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F
Das ist der zweite Versuch, einen Text zu schreiben. Den ersten habe ich abgebrochen, nach dem ich gemerkt habe, dass ich dabei war, eine Autobiografie zu schreiben. Ich versuche mich diesmal kurzzufassen. Doch wenn ich nicht ein bischen aus meinen Leben erzähle denke ich nicht das man meine Situationen versteht.

Ich wurde 1982 geboren.

Ich wurde wahrscheinlich im Mutterleib nicht richtig ernährt. Ich wurde viel zu leicht geboren und musste in den Brutkasten. Ich hatte, seit ich denken kann, gesundheitliche Probleme.

Ich konnte als Kind nicht das Wasser halten. Ich bekam dagegen irgendwelche Tabletten. Trotzdem habe ich noch weit in meine Grundschulzeit ins Bett gemacht. Hat sich nicht gut auf mein Selbstbewusstsein ausgewirkt.

Ich hatte auch fast so lange ich denken kann Bewegungstherapien.

Doch bin ich das vergleichsweise gesunde Kind. Meine Schwester ist geistig behindert und heute immer noch auf dem Niveau eines Kindergartenkindes. Sie bekam bald mehr Aufmerksamkeit als ich.

Meine Mutter wurde durch ihre Eltern als Kind körperlich und mental misshandelt. Die mentale Misshandlung hat sich fortgesetzt, bis meine Großmutter nach einem Schlaganfall nicht mehr sprechen konnte. Trotzdem war das Verhältnis meiner Mutter zu ihrer Mutter sehr eng, was nicht gut für die Psyche meiner Mutter war. Sie war auch zusätzlich noch durch ihre Arbeit als Leiterin eines Kindergartens ziemlich gefordert.

Mein Vater hatte Depressionen und hat sich die meiste Zeit in seinen Hobbyraum zurückgezogen.

Von irgendwelchen Behörden und Ärzten, die angeblich helfen sollten, kam nur mehr Druck auf meine Eltern. Hinzu kam der Druck, dass die Kinder einer Erzieherin ja keine Probleme haben dürfen.

Ich glaube, ich war 5 oder 6 als meine Mutter das erste mal vor mir mit Selbsttötung gedroht hat. Die ersten zwei Male habe ich verzweifelt darum gebettelt, dass sie das nicht tun soll.
Beim dritten Mal habe ich von meiner Seite mit Selbsttötung gedroht. Was sie sofort dazu gebracht hat, sich um mich sorgen zu machen.

Sie wurde, auch wenn sie nicht mit Suizid gedroht hat, immer seltsamer. Sie hat dauernd geweint. Ich wurde auch immer mal wieder Ziel für verbale Angriffe von ihr. Sie hat ihren Frust an mir ausgelassen. Ihren Frust mit ihrer Arbeit, mit ihren Eltern, mit meiner Schwester und vor allem mit meinem Vater. Wenn eine Mutter ihrem Sohn sagt: Du bist wie dein Vater!, sollte das kein Vorwurf sein. War es aber.

Ich glaube, mit 11 oder 12 hat sie angefangen, mir ihre Probleme zu erzählen und ich habe, so gut ich es konnte sie beraten. Es war besser. Sie war in dieser Zeit stabil.

Wenn meine Schwester es zuließ. Meine Schwester konnte es nie ertragen, nicht im Mittelpunkt von Unterhaltungen zu sein. Ich kann mich bis heute kaum mit meiner Mutter unterhalten, ohne das sie unterbricht. Damals hat sie es getan, in dem Sie bis 35-mal in 20 Minuten (einmal haben wir tatsächlich gezählt) dieselbe Frage gestellt hat. Manchen reden viel von dem Schutz von behinderten leben. Was man unbehinderten Kindern antut, fragt keiner. Wobei man in meinem Fall vielleicht besser von nicht so stark behindert spricht.

Mittlerweile lief es in der Schule nicht gut. Ich konnte Rechtschreibung einfach nicht erlernen. Ich war dann bei einem Psychologen, der mich auf Legasthenie untersucht hat. Die hatte ich dann aber nicht. Intelligenz war auch normal bis leicht überdurchschnittlich. Also musste es daran liegen, dass ich zu faul war. Also musste ich mehr üben. Ich hatte auch in anderen Fächern das Problem, das ich so langsam war. Ich habe also jeden Tag bis zum Abend gelernt. Vor dem Essen konnte ich eine halbe Stunde bis dreiviertel fernsehen. Danach mehr Üben. Im Bett konnte ich dann bis weit nach Mitternacht nicht schlafen, da ich Angst hatte, ins Bett zu machen.

