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B
Hallo zusammen, ich bin 25 Jahre alt und mich holt mein schlechtes Gewissen immer wieder ein.

Mein Opa und ich hatten ein Vater-Sohn Verhältnis, ich habe bis zu seinem Tod sehr viel Zeit mit ihm verbracht und ich war seine vertrauteste Person. Er hatte in seinen letzten Jahren viele und lange Krankenhausaufenthalte und ich habe ihn immer besucht, war immer für ihn da.

Vor ca. 2 Jahren kam er erneut in das Krankenhaus, nach wenigen Tagen wurde klar, dass er in den nächsten Tagen/Wochen sterben wird. Zu dem Zeitpunkt war ich in meiner Heimatstadt bei meiner Mutter (zwei Stunden von meinem Wohnort entfernt), dort war auch das Krankenhaus. Ich war frisch verliebt und hatte meine neue Freundin seit über einer Woche nicht gesehen, wir haben vereinbart, dass wir uns an Datum X an meinem Wohnort wieder sehen können, sie wollte mir an diesem Abend ihre besten Freunde vorstellen.

Zwei Tage vor Datum X habe ich meinen Opa im Krankenhaus besucht, im ging es sehr schlecht, er hat mich kurz wahrgenommen, war jedoch großteils weggetreten. Die Ärztin kam nach kurzer Zeit in den Intensiv-Raum und bat mich, den Raum für 15 Minuten zu verlassen, da sie bei einem anderen Patienten eine Dialyse beginnen müssen. Ich war etwas überfordert und bin selbstverständlich aus dem Raum gegangen (ohne mich von meinem Opa zu verabschieden, da er nicht wirklich ansprechbar war). Als ich im Vorraum war, ist mir eingefallen, dass ich einen Friseurtermin habe und wenn ich nicht sofort losfahre, verpasse ich diesen.

Also bin ich tatsächlich einfach losgefahren und noch am selben Tag zu meinem eigentlichen Wohnort gefahren, um zwei Tage später dort meine Freundin zu empfangen. Einen Tag vor Datum X bekam ich den Anruf, der Opa liegt im Sterben, es wird nicht mehr lange dauern und er ist schon sehr weit im Sterbeprozess, meine Familie war bei ihm. Wäre ich sofort losgefahren, hätte ich mich noch von ihm verabschieden können. Ich habe es jedoch nicht gemacht und 2-3 Stunden später den Anruf erhalten, dass er nun gestorben sei.

Zu dem Zeitpunkt war ich beim Sport, ich konnte es nicht realisieren, obwohl ich wusste, es wird passieren. Ich war mit der Situation überfordert, habe einfach weiter trainiert und bin nicht zu meiner Mutter nach Hause gefahren, um ihr beizustehen, da ich ja am nächsten Tag meine Freundin erwartet habe. Für mich persönlich war das hilfreich, ich habe den ganzen Tag und die Nacht intensiv nachgedacht und getrauert und das kann ich nur, wenn ich alleine bin. Trotzdem hätte meine Mutter meinen Beistand benötigt.

Am nächsten Tag (Datum X) kam meine Freundin mit ihren besten Freunden und wir haben zusammen gegessen und getrunken, ich habe mir nichts anmerken lassen und war froh über die Ablenkung.

Bis heute habe ich große Probleme mit meinem schlechten Gewissen, das holt mich immer ein, wenn ich mit dem Thema Tod konfrontiert werde:
1. Ich habe mich nicht richtig von meinem Opa verabschiedet, ich bin einfach zu dem Friseur gefahren.
2. Mir war bewusst, dass er bald sterben wird und ich bin trotzdem in meine Heimatstadt gefahren. Ich konnte ihm nicht auf seinem letzten Weg beistehen. Wenn ich in seiner Situation gewesen wäre, hätte er alles stehen und liegen gelassen, um sofort zu mir zu kommen, da bin ich mir ganz sicher.
3. Meine Mutter hätte an diesem Tag meinen Beistand gebraucht, ich bin nicht nach Hause gefahren, weil ich unbedingt meine Freundin sehen wollte.
4. Ich habe gefeiert und gelacht, obwohl mein Opa 24 Stunden zuvor gestorben ist.

Hat jemand ähnliches erlebt und kann mir Erfahrungsberichte/Tipps geben? Ich kann einfach nicht im Reinen damit abschließen, weil mich dieses schlechte Gewissen unendlich plagt und ich kann es nie wieder gut machen.

Liebe Grüße

12.02.2021 10:22 • 12.02.2021 #1


8 Antworten ↓


Luna70
Herzlich willkommen bei uns im Forum.

