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P
Hallo Zusammen,
ich habe mich hier angemeldet weil ich langsam nicht mehr weiter weiß. Ich bin 40 Jahre und bei mir wurden folgende Diagnosen gestellt:

ADHS, generalisierte Angststörung.

Mein Problem: Ich leide darunter. Ich muss immer alles unter Kontrolle haben, deswegen fliege ich nicht, fahre selten Aufzug und steige in kein Fahrgeschäft. Ich weiß das ich eigentlich Medikamente benötige, nehme diese jedoch nicht aufgrund von Angst vor Nebenwirkungen, ich kontrolliere oft meine Körpertemperatur, meinen Puls sowie SpO2 gehallt (Pulsoximeter). Ich vermeide viele soziale Kontakte, obwohl ich mich danach sehne. Ich leide zusätzlich an Asthma, bin Raucher und trinke zu viel.

Das, was nach einem schlechten Witz klingt, bin leider ich und bisher konnte mir noch niemand helfen. Da gabs dann mal Ritalin, Escitalopram, Strattera. NICHTS davon habe ich aufgrund meiner Ängste anrühren können. Was wenn mein Herz nicht in Ordnung ist? (Ritalin) Wenn meine Ängste durch das Antidepressiva schlimmer werden?

Das ging sogar schon so weit das ich im Krankhaus auf Opiate verzichtet habe auf Angst von körperlichen Symptomen, die ich nicht unter Kontrolle habe. Ich MUSS alles unter Kontrolle haben und mein Leben lang schon tue ich alles dafür. Wenn sich etwas in meinem Körper ändert, worüber ich keine Kontrolle habe, bekomme ich Panik. Und, ganz aktuell wird das Thema wieder präsent.

Ich muss einen Weisheitszahn ziehen lassen. Örtliche Betäubung kommt nicht in Frage. (Würgereiz, Angst etc. ) Lachgas würde bei mir eine paradoxe Wirkung hervorrufen (Wegen Angst vor Kontrollverlust) und Sedierung darf ich nicht laut Internet wegen Alk. und Asthma/leichte chronische Bronchitis. Vollnarkose kann ich mir nicht leisten

Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Es ist, als verschließe ich mir jegliche Tür, die zur Hilfe führen würde. Klare Diagnosen gibt es auch nicht und mir ist keine psychiatrische Erkrankung bekannt die dieses Bild widerspiegelt. (Was mich natürlich wieder daran glauben lässt, an etwas mega Seltenes erkrankt zu sein)

Kennt das jemand von Euch? Wie schaffe ich den Weg aus diesem Teufelskreis?

Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder und einen guten Job, es muss aber etwas passieren. Oft habe ich dann die Motivation und starte einen neuen Versuch, bei einem neuen Arzt der wieder nur Pillen verschreibt. Und für eine Tagesklinik habe ich einfach keine Zeit bzw. Ich bin noch recht frisch im Unternehmen.

Es ist alles doof. Wie soll ich da nur rauskommen?

03.04.2024 14:14 • 03.04.2024 x 1 #1


3 Antworten ↓


D
Es wird Dir sicher schon mal jemand gesagt haben, dass der Gedanke, alles unter Kontrolle zu haben, eigentlich eine Illusion ist. Und das tägliche Leben wird Dir das auch garantiert schon mal bewiesen haben, das es so ist. Jetzt zu sagen „ich muss alles unter Kontrolle haben“ ist daher im Grunde nutzlos, denn da es ja nicht so ist, bewirkt es ja nur, dass es negative Gefühle hervorruft und die nutzen ja auch nichts. Wenn Dir die Akzeptanz, nicht alles unter Kontrolle haben zu müssen und können, nicht da raus hilft, wüsste ich jetzt allerdings auch keinen Ausweg aus diesem Dilemma.
Bliebe noch die Frage, die Du aber nicht beantworten musst, wie sich das mit dem unter Kontrolle haben innerhalb deiner Familie auswirkt?

03.04.2024 14:46 • x 2 #2


A


Komplex und undurchsichtige Ängste

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Reconquista
Zitat von PeterF:
Das, was nach einem schlechten Witz klingt, bin leider ich und bisher konnte mir noch niemand helfen.