Meine Mutter hat sich dann irgendwann einen Therapeuten gesucht. Der hat natürlich gesagt, dass meine Mutter nicht mehr mit mir Ihre Probleme Besprechen soll, weil das ein Kind überfordert. Im Prinzip richtig. Aber erstens war ich niemals ein normales Kind und zweitens hat sich die Situation für mich da durch verschlimmert.

Statt mit meiner Mutter Ab und zu über ihre Probleme zu reden und sonst eine stabile Elternfigur zu haben, mit der ich auch über meine Probleme reden konnte, hatte ich nun plötzlich jemanden, der aus für mich unerfindlichen Gründen dauernd geweint hat. Es hat das Verhältnis zu meiner Mutter komplett zerstört, ich konnte einfach nicht mir mit ihr reden. Es war der Beginn meiner Therapeuten-Phobie.

Als ich dann auf die Hauptschule gekommen bin, musste ich dann 4-mal die Woche wohin.
Zwei mal die Woche Nachhilfe, einmal die Woche zur Krankengymnastik wegen meinem krummen Kreuz und einmal Ergotherapie wegen meinen motorischen Problemen. Außerdem noch Spritzen zur Desensibilisierung für meine Allergie. Wenn man auf dem Land lebt und nur alle paar Stunden ein Bus fährt, braucht man sich den Nachmittag nichts anderes vornehmen.

In der Hauptschule kannte ich niemanden. Was kein Problem gewesen wäre, hätte ich die Einladungen, sich nach der Schuhle noch zu treffen, bejahen können. Aber ich musste immer ablehnen, weil ich ja Termine hatte. Also wollte bald niemand mehr was mit mir zu tun haben. Und Außenseiter werden gehänselt. Erstrecht wenn sie schlecht im Sport sind. Erstrecht, wenn sie in ihrem Sozialverhalten hintendran sind, weil sie kaum zeit hatten mit anderen Kindern.

Und dann war da noch meine Allergie. Andere bekamen Heuschnupfen im Frühling. Bei mir war es so, als hätte ich Pfefferspray abbekommen. Ich habe oft bis etwa eine Minute lang ununterbrochen niesen müssen. Niesen und sofort wieder niesen. Jeder kennt das Krippeln in der Nase, kurz bevor man Niesen muss. Doch was, wenn man dieses Gefühl den ganzen Tag hat. Ich habe oft plötzlich geniest. Jeder hat mich angeschnauzt, warum ich denn kein Taschentuch nehme. Das merkt man doch, wenn man Niesen muss. Dass ich das Gefühl ständig hatte, hat mir niemand geglaubt. Auch der Arzt nicht.
Also ein weitere guter Grund, um mich auszustoßen.

Das nächste Problem war, das ich seltsam war. Eigentlich war es schon im Kindergarten so, dass ich anstiftet werden musste, mit andern zu spielen. Ich habe auch als Kind keine Bilder von meiner Familie gemalt. Ich habe gerne Pläne der Raumschiffe gemalt, mit denen ich das Weltall erkunden wollte. Meine Mutter hat das nicht gefallen, weil das ja nicht normal ist. Also habe ich ein Paar Männchen hingemalt, damit sie zufrieden war. Später war ich dann das einzige Kind in der Schule, das es wirklich genoss, in ein Museum zu gehen. Ich mochte auch niemals Feste. Fußball konnte ich überhaupt nicht ausstehen. Dafür wusste ich ein wenig über Raumfahrt.

Im Kindergarten und der Grundschule bin ich nicht wirklich angeeckt, aber in der Hauptschule war es nun ein Problem. Ich hatte mit der Zeit immer öfter die Fantasien, dass Außerirdische kommen, um mir zu sagen, dass ich durch einen Unfall auf der Erde gestrandet bin. Dass sie mich nun auf einen anderen Planeten bringen, wo alle Lieb zu mir sind. Und nach dem sie gestartet sind, haben sie mir gezeigt wie sie die Erde zerstören und gesagt: Siehst du! Nun sind sie alle tot. Nun können sie der nicht mehr wehtun. Weder die Menschen noch die Pflanzen.

