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H
Hallo liebes Expertenteam!

Zunächst bedanke ich mich bei Ihnen dafür, dass Sie sich so viel Zeit nehmen, um uns zu helfen.

Ich habe folgendes Problem:
Ich kann anderen Menschen gegenüber meine Gefühle nicht richtig zeigen. Mehrere Leute haben mir schon gesagt, ich wirke wie versteinert, wie ein Roboter, dem man kein Gefühl ansieht. Sie haben es mir ehrlich gesagt, und nicht, um mich zu kränken. Wenn ich wirklich traurig bin, dann kann ich zwar auch weinen, und wenn ich fröhlich bin, dann kann ich lachen. Das sind aber seltene Extremfälle. Allermeistens weiß niemand, wie es mir geht, weil ich einfach nichts ausstrahle, kein Gefühl.

Meine früheren Freundinnen haben mir in der Beziehung immer gesagt, dass ich ihnen nicht zeige, dass ich sie liebe. Ich habe es ihnen zwar hin und wieder gesagt, aber es ist so, dass sie dieses gesagte zwar hören, aber ansonsten wirke ich dabei total gefühllos. Und darum konnte ich keiner von ihnen das Gefühl geben, dass ich sie liebe.

Tatsächlich ist es aber so, dass ich ein Mensch bin, der sehr viel fühlt, und ich schätze mich als sehr empathiefähig ein.

Ich möchte anderen Menschen meine Gefühle zeigen können, nicht nur sagen können. Sonst befürchte ich stark, dass ich mein Leben lang nicht beziehungsfähig bin. Und ich sehne mich doch so sehr nach Liebe.

Also stelle ich mir folgende Fragen:
Warum strahle ich die Gefühle, die in mir sind, nicht aus?
Wie kann ich lernen, anderen Menschen meine Gefühle mitzuteilen, sodass es spürbar bei ihnen ankommt? Kann ich es überhaupt lernen, oder ist es angeboren, ob man überhaupt Gefühle ausstrahlt, sodass man garnichts ändern kann?

Für Ihre Antwort bedanke ich mich im Voraus.

Hoffnung

27.08.2009 19:03 • 30.08.2009 #1


1 Antwort ↓

B
Hallo Hoffnung,

unsere jeweilige Persönlichkeit ist immer das Resultat eines komplexen Entwicklungsprozesses, bei dem sowohl genetische als auch Lernprozesse - frühe, aber auch spätere Erfahrungen, eine Rolle spielen. Welche dies genau sind, kann individuell sehr verscheiden sein.

Wir wissen, dass bereits Temperamentsunterschiede genetisch vorgegeben sind, dass unterschiedliche Beziehungsmuster, etwa ob jemand mehr introvertiert oder mehr extravertiert ist, bereits sehr früh im Leben erkennbar sind. Da wir aber schon im Mutterleib auch bereits lernen, werden diese Unterschiede weiter modifiziert.

All dies erkläre ich, weil daraus auch ersichtlich ist, dass die Freiheiten, wie sich Menschen verhalten können, nicht vollständig dem sog. freien Willen unterliegen und nicht jede Veränderung in jedem Ausmaß möglich ist. Aber trotzdem gibt es für Veränderung über Einsicht, über das Vorbild anderer und über Lernerfahrungen mit positivem oder negativem Ausgang noch vielfältige Möglichkeiten. Denn diese Anpassungsfähigkeit an neue Bedingungen war der größte Vorteil in der Evolution von uns Menschen.

Du schreibst, dass Du innerlich sehr wohl vielfältige Gefühle empfinden kannst und sie auch wahrnimmst. Auch das ist nicht selbstverständlich und stellt einen großen Schatz da (denke nur an melancholisch veranlagte Menschen, die hier schon Schwierigkeiten haben). Anerkenne dies bei Dir und sieh es als große Ressource an. Denn es ist immer leichter, den Ausdruck von inneren Prozessen zu verändern, als die Grundlage - die Gefühle - selbst.

Was Du schilderst spricht dafür, dass Du früher aus guten Gründen gelernt hast, Deine Gefühle nicht zu zeigen - möglicherweise aus Schutz vor Verletzlichkeit oder Missbrauch Deiner Gefühle durch andere Menschen.
Es ist auch möglich, dass Du in früheren Lebensphasen (besonders wichtig sind da frühe Kindheit und Pubertät) keine Vorbilder für das offene Zeigen von Gefühlen hattest.

Die Frage bleibt, wieweit kann man diese alten Muster verändern ?
Das ist individuell sehr verschieden und hängt davon ab, wie wichtig dieses Verstecken der Gefühle für Dich in Deinem Leben war - je wichtiger, um so schwerer ist eine grundlegende Veränderung später, weil man Funktionen, die einem erfolgreich schützten nur sehr ungern aufgibt.

Aber auch wenn Du wenig Veränderungsspielraum hättest, kannst Du lernen, damit so umzugehen, dass Beziehungen nicht zu sehr erschwert werden. Dies bedeutet konkret, dass man lernen kann, anderen Menschen gegenüber, die einem wichtig sind und die man mag, offener zu werden. Du kannst lernen, zu sagen, dass es Dir schwer fällt, Gefühle auszudrücken und Du kannst lernen, die Gefühle wenigstens auszusprechen, so daß Menschen nicht den Eindruck haben, sie sind Dir egal oder Du hast etwas gegen sie und Dich besser verstehen. Das kann schon sehr viel verbessern und damit würde ich anfangen, wenn Du Dich hier verändern willst.

Der zweite Schritt wäre, immer mehr Gefühle auch nonverbal zu zeigen, zuerst Gefühle wie Freude, Zuneigung, Anerkennung, später auch Gefühle wie Ärger, Wut, Trauer u.a.m., um die bisherige Schutzfunktion ausreichend wert zu schätzen.
Hilfreich dabei können auch therapeutische Maßnahmen sein, die stärker emotionsbezogen arbeiten. Hierzu würde ich körperbezogene Therapien sowie die Gestalttherapie rechnen. Auch Gruppentherapie wäre m.E. gegenüber Einzeltherapie zu bevorzugen, sobald man einige Fortschritte gemacht hat und in einer Vertrauensbeziehung mehr gelernt hat, sich zu öffnen - und eben zu vertrauen. Denn dies ist der Kernbereich, vertrauen zu lernen und Risiken eingehen im Umgang mit anderen Menschen zuzulassen.

Abschließend würde ich Dir gerne empfehlen, auch hier einmal zu stöbern:

https://www.psychic.de/bindungsangst-be ... sangst.php

Ich würde das, was Du schilderst weniger als eine psychische Störung definieren wollen, sondern sehe darin eher eine Variation einer Persönlichkeitsentwicklung. Und Du kannst Dich innerhalb Deiner Möglichkeiten, die Du natürlich in diesem Prozess erst herausfinden musst, weiter entwickeln !

Dafür alles Gute und liebe Grüße

Bernd Remelius

30.08.2009 11:20 • #2





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