Du solltest nicht so hart mit dir ins Gericht gehen. Ich schätze, das war damals eigentlich kein Egoismus, sondern eher so eine Art Flucht vor dem, was dich erwarten würde. Du warst noch recht jung und überfordert mit der Situation. Also hast du unbewusst das gemacht, was vermeintlich der leichtere Weg war. Hast dich nicht der Situation gestellt, den Opa beim Sterben zu begleiten oder die Trauer deiner Mutter auszuhalten. Das ist natürlich nur eine Vermutung, ich kann auch falsch liegen.

Du wirst im Leben noch oft die Erfahrung machen, dass man Entscheidungen trifft, die man später bereut oder die sich als falsch herausstellen. Das lässt sich nicht vermeiden, jeder macht Fehler. Manches kann man korrigieren, manches nicht und damit muss man dann leider leben und irgendwie seinen Frieden machen.

Was den Opa betrifft, das lässt sich nicht mehr ändern. Aber er war ja nicht alleine, als er starb. Was meinst du, würde dein Opa sagen, wenn er dir noch was sagen könnte? Vielleicht so was wie Junge, mach dir nicht so viele Gedanken, es ist okay.

Vielleicht hilft dir eine Art Ritual, wenn du zum Beispiel aufschreibst was du deinem Opa noch sagen würdest, den Brief verbrennst und die Asche auf sein Grab streust? Oder du gehst zum Grab, zündest eine Kerze an und sagst es ihm einfach. Das mag sich ein bisschen abgedreht anhören, aber vielleicht hilft es dir zu einem Abschluss zu kommen.

Und mit deiner Mutter könntest du ja mal darüber reden, ob sie es überhaupt so empfunden hat, dass du sie im Stich gelassen hast.

12.02.2021 10:44 • x 2 #2


A


Schwere Schuldgefühle nach dem Tod meines Opas

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E
Hallo,

Ich habe an die Beerdigung meiner Mutter nicht daran teilgenommen..
So viele Punkte kamen zusammen das ich mich entschied am Tag der Beerdigung nicht hinzugehen.
Trotz lange verhaltenstherapie mache ich mir heute vier Jahre danach noch Vorwürfe..
Es sind die Selbstgespräche die wir führen .
Du hast danach gehandelt was für dich wichtig war in diesem Moment und dich nur das zählt in jeden einzelnen Leben von uns .
Die Selbstgespräche wie Schuld einreden, sind nur Glaubenssätze die wir gehört haben, im sehr jungen alter . Du muss das du muss dieses und so weiter .

Wir wollen doch uns verändern und das ist gut so dazu gehören auch falsche Glaubenssätze von früher.
Ich interpretiere diese immer wieder mal beim Auftauchen meiner Gedanken in reale Glaubenssätze, dass kann mehrere hundert male passieren aber es lohnt sich.
Wenn wir und weiter verbiegen dann wird unser Rucksack den wir mitbekommen haben immer schwerer, daran zerbricht jeder Mensch eines Tages.
Du hast so gehandelt weil du es in diesem Moment für richtig gehalten hast ,die Punkte hast du dir hier aufgezählt.
Sie waren dir wichtig in diesem Moment mehr kannst du nicht machen
Verbanne die Selbstgespräche der Schuld.

12.02.2021 10:45 • x 1 #3


-IchBins-
Ich habe den Tod meiner Großmutter auch verpasst. Ich hatte sie drei Jahre lang zu Hause gepflegt, weil sie dement wurde. Wir haben lange gezögert und sie dann doch in einem Seniorenheim unterbringen müssen, da sie nicht mehr allein bleiben konnte und ich auch wieder arbeiten musste.
Aber ich hab es gern gemacht, weil ich zu ihr ein enges Verhältnis hatte. Sie hat mich, als ich klein war, immer gut betreut, weil meine Eltern beide sehr früh wieder arbeiten mussten. Ich war sehr gern mit ihr zusammen. Manchmal denke ich darüber nach, ob es nicht besser gewesen wäre, Abschied zu nehmen, aber es war tatsächlich eine Art Flucht. Drei Monate nach ihrem Tod bekam ich meine erste Panikattacke und in den letzten Jahren gibt es immer mal wieder Momente, in denen ich es bereue, nicht bei ihr gewesen zu sein. Aber ich weiß gar nicht mehr genau, wo ich zu diesem Zeitpunkt war, weil es schon über 17 Jahre her ist.
Sie fehlt mir jedoch heute noch manchmal für einen guten Rat.

12.02.2021 11:38 • x 1 #4


B
Vielen Dank für eure Worte.
Ich habe meiner Mutter damals angeboten, dass ich nach Hause kommen würde, wenn sie das möchte. Allerdings war mir klar, dass sie niemals ja sagen würde, auch wenn sie es wollen würde. Auch danach hat sie gesagt, dass sie es nicht schlimm fand, danach alleine zu sein. Ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass ich trotzdem denke, ihr wäre es in dem Moment anders lieber gewesen.

Insgesamt bin ich froh darüber, dass mein Opa und ich immer wussten, wie nah wir uns stehen und dass es keinen offenen Konflikt gab, als es zu Ende ging. Die psychische Verarbeitung der Anwesenheit des Sterbeprozesses hätte mich garantiert sehr getroffen, vielleicht habe ich mich tatsächlich selbst unbewusst vor etwas geschützt.

12.02.2021 13:18 • x 2 #5


E
Mein Kontakt zu meiner Mutter war ganz ok wir hatten nie sehr viel Stress , sie verstand meine Problematik und ich ihre .
Meine Geschwister taten sich schwer mich anzunehmen wie ich bin also ein Mensch mit Gefühlen von daher habe ich damals entschieden mich der Konfrontation mit meinen Geschwistern auf der Beerdigung zu unterlassen. Es war auch Selbstschutz.
Definitiv zu viel für meine Seele wäre es gewesen wenn ich die Vorwürfe gnadenlos gehört hätte von den anderen, Situationen die ich früher aus Selbstschutz auch nicht getan habe wären bestimmt am Grab meiner Mutter gefolgt.
Das konnte ich mir nicht antun.
Leider , haben meine Geschwister den Kontakt zu mir abgebrochen und mich aus der Familie verbannt.
Das war sehr schlimm. Aber sie konnten mich nich nie verstehen also vermisse ich nicht viel.
Ich hätte mir auch gewünscht dabei gewesen zu sein aber meine Seele riet mir an mich zu denken.
Da ich leider sehr wenig an mich gedacht habe oder hatte viel es mir wehr schwer mal auf mein Gefühl zu hören .

12.02.2021 14:12 • x 1 #6


Perle
Hallo Bulg,

Menschen, die sich zu Lebzeiten nahe standen, bleiben auch über den Tod hinaus miteinander verbunden. Das ist meine persönliche Erfahrung. Noch heute nach 5 Jahren habe ich das Gefühl, mein Vater ginge neben mir. Ich war in seinem Todeskampf bei ihm aber als er einschlief, war er tatsächlich alleine. Man sagt, dass es für die Sterbenden etwas einfacher ist zu gehen, weil sie besser loslassen können. Ob das so ist, kann keiner von uns sagen aber ich persönlich glaube daran und das gibt mir einen gewissen Trost.

Erfreue Dich Deines Lebens und behalte Deinen Opa im Herzen.

LG Perle

12.02.2021 15:33 • x 1 #7


F
Lieber Bulg,
du hast alles richtig gemacht und brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben. Du hast eine gute Beziehung zu ihm gepflegt. Ich bin sicher, er erlebte es auch so. Ihr wart beide dankbar dafür. Sehr oft (ich habe es oft erzählt bekommen), sorgen Sterbende selbst auf verschiedenste Art genau dafür: dass ihnen besonders Nahstehende nicht in der Nähe sind wenn sie sterben. Genau das erzählte mir auch meine Tante vor zwei Wochen: ihr Mann lag zum Sterben im Obergeschoss des Hauses. Sie liebten sich nach vielen Jahren noch immer sehr und waren immer füreinander da. Er starb, als sie nicht im Zimmer war, sondern unten mit meinem Bruder lange telefonierte. Sie bedauert es nicht sondern findet es ganz richtig so. Du hast trainiert, während dein Großvater starb. Das ist das Leben. Und deine Freundin ist genau so wichtig, und nicht weniger, wie andere. Man kann nicht überall und immer zur Stelle sein. Ich hoffe sehr, dass du dich nicht deshalb mit einen schlechten Gewissen auseinandersetzt, weil dir ein Vorwurf gemacht wurde, denn das wäre übel und der/diejenige müsste ein schlechtes Gewissen haben. Lebe und behalte deinen Opa in liebevoller Erinnerung.
Mitfühlende Grüße

12.02.2021 15:38 • x 1 #8


F
Wichtig ist meines Erachtens,dass Dein Opa nicht alleine gestorben ist.

Was ihr gemeinsam aneinander hattet,bleibt erhalten.
Sowas kann nicht ausgelöscht werden.

Zu seinen Lebzeiten hattet ihr offenbar ein sehr inniges Verhältnis und wenn Du an ihn denkst,denk mit Dankbarkeit daran zurück.

Dein Opa ist jetzt im Frieden.
Das Letzte,was er wollen würde wäre,dass Du Dich nun aufreibst.
Er hat Dich lieb und sowas vergeht auch nicht nur,weil ein Körper vergeht.

12.02.2021 16:07 • x 1 #9





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