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L
Hi,

ich hoffe, einen ähnlichen Beitrag gibt es nicht schon.
ich bin 20 Jahre alt, ein Mädchen (oder Frau, wie man's nimmt. ) und bin in einer bayerischen Kleinstadt aufgewachsen.
Ich hatte schon im Kindergarten (weiter kann mich jetzt ehrlich gesagt nicht mehr zurück erinnern.) große Probleme auf andere
zuzugehen und sie anzusprechen.
Grundlage waren immer Gedanken wie: Interessieren die sich überhaupt für micht?, Hey, die kannst du doch nicht belästigen.,
Die kennen sich untereinander, was bildest du dir ein, dich dazwischenzudrängen?, Wenn ich sie frage, ob sie mit mir Spielen wollen,
sagen sie bestimmt nein und lachen mich aus, weil ich so dreist war, sie zu fragen, erzählen das dann allen und dann lachen mich alle aus und alle hassen mich., ... (Ich gehe davon aus, dass viele Leute in diesem Forum diese Gedanken nur zu gut kennen, einer der Gründe, warum ich mich angemeldet habe.)
Die Grundschule und das Gymi, auf denen ich war (eigentlich auch die Stadt selber, auch wenn es komisch klingt), hatten großteils eine sehr kalte, leistungsorientierte und künstliche Atmosphäre, in der sich das Bildungsbürgertum selbst beweihräuchert hat. (Natürlich gab und gibt es dort auch wirklich liebe und warmherzige Leute! Aber das öffentliche Bild, die PR ist eben eine andere.)
Auch hier hatte ich extreme Probleme, andere Leute anzusprechen. Mit der Pubertät ist es dann sogar noch schlimmer geworden.

Ich hatte immer nur drei bis fünf Freundinnen, die sehr oft gewechselt haben. Meistens haben sie mich nach und nach stehen lassen, wenn sie beliebter geworden sind. Schätze ich war zu langweilig.
Seit der Grundschule war ich immer wieder in Jungs aus meinem Jahrgang verknallt, aber ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, sie jemals anzusprechen. Mit Beginn der Pubertät hatte ich richtig Probleme, überhaupt noch mit Jungs in meinem Alter zu sprechen. (Das ist keine Übertreibung. Ich habe manchmal wirklich nicht reden können, mein Kehlkopf hat's nicht zugelassen.)

Durch positive Erfahrungen in meinem Verein und an meiner Arbeitsstelle bin ich mittlerweile wesentlich mutiger geworden, aber leider reicht das noch nicht, denn ich bin immer noch heillos schüchtern und zurückhaltend.

Mittlerweile bin ich an einer kleinen Fachschule mit wirklich tollem Klima und mache dort meine Ausbildung. Ich hatte einen guten Start. Mit drei Mädls aus meiner Klasse verbringe ich die Pausen, mit einer von ihnen beginne ich mich sogar anzufreunden. Hin und wieder traue ich mich, mich zu kleinen Gruppen hinzu zu gesellen und mich einfach mit ihnen zu unterhalten.
In einen Jungen aus meiner Klasse bin ich momentan unendlich verknallt. Ich würde ihn gerne ansprechen, weiß aber leider nicht wie. Ich habe Angst, er würde nein sagen, mich auslachen und es allen weitererzählen. (Wobei ich nicht mal glaube, dass der sowas tun würde.) Noch mehr Angst habe ich eigentlich davor, er könnte ja sagen. Denn wie soll ich ihm denn erklären, dass ich noch nie mit jemanden Händchen gehalten habe (von Küssen oder Sex ganz zu schweigen)?

Ich würde gerne mehr unternehmen. Auch leben statt nur zu existieren. Silvester und Geburtstag sind ein Grauß, weil ich fast immer alleine heulend zu Hause sitze.

Ich will ein normales Leben wie jeder andere auch.

