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Miira
Hallo ihr Lieben,

mal nach langer Zeit bin ich wieder hier…
ich will jetzt gar nicht so lange herumlabern… lange Beiträge sind sehr anstrengend – und ich bin (leider) ein Mensch, der zu langen Texten neigt.

Nun…Kurzfassung für die, die mich noch nicht „kennen“:
Mit 10 oder 11 oder 12 (keine Ahnung) wurde ich (mit den Worten meiner Therapeuten) Vergewaltigt.
Ich sehe diese Geschichte gelassen. Es gibt weitaus Schlimmeres und außerdem verbinde ich keinerlei Gefühle mir dieser Geschichte. Klar weiß ich noch, wie ich mich damals gefühlt habe. So ungefähr jedenfalls. Aber heute lässt mich das komplett kalt.

Neue Situation:
Seit Januar 2015 befinde ich mich wieder in Therapie. Ursprünglich wollte ich dorthin wegen meiner Essstörung, die einfach (zugegeben) zu krass geworden ist. Eingeleuchtet ist mir das erst nach meiner Abhängigkeit von Dulcolax. Der schnellen Gewichtsabnahme und meinem 2. Krankenhausaufenthalt. Davor wollt‘ ich mir das nicht eingestehen. Wie auch immer.
Ich mag meine Therapeutin sehr gerne. Sie ist total menschlich, hat überhaupt nicht diesen überheblichen Therapeuten-Posten. Ich war ja die letzten Jahre immer wieder mal bei Probegesprächen – hat nie funktioniert, weil sie alle so „von oben herab“ waren. Versteht ihr? Und immer diese dummen Fragen, bei denen ich mir denke: „Warum bist du überhaupt Seelenklemptner?!“ So ist Frau *Keyser nicht. Sie spricht mit mir total ebenenfrei. Klar hat sie ihre Rolle als Therapeutin, aber sie wertet nicht so extrem, wie ich es sonst kenne.

Durch unsere Gespräche (mittlerweile meine 8. Stunde) meinte sie, dass sie den Verdacht auf eine dissoziative Amnesie hat. Weil ich mich an viele Abschnitte in meinem Leben nicht erinnern kann, also, als seien sie komplett ausgelöscht. Oder ich erinnere mich komplett verschoben und verfälscht. Was davon habe ich nur geträumt, was ist wirklich passiert?

Dissoziation ist in unseren Gesprächen schon großes Thema gewesen. Ich kannte das vorher nicht, aber wusste nun endlich diese seltsamen Abwesenheits-Momente, die ich viel zu oft habe, zu benennen. Unheimlich, aber wenigstens weiß ich nun, was das ist, wenn ich auf einmal das Gefühl habe, aus einer anderen Welt wieder aufzutauchen oder die Menschen mit mir reden höre, aber die Wörter einfach keine Verbindung finden – als würden sie arabisch mit mir reden.

Mein Problem:
Nun… seit einiger Zeit ist mir nun auch aufgefallen, dass ich immer wieder so komische Phasen habe… Ich meine, eigentlich bin ich ganz zufrieden mit meinem Leben. Momentan geht’s mir gut. Glaube ich.. eigentlich. Ich mag meine Arbeit und meine Klasse, mein Zuhause, zwischen mir und meiner Freundin (Partnerin) läuft es auch wieder gut, ich liebe meine Tiere, habe meine Freunde und meine Familie. Trotzdem überkommt mich immer wieder aus dem Hinterhalt so ein gewaltiges Trauergefühl, dass ich das Gefühl habe, zu ersticken.

Erst vor zwei Wochen geschah es wieder. An diesem Tag war es allerdings so schlimm, dass ich wieder einen „Rückfall“ hatte… ich habe das in mein Tagebuch geschrieben. Das war noch am selben Abend dieses Tages. Einfach, damit ihr so ungefähr versteht, wie es mir in solchen Momenten geht.