Lieber PeterF,
willkommen hier unter uns „schlechten Witzen“. Ich habe gerade deinen berührenden Selbstbericht gelesen. Du bist nicht allein mit deinen Ängsten und denke bloß nicht, du seist jetzt der super Einzelfall, der noch viel spezieller ist alle anderen Fälle, der unlösbar ist und eigentlich ins Guiness Buch der Rekorde gehört. Mit deinen Ängsten und Prinzipien, keinerlei Medikamente zu nutzen, machst du es dir nur auf den ersten Blick schwerer als andere. Auf den zweiten Blick ist es eine Verweigerungshaltung und einfach nur eine „Zeitreise“. Der Verweigerungshaltung liegen solche und ähnliche Gedanken zugrunde: „Ihr könnt mir sowieso alle nicht helfen, niemand versteht mich wirklich, euch allen geht es gut aber ich war immer allein mit allem, innerlich, nur ich allein kann mir helfen, ich brauche eure „Hilfe“ nicht“. Die „Zeitreise“ katapultiert dich in das neunzehnte Jahrhundert zurück, als es noch keine modernen Schmerzmittel gab, geschweige denn Psychopharmaka. Wenn Du das so willst, ist es okay: die Menschen lebten schließlich zig tausende von Jahren ohne moderne Medikamente.
Dein Satz oben hat mich berührt. Du sagst: „das bin leider ich“. Das löst bei mir Traurigkeit und Mitgefühl aus. Ich glaube, da spricht eine ganz alte Selbstbeschimpfung aus dir, obwohl du erwachsen bist, Frau und Kinder und einen guten Job hast. Hier wurde etwas überholt (wie auf der Autobahn) und zurückgelassen: dein alter Schmerz. Du bist mitnichten ein „schlechter Scherz“! Und du bist mitnichten „leider“ der, der du bist. Niemand kann dir das vergangene Erlittene und die innere Einsamkeit und Verunsicherung, die seit frühen Jahren in dir steckt, herausreißen, sodass du dich neu fühlst. In diesem Sinne kann dir niemand „helfen“. Andere haben dir in deinem Leben sehr viel geholfen, dich begleitet, dich unterstützt, dich geliebt, mit dir gelacht, dir zugehört und vieles mehr. Niemand, auch nicht der beste Arzt der Welt, kann dich jedoch vom inneren Leid befreien. Das musst du erkennen und anerkennen und akzeptieren. Von da aus geht es weiter.
Ich kann dir an dieser Stelle nur dringend raten, folgendes zu beginnen: ein „neuer“ Mensch zu werden, indem du mit dem Trinken aufhörst (ich spreche hier von Abstinenz), vor dem du bezeichnenderweise nicht solche Angst wie vor einer örtlichen Betäubung hast (völlig absurd) und mit der Selbstbeobachterei und Internetsuche aufhörst (auch abstinent). Damit durchbrichst du den Teufelskreis sehr schnell, von dort aus geht es dann weiter.
Zu Vollnarkose fällt mir ein: wenn du Diagnosen hast, nach denen du zur Zeit keine örtliche Betäubung bekommen kannst, könntest du bei deiner Krankenkasse beantragen, dass sie in diesem Fall die Kosten für eine Vollnarkose übernimmt. Wenn das nicht klappt, überlege, ob es einen Weg für dich gäbe, die segensreiche örtliche Betäubung zu erlauben. Jemand könnte dich begleiten und dich beruhigen und dir Mut machen, Zahnärzte kennen solche Problematiken und sind verständnisvoll und einfühlsam, wenn sie mit Angstpatienten zu tun haben. Du bist da nicht der einzige.
Liebe Grüße

03.04.2024 15:45 • x 2 #3


P
@Disturbed
Danke für deine Antwort. Mir ist bewusst das ich nicht alles unter Kontrolle haben kann. Ich kann weder die Zeit noch den Lauf der Dinge beeinflussen. Bezgl. Familie: Es funktioniert erstaunlich gut. Natürlich mache ich mir Sorgen, wenn meine Frau mit unseren Kindern eine längere Strecke Autobahn fährt. Diese Angst würde ich aber nicht als Angst bezeichnen, sondern es sind eher Sorgen, die kommen aber auch wieder gehen. Tatsächlich gab es auch Zeiten von Eifersucht, jedoch im gesunden Maße. Zu meiner Familie genießt mein ganzes Vertrauen, auch wenn sie mir nicht helfen können. Sie leidet dann eher im Hinblick auf Urlaube, in die man fliegen muss. Außerdem arbeite ich 100% remote.

@Reconquista
Auch Dir vielen lieben Dank für deine ausführliche Antwort. Erstaunlicherweise ist mir das Alles durchaus bewusst. Es ist ja auch nicht so, dass ich noch nie Psychopharmaka genommen habe. Diazepam, Tavor, alles schon ausprobiert und: Mir ging es nicht schlechter, sondern besser. Auch Dormicum und Propofol habe ich mehrmals bekommen. Bei dieser Exposition sollte man meinen das ich es besser wissen muss, dass mir nichts passiert, sondern es mir besser geht. Und dennoch schaffe ich es nicht, es ist paradox. Ich nehme ja auch regelmäßig meine Magentabletten, mein Asthmaspray und wenn ich eine bakterielle Entzündung habe, schlucke ich auch Antibiotika. Es ist auch nicht so dass ich mich den ganzen Tag volllaufen lassen, sondern nach Feierabend gönne ich mir vielleicht ein paar mehr B. als es gesund wäre.