Ich weiß, dass dies keine Fantasie ist, mit der man sich beliebt macht. Doch wenn man 12 Jahre ist, keine Freunde hat, ständig nur ausgelacht wird, von Erwachsenen nur Druck bekommt und selbst die Flora einen zu bekämpfen scheint, bringt eine solche Vorstellung sehr viel Trost, wenn man abends weinend im Bett liegt.

Ich wurde dann auch noch zu einem Schulpsychologen geschickt. Es ist ja nicht so, dass mir meine Mutter nicht helfen wollte. Eigentlich war es ihr Wunsch, dass er mir mit meinen Problemen mit meinen Mitschülern hilft. Im Wesentlichen hat er gesagt, dass es doch ganz normal sei und ich solle mich nicht so anstellen. Stattdessen könne er mir aber mit meinen Rechtschreibproblemen helfen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt gehofft, dass er irgendetwas anders machen würde. Aber letztlich waren es nur die gleiche Art Übungen, die schon andere gemacht hatten. Ich war aber brav und habe alles gemacht.

Dadurch, dass wir auf dem Dorf wohnten, ging für die Fahrt zur Nachhilfe und Therapie immer der ganze Nachmittag drauf. Hausaufgaben habe ich meistens erst am Abend ab 19.00 Uhr gemacht. Statt das ich in Deutsch besser wurde, verschlechterten sich meine Leistungen in anderen Fächern. Wenn ich meinen Eltern erzählte, wie überfordert ich mit allem war, wurde ich nur angeschrien. Du hast es doch noch einfach! Wart mal, wenn du erst Erwachsen bist! Also habe ich mich immer mehr gefragt, ob ich überhaupt erwachsen werden wolle. Ich habe immer wieder gesagt, dass ich Hilfe brauchte. Aber alles, was ich bekam, waren gereizte Erklungenen: Das Leben sei hart und ich müsse da durch. Was mich zu der Überlegung brachte: Warum soll ich am Leben mit machen?

Nun, an dieser Stelle sage ich für alle, die schon die Nummer von irgendeiner Suizid-Hilfe raus suchen: Ruhig Blut. Ich rede immer noch über Sachen, die in den Neunzigern passiert sind.

Ich verlor immer mehr die Hoffnung. Mittags habe ich viel gegessen und immer mehr zugenommen. Ich habe mir abends immer gesagt zu vergessen. Wenn ich mich nicht daran erinnere, was heute passiert ist, dann ist es so, als wäre es nicht passiert. Das habe ich mir fast jeden Abend gesagt. Und ein Stück weit hat es funktioniert. Meine Erinnerungen zwischen meinem 11 und 16 Lebensjahr sind ziemlich nebelig.

Und dann Kam der Tag. Ich war, glaube ich, 14. Wobei ich mich nicht mehr an ein Datum erinnere. Ich weiß, dass ich im Klassenzimmer gesessen habe und irgendjemand hat etwas gesagt. Ich weiß nicht, wer oder was. Es ist auch egal. Es war einfach der Tropfen welcher das Fass zum überlaufen brachte.
Ich habe den Rest des Schultages in einer Art Trance verbracht. Ich habe immer wieder gesagt: Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr und ich mach das auch nicht mehr. Mehrere Lehrer haben mich angesprochen, was den mit mir los sei, haben aber meine Ausweichenden antworten gerne genommen. Wenn man glaubt, dass es das allerletzte Mal ist, lassen sich die dummen Sprüche im überfüllten Schulbus auch viel besser ertragen.

Schließlich kam ich zu Hause an. Ich dachte darüber nach, einen Abschiedsbrief zu schreiben. Allerdings stellte ich mir sofort vor, wie jeder, der den Brief lesen würde, sich mehr mit den Rechtschreib- und Grammatikfehlern als mit dem Inhalt beschäftigen würde. Schließlich hatte noch jemand irgendetwas, was ich schrieb gelesen, ohne die Rechtschreibung zu kritisieren. Also habe ich meine Mutter angerufen. Erst mal habe ich sie nicht erreicht. Als ich sie dann erreicht habe, und ihr sagte, dass ich mich verabschieden wollte, war ihre erste Reaktion mir vorzuwerfen, dass ich sie emotional erpressen wollte.

