
Valivale
- 36
- 5
- 22
Hey alle zusammen!
Ich wollte mal einen Beitrag über dieses Thema erstellen, da ich irgendwie Ehrlichkeit geben will. Ich weiß, es geht vielen anderen genauso wie mir.
Ich habe seitdem ich 13 bin ständig Angst, draußen keine Toilette zu finden. Das ist eine der ersten Symptome, die ich von meiner Angststörung hatte. Angefangen hat das im Deutschunterricht. Ich musste dringend pinkeln, bin aber nicht gegangen, da meine Deutschlehrerin an dem Tag schlecht drauf war. Ich habs dann ausgehalten und bin nach der Stunde gegangen. Ging alles gut, aber seitdem hatte ich immer diese leise Sorge im Kopf. Erst mal war es noch machbar: ich bin einfach ein paar mal öfter auf die Toilette und konnte mich dann recht frei bewegen. Aber irgendwann hab ich mich reingesteigert. Mit 15 war ich dann schon bekannt als die, die immer auf der Toilette ist. Busfahren hat mir immer extreme Angst gemacht, auch im Unterricht zu sitzen. Ich hab mich aber durchgebissen und hatte dann für ca ein Jahr mit 16 kaum mehr Probleme damit. Mit knapp 17 hatte ich dann einen riesigen Verlust (der Tod meiner Mutter) und nach ein paar Monaten, es waren ca. 4 Monate nach dem Vorfall, ging es wieder los. Ich war bei meiner Oma in Russland, sie wohnt in einer kleinen Stadt in der Nähe von Krasnodar. Ich war mit ihr und meiner Schwester spazieren, als ich plötzlich dringend groß musste. Meine Oma wusste, wo es eine Toilette gibt, es war dann ein Plumsklo und auch da war letzt endlich alles gut. Aber mein Kopf wurde danach komplett wild. Diese Angst nahm mir Stück für Stück jede Freude und Spontanität. Ich begann, zu bestimmten Zeiten zu essen, um meine Verdauung anpassen zu können. Ich hörte auf, genug Wasser zu trinken. Ich hab in der Zeit in Russland gewohnt und musste jeden Tag eine Stunde hin und zurück zur Schule fahren. Das heißt zwei Stunden täglich unter dauerhafter Anspannung. In jeder Unterrichtsstunde hatte ich Angst, jeder Ausflug, alles was außerhalb vom Haus war. Ich war täglich bestimmt 30 mal auf der Toilette. Alleine morgens wurde es mit der Zeit immer und immer häufiger, bis ich teilweise fast zehn mal alleine Morgens auf der Toilette war. Stunden verbrachte ich jeden Tag damit, und wenn ich einmal nicht auf der Toilette war, hatte ich das Gefühl, wieder zu müssen. Dann begann ich in Deutschland zu studieren. Hier wurde alles immer schlimmer. Morgens kam ich gar nicht mehr von der Toilette, Stunden blieb ich sitzen, Busfahren tat physisch weh. Es ist der absolute Horror. Es nahm mir jede Freiheit. Immer denke ich, es passiert etwas, wenn ich nicht auf die Toilette gehe. Ich bin jetzt 22 und agoraphob geworden, und zwar vollständig. Alles begann mit extremen Panikattacken, die ich vor etwa 4 Monaten bekam. Es ist, als wäre ein Schalter umgelegt. 9 Jahre mit Angst, auf die Toilette zu müssen, entwickelten sich zu extremer Agoraphobie.
Was man dazu sagen muss: Angst, auf die Toilette zu müssen, ist sehr kontraproduktiv. In meinem Fall hatte ich diese ganzen 9 Jahre mindestens 3 Mal die Woche Durchfall, sonst Verstopfung oder ähnliches. Meine Verdauung war seit Ewigkeiten nicht mehr normal. Und so entsteht auch dieser Teufelskreis. Die Psyche schädigt den Körper, der Körper wiederum die Psyche.