Beim MPI für Psychiatrie bin ich momentan ambulant zur Diagnostik, zur Verhaltenstherapie (wegen anderer Problematiken auch) ebenso, d.h. ich bin nicht auf der Suche nach großen Lebensweisheiten, sondern nach Austausch mit Leuten, denen es ähnlich geht.

Ich habe viele schüchterne Menschen getroffen, ich kenne tausend Menschen, die Angst vor Referaten haben, ich kenne tausende Menschen mit Prüfungsangst, usw., aber ich habe noch niemanden getroffen, dem es so geht wie mir. (Mein Vater und meine Oma sind so ähnlich wie ich, aber mit ihnen kann ich nicht darüber sprechen.)
Als letzte Hoffnung habe ich das Internet durchforstet. In der Hoffnung, dass es Menschen gibt, die all das kennen (und sich durch diesen Text hier durchkämpfen. )

Ich suche nicht nach jemandem, der einen Zauberspruch spricht, nach dem alle Probleme verschwinden oder nach einem Aktionsplan Anti-Schüchternheit, sondern nach Menschen, die so ähnlich sind wie ich.
Ich wollte wissen,
ob jemand diese Gedanken kennt (ich habe eine Liste mit Gegengedanken aber die funktionieren (noch) nicht bei schweren Situationen),
ob jemand ähnliche Erfahrungen mit Freundschaft und Liebe gemacht hat und wie er damit umgegangen ist,
oder ob jemand kleine Tipps hat, um den Alltag angenehmer zu machen.

Lg

12.01.2016 15:58 • 12.01.2016 #1


7 Antworten ↓


J
Erstmal herzlich willkommen im Forum!
Ja, ich kenne das alles! Bei mir hat es so geendet, dass ich jetzt mit 39 völlig isoliert bin, keine Freunde habe und erst einmal in meinem Leben eine kurze Beziehung hatte. Die Sehnsucht nach einem normalen Leben ist bei mir auch immer da. Ich versuche halt jetzt, in einer Therapie die Ursachen für meine Schüchternheit und anderen Probleme herauszufinden und zu bearbeiten. Bei mir ist, glaube ich, das mangelnde Selbstwertgefühl schuld, was wiederum auf meine lieblose Kindheit zurückgeht. Ich bin auch sehr misstrauisch Fremden gegenüber, das ist schon fast psychotisch. Dass du auch eine Therapie machst, finde ich schon mal gut. Wie lange machst du sie jetzt schon und gibt es schon Fortschritte?

12.01.2016 16:54 • #2


A


Freunde, Schwarm und Angst vor sozialer Interaktion

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L
Hi, danke.

Oh man, klingt auch nach keinem schönen Verlauf. Aber ich bin froh, wenigstens zu einer Minderheit zu gehören und nicht ganz alleine zu sein.
Wenn ich so dreist fragen darf: Auf welche Diagnose ist es bei dir hinausgelaufen? (Aber musst auch nicht antworten.) Ich habe viel über Autismus und Soziale Phobie im Internet gefunden, aber das ging eintweder am Thema vorbei (Aut.) oder hat es nur dieses eher oberflächlich angekratzt (SP).
Andererseits bekomme ich meine ja auch demnächst. Nicht, um damit hausieren zu gehen, aber wie gesagt, besser Teil einer Minderheit als zu niemandem zugehörig.

In den Medien geht es immer um Soziopathen, Narzissten und Borderliner. Natürlich, das ist spektakulärer. Von Leuten wie uns ist nie die Rede. Zu langweilig. Fällt höchstens mal unter Kuriositäten bei Galileo o.ä.
(Aber andererseits ist's wahrscheinlich für die anderen auch blöd, weil sie nur als Klischees im Fernsehen dargestellt werden.)

Misstrauen kenne ich auch. Leider nicht nur auf der ängstlichen, bemitleidenswerten sondern auch auf der paranoiden, aufbrausenden Ebene, was natürlich a) meine ohnehin schon wenigen Freunde auf eine harte Geduldsprobe setzt und b) den Blick sehr von meinem Hauptproblem (also eigentlich zu starker Zurückhaltung) ablenkt.