Wie sie darauf kam, weiß ich nicht. Ich vermute, dass sie von sich auf andere geschlossen hat. Es hat mich damals unglaublich erbost. Es sollte mein letztes Gespräch mit ihr sein und sie hatte nichts anders zu tun, als mir Vorwürfe zu machen. Ich weiß nicht mehr genau, was ich erwidert habe. Sie hat dann aber endlich kapiert, dass es mir ernst ist.

Auf einmal war meine Gefühlslage relevant. Auf einmal war einzusehen, dass es zu viel war dauernd den ganzen Nachmittag unterwegs zu sein. Auf einmal konnte sich der Schulpsychologen doch mit meinen psychologischen Zustand beschäftigen. Nun, ich habe die Gespräche mit ihm als überaus unangenehm in Erinnerung. Als ein manipulatives warum denkst du über die Welt nicht so wie ich.

Aber da ich jetzt mittags meistens Zeit hatte, konnte ich tatsächlich meine Hausaufgaben machen und wurde besser in der Schule. Ich wurde zwar weiter in der Schule gehänselt, doch kam mir ein unerwarteter Umstand zur Hilfe. Es war so, dass ich mich ziemlich überfressen habe. Dadurch haben die Hosen aus dem Quelle-Versand (wo meine Mutter damals gekauft hat, was es im Supermarkt nicht gab) einfach nicht gepasst. Also musste man mit mir in ein Fachgeschäft und ich habe dort Jeans in passender Größe bekommen. Diese hatten dann einen Markennamen. Für meine Mitschüler war ich nun, da ich jeden Tag Markenhosen anhatte, ein besserer Mensch.

Mit 16 konnte ich endlich die Hauptschule verlassen. Ich ging in die Berufsfachschule, um meine Mittlere Reife nach zu machen. Ich war eigentlich immer noch unheimlich depressiv. Doch kannte mich an dieser Schule fast keiner. Ich habe mir also überlegt, wie sich ein normaler 16-Jähriger verhalten würde und entsprechend gehandelt. Mir war zum Heulen zumute, aber ich habe trotzdem mit über die Witze gelacht. Ich habe eine Persona aufgebaut, die gut behandelt wurde. Ich hatte keine wirklichen Freunde, aber es hat mich auch keiner schikaniert und ausgegrenzt.

In der Ergotherapie und der Desensibilisierung war ich inzwischen austherapiert. Zwar hat keines von beidem mir viel gebracht, aber es gab bessere Medikamente, um die allergische Reaktion zu unterdrücken. Auch die Rechtschreibung war nicht besser, aber die Lehrer hat es nicht mehr in dem Maße interessiert. Ich hatte nun zwar auch nachmittags Schule, doch war ich älter und kam damit zurecht.

So ist es also, wenn man in Ruhe gelassen wird! Habe ich gedacht. So ist es, wenn man nicht ständig irgendetwas extra machen soll. So ist es, wenn einem die Ärzte und Pädagogen und Psychologen in Ruhe lassen. Ich empfinde es bis heute so das all die Menschen, die es gut mit mir gemeint haben, am Ende einfach nur mir die Kindheit und Jugend gestohlen haben.

Mit 18 habe ich dann auch noch die Fachhochschulreife nachgemacht. Wieder ein Haufen neuer Leute. Doch konnte ich nun tatsächlich wieder Freundschaften schließen. Doch eine Liebesbeziehung anzufangen war ich nicht in der Lage. Leute haben mich immer gefragt, warum ich nicht in eine Disco gehe. Auf mich hat so was die selbe Anziehungskraft wie eine Jauchegrube. Zu laut; zu viele Fremde Menschen; zu viele Lichteffekte. Ich verstand, dass ich auf einem tieferen Level nicht normal bin.

Ich habe immer wieder den Rat bekommen, mir doch professionelle Hilfe zu holen. Es ist so: Wenn man von zwei verschiedenen Hunden gebissen wird, bekommt man Angst vor Hunden generell und nicht nur vor den zwei Hunden, die einen gebissen haben. Wenn man dann noch einen Dokumentarfilm über die Gefährlichkeit von Kampfhunden sieht, ist es aus mit der Hundeliebe. Sicher, man kann das Vertrauen wieder gewinnen. Auf eine bestimmte Ebene realisiert man vielleicht auch, dass nicht alle Hunde schlecht sind. Aber keiner würde einem in der Situation den Rat geben: Schaf dir doch einfach selbst einen Hund an.

