Hallo liebe Soleil,
bei deinen Worten kommen mir die Tränen, weil sie so lieb von dir sind.
Ja, 35 Jahre prägen. Das stimmt. Ich bin nur oft über mich selber so traurig, dass solch eine Angst durchbrechen konnte. Aber da kamen so viele Dinge dazu.
Ich versuche einmal zu schildern...
Anfang 2013 bat mich meine Nachbarin um Hilfe. Jünger als ich. Sie kam bei ihr einfach nicht mehr klar. Alles wuchs ihr über den Kopf.
Also habe ich angefangen für zwei bis drei Stunden, zwei Tage die Woche bei ihr zu arbeiten. War am Anfang schwierig, weil sie nichts abgeben konnte, bis ich den Vorschlag machte, ihre Wäsche zu bügeln.
Zeitgleich wollte mein Mann Teile der Wohnung renovieren, trotz geplanter Trennung. Es musste ja alles einwandfrei sein.
Also habe ich die Zimmer leer geräumt, war drüben bei meiner Nachbarin. Das alles war schon ein Akt.
Bei meiner Nachbarin war alles erst einmal gut.
Dann bekamen wir im Mai unsere neuen Mietverträge.
Wir wohnten in einem Dorf damals. Oh je, man trennt sich nicht. Man hällt durch. Ich war diejenige die so etwas schlimmes macht. Dann redet man einfach ein paar Wochen nicht mit seinem Mann. So geht das. Das war unsere Vermieterin.
Ich fing im Mai schon an unsere Wohnung in Kisten zu packen. Denn eines hatte mich die Vergangenheit gelehrt, es kommt nie so wie du denkst.
Ich habe da völlig alleine vor gestanden. Dachboden, Keller, Garage, Wohnung, aufteilen, verpacken, organisiert stapeln.
Ich habe einfach nur noch gearbeitet.
In die neuen Wohnungen sollten wir rechtzeitig, ist aber nichts geworden, bei mir zum Beispiel wurde ein komplett neues Badezimmer gebaut.
Also erst spät da rein. So wie es die Zeit zuließ renoviert, Arbeiten gegangen.
Ende August sollte der Umzug sein. Die Wohnungen waren nicht fertig. Ich habe gemerkt wie es mir immer schlechter ging. Ich war so ziemlich am Ende meiner Kräfte.
Und glaube mal nicht, dass ich irgendeine Hand hatte, die mich hielt. Nicht einmal die meiner Freundin. 40 Jahre Freundschaft,
und in ihrem Leben stand ich jedesmal wie eine Eins, wenn sie mich brauchte. Wirklich.
Mein Mann meinte, ich könnte ja hier bleiben, wenn mir der Umzugstermin nicht passt, dann müsste ich zusehen, wie ich da rauskomme.
Übrigens blieben auch alle Nebenschauplätze an mir hängen. Papiere, Verträge, Wohnungsbesichtigungen, uuu.
Ende August sind wir dann umgezogen. Ja, ins gleiche Hochhaus. Ich weiß, ungewöhnlich, aber im Nachhinein erst einmal das Beste für mich.
Die Wohnungen waren natürlich nicht fertig. Bei mir fehlten zwei kleine Flure, Vorratsraum und Bad.
Also hast du im Chaos weitergemacht. Einfach immer weiter.
Von meiner Stadt bin ich dann mit dem Bus noch immer zur ehemaligen Nachbarin gefahren. Eineinhalb Stunden ein Weg. 10 Euro abzüglich Busgeld. Viel blieb nicht, aber ich brauchte das Geld. Ich lag knapp über dem Sozialsatz.
Gemeinsamer Kredit musste auch noch bezahlt werden.
Also musste ich dahin. Nur hat sich alles verändert. Ich war plötzlich keine gute Nachbarin mehr, sondern eine die das Geld brauchte. Und dann kam so oft Schikane.
Ich hielt durch. Wohnung im Laufe der Monate zu Ende renoviert. Die letzten Kisten ausgepackt. Und natürlich gesehen, was alles noch so fehlt. Jedenfalls für mich.
Das Ganze ging bis November 2017. Ich war auch hier wieder am Ende. Ich konnte mich kaum noch bewegen. Da schon aufkommende Angst.
Ich habe das dann von jetzt auf gleich beendet. (Habe heute noch Kontakt zu ihr. Telefonisch.)
Unerträglich was manche Menschen mit einem machen, und wie weit man selber aushält.
Ich habe vieles geschafft. Ich habe den Kredit abbezahlt. Musste im Laufe der Zeit teure Geräte ersetzen.
