Pfeil rechts

Silver
Meine soziale Phobie – wenn es überhaupt eine ist – wird durch meine Hörbehinderung ausgelöst. Es war nie so schlimm wie jetzt, was auch daran liegt, dass ich des Hörens und Verstehens an sich immer müder geworden bin. Ich trage Zuhause mein Hörgerät gar nicht mehr. Es ist zum Glück auch nicht nötig. Die Unbequemlichkeit des Geräts spielt dabei eine große Rolle. Wenn ich nur schnell aus dem Haus muss trage ich es auch nicht mehr, denn ich begegne dann selten jemanden. Für längere Aufenthalte außerhalb der Wohnung trage ich das Teil natürlich schon. Seit ich Kleinkind bin trage ich ein Hörgerät und ich bin es einfach leid. Ein paar Stunden am Stück geht, aber danach bin ich froh, das Teil endlich ablegen zu können. Trotz Hörgerät verstehe ich fremde Menschen oft schlecht, was saupeinlich werden kann. Sogar wenn ich sage, dass ich nun mal hörbehindert bin, sind die Reaktionen oft echt daneben. Man glaubt mir entweder nicht, hält es für einen Witz, ist peinlich berührt oder ignoriert komplett, dass ich es erwähnt und erklärt habe. Nur selten reagieren Menschen angemessen und geben sich Mühe, mich beim Sprechen anzuschauen, halten die Hand nicht vorm Mund und sprechen klar und deutlich. Ich lese nämlich zur Unterstützung von den Lippen ab. Um die Lautstärke geht es weniger, sondern um Klarheit der gesprochenen Worte. Bei Männern kann es ganz schlimm werden, da tiefe und sehr leise Stimmen ein Alptraum für mich sind. Ich nehme es den Menschen nicht übel, dass sie nicht so recht auf mich eingehen können, sodass die Kommunikation erleichtert werden kann aber es ist nun mal so, dass ich aus dem Grund inzwischen die Kommunikation mit Fremden ganz vermeide. Egal wo. Wenn ich im Wartezimmer einer Arztpraxis sitze, ist mein einziger Gedanke „sprich mich nicht an“, auf der Straße „sprich mich nicht an“, beim Einkaufen „sprich mich bloß nicht an!“. Wenn ich dann doch angesprochen werde, zieht sich bei mir alles zusammen, ich bekomme Herzklopfen und es kann sein, dass ich erröte, wenn ich auf Anhieb nicht verstehe, was der Mensch zu mir sagt. Oft kommen dann Fluchtgedanken auf. Das Schlimme an der ganzen Sache ist, ich unterhalte mich eigentlich gerne und dieses Verhalten ist wie eine Selbstverleumdung. Das bin ich eigentlich nicht! Früher habe ich das alles gar nicht so ernst genommen und hatte selten solche Panikattacken im Umgang mit fremden Menschen. Ich verstehe nicht so ganz, was sich da geändert hat in mir. Ich vermute, es hat mit meinem fehlendem Selbstwert und den starken Rückgang meines Selbstvertrauens zu tun. Dadurch auch die Angst vor peinlichen Situationen. Ich fühle mich nicht mehr ansehnlich oder attraktiv, was verschiedene Gründe hat, an die ich auch selbst arbeite. Trotzdem … es ist schade, macht mich traurig und ist meiner Meinung nach eine Verschwendung meiner eigentlich extrovertierten Persönlichkeit, die ich nicht mehr nach Außen tragen kann bzw. nicht mehr möchte wegen der Angst.

07.09.2013 09:28 • 07.09.2013 #1


2 Antworten ↓


J
Gibt es vielleicht eine Hörbehindertengruppe an deinem neuen Wohnort?
Gebärdensprache finde ich z.B. faszinierend.
Wenn du kaum verstehst, was die Menschen zu dir sagen, das ist schon sehr stressig. Dass du mit der Zeit dann schon ziemlich einen Horror vor Begegnungen hast, find ich nur allzu verständlich.
Vielleicht wäre auch ein neues, besseres Hörgerät die Lösung?

07.09.2013 09:36 • #2


Silver
Ja, gibt es, aber da möchte ich nicht hin. Menschengruppen sind für mich mehr als ein Graus und der Gedanke, neue Menschen kennenzulernen ist mir schon zu viel.
Die Gebärdensprache möchte ich nicht lernen. Dafür habe ich keine Kraft, auch wenn ich sie ebenfalls faszinierend finde. Ich traue es mir einfach nicht zu, sie zu lernen und ehrlich gesagt, sehe ich die Notwendigkeit dazu nicht. Ich bin schließlich nicht taub.
Das Thema neues, bessere Hörgerät ist leider komplett ausgereizt. Es gibt keins, was meine Art der Hörbehinderung zu 100% mindern kann. Auch die teueren, von der besten und neuesten Technik machen keinen Unterschied. Hörgerätakustiker stoßen bei mir an ihre Grenzen. Das Thema ist gegessen.

07.09.2013 09:58 • #3





Dr. Reinhard Pichler