Als die Schule abgeschlossen war und wir mit der Ausbildung begannen, habe ich die Freunde wieder verloren. Sich einfach einmal im Monat im Kino zu treffen war nicht zu organisieren. Ich wollte, nach dem ich endlich wieder Freunde hatte, diese unbedingt behalten. Doch habe ich nur noch ein paarmal E-Mails hin und her geschrieben.

Ich eine Ausbildung zum Programmierer (Fachinformatiker Anwendungsentwicklung) gemacht. Nach der Ausbildung bin ich in eine andere Stadt gezogen. Ich war damals sehr optimistisch. Endlich eine eigene Wohnung. Ich habe gedacht, dass mein Leben nun erst richtig beginnen würde.

Ich war fest entschlossen, jede soziale Aktivität mit zu machen. Egal wie sehr mir sie missfielen. Ich wollte mir über meine Kollegen soziale Kontakte aufbauen. Wieder Freunde finden. Und auch endlich eine Gefährtin. Doch bin ich 4-mal hintereinander in der Probezeit entlassen worden. Man war mit meiner Leistung nicht zufrieden. Als ich endlich eine Stelle hatte, die ich behalten konnte, wurde bald ein Großteil der Firma ins Ausland verlagert. Nur noch ich und ein anderer Programmierer war da.

Mit dem hatte ich mich sehr gut verstanden. Es war auch irgendwie gut, dass der Rest der Firma im Ausland war. Es ist so, dass ich mich für meine Arbeit sehr konzentrieren muss. Es ist so, als ob die Welt für mich aufhört zu existieren. Stattdessen baue ich in meinem Kopf Flussdiagramm, Datenbankstrukturen und Pseudocode. Wenn ich es schaffe, mich richtig zu konzentrieren, höre und sehe ich nichts mehr um mich, fühle keinen Hunger mehr nur noch gelegentlichen Durst. Es existieren nur noch das Programm und die Teetasse. Bis jemand stört und die mühevoll errichteten Gedankengebäude wie Kartenhäuser einbrechen. Das mal kurz eine Frage stellen mit unter eine halbe Stunde Arbeit zu Nichte macht, will keiner verstehen.

Der Letzte hat dann die Firma gewechselt, was dazu führte, dass ich allein im Homeoffice war. Ich wollte das nicht. Ein Teil von mir wollte kündigen. Und es hätte genug andere Gründe geben, die Firma zu wechseln. Doch hatte ich Angst, nach ein Paar Monaten wieder entlassen zu werden. Und ich hing auch an dem Programm, das geschrieben habe. So habe ich eine ganze Zeit nur zu Hause gesessen und mit fast niemanden geredet.

Es ist so das Anfang der 2000der viele scheue Menschen über das Internet neue Wege gefunden haben, Kontakte herzustellen. Für mich hat das nicht funktioniert. Dinge aufzuschreiben erinnert mich daran, wie viel zeit ich mit Nachhilfe verschwendet habe, wie oft ich angeschrien wurde, weil die Rechtschreibung nicht besser wurde. Es fällt mir zwar inzwischen leichter, doch ist es mir immer noch unangenehm, Dinge zu schreiben.

Ich hatte in der Zwischenzeit ein Interesse an Anime entwickelt. Nun hatte mich tatsächlich dazu durch gerungen in einem entsprechenden Forum anzumelden. Es hat nach einiger Zeit tatsächlich Spaß gemacht, mich mit anderen auszutauschen. Ich habe mich ein paarmal mit anderen aus dem Forum getroffen. Es war schön, mit Menschen zu sprechen, die verstehen, wovon ich rede. Doch echte Freunde konnte ich so nicht machen.

Die Firma, bei der ich war, hat dann ende 2013 den betrieb eingestellt. Ich bin in 2014 bei einer anderen Firma gelandet.

Ich habe mich noch nie sofort in einer Gruppe vom Menschen wohlgefühlt. Ich brauche immer einige Monate, um mit anderen Menschen warm zu werden. Es war also normal, dass ich mich nicht wohlfühlte. Doch wurde es nicht mit der Zeit besser. Ich hätte Kündigen sollen.

