf der emotionalen Ebene, und sei es nur, dass sie auf einmal merken, dass sie älter werden. Das zieht euer Mobile auf der einen Seite ziemlich runter und du musst dich auf der anderen Seite echt anstrengen, um gegen zu ziehen.
- Da ist die Uni, dein Studium,- ein Raum auf den deine Eltern keinen Einfluss mehr haben, von dem sie keine Ahnung haben, der für sie ein Mysterium bleibt. Auch das wieder Ballast, denn sie haben noch nicht umgeschaltet von ihrer Beschützerposition, wissen jetzt nicht, wie sie dich behandeln müssen, welche Räume sie dir lassen müssen, haben auch Angst, dass du ihnen in den akademischen Elfenbeinturm entgleitest, möglicherweise gar nichts mehr zu tun haben willst, haben Angst, dass du bald soweit bist, dass du sie gar nicht mehr brauchst. Deshalb versuchen sie auch gegenzusteuern, noch mal darauf hinzuweisen, du brauchst uns, du bist finanziell abhängig von uns und bilde dir ja nicht zu viel ein, Herr Studiosus, wir kennen dich noch in Windeln und mit Rotznase. Und du auf der anderen Seite stemmst dich wieder mit aller Kraft dagegen und versuchst die Schieflage wieder aufzufangen.
- Dann sind da auch so typischen Eltern-Kind-Konflikte. Der Kampf Vater-Sohn, wer ist das Alphamännchen, die Eifersucht der Mutter, bin ich noch die wichtigste Frau in seinem Leben usw. Da ist es eine gerne benutze Taktik von Eltern, das liebe Kind klein zu halten du magst studieren, aber solange du deine Füße unter unseren Tisch... Andererseits heben sie ihr Selbstebwusstsein bei Dritten, indem sie von unserem studierenden Sohn reden und auf den Putz hauen. (Hey, so Leute wohnen auch in meinem Elternhaus... ich bin auch Arbeiterkind.)

Dumm nur, dass diese ganzen Dinge alle in ungefähr einem Zeitraum ablaufen. Mit Erwachsen Werden und endgültig Abnabeln hat man ganz schön was zu tun. Und ausgerechnet in der Zeit, muss man auch noch die Weichen für sein weiteres Leben stellen. Das Leben ist nicht fair.

Machen kannst du jetzt eigentlich wenig, außer deinen Eltern auf der Sachebene immer wieder deinen Standpunkt zu verdeutlichen (mit Geduld und Spucke kommt man da weiter) und ihnen und dir selbst immer wieder auf emotionaler Ebene durch kleine Gesten zu verdeutlichen, dass ihre/eure Ängste und Befürchtungen unangebracht sind.
Nimm deine Mutter vielleicht einfach mal spontan in den Arm und gib ihr nen Kuss Mama, mir geht's gerade richtig gut. Mir macht mein Studium Spaß!, hau deinem Vater auf die Schulter Papa, weißt du was, wenn ich die Sch... Klausur bestanden habe, machen wir zusammen mal einen drauf! Vergewissert euch einfach gegenseitig, dass ihr eine Familie seid, ein Team, das auch zukünftig wundervoll harmoniert und sich lieb hat, weil ihr alle gegenseitig ein wenig lockerer werdet, locker lasst und Ballast abwerft.

Das ist kein leichter Prozess, aber es wird. Versprochen!

Dir selbst kannst du helfen, indem du vielleicht ab und an in die Außenperspektive schlüpfst und quasi einen Blick von oben auf eure Konflikte wirfst.

Du kannst dir da selbst ganz einfach Hilfestellung geben.

