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J
Hallo zusammen,

ich denke viele werden es von euch kennen, die ständige Selbstbeobachtung der eigenen Ängste und Symptome, was dadurch zur Folge hat, dass man nicht loslassen kann und die Beschwerden somit aufrechterhält oder verstärkt, weil man sie als gefährlich interpretiert. Diese Art der Selbstbeobachtung fühlt sich sehr unangenehm an und ist negativ, ich denke da sind wir uns einig.

Nun ist es so, dass ich mich auch mit Meditation/Achtsamkeit beschäftige und hierbei verwirrt mich genau dieser Punkt der Selbstbeobachtung. Denn in meiner Meditationsanleitung wird gesagt, dass ich achtsam meine Gedanken und Gefühle beobachten soll, wenn ich davon abgelenkt (von meiner gegenwärtigen Tätigkeit) werde und dann soll ich zurück zum gegenwärtigen Augenblick kommen. Taucht also ein Gedanken oder Gefühl auf, soll ich es z.B. als angenehm/unangenehm oder neutral kennzeichnen (also die Rolle des Beobachters einnehmen) und dann zurück zu meiner Tätigkeit kommen, die ich gerade ausübe. Ziel soll es also sein, hierbei Distanz zu meinen Gedanken/Gefühlen aufzubauen, anstatt mich davon reinziehen zu lassen.

Was ich mich aber frage. mach ich dann nicht eigentlich genau das, was ich nicht machen sollte, also mich ständig selbst beobachten? Was unterscheidet hier eine krankhafte von einer gesunden Selbstbeobachtung?

Was meint ihr dazu?

13.05.2022 20:03 • 14.05.2022 x 1 #1


2 Antworten ↓


-IchBins-
Die gesunde Selbstbeobachtung ist die ohne Wertung, die krankhafte wie du oben schon beschrieben hast, dass man ständig denkt und bewertet, dass es dies oder das sein könnte.
Vielleicht kann @moo (ist mir als erstes in den Sinn gekommen, sicher auch andere User/innen) dir da viel besser etwas dazu schreiben?

13.05.2022 20:09 • x 2 #2


moo
Hi @joe899,

Zitat von joe899:
die ständige Selbstbeobachtung der eigenen Ängste und Symptome, was dadurch zur Folge hat, dass man nicht loslassen kann und die Beschwerden somit aufrechterhält oder verstärkt, weil man sie als gefährlich interpretiert.

Ein grundlegender Schritt wäre zunächst, Ängste und Symptome nicht als meine Ängste und meine Symptome zu erkennen. Das ist ohne Meditation möglich. Wenn Ängste und Symptome betrachtet werden, ist das keine Selbstbeobachtung bzw. Selbstbetrachtung, sondern es findet lediglich die Betrachtung der Ängste und Symptome statt.

Daraus sollte die Erkenntnis erwachsen, dass Ängste und Symptome keinem gehören. Es sind in Abhängigkeit entstandene, temporäre Konstrukte des Geistes, sogenannte geistige Gestaltungen. Dahiner steht kein unabhängiges Ich, also kein Gestalter.

Zitat von joe899:
Was ich mich aber frage: mach ich dann nicht eigentlich genau das, was ich nicht machen sollte, also mich ständig selbst beobachten?

Ganz genau. Und gemäß dem oben Gesagten, beißt sich hierbei eine imaginäre Katze in den imaginären *beep*.

Zitat von joe899:
Was unterscheidet hier eine krankhafte von einer gesunden Selbstbeobachtung?

Wo kein unabhängiges, fest existentes Selbst besteht, kann keine Beobachtung stattfinden. Krank oder Gesund sind somit hinfällige Bewertungen. Der Bezugsrahmen ist eine Illusion.

Zitat von joe899:
Denn in meiner Meditationsanleitung wird gesagt, dass ich achtsam meine Gedanken und Gefühle beobachten soll, wenn ich davon abgelenkt (von meiner gegenwärtigen Tätigkeit) werde und dann soll ich zurück zum gegenwärtigen Augenblick kommen.

Sobald eine sogenannte Beobachtung stattfindet, verwandelt der Geist die o. g. (aktiven!) geistigen Gestaltungen in (passive!) Geistesobjekte. Die therapeutische Idee dahinter ist, dass dadurch eine Objektivierung und somit eine Trennung von Subjekt (Beobachter/Ich) und Objekt (Gedanken, Gefühle) erfolgt. Das hört sich zwar in der Theorie recht logisch und nachvollziehbar an, stellt sich aber in der Praxis als nahezu unmöglich heraus, da immer wieder die Ich-Illusion eine Stufe höher rutscht...

Der Kardninalsfehler ist, dass ständig von einem Ich ausgegangen wird, das dies und das tut (denkt, spricht, handelt). Es gibt nichts zu objektivieren, nicht loszulassen und letztlich auch keinen, der dies tut. Dies zu verstehen, ist, wenn man es so nennen mag, Ziel einer Meditationspraxis, wie ich sie verstehe.

Ich habe Jahre in ähnlichen Stadien wie Du verbracht, bis es endlich mal klick gemacht hat. Vielleicht magst Du Dich mal interessehalber mit Shikantaza beschäftigen, eine sehr offene Zazen-Variante aus dem japanischen Soto-Zen. Sie ist sehr einfach und kann Dir an dem von Dir genannten Punkt vielleicht eine große Verständnishilfe sein.

14.05.2022 08:51 • x 4 #3





Dr. Christina Wiesemann