Der Chef hat immer wieder mit verschieden Mitarbeitern herumgeschrien, wenn irgendetwas nicht funktioniert hat. Eine Sachbearbeiterin, die sich ständig über die Dialekte von Kunden lustig gemacht hat, nach dem sie mit ihnen telefoniert hatte. Nach Vorstellungsgesprächen wurde sich regelmäßig noch eine Stunde lang über Bewerber lustig gemacht. Wenn ich eine Mail nach 3 Stunden nicht beantwortet hatte, weil ich mich in ein Problem vertieft hatte, wurde ich angeschrien. Wenn ich nach zwei Tagen nachgefragt habe, warum eine Mail von mir nicht beantwortet wurde, war die Antwort oft: Was weiß ich; stehen zu viele komplizierte EDV Sachen drin.

Sachen, die 3-5 Tage dauern sollten bis zum Abend fertig sein. Projekte wurden angefangen und habe keinen mehr interessiert, als die ersten Zwischenergebnisse da waren. Aber aus meine Angst, mir wieder eine neue Arbeit suchen zu müssen, bin ich geblieben.

Gleichzeitig hat sich die Internetkultur verändert. Um 2010 herum habe ich aus beruflichen Gründen Texte gelesen, in denen beschrieben wurde, wie man die Nutzeroberflächer einer online Anwendung so gestaltet, dass ein bestimmtes Verhalten erzeugt wird. Statt ein Mal am Tag nach dem Rechten zu sehen, sollten die Leute zu möglichst häufiger Interaktion bewegt werde. An Stelle lagen texten sollten lieber viele Kurze Geschieben werden. Gleichzeitig soll eine Erwartungshaltung auf schnelle Antwort erzeugt werden. Das Wort Sucht wurde vermieden es war aber offensichtlich, was gewollt war.

Um ein bisschen hyperbolisch zu sein: Ich bin der Meinung, dass der Handel mit sowie der Besitz von Smartphones mit einer Gefängnisstrafe bedroht sein sollte. Aus den gleichen Gründen, warum Dro. verboten ist. Gut, der Vergleich mag etwas übertrieben sein. Der Vergleich mit Zig. oder Glücksspiel ist passender. Der Hauptgrund, warum ich kein Smartphone will. Hinzu kommt das ich auf Grund meiner motorischen Probleme die Dinger kaum bedienen kann. Ich sehe das und bin verzweifelt über das verhalten meiner Mitmenschen. Doch entschließen sich die Leute dazu, das Problem hinzunehmen und einfach weiter zu machen. Und wenn man nicht mitmacht, eckt man an.

Gleichzeitig wurden alle Internetdiskussionen unnötig politisch. Ich diskutiere an sich gerne über Politik. Doch immer in dem Versuch, andere durch Rhetorik und Logik von meiner Position zu überzeugen. Ich habe auch eine Neigung des Teufels Advokat zu spielen.

Eine Zeit lang war das im Internet kein Problem. Das Internet war ein Raum mit wenig sozialen Normen. Man war ja schließlich nur ein Pseudonym und ein Bild, das alles war, nur nicht das eigene Gesicht. Wenn man etwas Dummes sagte, konnte das niemand mit dem Rest seines Lebens in Verbindung bringen. Wenn sich zwei in einem Forum zerstritten haben, wurden sie für 48 Stunden gesperrt, damit sie sich abregen konnten. Keine große Sache. Doch dann begannen die Leute sich überall mit echtem Namen und Foto anzumelden. Dazu noch die genaue Adresse.

Und mit den Echten nahmen kamen auch die Sozialnormen, mit denen ich zeit meines Lebens so schlecht zurechtkam. Auch dort, wo man weiterhin anonym unterwegs war. Politische Diskussionen wurden weniger geführt, um andere zu überzeugen und erinnerten mehr an das Bellen von Hunden, die andere aus ihrem Revier vertreiben wollen. Diskussionsbeiträge über die neuste Folge einer Serie wurden kürzer. Und die Anzahl der Benutzer wurde geringer. Treffen gab es keine mehr.