Problem ist auch, dass ich und viele andere mir demselben Problem dieses eine halbe Ewigkeit mit sich rumschleppen. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie es vor dieser Zeit war. Ich kann mich nicht mehr an eine normale Verdauung erinnern, oder wie ich gesund auf meinen Körper reagiere. Kommentare wie Du bist doch jung, deine Verdauung gesund, es wird nichts passieren, leb durch den Moment und die Angst wird gehen helfen nicht. Denn ich kann gar nicht mehr einschätzen, was normal ist und was nicht. Ich denke immer, die Katastrophe naht: so wie in jeder Angststörung, aber diese Toilettenangst betrifft mehr, als man denkt. Und leben tu ich damit schon ein Jahrzehnt, aber die Angst wird immer und immer schlimmer.
Einmal war ich in Russland bei einer Psychologin. Der offenbarte ich alle Probleme im Detail. Daraufhin bemerkte sie, wie exotisch meine Angst doch sei und verkneifte sich ein Lachen. Deshalb hab ich nie wieder nach Hilfe gesucht. Es war, als würde ich meine Ehre als Mensch verlieren, wenn Leute von meiner Angst wüssten. Mittlerweile habe ich einen sehr guten Psychologen und auch andere professionelle Hilfe, die die Thematik ernstnimmt. Aber es kam unter anderem so weit wegen dieser einen Psychologin.
Ich denke eigentlich permanent an Toiletten und meine Verdauung. Wenn ich auf der Toilette bin, denke ich, wann ich danach wieder auf die Toilette kann. Wie oft kann ich auf die Toilette, ohne dass es auffällt? Es ist fast schon ein Freifahrtschein. Zweimal in einer Stunde geht, ich könnte ja meine Tage haben. Dreimal ist schon komisch, aber viermal ist gestört. Fünfmal und ich darf mich nicht mehr blicken lassen.
Auch meine Kleidung ist daran angepasst. Kleider sind normalerweise ein No-Go. Hosen sind weit und dunkel. Ich habe oft was zum wechseln dabei, also noch eine Hose und Unterwäsche. Ich trinke immer noch nur zu bestimmten Urzeiten und Essen tu ich nur abends, wenn ich nirgends mehr hinmuss. Ich lege meine Routen durchs Leben so, dass ich an möglichst vielen Toiletten vorbeikomme, oder zumindest an Büschen. Jede Bewegung in meinem Verdauungstrakt nehme ich wahr wie eine Ohrfeige, und muss dann direkt auf die Toilette. Eine Zeit lang hab ich Kohletabletten zu mir genommen wie Tic-Tacs. Hat manchmal geholfen, aber meistens nicht. Es ist ein Dauerstress.
Ich weiß, ich gebe dem Thema zu viel Macht. Aber letzt endlich bin ich mit der Angst großgeworden. Ich weiß nicht, wie es anders geht. Es ist ein Teil von mir. Die Toilette ist in meinem Leben eines der zentralsten Dinge. Es ist krankhaft und schwer.
Ich gehe jetzt in Therapie und nehme Antidepressiva. Und ich bin zuversichtlich, dass ich diese extreme Agoraphobie loswerden kann. Wenn ich aber über das Toilettenthema nachdenke, wird mir flau im Magen. Alleine der Gedanke, daran arbeiten zu müssen, macht mir extreme Angst. Denn ich kenne es nur so.
Ich hab leider nichts positives zu schreiben. Der ganze Beitrag ist sehr pessimistisch. Alles was ich sagen will ist: diese Angst ist gängig und gehört entstigmatisiert. Ich hoffe, wer das lesen muss, liest es. Und wer dieselben Probleme hat, teilt das. Eventuell gibt es ja doch einen Silberstreif am Horizont, wer weiß.
Ich wünsch euch allen noch einen schönen Tag!
