Die meisten Angsthasen hoffen darauf, einen konkreten Auslöser für ihre Ängste zu finden. Eine Schraube, an der man drehen kann und die dann alles wieder ins Lot bringt.
Aber egal, ob man Nahrungsergänzungsmittel benutzt, 100 Ärztemeinungen einholt oder 1001 Erfahrungen anderer Betroffener abfragt: Die Angst verschwindet davon nicht. Denn auch wenn Angsterkrankungen als Krankheit bezeichnet werden, sind sie doch unterm Strich nichts anderes als ein von uns selbst konditionierter Prozess.
Die gute Nachricht ist, dass man jede Konditionierung auch wieder auflösen kann. Die schlechte, dass das eine sehr mühsame Angelegenheit ist. Damit es gelingen kann, braucht es zu allererst eine sehr ehrliche Auseinandersetzung mit sich selbst.
Das Aufrechterhalten der Angst erfüllt nämlich immer eine Funktion, die uns nützt. In vielen Fällen garantiert sie uns Zuwendung, Unterstützung und Trost. Oft hält sie uns Arbeit vom Leib, weil wir diese nicht mehr erledigen *können* und uns ganz prima auf unsere Angst berufen dürfen - wir sind ja krank - um nicht mehr funktionieren zu müssen.
Sie ermöglicht uns, Verantwortung abzugeben und sorgt somit für Entlastung, die wir uns ohne die Angst nicht verschaffen können. Sie erlaubt es uns, uns nahezu ausschließlich nur noch mit uns selbst zu beschäftigen. Selbst dann, wenn wir uns vordergründig um andere kümmern, kreisen unsere Gedanken nur um uns und unsere eigenen Befindlichkeiten.
Letzten Endes ermöglicht uns die Angst, nach Herzenslust egoistisch zu sein. Und weil die Angst kein schöner Zustand ist, liefert sie uns gleichzeitig die Absolution dafür, weil wir ja so leiden müssen.
Solche Auseinandersetzungen kann keiner leiden. Sie sind aber nötig, weil wir nur dadurch befähigt werden, die Verantwortung für unser Leben wieder zu übernehmen. Nur wenn wir anerkennen, dass der selbe Schlüssel das Schloss öffnet, mit dem wir uns in das Angstgefängnis eingeschlossen haben, können wir es auch wieder öffnen.
Es geht immer nur um uns. Um unsere nicht erfüllten Bedürfnisse - aber auch um unsere Bequemlichkeit. Es ist viel einfacher, sich bereitwillig in die Angstgedanken fallen zu lassen, als dagegen zu arbeiten. Es braucht also Anstrengung, um da raus zu kommen - und auf die haben wir oft schlicht keinen Bock.
Vor allem dann nicht, wenn wir damit all die feinen Vorteile aufgeben müssen, die uns unser Zustand verschafft. Nicht selten sind wir ja da gelandet, weil uns Anstrengungen vorher zu viel waren. Damit bedeutet das, dass man sich anstrengen muss, nur um anschließend ein Leben weiterzuführen, das auch wieder Anstrengung bedeutet.
Deswegen entscheiden sich viele dafür, zu befinden, dass es *einfach zu schwer* ist, Veränderungen herbeizuführen. Nicht selten bezeichnen sich manche auch als *dumm* oder *unfähig* und liefern sich damit die Absolution dafür, alles so lassen zu können, wie es ist.
Natürlich will vordergründig jeder die Angst loswerden. Sie fühlt sich alles andere als angenehm an. Fast alle verbinden mit der Vorstellung von Angstfreiheit ein unbeschwertes, sorgloses Leben. Das gibt es aber nicht und das hat man vorher auch nicht geführt. Es ist bestenfalls die Erinnerungsverklärung. Man hatte vielleicht keine Angst, aber mit Sicherheit auch keine Insel der Glückseligkeit. Es gab schon immer Sorgen, Zweifel, Überlastung, Druck...
Die Angst loslassen heißt, sein Leben wieder anzunehmen, wie es ist. Mit all den Unwägbarkeiten, Schwierigkeiten und Herausforderungen, die es zu bieten hat.
03.11.2020 09:58 •
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