Das alleine rechtfertigt aber noch nicht, dass ich Angst habe, raus zu gehen und einzukaufen. Jeder Mensch hat Schicksalsschläge. Bei jedem Menschen sterben Angehörige. Und jeder Mensch erlebt unschöne Dinge.
Ich kann mir in gewisser Weise vorstellen, woher meine speziellen Ängste kommen. Ich war als Kind nie alleine. Daheim war immer jemand. Also sehr überbehütet. Aber das gab mir ja dann auch Sicherheit. Ansonsten hatte ich aber wegen der Scheidung meiner Eltern eine schwierige Kindheit. Eben OHNE Eltern. Bzw. mit einer Mutter, die sich wenig gekümmert hat. Sehr jung, auf sich bezogen, keine Nerven für Kinder, Geld verdienen musste. Einem Vater, zu dem mir der Kontakt verwehrt wurde. Bloß, weil in den 80er Jahren Nicht ohne meine Tochter so modern war und meine Mutter die irre Vorstellung hatte, er könnte mich verschleppen. Eine normale Kindheit ist das doch nicht.
Andererseits haben andere Kinder es gewiss schlimmer. Mir fehlte es ja an nichts. Meine Oma passte auf mich auf, ich hatte alles. Nur eben keine Eltern in dem Sinne.
Als meine Oma einmal umgefallen ist (warum, weiß ich heute nicht mehr - ich war ja ein Kind), also entweder war es ein Schlaganfall oder ein Zuckerkoma, liess meine hysterische Mutter mich mit ihr alleine und rannte weg, um Hilfe zu holen. In der Nachbarschaft. Anstatt wie jeder normale Mensch das Telefon zu betätigen und den Notarzt zu rufen. Ich denke, dass evtl. DAS meine Angst vor dem Allein sein und dem Umfallen ausgelöst hat. Ich weiß nicht mehr, wie alt ich war. Vielleicht 8 Jahre. In meiner Jugendzeit hatte ich dann Schwindelanfälle. Aber das war nicht so wie heute. Aber ich hatte damals phasenweise große Angst, zur Schule zu gehen oder spazieren zu gehen. Aber ich denke, dass das keine reinen Panikattacken waren. Eher diffuse Angst. Machen konnte ich ja alles. Rad fahren, einkaufen. Irgendwann war das auch ganz weg und mir ging es sehr lange sehr gut. Aber ich denke, dass es in der Kindheit schon seinen Ursprung genommen hat.
Ich machte ungerne beim Schulsport mit (Angst vor Verletzungen) und beteiligte mich nicht mehr an Klassenfahrten (Angst, dass es mir dort schlecht gehen könnte) und schwänzte oft den Nachmittagsunterricht (lange auf den nächsten Bus warten müssen).
Aktuell ist es so, dass ich eben sogar allein im Supermarkt war. Mein Mann saß im Auto.
Das läuft dann so ab, dass ich rein gehe, genau weiß, was ich haben will, gezielt an diese Regale gehe, mich an Leuten schnell vorbei drücke, Ausschau halte, wo wenig an der Kasse los ist und dann dort unruhig warte. Meine Bekannte schilderte genau dieses Verhalten. Und auch einige von euch hier berichten davon ja.
Manchmal ist es aber auch so gravierend, dass ich schreiend raus rennen möchte, auch schon mal raus renne und dass ich kein Gefühl mehr in den Beinen habe.
Wenn ich dann aber hier lese, dass es Menschen gibt, die gar nicht mehr raus gehen, die nur online kaufen, die Angst haben müssen, dass die verhungern könnten. Dann komme ich mir ganz schlecht vor und schäme mich. Denn ich habe eine Familie, die das notfalls übernehmen würde und ich schaffe es im Notfall irgendwie raus. Sogar im eigenen PKW. Vielleicht sollte ich diesen Zustand annehmen. Auch wenn er sich nicht mehr verbessert. Auch wenn es affig ist, immer wieder im gleichen Geschäft Angst zu haben.
Schade ist nur, dass ich sehr wenige Aktivitäten unternehme. Wie spazieren gehen (so gut wie nie), bummeln gehen (so gut wie nie). Von Freizeitparks, Volksfesten etc. mag ich gar nicht erst reden. Es fehlt einem eben ein Stück Lebensqualität. Man kann halt so das Alltagsleben aufrecht erhalten. Mit einkaufen gehen, Arztbesuchen, Bank, Apotheke, Mülltonnen raus fahren, an den Briefkasten gehn, im Garten arbeiten, im Garten sitzen usw. Aber so ein richtiges normales Leben ist es nicht. Und das ist bei mir seit dem Frühjahr wieder so. Mein letzter Urlaub liegt bald 4 Jahre zurück. In ein Flugzeug steigen? Am Strand liegen? Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal kann. Aktuell nicht. Das sind so Sachen, die mich runter ziehen.
Bekannten zu Hause besuchen. Das ginge. Besuch empfangen. Das geht auch. Aber ein großer Weihnachtsmarkt? Oder das Auto parken und sich davon weit entfernen? Never. Zum Friseur gehen ist auch so ein Thema. Zuletzt im Sommer. Ich habe dort gesessen und dachte, ich kollabiere da und habe nur gedacht, hoffentlich ist die olle Friseurin bald fertig. Gottlob habe ich lange Haare und es schränkt mich daher nicht wirklich ein, wenn ich nicht hin gehe.
Ich würde halt mal gerne in den Zoo, auf den Weihnachtsmarkt, zum Friseur ohne Angst, in ein Shoppingcenter, einen Spaziergang machen, zu Fuß gehen anstatt mit dem Auto zu fahren, mich irgendwo mit Leuten unterhalten anstatt zu denken: Hoffentlich begegnet mir bloß keiner, der mich anquatscht, im Wartezimmer gemütlich die Zeitung lesen anstatt zu denken, dass ich dort umfalle. Ich würde mich gerne mal wieder richtige Sachen trauen. Mit dem Auto weit weg fahren, Urlaub machen, Klamotten kaufen gehen ohne vorher zu überlegen, wo a) wenig los ist, b) ich direkt mit dem Auto hin komme und c) wer mich dahin begleitet.
Ich wäre gerne wieder unabhängig von anderen Leuten. Aber das bedeutet: Selbstvertrauen haben. Sich ETWAS trauen. Sich TRAUEN, alleine zu sein. Etwas alleine zu bewältigen. Und das fällt mir so schwer.
17.12.2012 12:56 •
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