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Hi.

Ich bin ganz neu, ich brauche Zeit um warm zu werden im erzählen. Ich würde mir wünschen, dass vielleicht Leute mit mehr Erfahrung einfach was Gutes und sogar Liebevolles sagen könnten, denn ich fühle mich echt verwirrt und suche überhaupt erst nach den richtigen Worten. Und es ist lang, ich weiß jetzt keinen anderen Anfang als so. Danke, dass es dieses Forum gibt und vielleicht finde ich einen Platz darin?

Mir ist bisher nicht klar gewesen, dass ich eine Angsterkrankung haben könnte. Ich bin schon lange krank, aber dazu vielleicht später mehr. Diese Woche kam ich erst drauf.

Montag hatte ich eine erste Therapiesitzung seit vielen Jahren. Es war ein gutes Gespräch, danach bin ich raus - und ein seltsames Gefühl der Erleichterung kam so richtig über mich. Ich muss aber das Gespräch erst verarbeiten.

Bis Mittwoch hatte ich eine Art Ruhe dafür, aber seitdem ist wieder alles verloren und ich weiß nicht weiter. Mittwoch habe ich mich dann nämlich mit einem Freund zum Kochen über skype getroffen. Es war das erste Mal, dass ich zu ihm meinte: Hey, irgendwie habe ich, nach tollen Abenden mit meinen Freunden in den letzten Monaten, nach den Treffen so eine Art Nach-Angst - und ich merke, dass es nach unserem Treffen auch so sein könnte wieder, sagte ich zu ihm.

Wir hatten nämlich eine kurze Pause, als er seine Freundin anrief, und ich merkte, dass ich einerseits total glücklich war über das Kochen, die Eindrücke, aber andererseits total unruhig war in der Pause. Und das kenne ich eben seit ein paar Wochen, dass ich nach einem tollem Treffen eigentlich so richtig loslege mit der Unruhe, aber erst nachdem alles vorbei ist. Nicht schlafen kann, viel schreibe, anfange zu rauchen, mir alles durch den Kopf geht und das so richtig ausartet. Ich bin dann völlig zerstört für ein paar Tage.

Wir haben dann im Gespräch - bevor mich wieder so eine Nacht erwartete - das versucht irgendwie auseinander zu nehmen, halb im Ernst, halb im Spaß. Es hat aber nichts geholfen, er ist eben kein Therapeut und ich will auch nichts erwarten in der Richtung. Ich glaube nur, an sich fällt es mir total schwer, überhaupt klar zu machen, was mich für eine riesige Angst begleitet. Vielleicht ein Anfang, darüber überhaupt zu sprechen. (aber so schwer, kennt ihr das? Wie geht denn das?)

Die Nacht war dann schrecklich. Extra schrecklich. Ich hab ihm auch davon erzählt, er blieb noch wach, versuchte da zu sein, aber alles wurde mir total fern und fremd und ich war in meiner riesigen Angst allein. Wie gesagt, unser Kochen war schön, ausgelassen, ich hab viel erzählt, aufgedreht, ausgelassen.

Aber nachts dann, begann ich zu zittern, und mir wurde etwas klar, als ich dann allein da saß, was ich als Prinzip schon lange kenne: Entweder ich schaffe es, mich zu entschuldige dafür, Raum eingenommen zu haben. Aus Hilflosigkeit habe ich nicht nur mich bei ihm entschuldigt für alles, sondern im hilflosen Spaß am Ende sogar bei den Käfern in seinem Garten, mich entschuldigt vor der ganzen Welt, es hat nichts geholfen. Oder der zweite Weg, ich schaffe es, alles zu vergessen, zum Beispiel in dem ich mich tagelang nicht melde und zu viel Angst habe, in den Chat zu schauen. Beides begleitet von einer unheimlichen Angst.

Mir war aber auch in der Nacht klar - zum ersten Mal so richtig, obwohl ich da saß und mich nicht mehr bewegen konnte vor Scham und Angst - , dass beide Wege einfach keine Auswege sind. Donnerstag war ich unglaublich erschöpft. Er sagte, alles sei okay. Er mag mich glaube ich immer noch und wir sehen uns wieder zum Kochen.

Dann kam heute, Freitag, ein Workshop online. Ich habe mich seit Wochen darauf gefreut, weil mir die Themen und Menschen darin sehr wichtig sind. Aber es ist auch ein sehr anspruchsvolles Gebiet. Ich war erleichtert, zu erfahren, dass so viele Leute teilnehmen, dass es gar nicht wahrscheinlich ist, dass mein Prof mich explizit anspricht vor allen anderen.

