Ermutigt durch einen PN-Dialog, stelle ich hier mal 2 Geschichten zum Thema Angst 'rein.
1. - Die Maus-Geschichte (Der Angst erliegen)
NEUE SITUATIONEN SIND EIN PROBLEM
Die Welt von Konrad und seinem Bruder Otto bestand genau aus einer Käfiggrundfläche von 80 x 30 cm (20 Mäuseschritte in der Länge und 8 Mäuseschritte in der Breite) und einem Laufrad, in dem sie laufen konnten, so lange sie wollten, ohne dabei jemals voranzukommen. Es war zwar eine begrenzte, aber dafür sichere und überschaubare Welt.
Eines Tages jedoch bekam diese Welt im wahrsten Sinne des Wortes ein Loch. Es war der Tag, an dem die Menschen vergessen hatten, die Käfigtüre zu schließen.
Konrad war gerade damit beschäftigt, an der Plastikwand des Käfigs zu nagen und über zu enge Käfige und Freiheitsberaubung zu schimpfen, als er es entdeckte und im ersten Moment traute er seinen Augen nicht. Da stand das Tor zur Freiheit offen vor ihm. Er brauchte nur noch hindurchzugehen!
Hilfesuchend schaute er sich nach seinem Bruder um. Otto saß seelenruhig in der Futterschüssel und aß Sonnenblumenkerne. Offensichtlich hatte er noch nicht bemerkt, dass das Türchen offenstand.
„Otto“, piepste Konrad mit einer Stimme, die genauso zitterte wie seine Schnurrbarthaare, „Otto, sieh doch mal!“
Otto schaute auf und folgte Konrads Blick. Ziemlich ratlos betrachtete er die offene Käfigtür. Nach einer Weile wagte er sich zögernd aus der Futterschüssel heraus und näherte sich der Öffnung langsam und vorsichtig schnuppernd. Auch er wusste noch nicht so recht, was er davon halten sollte. Denn es war eine neue Situation – und neue Situationen sind ein Problem, weil sie meistens eine Entscheidung erfordern.
Konrad setzte sich auf die Hinterpfoten und sah seinen Bruder unsicher an. „Was sollen wir tun?“ fragte er.
Otto war nämlich der ältere von beiden, und wenn es um Entscheidungen ging, war Konrad es gewohnt, dass Otto sie traf. Aber in dieser Sache schien das auch Otto nicht leicht zu fallen, denn er dachte lange nach, bevor er antwortete.
„Wir haben uns so etwas oft gewünscht, nicht wahr?!“ begann er schließlich. „Wir finden diesen Käfig zu eng und wir wollten schon immer ausbrechen und in die Freiheit gelangen. Jetzt haben wir die Gelegenheit dazu. Ich würde sagen: Lass uns verschwinden, bevor wir es uns doch noch anders überlegen.“
Konrad sah seinem Bruder forschend ins Gesicht. Meinte er auch wirklich, was er da sagte? Oder war er sich in Wirklichkeit gar nicht so sicher, wie es den Anschein hatte? Einfach aus dem Käfig ausbrechen – das war eine Sache, die gut überlegt sein musste.
„Hast du auch die Gefahren bedacht, die es da draußen geben könnte?“ fragte er Otto. „Stell dir vor, wir begegnen einer Katze!“
Otto schauderte. „Ja, das wäre schrecklich“, stimmte er zu.
Beiden Mäusen wurde plötzlich sehr deutlich, dass ihr Käfig nicht nur ein Gefängnis war, sondern auch ein Schutz vor Gefahren. Und auf einmal wussten beide nicht mehr, ob sie nun gern in diesem Käfig waren, weil er sie schützte, oder ob sie ihn verabscheuten, weil er ein Gefängnis war. Die Angelegenheit begann kompliziert zu werden.
Eine Weile saßen sie schweigend vor der offenen Käfigtür und putzten sich – aus lauter Unsicherheit. Äußerlich waren sie ganz ruhig. Aber in ihren Köpfen überschlugen sich die Gedanken in den schlimmsten Vermutungen.
Plötzlich schoss Konrad eine schreckliche Befürchtung durch den Kopf. „Ich glaube, ich weiß, warum das Türchen offen steht“, flüsterte er. „Es ist ein Trick, um uns hier herauszulocken! Wahrscheinlich wartet irgendwo die Katze darauf, dass wir uns zeigen, und wenn wir draußen sind, wird sie sich auf uns stürzen!“
In diesem Augenblick hörten die beiden Mäuse draußen vor dem Käfig ein leises Geräusch. Konrad wurde blass unter seinem Fell. „Das ist die Katze“ war alles, was er denken konnte – und mit einem Satz verschwand er in der hintersten Ecke des Käfigs und versteckte sich unter einem großen Büschel Heu. Dort blieb er reglos liegen.