Ich wollte mal einen Beitrag über dieses Thema erstellen, da ich irgendwie Ehrlichkeit geben will. Ich weiß, es geht vielen anderen genauso wie mir.
Ich habe seitdem ich 13 bin ständig Angst, draußen keine Toilette zu finden. Das ist eine der ersten Symptome, die ich von meiner Angststörung hatte. Angefangen hat das im Deutschunterricht. Ich musste dringend pinkeln, bin aber nicht gegangen, da meine Deutschlehrerin an dem Tag schlecht drauf war. Ich habs dann ausgehalten und bin nach der Stunde gegangen. Ging alles gut, aber seitdem hatte ich immer diese leise Sorge im Kopf. Erst mal war es noch machbar: ich bin einfach ein paar mal öfter auf die Toilette und konnte mich dann recht frei bewegen. Aber irgendwann hab ich mich reingesteigert. Mit 15 war ich dann schon bekannt als die, die immer auf der Toilette ist. Busfahren hat mir immer extreme Angst gemacht, auch im Unterricht zu sitzen. Ich hab mich aber durchgebissen und hatte dann für ca ein Jahr mit 16 kaum mehr Probleme damit. Mit knapp 17 hatte ich dann einen riesigen Verlust (der Tod meiner Mutter) und nach ein paar Monaten, es waren ca. 4 Monate nach dem Vorfall, ging es wieder los. Ich war bei meiner Oma in Russland, sie wohnt in einer kleinen Stadt in der Nähe von Krasnodar. Ich war mit ihr und meiner Schwester spazieren, als ich plötzlich dringend groß musste. Meine Oma wusste, wo es eine Toilette gibt, es war dann ein Plumsklo und auch da war letzt endlich alles gut. Aber mein Kopf wurde danach komplett wild. Diese Angst nahm mir Stück für Stück jede Freude und Spontanität. Ich begann, zu bestimmten Zeiten zu essen, um meine Verdauung anpassen zu können. Ich hörte auf, genug Wasser zu trinken. Ich hab in der Zeit in Russland gewohnt und musste jeden Tag eine Stunde hin und zurück zur Schule fahren. Das heißt zwei Stunden täglich unter dauerhafter Anspannung. In jeder Unterrichtsstunde hatte ich Angst, jeder Ausflug, alles was außerhalb vom Haus war. Ich war täglich bestimmt 30 mal auf der Toilette. Alleine morgens wurde es mit der Zeit immer und immer häufiger, bis ich teilweise fast zehn mal alleine Morgens auf der Toilette war. Stunden verbrachte ich jeden Tag damit, und wenn ich einmal nicht auf der Toilette war, hatte ich das Gefühl, wieder zu müssen. Dann begann ich in Deutschland zu studieren. Hier wurde alles immer schlimmer. Morgens kam ich gar nicht mehr von der Toilette, Stunden blieb ich sitzen, Busfahren tat physisch weh. Es ist der absolute Horror. Es nahm mir jede Freiheit. Immer denke ich, es passiert etwas, wenn ich nicht auf die Toilette gehe. Ich bin jetzt 22 und agoraphob geworden, und zwar vollständig. Alles begann mit extremen Panikattacken, die ich vor etwa 4 Monaten bekam. Es ist, als wäre ein Schalter umgelegt. 9 Jahre mit Angst, auf die Toilette zu müssen, entwickelten sich zu extremer Agoraphobie.
Was man dazu sagen muss: Angst, auf die Toilette zu müssen, ist sehr kontraproduktiv. In meinem Fall hatte ich diese ganzen 9 Jahre mindestens 3 Mal die Woche Durchfall, sonst Verstopfung oder ähnliches. Meine Verdauung war seit Ewigkeiten nicht mehr normal. Und so entsteht auch dieser Teufelskreis. Die Psyche schädigt den Körper, der Körper wiederum die Psyche.