Wie ich das alles gemacht habe, weiß ich auch nicht, ich habe einfach gekämpft.
Mein Mann wohnt hier nicht mehr. Er lebt mit seiner neuen Beziehung zusammen. Ich bin nicht mehr knapp über dem Sozialsatz, weil er in Rente gegangen ist. Es ist nicht mehr ganz so erdrückend.
Und so kommt die Angst... Ein Beispiel... vor ca. drei Wochen geht auf einmal mein Toaster kaputt. Kopf am drehen. Wie mache ich das jetzt. Zwei Tage später gibt mein Drucker den Geist auf.
Ich habe alles bewältigt. Toaster steht, neuer Drucker ist da, konnte ihn sogar installieren. Probleme gelöst.
Und dann kann ich es plötzlich nicht mehr verarbeiten. Ich sehe mich um, überlege was als nächstes kaputt geht, und welchen Spielraum ich noch habe. Panische Angst, Angst, Angst. Mein Verstand hat keinen Zugriff mehr.
Abends ist der Tag vorbei. Nichts passiert, alles gut, ich komme zur Ruhe, gucke irgendwas im Fernsehen, lasse mich berieseln. Tag geschafft. Aber es gibt immer einen nächsten Morgen.
Meine langjährige Freundin habe ich nicht mehr.
Was blieb war nur meine Schwester, die ich über alles liebe. Sie ist mein Stern. Aber ich bin meiner ganz früheren Freundin wieder sehr nahe gekommen. Ein paar Jahre jünger als ich, und als ich so zwanzig Jahre alt war, hockten wir ständig zusammen. Das ist die Schwester meines Mannes. Ungewöhnlich. Es passt aber, als hätten wir uns vorher nie aus den Augen verloren. Ein Mensch mit einem goldenen Herz. Was es doch für Unterschiede zwischen Geschwistern geben kann.
Nichts tun.... Tja, schwer zu beschreiben. Eigentlich dachte ich, ich könnte gut alleine sein. Musste aber feststellen, dass das nicht stimmt. Jeder hat wahrscheinlich einen Lebensplan. Meiner war nun hinüber.
Ich habe früher viel gelesen, aber heute nicht mehr. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Vielleicht fesselt mich auch nichts mehr.
Großartige Hobbys habe ich nie gehabt. Da war meine letzte Hündin. Heißgeliebt! Ein unendlich tolles Leben mit ihr. Das genau wollte ich auch zu Ende bringen. 2010 bekam sie einen Hirnschlag, und lebte nun in ihrer eigenen stillen Welt. Sie war vorher ein Energiebündel. 2012 haben wir sie dann einschläfern lassen. Es ging nichts mehr. Sie hat nur noch geblutet. Lief in der Wohnung unruhig hin und her, als wenn sie ihren Frieden suchte. Ich konnte das nicht mehr mit ansehen. Lieben heißt auch loslassen können. Nicht an sich selber denken. Leider meinte mein Mann hinterher, dass sie noch Leben könnte, wenn ich sie nicht einschläfern lassen hätte. Da war ich dann auch noch die Mörderin. Nein, meine Kleine hat sich nur noch gequält. Leider kann ich auch diesen Satz nicht vergessen.
Sie lag begraben auf dem Tierfriedhof in Dortmund. Dieses Jahr habe ich die Grabstelle geküngigt. Schlimm. Ich musste noch einmal hin, abräumen. Aber mit seiner Schwester. Das war das Beste. Ihn hat das alles sowieso nicht gekümmert. Er war ja auch nicht da. Tot ist tot. Wo ist Herzenswärme?
Eigentlich schreibe ich Lyrik und manchmal Geschichten, aber seit der Angst geht das nicht mehr so gut.
Es gab auch schon Lesungen. Stell dir vor, das habe ich mal gemacht. Unglaublich und lange her.
Ich stöbere gerne im PC nach Dingen die mich interessieren. Ja, ich liebe auch Musik. Es gibt so viel. Ich mag Rock, Deutschrock, etwas Metall, Gothik. Muss mich bewegen und berühren. Mag aber eher gute Texte. Also nach meiner Auffassung. Zum Beispiel von Subway to Sally, Einsam. Oder schaue mal auf Youtube My dying bride, Roads. Klasse. Liebe aber auch Lorrena Mc Kennitt, Mark Knopfler, Eric Clapton, Joe Bonamassa, vieles, vieles.
Oh, ich glaube, dass ich dich gerade zugeschüttet habe. Ich höre erst einmal auf.
Fühle dich gedrückt.
20.08.2019 12:34 •
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