
Silencer102
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2003, irgendwann im Frühling. Ich fuhr mit dem Motorrad Richtung Darmstadt, die Sonne tief im Rücken, das Gefühl von Geschwindigkeit und Freiheit in den Adern – das Gefühl, wenigstens in diesem Moment alles unter Kontrolle zu haben.
Was dann kam, war keine Sekunde, kein Augenblick zum Nachdenken.
Ein Auto im Gegenverkehr, Fahrer geblendet von der Sonne, sieht mich nicht, setzt zum Linksabbiegen an. Plötzlich nur noch: Metall, Licht, Bremsen, Hoffnung. Ich reiße die Maschine nach rechts, versuche zu bremsen, das Hinterrad blockiert, ich öffne wieder, will ausweichen – dann ist da nur noch dieses große Metallschild, dem ich im letzten Moment entgehe. Doch die Laterne steht daneben, und ich will nicht gegen Stahl sterben. Also versuche ich es zwischen Schild und Laterne – lande am Ende mit voller Wucht auf einem dicken, gemeißelten Stein, verliere die Kontrolle, fliege, spüre, wie mich der Sattel aushebelt.
Noch ein letztes Geräusch – das Knacken, das Krachen – und dann Stille.
Ich mache noch das Gebüsch platt, dann ist da der Baum, und plötzlich: Nichts mehr. Licht aus.
Als ich wieder wach werde, ist alles anders. Stimmen im Nebel, ein Geruch von Blut, Schweiß, Benzin. Ich höre, wie jemand sagt: „Ich bin der Notarzt.“ Später, im Hubschrauber, sagt er zu mir: „Du hattest richtig Glück, Junge.“
Glück?
Vielleicht.
Ich lebe. Aber ich bin wieder ein Stück zerbrochener als vorher. Noch ein paar Verletzungen mehr, die nie richtig heilen. Ab diesem Tag ist da ein Schmerz, der mich nie wieder verlässt – tief unten im Rücken, im Ischias, wie ein bohrender Schatten, der sich immer wieder in Erinnerung ruft, dass nichts jemals wirklich vorbei ist.
2004 – Der zweite Schlag
Kaum ein Jahr später, als hätte das Schicksal es besonders eilig, kommt der nächste Einschlag. Diesmal kein Motorrad, sondern Fahrrad – und wieder ein Auto, das abbiegt, wieder ein Moment, in dem alles auf einen Punkt zusammenschrumpft.
Diesmal rammt er mich richtig weg. Ich fliege. Kopf voraus. Und dann dieses Geräusch – ein hohles, trockenes Knacken, wie wenn man zwei Bowlingkugeln gegeneinander schlägt oder eine Kokosnuss aufbricht.
Ich erinnere mich, wie mir übel wird, wie ich Blut spucke. Dann Licht aus.
Wochenlang liege ich im Koma. Hirnblutung. Schädelbasisbruch. Meine Eltern am Bett, bereit, sich zu verabschieden, weil niemand sagen kann, ob ich jemals wieder aufwache.
Und doch – wieder überlebe ich.
Wieder kehre ich zurück.
Aber jedes Mal lasse ich ein Stück von mir zurück in diesen Trümmern aus Metall, Asphalt und Angst.
Canna. – nicht nur Flucht, sondern Überleben
Es war nicht nur der Schmerz, der mir nach diesen Unfällen blieb. Es war auch die Angst, dass der Körper, dieses ewige Schlachtfeld, nie wieder Frieden finden würde.
Canna. war nie nur Rausch. Es war meine letzte Möglichkeit, den Dauerschmerz wenigstens für ein paar Stunden zu vergessen, das Zittern in den Nerven zu beruhigen, den Phantomschmerz im Rücken und die Erinnerungen im Kopf leiser zu drehen.
Niemand, der nicht selbst in einem solchen Körper gefangen war, konnte verstehen, warum ich das brauchte. Für andere war es eine Dro.. Für mich war es manchmal das Einzige, was noch zwischen mir und dem Aufgeben stand.
28.06.2025 10:31 • #21