Ich bin eben doch kein Baron Münchhausen

Warnung: Triggergefahr

Es ist nicht leicht, immer optimistisch zu sein. Vor allem nicht dann, wenn einem auf einmal ganz viele, kleine, hinterlistige Gedanken kommen, die man eigentlich gar nicht hören möchte. Und vor allem nicht in solchen Momenten, in denen dieser Luftballon voll mit Dreck, von dem ich ja schon einmal erzählte, explodiert und in meiner Magengrube eine klaffende Leere mit ganz viel Siff hinterlässt, der einfach nur stinkt und mein ganzes Inneres verseucht und alles einfach nur noch ätzt und brennt und wehtut.

Gerade in solchen Momenten ist der Kopf dann so komplett in Schwarz getaucht, so ummantelt von Nebel und so abgeschottet von jeglichem, winzigen Lichtstrahl, das einen wieder auf die richtige Spur locken könnte, dass jeder, klägliche Versuch, optimistisch zu denken, scheitert.

Das war auch der Grund, weshalb ich mich gestern zwei Stunden lang ausgeheult habe. Zwei Stunden. Ich habe geheult, wie ein kleines Kind. Rotz und Wasser. Das letzte Mal habe ich so geweint, als mir mein Hund weggenommen wurde.

Der Auslöser war ein Streit mit Kora, der eskaliert ist. Und weiter ging es dann mit diesem unbeschreiblich großen Gefühl des „Sich-Selbst-Verlierens. Ich fiel und fiel und fiel und ich fiel so schnell, dass mir die Luft zum Atmen ausging. Mir wurde einfach der Boden komplett unter den Füßen weggerissen, mit der Erkenntnis, dass ich nicht wusste, an wen ich mich wenden sollte. Gibt es denn keinen Menschen, zu dem ich in dem Moment dieser großen Traurigkeit fliehen konnte, bei dem ich mich fallen lassen konnte? Ich dachte die ganze Zeit an Leyla. Leyla, Leyla, Leyla. Dachte mir, warum in Gottes Namen sie nicht einfach um die Ecke wohnen kann, warum ich sie nicht einfach anrufen kann. Ich fühlte mich so ausgeliefert. Aber nicht dem Kummer, sondern mir selbst, weil ich mich selbst nicht aufhalten konnte. Weil ich mich selbst nicht beruhigen konnte, obwohl ich das sonst doch immer schaffte.

Nein, diesmal nicht. Ich legte mich metaphorisch in die schei., die aus meinem Luftballon geplatzt war, und suhlte mich in ihr. Suhlte mich in dieser dreckigen, ätzenden schei., was mir nur noch mehr wehtat, aber ich kam einfach nicht mehr raus. Wie so ein hinterlistiges Moor. Man wird erwischt, von dem unerkennbaren Dreck im Boden, sinkt und sinkt und sinkt und umso mehr man versucht sich zu wehren, desto schneller und näher rückt der Tod.

So fühlte ich mich. So verzweifelt, so hilflos. Und ich war selber Schuld daran, weil ich es nicht schaffte, mich selbst am Schopf zu packen und aus dieser Hoffnungslosigkeit zu ziehen. Aber ich bin ja auch kein Baron Münchhausen.

Und dann geschah etwas, was ich niemals wollte, dass es je wieder passiert. Dieser Dämon in mir brach aus. Er brach einfach aus. Diese Schmerzen wurden unerträglich. Die Tränen, die schei., in der ich mich suhlte und aus der ich mich nicht befreien konnte. Und dann ging ich in die Küche, packte ein kleines Glas in die Jackentasche und verließ das Haus.

