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M
Hallo zusammen,
als Angehöriger wirkt man, finde ich,
oft wie jemand, der auf hohem Niveau
leidet. Zumindest im Vergleich zu dem
Betroffenen.
Dennoch gestaltet sich mein Alltag mit
meinem Partner schwierig, da er - wie der Titel schon sagt - an Agoraphobie leidet.
Ich würde mich extrem über eure Teilhabe freuen!
Vielleicht hat ja jemand einen Rat für mich.
Da wäre ich sehr dankbar.

Vor vier Jahren kamen wir zusammen.
Bis dato hatte mein Freund seine Phobie gut versteckt, denn mit dem passenden Alk.
kann er sich relativ frei bewegen.
Zu dieser Zeit ging er auch Vollzeit arbeiten.
Doch diesen Lebensstil legte er recht bald ab,
da wir auch zusammenzogen und über unsere Probleme redeten.
Er hat dann auch mit einer Therapie angefangen,
brach sie aber ab, da es nicht die passende für ihn war. Seine Arbeit kündigte er auch bzw. ist er selbstständiger Handelsvertreter und nahm einfach keine weiteren Aufträge mehr an.
Seit dem ist laut Metadaten nichts mehr passiert.
Er bekam finanzielle Unterstützung von seiner Familie und ich trug natürlich auch meinen Teil bei.
Mittlerweile trage ich alleine unsere Finanzen.
Ich liebe ihn wirklich über alles. Jedoch bin ich mit meiner Kraft mittlerweile fast am Ende.
Ich befinde mich zwischen Abi und Studium
und wollte mich eigentlich um meine Selbstentwicklung kümmern - hatte letztes Jahr mit starker Depression zu kämpfen.
Jetzt gehe ich aber nur arbeiten und wir sind trotzdem immer sehr knapp bei Kasse.
Mein Partner kann gerade noch bei uns ums Eck einkaufen gehen, wobei ich meistens dabei bin,
und zum Kippenautomaten, um seine tägliche Schachtel zu holen (schei*gefährliche und teure Sucht ). Ansonsten ist er Zuhause am Pc und macht geistige Selbstentwicklung. Mal geht es ihm besser, weil er das und das gelesen hat. Dann hat er die und die Vision, die er umsetzen will.
Ich höre immer interessiert zu. Aber tatsächlich bleibt er dann eben doch wieder am Pc sitzen und recherchiert weiter...
Ich fühle mich schon teilweise selbst gefangen in unserer Wohnung, obwohl ich versuche mein eigenes Leben so gut es geht für mich zu leben und mich mit Familie und Freunden zu treffen.
Aber es geht einfach nichts voran, so fühlt es sich für mich an.
Ich hab schon viel versucht, um ihn zu motivieren und zu bestärken aber ich weiß, dass er
das im Grunde nur selbst kann. Außerdem bin ich eher ein zurückhaltenderer Mensch, höre ihm zu und versuche ihn zu verstehen - falls er mal bereit ist und von sich aus erzählt!
Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Ich könnte momentan nicht mal einen Umzug für ein Studium finanzieren, geschweige denn habe ich momentan die Kraft und Zeit für Bewerbungen.
Ich liebe ihn aber wie gesagt sehr und möchte gerne mit ihm zusammenbleiben. Und mich nicht nur aus finanziellen Gründen von ihm trennen.
Ich kann euch auch gar keine konkrete Frage stellen, weil ich tatsächlich überfordert mit unserer Situation bin.

VIEEEELEN LIEBEN DANK auf jeden Fall schon mal für's durchlesen! Ist doch ganz schön lang geworden. Vielleicht hat jemand einen Rat für mich, befindet sich in einer ähnlichen Situation
oder ist selbst Betroffener und kann mir aus
seiner Sicht einen Ratschlag geben?

Liebe Grüße,
merlina

17.11.2016 02:08 • 17.11.2016 #1


2 Antworten ↓


L
Oh weh.
Ich glaub ich kann einigermaßen mit dir mitfühlen, da es mir mit einer Person, die zwar nicht direkt mein Freund war im Sinne von lover, aber mein allerbester Freund war, ähnlich erging. Eigentlich mein einziger Freund. Der hat bei mir gewohnt und litt zwar nicht unter Agoraphobie, aber hatte ein massives Alk. das er teilweise auch recht gut zu kaschieren verstand, aber er ist daran schlußendlich zugrundegegangen und ich hab dabei hilflos zusehen müssen weil er immer sagte er schafft das alleine und er geht in keine Therapie.
Na und wenn ich mich in der verfügbaren Therapielandschaft so umsehe, was ich seit seinem Tod gezwungenermaßen mache, muß ich ihm posthum recht geben, alles Wappler.

