vorab ein paar Sätze zu mir zum besseren Verständnis. Ich leide seit meiner Jugend (mittlerweile bin ich 32) an Depressionen, Panikattacken und einer generalisierten Angststörung. In den ersten Jahren habe ich 2 ambulante und eine teilstationäre Therapie gemacht, die mir im Endeffekt leider gar nicht geholfen haben. Im weiteren Verlauf habe ich noch die ein oder andere unschöne Erfahrung in Erstgesprächen bei Therapeuten und auch Psychiatern machen müssen, sodass ich vor ~12 Jahren dann erstmal komplett dicht gemacht und mich seither nur noch medikamentös von meinem Vertrauensarzt (Hausarzt) habe behandeln lassen.
Seit November letzten Jahres befinde ich mich in einer akuten Angstepisode, die mich völlig aus den Latschen gehauen hat. Das erste Mal erlebe ich Panikattacken auch in meinen sicheren 4 Wänden und habe permanent mit einem diffusen Angstgefühl zutun - im Grunde löst gerade so ziemlich jede Kleinigkeit Angst aus.
Ich entschied mich mit Beginn dieser Episode, dass es wohl Zeit war der Psychotherapie noch einmal eine Chance zu geben.
Über die TSS bekam ich nach wochenlangem Warteschlangen-Rodeo dann online ein Erstgespräch bei einer Dame innerhalb von 2 Tagen und dieses war absolut niederschmetternd und beinahe traumatisch für mich.
Man muss ihr zu gute lassen, dass sie mich vorwarnte sehr direkt zu sein und bewusst gewisse Dinge zu provozieren, aber das es so heftig werden würde, hätte ich nicht gedacht.
Zu allererst konnte sie überhaupt nicht fassen, dass ich seit vielen Jahren erwerbsunfähig bin aufgrund meiner psychischen Erkrankungen. Das sei überhaupt kein Grund für eine AU, weil es sehr leicht zu behandeln sei. Das zog sich dann auch durch das gesamte Gespräch. Sie sagte dauernd, dass sie mir Brief und Siegel darauf geben würde, dass sich meine Symptome zu 100% beseitigen lassen würden durch konsequente und harte Mitarbeit. Das fand ich schon ziemlich verstörend nach ein paar Minuten Gespräch schon in den Raum zu stellen.
Sie warf mir vor, dass ich ja bereits ein Diplom darin hätte mich einzuigeln und selbst zu bestätigen und sagte mir immer wieder, dass ich den Hintern hoch kriegen muss und einfach raus gehen soll. Ich hätte ja 2 gesunde Beine. Ständig fragte sie mich was schon das schlimmste wäre, was passieren könnte, wenn ich meine Angstsymptome schilderte.
Groß und breit wurde mir von mehreren Patienten erzählt, die es geschafft haben und symptomfrei wären durch ihre Hausaufgaben, die sie ihnen aufgibt. Sie betonte, dass wenn ich bei ihr in Behandlung wäre, sie mir immer Hausaufgaben für zwischen den Terminen aufgeben würde. Ich solle sofort anfangen 3x am Tag rauszugehen, jeden Tag. Und wenn ich es nicht schaffe, wird nicht der Kopf getätschelt, dann wird eben weiter versucht.
Ich hatte das Gefühl sie sah nicht mich als gesamten Menschen, sondern nur die Symptomatik und setzte dem Ganzen ihren Behandlungsstempel auf von dem sie auch nicht mehr abzubringen war. Ich bin nicht einmal dazu gekommen ihr meinen Zustand seit November letzten Jahres zu schildern, weil sie sich so sehr an dieser einen Thematik festhielt. Selbst als ich versuchte von meinem diffusen immer-da-Angstgefühl zu erzählen, ging sie gar nicht richtig darauf ein, sondern stellte mir nur wieder die Frage was wohl das schlimmste sei was passieren könne.
Auch das ich Medikamente nehme empfand sie als Quatsch. Medikamente unterdrücken nur die Symptome. Sie würde all ihre Patienten im Laufe der Therapie ihre Medikamente ausschleichen lassen.
Wenn ich was erzählte, ermahnte sie mich ständig lauthals ich solle langsamer reden, weil sie sich Notizen machte. Und wenn ich es mal wieder vergaß und doch schneller redete, wurde sie sogar richtig wütend.
Als ich von meinem Lebensgefährten erzählte, den ich vor 11 Jahren in einem Betroffenenforum für Angsterkrankte kennenlernte und erzählte, dass er unter Sozialphobie leide, sagte sie, dass sich da ja zwei gefunden hätten und wir uns mit unseren Symptomatiken so schön gegenseitig bestätigen könnten. Das war dann für mich die absolute Krönung.
Das gesamte Gespräch saß ich heulend, wie ein Häufchen Elend auf meinem Sessel und hab mir die vollen 2 Stunden angetan, mich nicht getraut zu sagen, dass ich das Gespräch beenden möchte. Selbst als sie persönlich und aus meiner Sicht sogar beleidigend wurde, tat ich einfach gar nichts. Ich fing sogar an mir einzureden, dass ich es womöglich verdient hätte das alles zu hören.
Im Endeffekt teilte sie mir mit ich bräuchte keinen Therapeuten, der mir den Kopf tätschelt, keine Lusche (O-Ton), sondern jemanden, der mir in den Hintern treten kann.
Meine Ängste sind so viel mehr als nur die Angst vor die Tür zu gehen. Sicher stimme ich zu, dass ich mich viel zu lange eingeigelt habe und das Therapie nicht nur Händchenhalten, sondern aktive Mitarbeit bedeutet. Aber ich brauche auch keinen Drillinstructor, der mich ständig nur triezt und provoziert. Ich habe generell ein großes Problem mit Druck umzugehen. Gerade momentan ist schon die kleinste Kleinigkeit großer Druck für mich unter dem ich zusammenbrechen kann. Die Hau-Drauf-Methode ist da sicher nicht die richtige Wahl für mich. Und genau so fühle ich mich auch seitdem. Völlig überfahren und traumatisiert. Die vorsichtige, leichte Stabilität, die ich seit ein paar Wochen aufgebaut hatte ist wie weggeblasen. Die Angst ist wieder voll da und ich könnte einfach nur den ganzen Tag weinen, fühle mich hoffnungslos.
Hinzu kommt, dass ich schlichtweg Angst habe vor weiteren Erstgeprächen, denn noch so eins verkrafte ich nicht. Ich weiß, dass ich momentan sehr sensibel bin und sie wahrscheinlich das Extrembeispiel für das genaue Gegenteil war. Denn ich wünsche mir von meinem Therapeuten deutlich mehr Empathie und Einfühlungsvermögen. Anders könnte ich gar kein Vertrauensverhältnis aufbauen.
Jetzt frage ich mich: Fahren heutzutage viele Verhaltenstherapeuten diese Schiene, besonders bei Erstgesprächen? Wird da bewusst provoziert um die Reaktion festzustellen? Wenn ja bin ich mir nämlich nicht mehr sicher ob das die richtige Therapieform für mich ist.
Wie sind da eure Erfahrungen?
09.01.2022 16:54 • • 10.01.2022 x 3 #1