Zitat von rotezora2k:Wieso kann ich denn bitte nicht einfach mal happy sein bis 6 Uhr geschlafen zu haben? Ich versteh mich nicht
Weil das ständige Suchen nach Erklärungen Bestandteil der Störung ist. Wir trainieren uns darauf, uns mit Erklärungen zu beruhigen. Daraus folgt irgendwann, dass wir nur beruhigt sein können, wenn alles artig seine Erklärung hat. Fehlt eine solche, fehlt die Kontrolle darüber, die Situation im Griff zu haben.
Zitat von Julischka85:Wann muss man wirklich Hilfe holen und wann ist es nur Panik
Was es braucht ist die radikale Akzeptanz, dass es immer nur Panik ist. Wenn man 1001 Situation mit ähnlichen Symptomen überlebt hat, bleibt einem nur die Wahl, hinzunehmen, dass man mal wieder spinnt oder halt jedes weitere Mal das immer gleiche Spiel zu spielen.
Dass sich die Symptome immer ein wenig verändern und immer massiver werden , liegt in der Natur der Dinge. Wir warten ja quasi auf den *Beweis*, doch krank zu sein.
Solange man nicht bereit ist zu glauben, dass man gesund ist, geht das immer so weiter. Womit wir bei der Frage sind, wie das geht. Ich denke, es braucht mehreres.
Zum einen den medizinischen Check. Den haben die meisten hier ja in wiederholter Ausführung. Dann eine Lebensführung, die uns erlaubt, Zutrauen in unseren Körper zu entwickeln. Schonung und Meideverhalten gehören nicht dazu. Solange man lebt wie ein Kranker, bleibt man auch krank. Wir müssen das Leben eines Gesunden führen.
Wenn ich schlank sein will, muss ich essen wie ein Schlanker. Weiterhin zu viel vom Falschen zu essen lässt mich dick bleiben. Ebenso wenig Erfolg werde ich haben, wenn ich mich ein paar Tage richtig ernähre und dann wieder in altes Essverhalten falle. Wenn ich das tue, werde ich immer nur noch dicker werden.
Das Entscheidende ist aber nach meiner Erfahrung, dass ich bereit sein muss, zu akzeptieren, dass ich meinen Tod nicht verhindern kann. Jeder Hypochonder kennt die Geschichten von Leuten, bei denen Krankheiten zu spät erkannt wurden, Hilfe zu spät eingetroffen ist, Ärzte falsche Diagnosen gestellt haben.
Das veranlasst uns zu dem Glauben, dass nur unsere eigene Wachsamkeit uns retten könnte. Tut sie aber nicht. Wir können bei jeder PA in der Notaufnahme aufschlagen und dann an einem Tumor sterben, der sich unerkannt und völlig
beschwerdefrei entwickelt hat.
Wir können in einem Unfall ums Leben kommen, ein Gefäß kann plötzlich und ohne jede Vorankündigung platzen und nicht zuletzt können wir durch eine Untersuchung am Herzen sterben. Ablationen und Katheteruntersuchungen können zu Herzversagen führen und ein erhöhtes Schlaganfallrisiko bewirken,.
Ich kann heute mit Sicherheit sagen, dass es letzten Endes eine einzige entscheidende Sache war, die mich aus der Angst vor dem Tod geholt hat: Ihn zu akzeptieren.
Wenn ich sterbe, sterbe ich. Die Umstände, die zu meinem Tod führen, kann ich nur sehr begrenzt beeinflussen. Also gehe ich regelmäßig zu meinen Routinechecks und ansonsten nur dann zu einem Arzt, wenn ich eine ununterbrochene Verschlechterung meines Zustands über Tage habe.
Wenn ich beim Laufen, beim Treffen mit Freunden, beim Feiern, Bummeln, Autofahren, Tanzen, Toben mit den Enkelkindern tot umfalle, ist es halt so. Dann krieg ich eh nichts mehr mit. Wenn ich im Schlaf sterbe, erst recht nicht. Würde ich sogar gern, wenn ich mir meine Todesart aussuchen könnte.
Jeden Tag Todesangst haben, ist unterm Strich die viel schlechtere Option. Ich hab ja noch nicht mal was davon, wenn ich mal wieder nicht sterbe. Es ist nur ein Luftholen für den nächsten Todeskampf.
Dieses Spiel mitzuspielen heißt nichts anderes, als mich selbst zu täglicher, lebenslanger Todesqual zu verdammen. Weil ich nicht bereit bin, zu akzeptieren, dass ich jederzeit sterben kann, sterbe ich täglich aufs Neue.
Ich habe für mich erkannt, dass an einem solchen Leben nichts lebenswert ist. Es ist das Leben eines zum Tode Verurteilten, der in seiner Zelle auf den Moment wartet, an dem er endlich hingerichtet wird. In diese Zelle sperren wir uns selbst und vollstrecken dabei auch noch die Folter bis zu dem Tag, an dem wir wirklich sterben.
Kein wirklicher Tod wird schlimmer sein.
Wir machen uns Gedanken über unsere Lieben, die wir zurück lassen und verderben gleichzeitig 1000 wunderbare Augenblicke des gemeinsamen Lebens. Wir belasten sie mit unseren eingebildeten Wehwehchen, zwingen ihnen Rücksichtnahme auf unsere Befindlichkeiten auf und sind nicht mehr in der Lage, genau das zu genießen, vor dessen Verlust wir uns täglich fürchten.
WIR HABEN ALL DAS LÄNGST VERLOREN.
Da ist nichts mehr, was der echte Tod uns noch nehmen könnte, weil wir es uns selbst genommen haben. Das machen wir jeden verdammten Tag.
Daran ändert auch wenig, wenn wir Sachen zwar tun, aber dabei trotzdem dauernd Angst vor dem Tod haben. Deswegen gibt es auch keine Besserung. Die Tür zu unserer selbst gewählten Zelle kann ruhig offen stehen, solange wir die Fußfesseln tragen. Sie werden unseren Radius weiterhin erfolgreich begrenzen und Freiheit verhindern.
Wie man das mit der Akzeptanz des Sterbens hinkriegt, kann ich nicht erklären. Das muss man mit sich selbst ausmachen. Und man kann sich dabei nicht beschummeln. Wenn man nicht wirklich akzeptiert, dass man eben stirbt, wenn es so sein soll, klappt es nicht.
Dann stirbt man vermutlich weiterhin jeden Tag.