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Polly57
Liebe Experten,
ich habe in der langjährigen Psychotherapie gelernt, bei Angst- und Panikattacken nicht wegzulaufen, sondern drin zu bleiben, bis es vorrüber ist.
Es klappt aber einfach nicht. Sobald ich was merke, bin ich schneller weg, als ich da war und wenn es zu spät ist und ich es nicht mehr schaffe, wegzulaufen, dann lasse ich mich abholen. 1000 mal darüber geredet, gelesen und gehört aber bei mir ist es einfach nicht möglich. Was mache ich denn nur falsch? Ich soll die Angst auch zulassen...wie merke ich denn, ob ich dagegen kämpfe oder nicht?
Üben, üben und nochmals üben, so bekomme ich es immer gesagt. Je mehr man die Situation angeht, um so besser wird es dann. Bei mir ist es genau das Gegenteil. Je mehr ich übe und versuche, um so schlechter geht es mir. Ich bin schon total verzweifelt. Im Moment sitze ich nur und weine. Ich kann es überhaupt nicht verstehn, warum die einfachsten Dinge nicht mehr gehn.
Aber was ist das nun mit dem Üben? Wenn die Ursache, die die Angst auslöst nicht beseitigt ist und immer noch fortbesteht, nützt dann da überhaupt das Üben was?
Ich bedanke mich schon im voraus für Eure Antwort. Schön, dass es Euch gibt, Ihr leistet tolle Arbeit. Man fühlt sich richtig gut verstanden.
LG Polly
03.05.2008 18:41 •
05.05.2008
1 Antwort ↓

B
Hallo Polly,

das ist schon alles richtig, was Du sagst. Vielleicht können wir das Ganze ja etwas ordnen.

Die Ursache von Ängsten wird je nach Erklärungstheorie anders definiert. In der Tiefenpsychologie werden die Ängste eher als Symptome von unbewussten Konflikten gesehen. Da ist Angst nicht gleich Ursache.
In systemischen Theorien werden die Ängste eher als Zeichen für Beziehungsmuster innerhalb zwischenmenschlicher Kommunikation definiert.
In der Verhaltenstherapie werden Ängste als gelernte Reaktionen gesehen, die durch innere Prozesse (Einstellungen und Gedanken) und durch Flucht- und Vermeidungsverhalten aufrecht erhalten werden. Die eigentliche Ursache (zurückliegende Situationen) können schon längst vorüber sein. Das gelernte Angstmuster bleibt aber bestehen und muss deshalb direkt angegangen werden.

Entsprechend sind die therapeutischen Herangehensweisen unterschiedlich. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die verhaltenstherapeutische Erklärung am stärksten belegt ist. Hier ist also der Abbau von Vermeidung und die Konfrontation mit den eigenen Ängsten und das Üben zentral.
Sollten die Angstreaktionen allerdings eine Rolle innerhalb der Regulation von Beziehungen spielen, so muss dies auch einbezogen werden (z.B. was würde ich verlieren, wenn ich die Ängste nicht mehr hätte? was würde ich mit der Zeit anfangen, wenn ich keine Ängste hätte? wie würde sich Angstfreiheit auf meine Beziehungen auswirken?)

Zu Deinen Erfahrungen mit dem Üben: wenn ich es richtig verstanden habe, dann schaffst Du es noch nicht richtig, Dich der Angst ausreichend lange zu stellen, bis sie abnimmt, ohne davon zu laufen. Das wäre der Grund, warum Deine Ängste stagnieren und immer wieder kommen. Möglicherweise brauchst Du hier Hilfe, das Dein Therapeut mit Dir in die Situation hinein geht und Dir dabei hilft, stand zu halten und nicht zu fliehen. Das wäre ganz zentral für Dich. Zusätzlich musst Du an den Gedanken arbeiten, mit denen Du Flucht auslöst. Schaue Dir noch einmal das Buch von Fr.Dr.Wolf an: Ängste verstehen und bewältigen aus dem PAL Verlag, um hier noch einige Tipps zu bekommen.

Schaue Dich auch mal in der Dornier-Stiftung um, die sehr gute Erfolge mit Angstkonfrontation in vivo haben. Hier kannst Du vielleicht eine bessere Behandlung finden oder Adressen von Therapeuten in Deiner Nähe bekommen, die ähnlich arbeiten: http://www.christoph-dornier-stiftung.de/index.php?id=25

Ich hoffe, Du kommst mit diesen Ratschlägen etwas weiter. Bleib dran und gib nicht auf - Du kannst es schaffen ! Ich wünsche Dir dabei viel Erfolg.

Herzliche Grüsse

Bernd Remelius
05.05.2008 13:52 •

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