Und heute, seit Beginn des Workshops war das online Mikrofon total schlecht eingerichtet. Ich bin jemand, die sehr empfindlich reagiert auf Geräusche, darum fragte ich meinen Freund, der auch online war, ob es ihm auch so ging.

Naja, alles schlug sich hoch dann. Wieder. Ich dachte, er traut sich vielleicht auch nicht, was zu sagen - ist ja nicht selten in Online-Seminaren. Ich fühlte mich dadurch noch mehr alleine. Aber mir ging es schlecht, ich konnte weder zuhören noch mich dazu entscheiden, im Chat bescheid zu sagen, völlige Blockade. Ich wäre am liebsten gegangen.

Nach einer Weile war ich voll drin in einer Panikattacke. Ich konnte nicht mehr klar denken, obwohl ich eigentlich wusste, dass A) ich kann was sagen, auch wenn es nur mir so geht B) ich kann was sagen, auch wenn es keine Änderung bringt. C) die Möglichkeit, dass es anderen auch so geht (mein Kopf wusste, dass es sehr wahrscheinlich ist). Aber ich hatte solche Angst.

Und dann habe ich geweint, weil ich einerseits den Sound nicht mehr ausgehalten habe und andererseits nicht aushalten konnte, dass dieser ganze Workshoptag für mich ins Wasser fällt.

Ich hab mich versucht, über meinen Freund rückzuversichern, ob es okay ist, was zu sagen. Er hat meine Angst nicht verstehen können - erklären konnte ich sie ihm erst später persönlich. Das ist eins meiner Probleme, nicht wissend, wie ich das rüberbringen soll, aber ich versuche es seit kurzer Zeit. Habt ihr vielleicht tipps?

Okay, am Ende habe ich was gesagt im Chat wegen dem Mikro. Jemand anderes im Chat meinte sofort, es geht im genauso. Noch jemand. Es war schon Zeit vergangen, aber der Rest des Tages war dann super vom Mikro her weil sie was umgestellt hatten. Auch die Aufnahme war dann gerettet für Leute, die das später hören wollen.

Ich komme mir seltsam vor - weil ich eigentlich für den ganzen Workshop was gerettet habe, aber ich die letzte bin, als Angsterkrankte, die sich das trauen muss! Mir war es aber zu wichtig, obwohl ich völlig am Ende war.

Leider war ich für den Rest des Nachmittags zu erschöpft, um richtig teilnehmen zu können.

Trotzdem war meine Entscheidung richtig. Nur die Kosten, die waren zu hoch für mich.

Als ich dann mit meinem Freund in der Pause darüber sprach, versuchte ich ihm zu erklären, dass es sich anfühlt, als hätte man gerade ganz knapp einen schweren Autounfall überlebt. Und dazu hätten noch die Taliban versucht, das Haus zu überfallen, in dem man lebt.

Und das hat er dann besser verstanden. Wir haben vereinbart, dass ich das nächste Mal ein Zeichen gebe und er für mich fragt.

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Hiermit schreibe ich zum ersten Mal zwei Panikattacken auf. Ich versuche überhaupt erst zu verstehen.

Und das andere ist, dass ich seit mehreren Jahren extrem erschöpft bin. Ich kann tagsüber so krass schlafen, weil ich einfach nicht anders kann vor Müdigkeit. Ich kenne kaum einen Tag ohne diese Art der Panik, aber das lerne ich erst. In meinem System ist das so drin, als müsste ich da immer durch, als gäbe es keinen anderen Weg. Als wäre das Leben eben so.

Nun, heute eben, durch das Gespräch und diese Erkenntnisse, frage ich mich: Wenn ich alle zwei Tage ein Erlebnis habe, was einem Autounfall/Überfall gleicht, -- was kann ich eigentlich von mir erwarten als Leistung (nein, ich bin schon echt zurückhaltend mit Arbeit, viel online, viel so dass ich es mir einteilen kann, Teilzeit, Fluchträume, nach Ruhe schauen) -- aber mal im Ernst: Ein Mensch, der alle zwei Tage einen Autounfall knapp überlebt: was tut diesem Menschen eigentlich gut? Ich weiß darauf überhaupt keine Antwort und habe keine Übung darin.

Und ich danke euch lieb fürs lange mitlesen. Und bei jedem Beitrag, den ich hier lese, würde ich gerne irgendwie da sein. Fühlt euch lieb gedrückt.

Elli

25.09.2021 03:05 • 25.09.2021 #1


1 Antwort ↓

silverleaf
Hallo Elli,

erstmal: Willkommen hier im Forum!