Hat länger gedauert, bis ich mich zu der Therapie überwinden konnte. Bin ursprünglich wegen anderen Symptomen hingegangen, aber hab' dann bald damit rausgerückt, dass das größte Problem wo anders liegt. Jetzt bin ich dort seit Oktober.
Ich bin minimal weiter gekommen, aber das freut mich schon, denn es ist besser als Stillstand oder sogar Rückschritt. Es ist schwierig, vor allem wenn das unterstützende Umfeld so winzig ist.

12.01.2016 17:31 • #3


J
Ich habe Depressionen (ärztlich diagnostiziert) und laut diversen Online-Tests eine ausgeprägte Sozialphobie wie aus dem Lehrbuch. Mein Psychotherapeut meint außerdem, dass ich eine unspezifische Persönlichkeitsstörung habe. Tests für Autismus und Asperger habe ich auch schon gemacht, da kam heraus, dass ich beides nicht habe, aber an Asperger nahe dran bin.

12.01.2016 18:13 • #4


L
Unspezifisch heißt, sie haben keine Ahnung, oder? Kommt man sich oft allein gelassen vor.

12.01.2016 18:17 • #5


J
Haha, ja, das heißt es in etwa. Ich passe nicht so recht in den Klassifizierungskatalog nach ICD-10. Keine der spezifischen Störungen passt zu 100% zu meinen Symptomen. Am ehesten passt noch die Kombinierte Persönlichkeitsstörung. Oder die Vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung.

12.01.2016 18:21 • #6


L
Auch blöd...

12.01.2016 18:48 • #7


Frank__
Hallo Leberkas95^^

hm interessant, dass das bei dir bis in den Kindergarten hinein schon so war. Ich dachte sowas kommt später. Im Kindergarten war ich damit beschäftigt mich zu prügeln oder irgendwelche Bilder zu malen, zu sozialen Ängsten wäre ich da noch gar nicht in der Lage gewesen .

Du bist nicht alleine mit solchen Problemen. Ich bin 24 und mir geht es ähnlich. Ich bin noch ziemlich unerfahren was Beziehungen angeht. Bin total schlecht darin auf Frauen zu zugehen und sie anzusprechen.

Mit deiner Denkweise stellst du alle Leute auf ein Podest und fühlst dich selbst als viel weniger Wert. Das kenne ich von mir genauso. Das hat man sich irgendwann angeeignet und dann ist es schwer, daraus zu kommen.
Da hilft wirklich nur sich intensiv damit zu beschäftigen. Am Besten wäre es, wenn du einfach übst, also Leute ansprichst und es somit lernst. Dann würde deine Angst mit der Zeit viel kleiner werden und es würde dir immer leichter Fallen.
Das ist natürlich sehr schwierig. Ich habe mich auch jetzt so langsam erst dazu durch gerungen. Bin aber schon seit etwa 3 Monaten dabei meine Ängste abzubauen oder wenigstens zu akzeptieren, gleichzeitig mein Selbstwertgefühl zu stärken.

Falls du ernsthaftes Interesse daran hast, dich da zu bessern, kann ich dir die eine oder andere Lektüre empfehlen. Dort sind auch viele Übungen etc dabei, die alles in Gang bringen. Dafür musst du es aber wirklich wollen. Bei mir hat das gedauert, ich musste erst an einem Punkt kommen, an dem ich ziemlich Verzweifelt war, bis ich das angehen konnte.
Das gute ist, man Merkt erste Erfolge schon nach wenigen Wochen. Das motiviert.

Was mir sonst hilft ist, dass ich mich selbst nicht mehr für jeden Fehler oder jede komische Situation verurteile. Früher habe ich mich da für Kleinigkeiten teilweise Tagelang so mies gemacht... Das habe ich mittlerweile zum großen Teil hinter mir gelassen. Ich weiß nicht, ob dir das auch so geht. Falls ja, kann ich dir da auch den einen oder anderen Tipp geben.

LG
Frank

13.01.2016 00:12 • #8





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