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dorian
Hallo.

Nicht erst seit dem Film Der Rosenkrieg in dem Michael Douglas zu Denny Devito im Zug sagte, all die Menschen da draußen, die Erfahrungen machen, die wir noch nicht mal erahnen, oder so ähnlich. Immer wenn ich Sendungen wie Die PS-Profis oder Trucker-Babes sehe und die Kameras fest in den Fahrzeugen eingebaut sind, sieht man auf den Videos Menschen, wie Statisten wirkend, an denen sie vorbeifahren und niemand weiß, was diese Menschen gerade denken, was sie vorhaben und vor allem wissen die nicht, dass gerade ein TV-Wagen an ihnen vorbei fährt.

Das gleiche denke ich in letzter Zeit über mich, wenn ich an unserer viel befahrenen Bundesstraße entlanggehe. Denn dann bin ich der Statist, an dem Ortsfremde LKW Fahrer vorbei fahren. Meine Frau sagt immer, ich hätte einen Schlenkerfuß. Tatsächlich setzen meine Füße nicht perfekt ausgerichtet nach jedem Schritt wieder auf. Ob das einem der LKW Fahrer auffällt und er schmunzelnder Weise denkt, guck` mal, wieder so`n Dorftrottel in der Provinz, wie der schon daher geht. Na ja, das ist ja alles noch Peanuts gegen das folgende. Ich glaube es fing an, als ich per Zufall als Touri mit meiner Frau über den größten Hamburger Friedhof schlenderte. Gefiel mir einfach. Voller Bäume, alles schön grün und so.

Auf einmal blieb ich wie angewurzelt am Grab von Hans Albers stehen. Ich traute meinen Augen nicht, weil ich einem Star so nahe war. Das war schon bewegend. Von da an machte ich mir ab und an Gedanken über verstorbene Promis und googelte auch ganz gezielt nach Verstorbene aus dem einen oder anderen Jahr und war jedes mal auf`s neue verblüfft oder auch entsetzt, wer schon alles von uns gegangen ist. Jetzt aktuell kam darauf diesen Thread zu eröffnen, weil ich in einem anderen, wo es um Musik geht, den einen oder anderen Titel zum besten geben wollte.

Ich also ab in meine Lesezeichen und fand ein Lied von Beethoven. Ich dachte, ach guck mal, der ist auch schon so lange tot. Ich sollte es eigentlich nicht tun, denn auf diese Weise verstärkt man eine eh vorhandene Depression nur noch mehr. Aber es ist wie ein Zwang, mir geht es in letzter Zeit eh nicht gut, habe viele Dissoziationen und einen schwachen Lebenswillen. Da tut es auf der einen Seite auch mal gut über all das zu schreiben, einfach nur so, ohne Lösungen oder Brainstorming zu erwarten und/oder mal so richtig die Schleusen zu öffnen. Vielleicht geht`s danach ja wieder besser, wie nach einem reinigenden Gewitter. Danke für`s lesen.

09.07.2021 12:35 • 11.07.2021 x 5 #1


7 Antworten ↓


kritisches_Auge
Ich habe dich gelesen.
Wenn ich in der Stadt bin und mir das bunte Gewimmel und die Leute die vorübergehen anschaue, denke ich oft, dass in hundert Jahren niemand mehr von ihnen zu sehen sein wird und dann stelle ich mir die Stadt vor wie sie vor hundert Jahren aussah.

10.07.2021 10:28 • x 1 #2


A


Gedanken über den Tod anderer und ich als Randnotiz

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moo
Servus dorian,

Du hast Recht - wenn kümmern wir wirklich? Jeder kreist nur um sich und seine kleine Welt und ist gleichzeitig betrübt, dass sich keiner für ihn interessiert. Beim Lesen Deiner ersten beiden Absätze musste ich an folgendes Lied denken:

Klitschnasse Clowns

Da marschieren klitschnasse Clowns,
Doch die Leute, die den Umzug sehn, durchnässt,
Tragen viel bessere Masken -
Raffiniert und wetterfest.

Wie geschickt verbirgt die Frau dort,
Dass ihr Mann sie grün und blau schlägt!
Und wer erkennt im Ausgehkleid schon das Leid
Ringsumher!

Und währenddessen fällt der Regen,
Und Kinder patschen mit Sonntagsschuhen
Mitten in Pfützen hinein,
Und Mütter bemühn sich verzweifelt
Die Knirpse ins Trockne zu schrein.