Es ist gut, dass Du Montag zur Therapie warst. Du schriebst, es sei die erste Sitzung seit vielen Jahren gewesen, dazu hätte ich eine Frage: Verstehe ich das richtig, dass Du ab jetzt wieder regelmäßig in Therapie bist? War es eine erste probatorische Sitzung bei einem/r neuen Therapeuten/in? Und dass Du früher schon einmal Therapie hattest? Ist das jetzt evtl. sogar wieder der/die Therapeut/in von früher? Und welche Form von Therapie machst Du: Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologische Therapie? (Oder, wenn auch selten, Analyse?)

Entschuldige die vielen Fragen, ich versuche nur, mir ein Bild zu machen, ich hoffe, das ist ok für Dich.

Was Deine Situation allgemein angeht, glaube ich, dass Du gerade an einem kritischen Punkt bist. Du realisierst Deine Probleme, kannst sie einordnen, das ist alles gut. Du holst Dir therapeutische Hilfe, das ist super.

Ich glaube, Dir auch Hoffnung machen zu können. Ich denke, dass man Deine Symptomatik mit Therapie gut in den Griff bekommen kann.
Was ich jetzt im Folgenden schreibe sind ein bisschen gesammelte Erkenntnisse aus über 10 Jahren Angsttherapie. Ich weiß aus leidvoller Erfahrung, wie schwer das alles ist, und ich kann mir vorstellen, dass der eine oder andere Satz sich vielleicht hart anhört, so ist es aber nicht gemeint. Die Verhaltenstherapie ist manchmal hart, aber bei Angst durchaus sehr erfolgreich. Ich weiß, dass das alles nicht einfach ist! Ich weiß, wie schlimm sich das alles anfühlt, aber ich habe auch schon zu oft erlebt, wie sich bei Patienten die Symptomatik ganz doll verschlimmert hat, wenn sie sich der Angst nicht entgegengestellt haben.

Bei Angst geht es viel darum, sich von dieser nicht überwältigen zu lassen, sondern einen guten und hilfreichen Umgang mit ihr zu finden. Ich weiß, wie utopisch sich das anhört, ich kenne auch das Gefühl mehr als gut, in Angst sprichwörtlich zu ertrinken.

Wichtig und hilfreich fand ich immer, sich stets die Realität vor Augen zu halten.
Denn eines kann ich Dir sagen: Bei einer Angsterkrankung sollte man nicht auf die Angst hören, denn:
- Deine Angst lügt. Sie tut es nicht böswillig, aber sie tut es (entschuldige die Personifizierung der Angst).
- Sie ist ein Gefühl, nicht die Realität. Sie gaukelt Dir eine Bedrohung vor, die nicht da ist.
- Es ist nicht so, dass Du mehrfach die Woche einen Autounfall überlebst, Du erlebst auch nichts ähnliches, auch wenn es sich so anfühlt. In der Realität ist nichts passiert! Du hattest keinen Unfall, nicht einmal einen, und schon gar nicht mehrere. Vom Kopf her weißt Du das eigentlich auch, aber es fühlt sich für Dich trotzdem so an, weil Dir Deine Angst das suggeriert, und dann kommst Du zu solchen Aussagen
Zitat von Nebukadnezar:
Ein Mensch, der alle zwei Tage einen Autounfall knapp überlebt: was tut diesem Menschen eigentlich gut?

Du hast de facto keinen Autounfall überlebt, auch nichts Vergleichbares, aber Du stellst Dir schon die Frage, wie sich ein Mensch verhalten soll, bei dem das so ist. Das ist das Resultat Deiner Angst. Darum muss man sich ihr entgegenstellen. Man darf die Angst nicht gewinnen lassen, sonst wird sie stärker.

Und darum schrieb ich, Du seist an einem kritischen Punkt. Noch kannst Du Dich der Angst entgegenstellen, Du hast die Kraft dazu, auch, wenn es sich nicht gut anfühlt. Aber das Wichtige ist hier, dass Du es noch kannst. Du konntest in diesem Workshop die Sache mit dem Mikro ansprechen, und das ist auch gut so. Es hat sich nicht gut angefühlt, aber das Wichtige ist hier nicht, wie es sich angefühlt hat, sondern dass Du es konntest. Du hast die Angst nicht gewinnen lassen, und das ist gut!

In der Angsttherapie sagt die Verhaltenstherapie: Man soll keinen Schritt hinter das schon Erreichte zurückweichen.
Das würde in Deinem konkreten Fall heißen: Du konntest es sagen, und diese Kompetenz solltest Du nicht aufs Spiel setzen, indem Du diese Kompetenz an andere Menschen abgibst. Das fühlt sich vielleicht für den Moment besser an, weil Du das Gefühl von Unterstützung hast, ist aber ein ganz gefährlicher Weg.
Denn so gewinnt die Angst. Jedesmal wenn Du Deinen Freund etwas für Dich machen lässt, was Du selber kannst, wird die Angst stärker:
Zitat von Nebukadnezar:
Wir haben vereinbart, dass ich das nächste Mal ein Zeichen gebe und er für mich fragt.

