Hallo ihr Lieben,
er ist wieder da, der Heilige Abend. Die Zeit der Einsamkeit beginnt. Ich erinnere mich an die Zeit bis zu meinem 5. Lebensjahr. Ich stand jedes Jahr an Weihnachten im Wohnzimmer bei schummrigem Licht vor dem geschmückten Weihnachtsbaum und bewunderte ihn. Die Geschenke waren Nebensache. Dann aber kam das Jahr der Veränderung. Mein Bruder wurde geboren; ich wurde zum Schattenkind, bekam keine Liebe mehr; ich fühlte mich nicht nur allein; ich war wie weggeworfen. Seit diesem Zeitpunkt sind Weihnachtsbäume schmuckloses Beiwerk und Weihnachten für mich nur noch die Hölle. Angst vor dem Alleinsein, Angst vor Zurückweisung machte sich breit. Anfangs versuchte ich vor diesem Gefühl weg zu laufen, suchte allerlei Aktivitäten. Jedes Jahr an Weihnachten machten sich Flash Backs breit. Dann kam meine Scheidung und der Kontaktabbruch zu meiner Herkunftsfamilie, Weihnachten war ich nun endgültig allein. Ich jammerte herum, dass ich sooo allein bin und bekam allerlei Ratschläge wie: geh doch unter die Menschen, aber damals war ich noch nicht so weit.
Hier begann der Wendepunkt in meinem Leben. Ich jammerte und vergrößerte damit das mir ohnehin zugefügte Leid noch mehr. Plötzlich, das war vor genau 20 Jahren, fiel mir das Weihnachtsgedicht von Joseph von Eichendorff wieder ein.
Hier erst mal der Text:
Markt und Straßen stehn verlassen,
Still erleuchtet jedes Haus,
Sinnend geh’ ich durch die Gassen,
Alles sieht so festlich aus.
An den Fenstern haben Frauen
Buntes Spielzeug fromm geschmückt,
Tausend Kindlein stehn und schauen,
Sind so wunderstill beglückt.
Und ich wandre aus den Mauern
Bis hinaus in’s freie Feld,
Hehres Glänzen, heil’ges Schauern!
Wie so weit und still die Welt!
Sterne hoch die Kreise schlingen,
Aus des Schneees Einsamkeit
Steigt’s wie wunderbares Singen –
O du gnadenreiche Zeit!
Genau! Das mach ich! Gesagt, getan; ich ging durch die Gassen, schaute anderen durchs Fenster und ging hinaus ins freie Feld. Ich war plötzlich in der Lage, die Einsamkeit anzunehmen, ja sogar zu spüren, wie laut Einsamkeit sein kann. Dieses Erlebnis brachte in mir den Wunsch Kontakte zu suchen. Nach einigen Jahren der Suche und dem vorsichtigen Zugehen auf Menschen habe ich nun Kontakte zu einem Foto-Club, zu einer Schmerzgruppe und zu einer Internet-Selbsthilfegruppe, bei der ich dieses Jahr als Moderator an Weihnachten sozusagen Dienst schiebe.
Es ist ein weiter Weg vom Weglaufen vor der Angst bis zur Annahme der Angst, aber es lohnt sich.
liebe Grüße und frohe Weihnachten
Muhammad
24.12.2016 19:42 •
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