Ich brauchte Luft. Ich brauchte Luft zum Atmen und ich musste alleine sein. Ich konnte es nicht tun, wenn Kora mit im Haus war, aber ich musste es tun. Ich musste, ich konnte nicht anders, es war wie ein Zwang und er ließ mich nicht los. Es war mir lieber als alles anderes. Ich wollte diesen klaffenden Schmerz aus mir heraus kriegen, ich wollte einfach nur noch, dass es aufhört. Ich hielt es nicht mehr aus. Bei Gott, nach drei Stunden Tränen-Monsun reichte es. Ich konnte einfach nicht mehr! Also lief ich hinter die Stadtmauer auf eine Art Terrasse, die immer leer steht. Eine sehr schöne „Terrasse mit einem Efeu-Torbogen und einem uralten, riesigen Baum, der auch schon von Efeus Armen umschlungen worden ist. Diese Terrasse verschafft einen Überblick über die gesamte Stadt. Es ist ein atemberaubender Anblick. Manchmal. Aber diesmal war ich schon so von meinem Atem beraubt, dass mich nichts mehr beraubend konnte, deshalb brüllte ich auf, donnerte das Glas an einen Felsen und schnappte mir eine Glasscherbe.
Für wenige Sekunden war ich wie abgelöst, so schwerelos, ich kam endlich zur Ruhe. Ich hatte das Gefühl, dem Dreck in mir einen Ausweg verschafft zu haben.

Dieses erleichternde Gefühl hielt sich zwar dann, es tat nicht mehr weh. Die klaffende Leere in mir ätzte nicht mehr, brannte nicht mehr. Aber dafür hasste ich und schämte mich zutiefst dafür, was ich getan hatte. Nach drei Jahren.


Ungefähr so fühlt es sich jedesmal an. Es sind Schmerzen, die einfach aus einer Leere herauskommen, die aus mir selbst heraus kommt, Versteht ihr? Mir hat in dem Moment niemand etwas Böses getan, es gibt nichts, was mich getriggert hätte etc (mich triggern btw. Sowieso nur Gerüche und Musik/Melodien). An dem Tag konnte ich ja wenigstens weinen. Meistens ist das aber so, dass ich dann nicht einmal weinen kann, weil ich weinen hasse – ich finde es demütigend. Vor anderen aber auch mir gegenüber. Ich hasse es, zu weinen, hasse es, schwach zu wirken. Vor allem denke ich mir: Du hast doch gar nicht das Recht dazu, so beschissen traurig zu sein. Dir geht es gut. Andere Menschen erleben wirklich schei. in ihrem Leben und du heulst hier herum wegen nichts, du Egoist.

Ich habe das bei Frau Keyser auch schon angesprochen, das Problem ist nur, dass ich mich in der Hinsicht noch nicht so öffnen kann. Ich habe große Probleme damit, über mich und meine Gefühle oder „scheinbare Probleme“ zu reden… Ich hasse es einfach. Das Problem ist, dass ich, wenn ich mich anderen öffne, Ekelgefühle empfinde. Und davor habe ich Angst. Ich mag Frau Keyser nämlich so gerne, aber ich merke, wie in mir einfach sofort alles total blockt, sobald es um diese Gefühle geht, die mich traurig machen. Ich will nicht, dass ich sie wegen meiner Verkorkstheit anfange, sie nicht mehr zu mögen.

Was kann ich denn tun? Kennt jemand vielleicht diese Situation? Wie geht ihr damit um oder kann mir jemand von euch Tipps geben?

LG
Mira

21.03.2016 11:34 • 21.03.2016 #1


2 Antworten ↓


Vergissmeinicht
Liebe Mira,

wer ist Kora und wer ist Leyla und in welchem Zusammenhang stehst Du zu ihnen?

21.03.2016 15:42 • #2


Luna70
Hallo liebe Mira,

das ist ja schön, mal wieder von dir zu hören. Auch wenn es schade ist, dass es dir gerade nicht so gut geht. Dann bist du noch mit deiner Freundin zusammen und hast deine gefühlsmäßige Verirrung überstanden?

Zitat von Miira:
Ich sehe diese Geschichte gelassen. Es gibt weitaus Schlimmeres und außerdem verbinde ich keinerlei Gefühle mir dieser Geschichte. Klar weiß ich noch, wie ich mich damals gefühlt habe. So ungefähr jedenfalls. Aber heute lässt mich das komplett kalt.



Bist du sicher, dass dich das kalt lässt? Du erwähnst es immer wieder und ganz offenbar ist dieses Trauma ja niemals behandelt worden. Für mich sieht es eher so aus, als hätten ganz viele von deinen Problemen doch noch mit diesem Missbrauch zu tun.

21.03.2016 15:53 • #3