Das ist genau dieser gefährliche Weg, den ich an Deiner Stelle vielleicht lieber nicht beschreiten würde. Du kannst es selber sagen, Du brauchst ihn dafür nicht. Wenn Du jetzt diese Kompetenz an ihn abgibst, weil es für Dich so kräftezehrend ist, verstärkst Du nur Deine innere Überzeugung, es nicht selber zu können und auf Hilfe angewiesen zu sein, was Du nicht bist. Damit gewinnt die Angst und wird stärker. Du entziehst ihr diese Macht, wenn Du es stattdessen weiter selber tust und dabei merkst, dass das Angstgefühl von Mal zu Mal weniger schlimm wird (das ist auch so der Grundgedanke hinter Expositionen in der Angsttherapie).

Es ist in der Angsttherapie das Wichtigste, die Angst nicht gewinnen zu lassen. Was Deine Angst Dir sagt, hat nichts mit der Realität zu tun.
Deine Angst sagt Dir: Du kannst das nicht alleine. Aber wie diese Situation zeigt: Du kannst es alleine. Ja, es war Dir unangenehm und es war anstrengend, aber Du konntest es.
Deine Angst sagt Dir: Hey, das Leben ist so gefährlich, Du hast ja fast mehrere Unfälle diese Woche überlebt. Fakt ist aber: Das stimmt nicht, es ist nur ein Gefühl, in der Realität gab es nicht mal einen Unfall.
Warum also solltest Du Dich mit Fragen beschäftigen, was ein Mensch sich zumuten kann, der pro Woche mehrere Autounfälle überlebt, wenn Du gar nicht in dieser Situation bist? Das ist Deine Angst, die versucht, Dich dazu zu bringen, Dich mehr und mehr aus dem Leben zurückzuziehen.

Deine Angst gaukelt Dir vor, schwach zu sein, unfähig zu sein, nicht alleine klarzukommen, nicht die Kraft zu haben, Dinge hinzubekommen....

Und jedesmal, wenn Du diesem Gefühl nachgibst, wird die Angst stärker. Und gewinnt.

Darum mein Rat: Stell' Dich der Angst entgegen! Noch kannst Du es, und diese Fähigkeit solltest Du nicht aufgeben.
Die Angst hat eine ganz gemeine Tendenz, sich auszubreiten, wenn man ihr die Räume lässt, und wenn Du diesem Mechanismus nachgibst, werden irgendwann Deine Fähigkeiten tatsächlich nachlassen und Du wirst Schritt für Schritt immer weniger können, irgendwann fühlt es sich nicht nur schlecht an, Dinge zu tun, irgendwann kannst Du sie tatsächlich nicht mehr tun, wenn Du die Angst gewinnen lässt. Und Du wirst Fähigkeit über Fähigkeit verlieren, wenn Du Dich diesem Prozess nicht entgegenstellst.

Die Verhaltenstherapie spricht oft von dem Unterschied zwischen kurzfristig hilfreich, aber langfristig schädlich.

Wenn Du jetzt also in einer solchen Situation wie dem Workshop Deinen Freund für Dich reden lässt, gehst Du in die Vermeidung, Du vermeidest das unangenehme Gefühl. Kurzfristig verschafft Dir das Erleichterung, aber langfristig wird dadurch nur Deine Angst stärker, weil sie in der Situation gewonnen hat und Dich in die Vermeidung gebracht hat.

Und je eher Du diesen Teufelskreis durchbrichst, umso besser.

Lass' die Angst nicht gewinnen!

Ich weiß, dass sich das vielleicht weniger liebevoll anhört, als Du Dir das vielleicht gewünscht hast
Zitat von Nebukadnezar:
Ich würde mir wünschen, dass vielleicht Leute mit mehr Erfahrung einfach was Gutes und sogar Liebevolles sagen könnten
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es ist einfach nur die Erfahrung, die mich gelehrt hat, dass das eigentlich Gute sich manchmal nicht so gut anhört.
Auch wenn es sich vielleicht nicht so liest: Es ist tatsächlich sehr fürsorglich und lieb von mir gemeint, denn ich möchte Dir ehrlich gerne helfen.

Ich hoffe, dass vielleicht der eine oder andere hilfreiche Gedanke für Dich dabei war.
Und ich kann Dir Mut machen und Hoffnung geben: Man kann diese Symptome gut in den Griff kriegen!

Ich wünsche Dir alles Gute und viel Kraft für diesen schwierigen Kampf!

LG Silver

25.09.2021 04:27 • x 4 #2





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