Ich habe versucht, über Onlinedating eine Partnerin zu finden. Doch kommen auf eine Frau, fünf Männer. Als Frau wird man mit Anfragen überlastet und als man fühlt man sich ignoriert. Wenn eine Frau sich die Mühe macht, einem mit einem kurzen Satz abzulegen, statt einen zu Ignorieren oder zu Blocken freut man sich direkt.

Ich bin zwischen 2016 und 2019 in eine hochfunktionale Depression verfallen. Ich hätte kündigen sollen. Doch hatte ich viel zu viel Angst davor. Anfang 2020 wollte ich mich endlich Befreiern. Ich wollte mir eine neue Arbeit suchen. Ich wollte eine neue Initiative starten, um soziale Kontakte aufzubauen und endlich wieder mehr Zeit mit Menschen verbringen. Und dann kam 2020. Wenigsten fange ich nächsten Monat eine neue Stelle an.

Es nun 15 Jahre vergangen, seit ich bei meinen Eltern ausgezogen bin. Neugeborene sind zu Teenager geworden und fangen ihre ersten Liebesbezeigungen an, Sämlinge sind zu Bäumen geworden, Verurteilte Mörder kommen auf Bewährung frei. und ich bin kein Schritt mit meinem Leben weitergekommen.

Ich hätte gerne fünf bis sechs gute Freunde, die verstehen, dass ich ein wenig seltsam bin, die ich anrufen kann, wenn was Schweres in die Wohnung getragen werden muss und die mit mir ab und zu einen Brettspieleabend machen. Ich will eine Gefährtin, die mich so annimmt, wie ich bin. Eine, die Zeit mit mir verbringen will. Eine, mit der ich ein paar der Dinge, die ich in P. gesehen habe, einmal ausprobieren kann. Eine, mit der ich eine Familie gründen kann. Eine, die mir treu ist.

Doch bin ich nun 39. Ich habe seit Jahren niemanden mehr, den ich Freund nennen könnte. Und vor allem habe ich nicht mal eine Hand gehalten. Mir läuft langsam die Zeit davon.

Doch empfinde ich soziale Situationen als belastend, habe keinen Plan, wie flirten funktionieren soll und habe bei dem Wort Therapie Erinnerungen daran, wie ich an einer Bushaltestelle warte allein und weihend.

Ich vermute, das ich Asperger-Syndrom oder eine andere Form von hochfunktionalem Autismus habe. Außerdem, dass die Probleme durch eine mangelnde Sozialisierung zwischen dem 7 und 15 Lebensjahr versteckt wurde.

Warum ich unfähig bin, Rechtschreibung zu erlernen, weiß ich nicht. Legasthenie war es ja angeblich nicht. Ich habe die Theorie entwickelt, dass ich eine unbekannte neurologische Störung habe. Aber vielleicht wurde ja in den letzten 30 Jahren etwas neues entdeckt.

Dann hat mich meine Mutter noch ein wenig traumatisiert.

Ich denke das die meisten anderen Probleme, die ich habe, mehr oder weniger eine Folge dieser Grundprobleme sind. Beziehungsweise dem Umgang meiner Umgebung damit.

Die Frage ist nun, was kann ICH realistisch dagegen tun.

Ich habe einiges ausgelassen, was mich belastet. Aber ich wollte das kurzhalten.
Danke an alle, die sich die zeit genommen haben, das hier zu lesen. Ich hoffe das mir jemand einen Rat oder zumindest ein Paar warme Worte geben kann.

Danke.

18.02.2021 19:44 • 21.02.2021 #1


9 Antworten ↓


FeuerWasser
Zitat von Feuerqualle:
Ich habe einiges ausgelassen, was mich belastet.

Zitat von Feuerqualle:
Ich vermute, das ich Asperger-Syndrom oder eine andere Form von hochfunktionalem Autismus habe.

Ich habe ehrlich gesagt nicht alles genau gelesen da der Text wirklich extrem lang ist. Wenn du einen Verdacht auf Asperger hast dann kann man dir nur anraten dich an eine Autismusambulanz zu wenden, an einen Facharzt mit Schwerpunkt oder Gutachter. Das was du beschreibst da kann viel dahinter stecken. Asperger ist sicher nicht auszuschließen aber auch eine psychische Erkrankung nicht schon alleine aufgrund der komplexen Familiengeschichte. Es gibt mehrere psychische Erkrankungen die Asperger sehr ähnlich sind. Das lässt sich keinesfalls über das Internet abklären. Dafür gibt es gezielte Testverfahren wie das ADOS. In dem Zuge werden auch mögliche psychische Erkrankungen abgeklärt.