Problem ist auch, dass ich und viele andere mir demselben Problem dieses eine halbe Ewigkeit mit sich rumschleppen. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie es vor dieser Zeit war. Ich kann mich nicht mehr an eine normale Verdauung erinnern, oder wie ich gesund auf meinen Körper reagiere. Kommentare wie Du bist doch jung, deine Verdauung gesund, es wird nichts passieren, leb durch den Moment und die Angst wird gehen helfen nicht. Denn ich kann gar nicht mehr einschätzen, was normal ist und was nicht. Ich denke immer, die Katastrophe naht: so wie in jeder Angststörung, aber diese Toilettenangst betrifft mehr, als man denkt. Und leben tu ich damit schon ein Jahrzehnt, aber die Angst wird immer und immer schlimmer.
Einmal war ich in Russland bei einer Psychologin. Der offenbarte ich alle Probleme im Detail. Daraufhin bemerkte sie, wie exotisch meine Angst doch sei und verkneifte sich ein Lachen. Deshalb hab ich nie wieder nach Hilfe gesucht. Es war, als würde ich meine Ehre als Mensch verlieren, wenn Leute von meiner Angst wüssten. Mittlerweile habe ich einen sehr guten Psychologen und auch andere professionelle Hilfe, die die Thematik ernstnimmt. Aber es kam unter anderem so weit wegen dieser einen Psychologin.
Ich denke eigentlich permanent an Toiletten und meine Verdauung. Wenn ich auf der Toilette bin, denke ich, wann ich danach wieder auf die Toilette kann. Wie oft kann ich auf die Toilette, ohne dass es auffällt? Es ist fast schon ein Freifahrtschein. Zweimal in einer Stunde geht, ich könnte ja meine Tage haben. Dreimal ist schon komisch, aber viermal ist gestört. Fünfmal und ich darf mich nicht mehr blicken lassen.
Auch meine Kleidung ist daran angepasst. Kleider sind normalerweise ein No-Go. Hosen sind weit und dunkel. Ich habe oft was zum wechseln dabei, also noch eine Hose und Unterwäsche. Ich trinke immer noch nur zu bestimmten Urzeiten und Essen tu ich nur abends, wenn ich nirgends mehr hinmuss. Ich lege meine Routen durchs Leben so, dass ich an möglichst vielen Toiletten vorbeikomme, oder zumindest an Büschen. Jede Bewegung in meinem Verdauungstrakt nehme ich wahr wie eine Ohrfeige, und muss dann direkt auf die Toilette. Eine Zeit lang hab ich Kohletabletten zu mir genommen wie Tic-Tacs. Hat manchmal geholfen, aber meistens nicht. Es ist ein Dauerstress.
Ich weiß, ich gebe dem Thema zu viel Macht. Aber letzt endlich bin ich mit der Angst großgeworden. Ich weiß nicht, wie es anders geht. Es ist ein Teil von mir. Die Toilette ist in meinem Leben eines der zentralsten Dinge. Es ist krankhaft und schwer.
Ich gehe jetzt in Therapie und nehme Antidepressiva. Und ich bin zuversichtlich, dass ich diese extreme Agoraphobie loswerden kann. Wenn ich aber über das Toilettenthema nachdenke, wird mir flau im Magen. Alleine der Gedanke, daran arbeiten zu müssen, macht mir extreme Angst. Denn ich kenne es nur so.
Ich hab leider nichts positives zu schreiben. Der ganze Beitrag ist sehr pessimistisch. Alles was ich sagen will ist: diese Angst ist gängig und gehört entstigmatisiert. Ich hoffe, wer das lesen muss, liest es. Und wer dieselben Probleme hat, teilt das. Eventuell gibt es ja doch einen Silberstreif am Horizont, wer weiß.
Ich wünsch euch allen noch einen schönen Tag!
04.06.2025 16:03 • • 04.06.2025 x 3 #1
1 Antwort ↓