Jedenfalls, ich hatte viele Jahre lang genau dieselbe Situation: Man kommt nicht dazu, eigene Ziele zu verfolgen, ist nur dabei, das Geld für beide ranzukarren während der andere daheimsitzt und ... was genau tut?
Jedenfalls nix, was ihn irgendwie weiterbrächte.

Und man macht sich Vorwürfe, daß man zu ungeduldig ist, daß man ihn das doch nicht spüren lassen sollte daß es einen langsam nervt, schließlich ist er doch krank und kann nichts dafür, etc. pp.
Und so langsam geht man selber mit unter.

Eine Lösung kann ich dir aber leider nicht anbieten.
Ich hab auch nicht mehr gewußt was ich tun soll und hab mir Hilfe gesucht, die ich aber nicht bekam (unfähiger Therapeut), und am Ende ist er dann gestorben, einige Tage nach einer weiteren heftigen Auseinandersetzung, und DA hab ich mir erst recht Vorwürfe gemacht dann, und mache sie mir teilweise noch immer, nach zweieinhalb Jahren.

Soweit wird es bei euch hoffentlich nicht kommen, aber du wirst auf Dauer das Packerl nicht alleine tragen können.
Liebst du ihn wirklich oder ist es nur Pflichtgefühl, also daß du meinst du kannst ihn nicht im Stich lassen?

17.11.2016 07:00 • #2


E
Hallo,
willkommen im Forum.
meistens ist die Agoraphobie eine Folgeerkrankung.
Ich habe das auch in milder Form. Ich kann mich in meiner Stadt frei bewegen. Aber alleine nur mit meinen Fahrrad oder zusammen mit Bus und Bahn mit meine Frau.
Auch mit Auto wäre kein Problem. Aber ich muss immer in meinen Bett schlafen. Ich habe die Krankheit weil ich denke das etwas passieren könnte
Und dann will ich die Kontrolle behalten, oder sie in die Hände meiner Frau legen. Das geht so nicht wenn ich alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin.
In Notfällen fahr ich jedoch trotzdem alleine Bus und Bahn. Weil es hilft ja nichts. Was sein muss, muss sein.

Vielleicht hat dein Freund ja auch irgendwas die ihn nicht mehr aus den Haus gehen lässt.
Sicher ist, das er den Popo hoch kriegen muss. Zu Hause alleine wirds nicht besser.
Wenn ihr Geldprobleme habt, stellt ein Antrag beim Jobcenter. Du als Studentin bist arm.
Wenn er gar kein Einkommen hat, dann lebt ihr sicher unter dem Existenzminimum.
Wenn ihr Probleme habt den Antrag auszufüllen geht das auch mit Jobcentermitarbeiter oder Steueronkeln.

Ihr solltest mal 2 gleisig versuchen aus der Misäre zu kommen.
2 gleisig in so fern. Auf der einen Seite sollte dein Freund die Agoraphobie in den Griff kriegen, auf der anderen Seite sollte dein Freund ein Ziel vor Augen haben.
Mit einen Ziel ist der Antrieb da. Mit Antrieb geht alles einfacher. Irgendwann gelangt man an einen Punkt wo du lesen kannst was du willst... ... irgendwann muss man anfangen.
Und wenn man sich nen halbes Jahr den Wolf gelesen hat ist jeder weitere Tag genau so gut wie jeder andere Tag auch um zu beginnen.
Denn nur vom lesen wird man nicht gesund. Also einfach anfangen und fertig. Nicht weiter darüber nachdenken. Nur anfangen und gut.
Wenn man angefangen hat kann man noch immer mal ein Stück nach links, oder mal ein Stück nach rechts oder Notfalls auch wieder ein Stück zurück gehen.
Wenn man sich aber gar nicht bewegt passiert auch nichts.

Das Ziel sollte natürlich sein aus dem Haus zu gehen. Vielleicht hilft da Sport?
Das er 2mal die Woche zusammen mit anderen Freunden Sport macht. Oder ihr alle zusammen.
Oder ihr geht mal Pilze sammeln. Macht mal drausen etwas gemeinsam.
Umso öfter ihr das macht, desto lockerer wird man. Weil man merkt das nichts schlimmes passiert.
Man kann sich ja steigern. Man muss ja nicht von jetzt auf gleich ins Flugzeug steigen und 2 Wochen Urlaub machen.
Beginnt in vertrauter Umgebung.

Vergiss aber nicht zu ergründen warum er nicht raus will. Dafür gibts nen Grund.
Bei mir ist es Hilflosigkeit und Angst eins von unseren neuen dunkelheutigen Fachkräften eins auf die Nase zu kriegen.

17.11.2016 11:33 • #3





Dr. Christina Wiesemann