18.02.2021 20:51 • #2


A


Einsamkeit Asperger? / Emotionale Misshandlung / Mobbing

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S
Zitat von Feuerqualle:
Ich vermute, das ich Asperger-Syndrom oder eine andere Form von hochfunktionalem Autismus habe


Du erinnerst mich ein wenig an meinen besten Freund, der eine sehr spaete Diagnose mit 60 Jahren bekam (Asperger).
Er war oft gefrustet und konnte es nicht erklaeren, er meinte immer, er fuehlt sich anders.
Im Nachhinein macht nun vieles Sinn, und er lebt viel besser mit der Diagnose und auch wir wissen, wie wir ihn unterstuetzen koennen oder warum ihm das alles zuviel wird.

18.02.2021 21:29 • #3


S
https://autismus-institut.de/
An die könntest Du dich wenden.Die sitzen in Hamburg und Du vielleicht in Bayern.Aber als Zentralverband werden sie Dir wohnortnahe Hilfsangebote nennen können.
Wir haben eine Asp.-Autistin im Haus,der gings es so ähnlich wie Dir und die hat sich nach Diagnose und Jahren fachgerechter Betreuung sooo toll entwickelt!
Die werden Dich nicht auslachen! Und sich Deine Sorgen sehr genau anhören.
Für mich klingt das als seist Du irgendwie im falschen Leben unterwegs.Das ist mir auch mal so gegangen.Such Dir Leute,die Dir helfen können,den richtigen Ort und die richtigen Menschen für Dich zufinden.
Sonst hilft nur der Gang zu einem Psychiater.
Ich kann Dir nur den dringenden Rat geben,nicht in lebenslange Verbitterung und Abwehrhaltung zu verfallen.Es sind nicht alle Menschen gleich und wenn Du allen Menschen von vornherein unterstellst,sie seien ja sowieso wie die in Deiner Kindheit kann Dir keiner helfen,Du bleibst allein und verpasst viele gute Erfahrungen.Denk mal dran! Vorallem wenn Du versucht bist,mit Naja,schauen wir mal da hin zugehen und im Grunde doch aber schon vorher festlegst,dass es ja eh nur schiefgehen kann.

19.02.2021 20:19 • x 1 #4


F
Hallo,

danke für eure Antworten. Ich möchte bin dabei mich umzuschauen was es bei mir in der Nähe gibt. Auch wenn ich mich schwer damit tue.

20.02.2021 19:25 • x 2 #5


S
Du meinst wegen der evtl. Diagnose ASP?

20.02.2021 19:39 • #6


F
Ja. Ich wohne in der weiteren Umgebung von Frankfurt am Main. Da ist Hamburg ein bisschen weit. Außerdem kostet es mich Überwindung da ich etwas Arztphobie habe.

21.02.2021 17:31 • #7


S
Und wenn Du zB Deine Eltern mitnimmst? Und Geschwister, wenn Du die hast?

21.02.2021 17:35 • #8


S
Du musst natürlich nach Münchner Adressen oä fragen.Und die haben bestimmt welche.
Ich meinte anrufen oder mailen.
Vielleicht sind die ja sehr nett? Die kennen das Autismusproblem mit dem Umgang mit anderen Menschen und unbedingt Distanz wollen von A-Z,glaub mal.
Irgendwo musst Du ja anfangen.Und wenn Du es geschafft hast spendierst Du dir selbst eine Belohnung!

21.02.2021 18:06 • #9


FeuerWasser
Zitat von Feuerqualle:
Hallo, danke für eure Antworten. Ich möchte bin dabei mich umzuschauen was es bei mir in der Nähe gibt. Auch wenn ich mich schwer damit tue.

https://www.kgu.de/einrichtungen/clinic...enenalter/

Da kannst du mal eine E-Mail hinschicken und dich eventuell auf eine Warteliste setzen lassen. Andere Möglichkeit wäre den Bundesverband anzuschreiben.
https://www.autismus.de/

21.02.2021 20:30 • #10


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Dr. Reinhard Pichler