Man sammelt Geld für die Kriegsbekämpfung
Fenster reizen zum Kauf.
Die Geldwelt reibt sich die Hände,
Denn die Rechnung geht glatt auf.
Auf dem Markt steht das Denkmal
Ein ehrenwertes Schlitzohr -
Der Lohn für die perfekte Gaunerei.

Hagel prasselt herab.
Väter fluchen.
Beim Bahnhof eine Schlägerei.
Es wird plötzlich finster.
Der Himmel hängt nun ganz tief.
Es blitzt!
Da, nochmal!
Gott macht ein Foto von der Stadt fürs Archiv.

Dreißig Methoden, um Büsten festzuhalten.
Frauenfleisch auf Papier.
Mütter zerren die Söhne weiter.
Greise verspüren Gier.

An dem Stand, wo's nach Fett stinkt,
Kauft ein Fettwanst eine Bratwurst
Und stopft sie hastig in sich rein.
Spatzen kontrollieren, was er wegwirft,
Daneben hebt ein Hund sein Bein.

Und überall Scherben, Betrunkene torkeln,
Und einem wird schlecht.
Lautsprecher dudeln.
Menschen in Rudeln,
Ein Bettler spielt Brecht.

Da marschieren klitschnasse Clowns,
Doch die Leute, die den Umzug sehn, durchnässt,
Tragen viel bessere Masken -
Raffiniert und wetterfest.

Wie geschickt verbirgt die Frau dort,
Dass ihr Mann sie grün und blau schlägt!
Und wer erkennt im Ausgehkleid
Schon das Leid,
Ringsumher!

Und währenddessen fällt der Regen,
Und Kinder patschen mit Sonntagsschuhn
Mitten in Pfützen hinein,
Und Mütter bemühen sich verzweifelt
Die Knirpse ins Trockne zu schrein...

Quelle: Musixmatch
Songwriter: Herman Van Veen / Erik Van Der Wurff / Robert Rob Chrispijn

10.07.2021 15:44 • x 2 #3


Chingachgook
Hi dorian,

ich musste bei Deinen Überlegungen gleich an Eleanor Rigby von den Beatles denken, speziell an die Zeilen:
All the lonely People, where do they all come from ?
All the lonely people, where do they all belong ?

Mich beschleichen ganz ähnliche Gefühle, wenn ich mit dem Zug quer durch die Republik fahre, vorbei an einsam liegenden Gehöften und Dörfern, deren Namen man nie erfahren wird, durch Vor- und Großstädte.
Wenn man den Blick auf ein Häusermeer werfen kann oder auf verschachtelte Hinterhöfe, sieht man all die Fenster, hinter denen Menschen in Wohnungen leben, in denen sich Glück und Unglück abspielen, Dramen oder Alltäglichkeiten.

Unsere geistige Kapazität ist mit dieser Fülle an Leben, mit dieser Fülle an Existenzen völlig überfordert. Man muss kapitulieren und es bleibt nur ein Staunen übrig verbunden mit der Einsicht in die eigene Winzigkeit im grossen Ganzen.

Bedeutend sind wir allerdings durch den Umgang mit den Menschen, die uns nahe stehen.

10.07.2021 20:00 • x 3 #4


Abendschein
Zitat von moo:
Du hast Recht - wenn kümmern wir wirklich? Jeder kreist nur um sich und seine kleine Welt und ist gleichzeitig betrübt, dass sich keiner für ihn interessiert.

Falsch! Ich kümmere mich, sowohl um den Tod anderer und um meinen.
Ich kreise nicht nur um mich. Grade im Bezug auf den Tod, habe ich oft Angst um andere, das sie nicht
mehr da sind und weg gehen und auch um meinen Tod. Nur, das einzige daran ist, es ist nicht zu
ändern ist. So sehr ich auch darüber nachdenke und mir Sorgen mache, er bleibt, der Tod kommt ganz gwiß.
Darüber nachzudenken, erschwert nur das (mein) Leben.

10.07.2021 21:31 • x 2 #5


Schlaflose
Zitat von LeroyDingsbums:
Unsere geistige Kapazität ist mit dieser Fülle an Leben, mit dieser Fülle an Existenzen völlig überfordert. Man muss kapitulieren und es bleibt nur ein Staunen übrig verbunden mit der Einsicht in die eigene Winzigkeit im grossen Ganzen.

Bedeutend sind wir allerdings durch den Umgang mit den Menschen, die uns nahe stehen.