Wenn du noch irgendwo Playmobil-Männchen rumfliegen hast oder Bauklötze, dann stell mal ein Familienbild. Stell die Figürchen so, wie ihr euch um ein bestimmtes Problem rum positioniert. Berücksichtige dabei vor allem die Distanzen zwischen euch und wie ihr euch und dem Problem zugewandt seid. Und geh dann einfach mal die Männchen der Reihe nach ab.
Was denkt das Mama-Männchen über den Wunsch des Ich-Männchens auszuziehen, was denkt das Papa-Männchen, was denkt das Ich-Männchen übers Ausziehen? Was denkt das Mama-Männchen, was das Papa-Männchen über den Auszugs-Wunsch des Ich-Männchens denkt, was denkt das Papa-Männchen, was das Ich-Männchen übers Ausziehen denkt usw.? Was denkt das Mama-Männchen wohl, was das Papa-Männchen denkt, was das Ich-Männchen übers Ausziehen denkt usf.? Was würde das Mama-Männchen sich wünschen wenn das Ich-Männchen (nicht) auszieht...? Was würde das Papa-Männchen am liebsten tun, wenn das Ich-Männchen auszieht...? Womit könnte das Ich-Männchen evtl. leben, wenn es (nicht) auszieht...?
Geh einfach immer im Kreis und stelle systemische Fragen. Auf diese Weise gelingt es einem 1. wieder den Überblick über eine verworrene Familiensituation zu bekommen, und 2. ist es so auch möglich einmal die Gefühle und Gedanken der anderen Parteien zu erspüren. Das fällt einem im direkten Konflikt sonst zu schwer, weil der Körper in der aufgeladenen Stimmung Stresshormone ausschüttet, die einfach eine nüchterne Betrachtung unmöglich machen, man ist da nur auf seine eigenen Bedürfnisse gepolt.

Ich mache solche Aufstellungen seit Jahren mit meinem Familien-Team. Wir haben dadurch nicht weniger Konflikte, aber ich kann besser und gelassener damit umgehen und auch eher spüren, was ICH will und was nur Erwartungen meiner Umgebung sind, zu deren Erfüllung ich mich durch unsinnige Gründe verpflichtet fühle.


Ich wünsch dir viel Glück.

Z.

10.07.2014 12:14 • #2


V
Ist es nicht ein gutes Zeichen, dass du um ein gutes Verhältnis mit deinen Eltern bemüht bist ?

Also ich studiere auch und will natürlich auch keinen Streit mit meinen Eltern, aber für ein richtig gutes Verhältnis ist es jetzt einfach zu spät. Emotional hatte ich kein Problem damit auszuziehen und da ich einen gesetzlichen Anspruch auf Unterhaltszahlungen von meinen Eltern habe (wie jeder in einer ähnlichen Situation - Erstausbildung, kein eigenes Einkommen, etc.), ist das finanzielle vom Prinzip her auch kein Problem (wobei meine Eltern auch ganz freiwillig zahlen - wenn auch nicht allzu viel).

Wie ist das bei dir ?
Hast du dich schonmal über deine Rechte bezüglich Unterhalt informiert ?

Meinst du, deine Eltern haben (zumindest unterbewusst) Angst davor, dass du ausziehst ?

Also meine wissen ganz genau, dass ich häufiger bei ihnen vorbeischauen werde, da im Haus noch andere Familienmitglieder wohnen, mit denen ich durchaus gerne Zeit verbringe. Und sie sehen es auch eher negativ, da ich ja dann wiederum zusätzliche Kosten und Mühen verursache (Wasser, Strom, Kochen, Waschen etc.)^^

Also ich würde empfehlen, deine sachlichen Ziele/Argumente in einer Diskussion mit deinen Eltern im Auge zu behalten bzw. dir vorher zu überlegen, was du aussagen möchtest, was dir wichtig ist, was du beabsichtigst/willst und was du von deinen Eltern erwartest.

Ich denke, es ist ganz normal, dass sowohl du als auch deine Eltern gemischte Gefühle haben, wenn es um das Thema Erwachsen-/Selbstständig-werden, Ausziehen etc. geht.

10.07.2014 14:13 • #3