
Calima
- 7540
- 5
- 12768
Ich genieße, dass die Momente, in denen mich der Liebste besorgt und traurig angesehen hat, deutlich seltener geworden sind. Er lacht viel öfter und immer wieder lasse ich mich von diesem Lachen auch anstecken.
Das ist manchmal schön und befreiend. Aber es gibt Tage - so wie heute - das fühlt es sich fremd und falsch an. Es ist, als würde ich es inszenieren, es - artig meiner Regieanweisung folgend - in das Szenario hineinkonstruieren. Dabei hat der Impuls mich tatsächlich zum Lachen gebracht, aber noch während ich ihm folge, schmeckt es schal und künstlich. Und diese Tage, an denen ich mir von outta space zusehe, häufen sich.
Während ich das wahrnehme, fallen mir Sätze ein. Jetzt gerade ist es Sie zog ihr Lachen an wie eine Uniform. Genau dieses Bild formt sich vor meinem inneren Auge und ich sehe mir zu, wie ich aus einem imaginären Spind ein Lachen hervorzerre und es mir einverleibe. Mich gruselt bei dem Anblick und mir wird spontan kotzübel.
Mag sein, dass es mir gerade gelingt, die Protagonistin in meiner eigenen Inszenierung zu sein, aber das habe ich mir definitiv nicht so vorgestellt. Bin ich überhaupt noch ich? Ich frage es laut und verfolge den Klang meiner Stimme aus der gleichen merkwürdigen Distanz, die mich das Lachen anziehen ließ. Die Worte hängen wie in einer Sprechblase in der Luft, und ich betrachte sie wie ein fremdes Insekt, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob es mir gefährlich werden kann. Erlebe ich gerade das, was man Depersonalisation nennt? Oder drehe ich einfach nur ab?
Die Frage stelle ich mir jeden Morgen beim Rasieren, holt mich der Eheholde zurück auf den Boden. Und dann sag' ich: I bims vong Anblick her, weil ich hab' 1 Bartstoppel. Ich pruste los. Ganz echt und völlig distanzfrei diesmal. Mit der Entdeckung des kreativen Potentials der aktuellen Jugendsprache ist bei meinem Schatz - seines Zeichens Journalist und Wortakrobat - zumindest verbal die Spätpubertät eingetreten. Mit 70 ein klein wenig entwicklungsverzögert, aber immerhin.
Für den Augenblick ist meine Laune gerettet, aber das Thema lässt mich nicht aus den Krallen. Ich schmeiße das Rechenzentrum an. Der Analytiker ist noch im warm-up-Modus und braucht ein Weilchen, bis er ausreichend hochgefahren ist, um sich des Problems anzunehmen. Ich blicke auf die letzten Wochen zurück - mit bewusster Distanz diesmal.
Sie sind gekennzeichnet von einer Menge Aktivitäten. Ich habe in dieser Zeit mehr unternommen, als in den letzten Jahren. Nicht, weil ich Lust darauf hatte, sondern weil ich Veränderung will. Der Liebste war Motor und Taktgeber, während ich die Fehlzündungen und Rhythmusstörungen in Schach gehalten habe. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg, aber immerhin. Wie zur Bestätigung hopst mein Herzchen ein bisschen. Ich registriere es quasi aus den Augenwinkeln.
Mir wird plötzlich bewusst, dass etwas fehlt. I bims, den Angst, meldet sich der anscheinend neuerdings ebenfalls spätpubertierende Archivar zu Wort. Ich sehe großzügig über die Schnoddrigkeit hinweg und gebe ihm - fast ein wenig erstaunt - Recht. Die Kavallerie hat aufgehört, bei jedem Fanfarenstoß loszugaloppieren. Ich bin nicht angstfrei - beileibe nicht. Aber so ein paar Reiz-Reaktions-Muster sind offensichtlich auf der Müllkippe gelandet. Gut so. Da sollen sie ruhig auch bleiben. Auf Recycling kann ich in diesem Fall generös verzichten.
Ich registriere das vertraute Knirschen einrastender Rädchen im Hauptrechner. Werde ich mir fremd, weil es nicht mehr die Angst ist, die mich ausmacht? Komme ich mir deswegen wie eine drittklassige Schauspielerin vor, weil ich mit dem Rollenwechsel nicht klar komme?
Und ist das jetzt ein Zeichen von Heilung oder sind es die Vorboten eines neuen Absturzes in die Tiefen meiner bescheuerten Psyche? Ich fühle in mich hinein, finde aber nix Aufregendes. Vor meinem inneren Auge schaue ich auf mich, wie ich in mich hineinschaue und dabei den oberen Teil des Schädels aufklappe. Du BIST definitiv gaga, konstatiert Miss Ratio und rümpft das Näschen.
Naja, das ist so neu nicht. Vielleicht ist es grade an der Zeit, eine neue Seite meines abgedrehten Selbst zu entdecken. Ein wenig Schiss habe ich bei dem Gedanken schon. Die Angst ist eine alte Vertraute. Ich hoffe, ich kann leiden, was an ihre Stelle tritt.
Mischgefühlig jetzt.
28.06.2020 15:26 • x 11 #61