Genau, es macht krank, wenn man sich um die Belange aller fremden Leute kümmern würde. Sich darüber überhaupt Gedanken zu machen, ist schon ein Zeichen von psychischer Krankheit.

11.07.2021 06:12 • x 1 #6


moo
Zitat von Abendschein:
Ich kreise nicht nur um mich. Grade im Bezug auf den Tod, habe ich oft Angst um andere, das sie nicht mehr da sind und weg gehen und auch um meinen Tod. Nur, das einzige daran ist, es ist nicht zu ändern ist.


Ist das nicht letztlich doch wieder ein Kreisen um sich selbst? Die Angst um den Weggang anderer hat doch eigentlich sehr viel mit mir selbst zu tun... Wenn sie nicht mehr da sind meint doch hier (= bei mir) und es geht wieder um nicht loslassen können, was man eh nie im Griff hatte.

Ich will hier nicht purem Egoismus das Wort reden. Aber ich prüfe bei mir oft, ob meine Fürsorge, mein Mitgefühl und Verantwortungsbewusstsein nicht doch zu einem guten Stück Eigennutz darstellt. Das ist nicht verwerflich aber die Missinterpretation führt zu Leid, das schon... Aber ich glaube, das Thema hatten wir schon öfter

Zitat von Schlaflose:
Genau, es macht krank, wenn man sich um die Belange aller fremden Leute kümmern würde. Sich darüber überhaupt Gedanken zu machen, ist schon ein Zeichen von psychischer Krankheit.


Zwar ein bisserl krass formuliert, aber ja - die psychische Krankheit wird sowohl von den Medien aktiv befeuert als auch von uns selbst, z. B. hier im Forum, immer eifrig am Laufen gehalten. Die einen kümmern sich um ihre Sorgen und benötigen Hilfe, die anderen bedienen diesen Mangel und erfahren dadurch eine gewisse Art von Selbstbestätigung.

Es ist ein große Kunst, seine Sinnestore und somit seine Gedanken und damit seine Welt achtsam zu nutzen. Die Angst vor Einsamkeit und Bedeutungslosigkeit will ständig wohin, will etwas hereinholen, will Kontakt und Bestätigung erleben. Was denn bestätigen?

Und damit sind wir wieder mal bei uns selbst - dieses vermeintlich gut bekannte Wesen, dessen Hinfälligkeit und Abhängigkeit wir doch irgendwie tief drinnen ständig spüren.

Und genau dies alles projizieren wir auf unsere Gegenüber, auf die Nachbarn, die Dorfgemeinschaft, das Land, die Weltbewohner und können nur straucheln durch unseren ungeschulten Umgang mit diesem Werkzeug - diesem Geist. Wir wissen so viel und gleichzeitig sind wir so arm im Geiste, wie wir zeitweltens wohl nur selten waren.

11.07.2021 07:56 • x 3 #7


dorian
Danke für`s lesen und schreiben Freunde, das hat mir sehr viel gegeben. Fühlte mich sofort ab dem ersten Posting gut aufgehoben.

@moo Bei dem Text muss man wirklich mal seinen Grips anstrengen und sogar öfter lesen. Mal was anderes, als diese ständigen Herz/Schmerzlieder, in denen es die Protagonisten nur nachts.......ihr wisst schon was.

@LeroyDingsbums Mein englisch würde ich zwar bestenfalls als rudimentär bezeichnen, aber das mit lonely habe ich herausgehört. Überhaupt reagiere ich zu 95 % nur auf die Melodie, wie auf dieses Lied von den Beatles. Hier unter uns kann ich es ja sagen, denn als ich Eleanor.........hörte, musste ich bereits nach Sekunden zum Kleenex greifen. Ich glaube, es lag an den Streichinstrumenten, die bei mir etwas auslösen. Das gleiche bei dem Film Philadelphia, als Tom Hanks während des Vorgesprächs mit Denzel Washington die Arie La mamma morta, gesungen von Maria Callas laufen lies. Ich meine, das Lied selbst klingt schon traurig genug, doch dieses einzelne Cello, das für ein paar Sekunden zu hören war und auf das Tom Hanks auch extra hinwies, jou, das hatte schon was extrem tiefes.

Dann brauche ich ab und zu unbedingt mal ein Gegenpart wie Pokerface von Lady Gagga, das mich davor bewahrt, in eine Endlosschleife nach unten abzudriften.

11.07.2021 09:08 • x 1 #8





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Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl