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Hallo liebes Forum,
dieser Beitrag könnte etwas länger werden und ist warhscheinlich ein Mix aus Selbstreflektion und Fragen.
Wenn jemand von euch sich in diesen Gedanken wiedererkennen kann oder jemand ein paar Ideen und Antworten hat, antwortet gerne, ich freu mich über jeden Beitrag.

Mit 29 Jahren bekam ich recht plötzlich (gefühlt) einen Burnout. Grade noch mitten im Leben, 100% Studium/Job, alles tiptop - innerhalb von einer Woche quasi Nervensystemkollaps. Panickattacken (nie zuvor), enorme Erschöpfung, Depression und alles eben.
Das war vor etwas mehr als zwei Jahren.
In dieser Zeit war ich zwei Mal in einer Klinik, habe verschiedene Antidepressiva genommen, bin mehrmals umgezogen und habe vieles in meinem Leben geändert.
Das hat auch einiges gebracht - ich habe mein Studium erfolgreich abgeschlossen, wohne an einem tollen Ort und bin Energiemässig wieder ganz gut mit dabei und darüber bin ich auch echt dankbar.

Zusammengefasst meine ich gelernt zu haben, dass mein Lebensstil im Alter von vielleicht 24-29 viel zu voll und übetrieben war. Viel Action, viel Reisen, viel viel viel. Das hat meine Gesundheit irgendwann nicht mehr mitgemacht.
Daher wollte ich seit dieser Erfahrung vieles besser und gesünder machen - einen besseren Umgang mit mir selbst finden.
Nachdem ich vor 6 Monaten mein Studium abgeschlossen habe, wollte ich mich eine gesunde Pause gönnen, mit dem Hauptziel, gesundheitlich wieder ganz aufzuschliessen.
Tatsächlich habe ich vor 6 Wochen das letzte Mal Escitalopram genommen und lebe seitdem ohne Medikamente.

Mir geht es auch eigentlich gut, ja. Aber. .
Ich habe den Eindruck, trotz viel Erholung, entspanntem Lebensstil und gesunder Aktivität einfach nicht auf einen grünen Zweig zu kommen. Früher bin ich ins Bett gegangen, habe 7-8 Stunden geschlafen, fertig. Das kommt leider weiterhin so gut wie gar nicht vor. Mein Schlaf ist weiterhin recht zerstückelt und manchmal wach ich einfach zerstört auf.
Meiner früheren Erfahrung nach und auch der gängigen wissenschaftlichen Erkenntnis nach, ist Sport etwas Fantastisches für unsere Gesundheit. Jedoch fühle ich mich oft während oder nach dem Sport einfach unwohl, ausgelaugt und nicht auf dem sportlichen Niveau, wo ich einmal gewesen bin.
Dankbarerweise kann ich es mir finanziell erlauben, ohne Job aktuell auszukommen, eben mit dem Ziel, wieder fit und belastbar in die Arbeitswelt zu starten. Meinen Gefühlen nach ist jedoch dafür immer noch nicht die richtige Zeit.

Tja, die Gefühle. Da fängt es an, wo es mich in meiner Gedankenwelt momentan in zwei Richtungen zieht.
Lege ich mittlerweile zu viel Aufmerksamkeit auf meine Gefühle, nach der Erfahrung, diese eventuell zu oft ignoriert zu haben?
Oder verstehe ich sie einfach immer noch nicht, was mir mein Körper sagen will?
Bin ich vielleicht auch einfach alt mit 31, dass ich einfach sportlich nicht mehr auf das Level von damals komme, meine Rückenschmerzen normal sind und meine Energie so mittelprächtig?
Oder schone ich mich zu viel, erhole ich mich zu viel, sodass ich ohne entsprechende Belastung auch nicht weiterkomme, was meine Belastbarkeit angehe?

Das Hinundhergerissensein ist auch auf höheren, eher lebensphilosophischen Ebene präsent:
David Hawkins schreibt in Letting Go so schön, dass je mehr wir etwas wollen, desto weiter entfernen wir uns davon.
Auch in der Bibel steht Wer sein Leben retten will, wird es verlieren.
Bin ich also viel zu fokussiert auf meine Gesundheit? In der Klinik und Therapie geht es immer so viel darum, dass man Selbstfürsorge üben soll und auf sich achten soll, da man sich anscheinend bislang vernachlässigt hat.
Sollte ich versuchen, meine Gesundheit und Gefühle einfach mal wieder in den Hintergrund treten zu lassen?
Aber passiert dann nicht das gleiche wie vor 2 Jahren, dass ich mich selbst vergesse und in den nächsten Burnout renne?

Und ein letzter Gedanke - denke und analysiere ich vielleicht auch einfach zu viel? (wenn man sich diesen Text anschaut, den ich grade geschrieben habe?. )

Also zusammgefasst habe ich ein Bild von einem gesunden, aktiven Menschen im Kopf (, der ich meiner Meinung nach mal war), der mit den Höhen und Tiefen des Lebens gut umgehen kann und sich gut um sich und seine Mitmenschen kümmern kann. Dieses Bild entspricht ( meiner Wahrnehmung nach) nicht der Person, die ich grade bin, und es frustriert mich, dass ich dort nicht hinkomme. Nicht aus Leistungs- und Selbstoptimierungsgründen - sondern eigentlich im Gegenteil - in der Hoffnung, wenn ich langsamer, geduldiger und demütiger dem Leben gegenüberstehe, ohne den Action und Leistungsfokus von damals, endlich wieder in eine geordnete, friedlichere Bahn kommen kann.

Falls das irgendjemand tatsächlich ganz gelesen hat - danke für Deine Zeit und danke euch allen, die hier im Forum aktiv sind.

07.07.2024 09:27 • 10.07.2024 x 4 #1


11 Antworten ↓


Einige dieser Fragen stelle ich mir tatsächlich auch öfters. Also sind wir da schon Mal zu zweit.
Ich frage mich auch oft, ob ich zu viel Fokus auf mich und meine Gefühle lege. In der Klinik hat man das so gelernt, allerdings folgt Energie ja auch der Aufmerksamkeit. Und wenn ich ständig darüber grübel (ja auch da sind wir zu zweit), verpasse ich ja eigentlich das wirkliche hier und jetzt.
Wie du siehst, deine Frage kann ich dir nicht beantworten. Nur zeigen, dass du damit nicht alleine bist

Und zu deinem Anspruch der Leistungsfähigkeit. Ich habe schmerzlich gelernt, dass es normal ist gute und schlechte Tage zu haben. Man hat niemals gleich viel Energie die ganze Zeit. Früher als es sich so angefühlt hat, haben wir auf Kosten unserer Gesundheit gehandelt. Diese Einsicht kam bei mir auch erst jetzt, mit 31, und es zu akzeptieren ist eine große Herausforderung.
Ich finde du bist auf einem tollen Weg und hast schon viel gelernt und umgesetzt.

A


Nach dem Burnout - Erholung, Genesung, Gesundheit?

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Zitat von NikoXP:
Lege ich mittlerweile zu viel Aufmerksamkeit auf meine Gefühle, nach der Erfahrung, diese eventuell zu oft ignoriert zu haben?

Nein. Finde ich nicht. Ich nenn das Selbstliebe. Und überleg wie lang du dich übergangen hast…

Und das Bild von dem du sprichst dem Leistungsfähigen Menschen usw. das wird leider sehr oft in den sozialen Medien und Co suggeriert.

Wer sagt dass man das ständig sein muss? Zeugt es nicht auch von Leistung - aus dem Hamsterrad auszusteigen was einem von klein auf vermittelt wird- und auf sich zu hören?

Hey Maria,

tausend Dank - das ist sehr schön zu lesen.

Ich schlage mich eben mit folgendem rum:
Mir ist klar, dass das Leben Höhen und Tiefen hat, dass die Energie grundlos auf- und abgeht - das ist halt so.
Jedoch meine ich, früher (auf einer Skala von 0-100) halt so zwischen 30 und 80 im Mittel auf- und abgeschwankt bin.
Jetzt fühlt es sich so an, als würde ich mehr so zwischen 20-50 schwanken - und ich frage mich, was aus dem Rest geworden ist. Ob das mal wiederkommt? Ob ich zu hohe Ansprüche habe? Ob meine 50 vielleicht schon 100 ist?

@Nina2906 Danke auch für Deine Gedanken.

Wo hört Selbstliebe auf und wo fängt individualistisches Selbstoptimieren an?
Aus dem Hamsterrad bin ich nicht wirklich ausgestiegen - es hat sich so schnell gedreht, dass ich rausgefolgen bin und auf dem Boden geplatscht bin. Jetzt bin ich zwar noch nicht wieder im Berufsleben, aber irgendwo ist dieses Rad ja auch Teil unserer Gesellschaft. Wir bekommen viel, aber müssen dafür wohl einfach auch rennen.

@NikoXP
Das ist tatsächlich eine Frage über die sich normale Menschen gar keinen Kopf machen würden. Ich meine das nicht böse, weil auch ich mir über alles Gedanke mache.
Ich denke diese Grenze setzen wir selbst. Und es ist wahrscheinlich eine Lebensaufgabe diese Grenze zu finden und zu akzeptieren.

Und bei deiner Leistung. Es ist nach einem Burnout prinzipiell nicht ungewöhnlich noch längere Zeit nicht seinen normalen Standard zu erreichen. Wobei ich mich Frage, was ist denn der Standard ? Auch den bestimmen wir doch selbst.
Vielleicht sollte unser Anspruch nicht die 100% sein. Wer hat die schon ?
Und wie du schon sagst, vielleicht waren deine 100% einfach zu viel, vielleicht war da immer schon ein Vorschuss von anderen Tagen dabei ?
Vielleicht sind deine 50% das normale Maximum ?

Man wird immer dann aus dem Rad geworfen wenn man es übertreibt und sich übergeht- ist meine Meinung.

Bezgl. Job habe ich Grenzen gesetzt- wenn Leute meinen sie müssen ständig Überstunden schieben - bitte. Ich lass mich auch nicht mehr unter Druck setzen was Aufgaben angeht- alles im Rahmen des machbaren. Komisch dass das bei mir funktioniert und bei den Kollegen nicht. Kein Chef der Welt kommt her und sagt dann oh schön das sie krank sind- weil sie sich auf Dauer verausgabt haben- hier ist ihre Prämie von 10.000Euro

Ich tue das was mir gut tut und nicht das was ich muss. Und 2 Jahre in deinem Fall sind nichts- da gibts ganz andere. Setz dich nicht unter Druck - ich kenn das

Und ich hab auch Tage wo ich mir denke hallo wo is meine Energie hin? Das regt mich dann ziemlich auf- aber ich glaub man muss es als „erstmal“ gegeben annehmen. Bringt ja nichts…

@Nina2906
Hey Nina,
ja, da hast Du recht.
Meine Herausforderung ist in einem Deiner Sätze versteckt (und vielleicht wieder etwas philosophisch):
Zitat:
Ich tue das was mir gut tut und nicht das was ich muss.


Woher weiss man denn, was einem gut tut? Ich habe oft den Eindruck, etwas zu tun, was wir gut tut, aber ich fühle mich danach nicht besser.
Und woher, weiss man, was man muss? Ein halb-ernst, halb-witz Satz besagt, man muss nur zwei Dinge im Leben: sterben und Steuern zahlen.
Was muss man schon?

Ausserdem ist das für mich etwas realitätsfern. Sag mal einer Mutter mit einem Neugeborenen, die seit 2 Woche nicht wirklich geschlafen hat, dass sie tun soll, was ihr gut tut, und nicht was sie muss.
Oder sag einem Vater, der eine Familie ernähren muss, eine kranke Frau zu Hause hat und vollkommen überarbeitet, das gleiche.
Für mich funktioniert das nicht. Aber das sind natürlich auch nur Gedanken

Ein richtiger Burnout ist sehr oft für die Betroffenen ein Wendepunkt - in vielerlei Hinsicht.

Die Klugen lernen daraus. Sie ergründen Ursachen, stellen ihr Leben um, kümmern sich um Erholung. Die weniger Klugen ignorieren diese Phase und versuchen, irgendwie alles so weiter zu machen wie bisher, notfalls mit Medikamenten.

Und dann gibt es noch einige Wenige, die aus dieser Krise eine völlig neue Perspektive gewonnen haben. Sie sind buchstäblich Andere geworden. Eine ordentliche Nebennierenschwäche (die m. E. die physische Komponente des Burnouts darstellt) hinterlässt Spuren, die so schnell nicht - wenn überhaupt - vollständig zu beheben sind. Man kann vieles tun aber manchmal schaffen wir es körperlich und nervlich vielleicht nur noch bis 50-70% unserer früheren Leistungsfähigkeit.

Nun ist die Frage: Ist der Paradigmenwechsel so weit gediehen, dass wir nicht mehr in Fähigkeiten denken sondern tatsächlich auch unser diesbezügliches Wollen in Frage stellen?

Zitat von NikoXP:
Sollte ich versuchen, meine Gesundheit und Gefühle einfach mal wieder in den Hintergrund treten zu lassen?
Aber passiert dann nicht das gleiche wie vor 2 Jahren, dass ich mich selbst vergesse und in den nächsten Burnout renne?

Die entscheidende Frage ist, was von Dir übrig bleibt, wenn Du die Beschäftigung mit der Gesundheit bzw. den Gefühlen ad acta legst bzw. legen könntest?
Wer ist es denn heute, den Du vergessen könntest, wenn Du Dich selbst vergessen würdest?

Wäre es dann wieder der Niko, der (automatisch) Vollgas gibt? Dann hätte er nichts wirklich verstanden.

Wir verbinden mit der Sehnsucht nach der Gesundheit von früher sehr oft unbewusst auch das frühere Leben insgesamt. Das ist ein Trugschluss und daran ist m. E. zu arbeiten.

Realitätsfern find ich das nicht- sollte mir darüber im Klaren sein was ich will und was nicht… was mir gut tut und was eben nicht.

Und der Vergleich mit einer Mutter hinkt dahingehend - wenn ich Kinder habe, haben möchte, dann sollte ich mir das vorher genau überlegen was da auf mich zu kommt… und nicht jammern wenn es dann „plötzlich zuviel ist“. (im sorry meine Meinung)

@moo Hey Moo,
wow, vielen lieben Dank für Deine ausführliche, tiefgehende Nachricht.
Wie auch in vielen guten Büchern beschrieben, wird man mache Probleme oder ungelöste Fragen nicht los, indem man gegen sie ankämpft, sondern indem etwas an ihre Stelle rückt. Ein Lebensstil, der mich nicht permament um alle meine Symptome und Empfindungen kreisen lässt, wäre da eine gute Richtung. Das kann ich noch lernen

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Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl
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