Pfeil rechts

E
Liebe Doris, lieber Bernd,

natürlich können Sie mir den Therapeuten nicht ersparen, aber für eine ehrliche Einschätzung wäre ich sehr dankbar.

Kurz: Ich bin 39 Jahre alt und habe mich vor einem Jahr von meinem Freund, zunächst nur räumlich, getrennt.
Die Beziehung hätte schon längst, mindestens 3 Jahre vorher, beendet werden müsssen, und allmählich schwant mir, warum ich nicht früher ging.
Denn kaum in der neuen Wohnung eingezogen, zogen gleichzeitig fürchterliche Ängste vor dem Alleinsein bei mir ein. Ich habe jeden Tag verplant, mich verabredet, bin ausgegangen, um das Gefühl in den Griff zu bekommen. Mein Glück ist, das ich mehrere gute, langjährige Freunde und keinerlei Schwierigkeiten habe, neue Menschen kennenzulernen.

Meine erste Lösung hieß: Einen neuen Freund finden. Ich habe gedatet wie eine Irre, 2 mal schlimm daneben gegriffen, aber schließlich vor 5 Monaten einen wunderbaren Mann kennengelernt.

Aber: Die schrecklichen Gefühle höre nicht auf. Im Gegenteil, jetzt kommen noch starke Verlustängste hinzu. Anfangs war ich ständig davon überzeugt, er könne es sich anders überlegen - meine Freunde standen dem fassungslos gegenüber, so offensichtlich war seine Zuneigung zu mir. Er musste schon öfter meine Panik ausbaden, weil ich nämlich ziemlich gemein werde und mit Trennung drohe, sobald ich irgendeine seine Handlungen mit Trennungsabsichten übersetze. Ich wähle diese Bezeichnung mit Bedacht, denn ich weiß längst, dass es sich um Trigger handelt. Er sagt kurzfristig eine Verabredung ab: Ich reagiere mit panischen Verlassenheitsängsten (normale Menschen hätten vermutlich Verständnis oder würden höchstens verärgert reagieren, denn es kommt höchst selten vor. Bisher genau 4x.) Er wirkt auf mich emotional unabhängig: dito. Er hat keine Lust, sich beschimpfen zu lassen und will sich zurückziehen: dito.
Er ist sehr verständnisvoll, fürsorglich und wir sehen uns fast jeden Tag: Mehr kann er nicht tun.

Ich weiß also: Das Problem liegt bei mir. Anfangs befürchtete ich bei mir eine Borderlinestörung, doch die Symptome stimmen (zum Glück) nicht. Ich habe langjährige Freundschaften, arbeite seit 9 Jahren im selben Job und auch Wutanfälle sind mir fremd.

Meine Frage: Was ist los mit mir? Diese Verzweiflung, die mich vor allem abends überfällt und tagsüber - in leicht abgeschwächter Form - für Konzentrationsstörungen bei der Arbeit führt, macht mich fix und fertig. Ebenso das Nicht-alleinsein-können.

Muss ich mit diesem Gefühl etwa für immer leben - das ist nämlich meine größte Angst - oder gibt es eine Möglichkeit, es loszuwerden?

Für eine ehrliche Antwort wäre ich sehr dankbar.

05.12.2007 12:12 • 06.12.2007 #1


1 Antwort ↓

B
Hallo Edon,

Du möchtest eine ehrliche Antwort. Ich gebe Dir eine ehrliche Antwort, so wie ich dies in meiner eignen Wahrnehmung hier immer zu tun versuche. Meine Antwort kann sich natürlich nur auf das wenige beziehen, was ich über Deine Zeilen von Dir weiß.

Ich freue mich, dass Du aus dem Ende Deiner letzten Beziehung die richtigen Erkenntnisse gezogen hast und Deinen zentralen wunden Punkt kennst: die emotionale Abhängigkeit von jemandem, der Dir nahe steht.
Ich freue mich, dass Du einen Freundeskreis hast, der Dich stützt und scheinbar auch ehrlich mit Dir umgeht. Das ist wirklich ein Geschenk, das Du nicht hoch genug schätzen kannst.
Ich freue mich, dass Du einen neuen Partner hast, den Du liebst und der das auch bei Dir tut, auch wenn er einiges aushalten muss !?

Da bleibt also Deine Angst, verlassen zu werden, die emotionale Bindung zu verlieren, die Angst, allein nichts zu sein und das Leben nur an der Seite von jemandem (emotional) schaffen zu können, den Du dann aber ganz vereinnahmst und mit einem Klammergriff fast erwürgst. Dahinter steckt für mich ein unbefriedigtes oder als Kind zu häufig befriedigtes Bedürfnis nach intensiver Nähe, Schutz und Bindung. Wird das Kind alleine gelassen, bekommt es Angst und will wieder in den Schutz einer engen emotionalen Bindung zurück. So oder ähnlich könnte ich mir Deine Probleme erklären.

Du weißt schon selbst, dass Du auf Dauer damit jede Beziehung entweder erdrückst oder Dich selbst bis zur Unkenntlichkeit manipulieren lassen kannst oder wegläufst. Deshalb ist es gut, dass Du erkannt hast, dass Du hier Deine erwachsene Persönlichkeit weiterentwickeln musst, wo Du eher noch als Kind, das Schutz sucht, reagierst.

Das ist manchmal kein ganz leichter Weg. Deshalb würde ich Dir doch empfehlen, eine Psychotherapie zu machen, um Deinem Muster noch genauer auf die Schliche zu kommen und in einem geschützten Rahmen schrittweise mehr zu wagen und Dir selbst mehr zuzutrauen und emotional reifer zu werden. Wenn wie bei Dir in Beziehungen häufig Angst aufkommt, so ist es meist besser, sich nicht alleine an eine Veränderung zu wagen, weil man dann zu oft wieder zurückschreckt, weil man nicht weiß, wie sich die Veränderungen auswirken werden.
Wenn Dein jetziger Partner es zulässt, kann er ja in eine solche Therapie auch einbezogen werden.

Ich wünsche Dir auf jeden Fall viel Mut, auf Deinem Weg weiter zu kommen. Du hast gute Voraussetzungen dafür.

Herzliche Grüsse

Bernd Remelius

06.12.2007 14:51 • #2





Ähnliche Themen

Hits

Antworten

Letzter Beitrag