Dazu ein kleiner Rückblick: Ich hatte mich vor 3 Jahren selbst eingewiesen für einen stationären Entzug. Es gab viele Fragezeichen von Familie und Freunde und alle behaupteten Sie ich sei kein Alk., ich müsse einfach nur aufhören. Doch DANN kam plötzlich meine Angst. Ich wollte um Gottes Willen kein Delir erleiden, von dem ich so viel gelesen hatte und mir erschien ein stationärer Aufenthalt sicherer, falls mir was passieren sollte. Man muss dazu sagen, ich habe nie harten Alk. getrunken, schmeckt mir nicht und vertrage ich auch nicht. Nach einer Woche bin ich raus aus der Klinik. Ich habe 2 Jahre kein Alk. B. getrunken, sondern immer nur 0,0 B..

Irgendwann habe ich mir dann auch mal wieder ein normales B. gegönnt. Inzwischen bin ich jedoch bei zwei 0,5 B. am Tag. Also 1 Liter B. am Abend, manchmal auch 3 B..

Aber warum? Natürlich ist das eine Form von Selbstmedikation und dazu eine gefährliche. Ich will das B. wieder ganz weglassen und schon ist die Angst vor einem Delir wieder da. Außerdem werde ich davon ruhiger und mein leichter Tic lässt nach. Ebenso das Rauchen. Ich will den Mist gar nicht mehr und ich frage mich, was mir dann von meiner Persönlichkeit überhaupt noch bleibt. Vielleicht auch die Angst vor Langeweile, nichts mit sich anzufangen wissen. Horche ich dann eventuell noch mehr in mich hinein?

Es ist auch nicht so, dass ich nicht wüsste, woher das alles kommt. Die Antwort liegt in der Kindheit begraben.
Trigger

Emotionaler und physischer Missbrauch.

Ja großartig, herzlichen Glückwunsch. Das Wissen allein reicht jedoch nicht. Ich habe etliche Bücher verschlungen, war mehrmals in Therapie. Es hat alles nichts gebracht. Das Paradoxe ist ja, ich habe eine sehr gute Selbsteinschätzung, ich weiß was mir fehlt und ich weiß, was ich tun MÜSSTE, um Erleichterung zu erfahren. Nur ich tue es nicht.

Es fühlt sich fast so an wie Selbstbestrafung, jemand der Hilfe sucht, um am Ende Gründe zu finden, diese doch nicht ändern zu müssen und man zu dem Schluss kommt: Am besten bleibe ich wie ich bin. Das ist doch total verrückt?! Vielleicht weil ich es nicht anders kenne?

Ich habe als Jugendlicher Fahrgeschäfte geliebt. Ich habe Stunden auf den Dingern verbracht. Die anfänglichen Panikattacken sind fort, dafür ist jetzt eine ständige Angst da. Es gibt Phasen, wenn auch sehr kurze, da ist sie sehr weit weg aber schlummert im Hintergrund. Ich muss schließlich nur genügend Energie aufbringen und stark sein. Inzwischen bin ich auch nicht mehr in der Lage zu weinen. Es gibt nur einen Menschen, bei dem ich mich fallen lassen kann, wenn es sein MUSS (also emotional: Das ist meine Frau.

Ich habe mein Notfall-Asthmaspray noch nie gebraucht und hatte auch noch nie so einen richtigen Anfall. ABER, habe ich mein Inhalator zuhause vergessen, drehe ich um, EGAL wie lange ich dafür fahren muss. Es geht immer um eins: SICHERHEIT.

In meiner letzten Therapie habe ich sehr viel weinen müssen. Ich vergesse nie die Worte meiner Therapeutin: Das, was sie ihr Leben lang schon aushalten, dieses alles zusammenhalten und Kontrolle bewahren, halten die wenigsten Menschen aus, Sie dürften keinerlei Energie mehr haben und dennoch sitzen Sie hier, weil Sie kämpfen und nicht aufgeben Das war vor 6 Jahren.

Ich kämpfe noch immer, aber scheinbar um die Kontrolle um Sicherheit um das Zusammenhalten. Nicht jedoch um das loslassen

Der Zahnarzt ist da nur ein winziges Rädchen in meinem Hirn und es reicht aus, um alles aus dem Gleichgewicht zu bringen.

03.04.2024 16:49 • x 1 #4





Mira Weyer