Hallo Melodie,
die Frage ist so leicht nicht zu beantworten, hier greifen 2 Aspekte ineinander: zum einen die persönliche Chemie zwischen Dir und dem Therapeuten und zum anderen die Therapieform.
Und da muss man unterscheiden.
Grundsätzlich gilt natürlich: Wenn es zwischenmenschlich so gar nicht passt, sollte man es lassen, dafür sind die probatorischen Sitzungen ja da.
Man muss sich aber auch ehrlich fragen, ob es wirklich am Therapeuten persönlich liegt oder nicht vielleicht doch eher an der Therapieform und auch an den eigenen Wünschen und Vorstellungen, die man von der Therapie hat.
Trotz des schwierigen Anfangs ist es meiner Meinung nach nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass Du auch mit diesem Therapeuten noch weiterarbeiten kannst.
Ich würde vielleicht nochmal das Gespräch mit ihm suchen und die Probleme ganz offen ansprechen, viele Therapeuten sind auch bereit, ihren Therapie-Stil zumindest etwas an die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten anzupassen (in einem gewissen Rahmen). Ein offenes Gespräch ist da immer hilfreich, und an seiner Reaktion wirst Du auch schon viel ablesen können und ein Gefühl dafür bekommen, ob es Sinn macht, die gemeinsame Arbeit fortzusetzen.
Ich nehme jetzt mal an, dass Du Verhaltenstherapie machst, falls Du eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie machst, werden Teile meines folgenden Beitrags nicht zutreffen, ignoriere dann einfach die Stellen, die nicht passen.
Das, was ich beschreibe, sind einfach Beobachtungen, die ich bei recht vielen Patienten gesehen und erlebt habe, es bildet aber insgesamt nur Tendenzen ab, im Einzelfall kann es immer anders sein. Ich beschreibe einfach nur oft beobachtbare Probleme und ganz grundsätzliche Tendenzen in den beiden Therapieformen.
Verhaltenstherapie ist ja recht weit verbreitet (und aufgrund recht schnell sichtbarer Resultate auch durchaus beliebt), aber halt nicht immer für jeden etwas, zumindest nicht in jeder Lebensphase.
Vorweg: Natürlich sind nicht alle VT-Therapeuten gleich, da gibt es selbstverständlich auch individuell große Unterscheide.
Aber ganz grundsätzlich:
Verhaltenstherapie läuft halt etwas anders als tiefenpsychologisch fundierte Therapie. Es ist der Ansatz der VT, ganz konkret im Hier und Jetzt etwas zu verändern, und das gefällt vielen Patienten nicht, weil sie eigentlich zunächst erstmal nicht gleich etwas verändern wollen (auch wenn ihnen das nicht unbedingt bewusst ist), sondern erstmal nur über die Vergangenheit reden wollen (über längere Zeit). Das führt ganz oft zu genau solchen Konflikten, wie Du sie beschreibst. Viele Patienten wollen sich erstmal nur die Vergangenheit von der Seele reden, hoffen erstmal auf Trost und Verständnis und finden es dann überhaupt nicht gut, wenn der Therapeut stattdessen diese Vergangenheits-Berichte recht schnell unterbricht, den Fokus immer wieder auf konkrete Veränderungen im Hier und Jetzt lenkt und den Patienten nicht in dieser Haltung verharren lässt bzw. die Vergangenheit nicht als Grund gelten lässt, im Hier und Jetzt nicht trotzdem aktiv etwas zu verändern.
Es ist ja auch die Aufgabe des Therapeuten (zumindest in der VT), die Therapiestunden auch aktiv zu führen und zu leiten, damit die Therapie auch zum vereinbarten Ziel führt, er hat ja einen Behandlungsplan dafür entworfen, um diese Ziele zu erreichen, und wenn Du z.B. auf seine Fragen nicht antwortest, sondern stattdessen etwas anderes erzählst (und das sind dann bei vielen Patienten Geschichten aus der Vergangenheit), ist es ja seine Aufgabe, Dich da zu unterbrechen und Dich wieder auf Kurs zu bringen, das würden die meisten VT-Therapeuten so machen.
Die VT fordert viel Veränderung-Engagement vom Patienten, und das haben viele gerade zu Beginn der Therapie noch nicht. Die VT ist weniger tröstend, weil viele VT-Therapeuten der Meinung sind, dass das nichts bringt und dem Patienten auf Dauer nicht weiterhilft.
Es werden vielleicht sogar auch Anforderungen gestellt und der Patienten nicht einfach nur mit Sätzen getröstet wie Es ist ja auch verständlich, dass Sie bei der Vergangenheit heute Probleme haben. Das sagen VT-Therapeuten zwar auch, aber sie lassen es nicht als Grund dafür gelten, in der Gegenwart nichts zu verändern.
Das klingt hart, ist aber durchaus im Sinne des Patienten gemeint.
Aber viele Patienten empfinden deshalb die Verhaltenstherapie häufig als hart und auch mal mitleidslos, eben weil der Therapeut trotz der Vergangenheit Anforderungen an seinen Patienten stellt und erwartet, dass dieser sich bewegt und nicht in einer passiven Haltung verharrt.
Die tiefenpsychologisch fundierte Therapie geht da etwas anders vor, da liegt der Fokus viel mehr in der Vergangenheit und es geht weniger darum, konkrete Veränderungen Hier und Jetzt herbeizuführen.
Darum sind TP-Psychologen auch meistens weniger fordernd als VT-Therapeuten.
Viele Patienten empfinden das zunächst auch als sehr angenehm, stellen nur oftmals irgendwann fest, dass sich im Hier und Jetzt nicht wirklich etwas verändert, und das kann auf Dauer auch frustrieren.
Man sollte sich also fragen, was man sich eigentlich von der Therapie genau erhofft und dementsprechend die Therapieform und/oder den Therapeuten wählen.
Ich persönlich denke, dass Du Dich nochmal ganz ehrlich fragen solltest, was Du eigentlich gerade möchtest und was Du vielleicht gerade brauchst (und dabei auch wirklich ehrlich hinzusehen):
Das, was man sich wünscht (oder was sich im ersten Moment vielleicht gut anfühlt), ist nicht immer auch das, was einem wirklich weiterhilft. Was sich kurzfristig gut anfühlt, ist manchmal langfristig nur wenig hilfreich.
LG Silver
25.02.2022 06:54 •
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