Otto aber blickte wie hypnotisiert auf die Öffnung im Gitter. Die Unsicherheit, nicht zu wissen, was dort draußen wirklich war, schien ihm unerträglich. Und ohne richtig zu überlegen, was er tat, schlüpfte er durch die Tür ins Freie.
Die Welt draußen vor dem Käfig war weit und leer und bestand, so weit Otto sehen konnte, nur aus braunem Teppich. Spätestens nach dem 21. Mäuseschritt war ihm klar, dass diese Welt ganz anders war als die, die er hinter sich zurückgelassen hatte. Schon das Laufen fühlte sich hier ganz anders an. Das lag nicht nur an dem dicken Teppich, vor allem hatte es wohl mit der Tatsache zu tun, dass er weit und breit nichts sah, woran er sich orientieren konnte.
Im Stall existierte eine solch unendliche Leere nicht. Dort gab es den Weg vom Schlafplatz zur Futterschüssel, von der Futterschüssel ins Laufrad, vom Laufrad zur Trinkflasche und von der Trinkflasche zurück zum Schlafplatz. Diese Wege waren ihm vertraut. Selbst dann, wenn er sie einmal in einer anderen Reihenfolge ging.
Langsam begann Otto sich zu fragen, wieso er das geordnete und sichere Leben im Käfig jemals als Gefängnis empfunden hatte. Wenn so die Freiheit aussah, wollte er sie nicht.
Unsicher tat er noch ein paar Schritte, dann blieb er sitzen. Sein Herz klopfte. 25 Schritte – so weit war er noch nie gelaufen. Außer im Laufrad natürlich. Aber das war etwas anderes. Dabei verließ er wenigstens nicht seine vertraute Umgebung. Ängstlich sah sich Otto nach dem Käfig um. Da hörte er noch mal ein Geräusch. Gleichzeitig sah er eine riesenhafte Gestalt auf sich zukommen – und eine Hand von oben herunter, die ihn packen wollte!
Otto war vor Angst wie gelähmt. Er versuchte wegzulaufen, doch seine Füße waren wie Blei. Und im nächsten Augenblick hatte die Hand ihn ergriffen und ihn dort zurückgesetzt, wohin er gehörte: in eine Welt von 20 Mäuseschritten Länge und 8 Mäuseschritten Breite. Mit einem leisen Quietschen schloss sich das Käfigtürchen hinter ihm.
Vorsichtig kam Konrad unter dem Heuhaufen hervorgekrochen. Er beschnupperte seinen Bruder, und Otto kuschelte sich an ihn. Leise piepsend und eng aneinandergeschmiegt saßen sie dann in einer geschützten Ecke des Käfigs. Konrad piepste vor Wiedersehensfreude und Otto vor Erleichterung, dass er wieder in seiner vertrauten Umgebung war.
Die Unsicherheit war vorbei, das Türchen wieder zu – und die Welt wieder in Ordnung.
1. - Die Maus-Geschichte (Der Angst erliegen)
NEUE SITUATIONEN SIND EIN PROBLEM
Die Welt von Konrad und seinem Bruder Otto bestand genau aus einer Käfiggrundfläche von 80 x 30 cm (20 Mäuseschritte in der Länge und 8 Mäuseschritte in der Breite) und einem Laufrad, in dem sie laufen konnten, so lange sie wollten, ohne dabei jemals voranzukommen. Es war zwar eine begrenzte, aber dafür sichere und überschaubare Welt.
Eines Tages jedoch bekam diese Welt im wahrsten Sinne des Wortes ein Loch. Es war der Tag, an dem die Menschen vergessen hatten, die Käfigtüre zu schließen.
Konrad war gerade damit beschäftigt, an der Plastikwand des Käfigs zu nagen und über zu enge Käfige und Freiheitsberaubung zu schimpfen, als er es entdeckte und im ersten Moment traute er seinen Augen nicht. Da stand das Tor zur Freiheit offen vor ihm. Er brauchte nur noch hindurchzugehen!
Hilfesuchend schaute er sich nach seinem Bruder um. Otto saß seelenruhig in der Futterschüssel und aß Sonnenblumenkerne. Offensichtlich hatte er noch nicht bemerkt, dass das Türchen offenstand.
„Otto“, piepste Konrad mit einer Stimme, die genauso zitterte wie seine Schnurrbarthaare, „Otto, sieh doch mal!“
Otto schaute auf und folgte Konrads Blick. Ziemlich ratlos betrachtete er die offene Käfigtür. Nach einer Weile wagte er sich zögernd aus der Futterschüssel heraus und näherte sich der Öffnung langsam und vorsichtig schnuppernd. Auch er wusste noch nicht so recht, was er davon halten sollte. Denn es war eine neue Situation – und neue Situationen sind ein Problem, weil sie meistens eine Entscheidung erfordern.
Konrad setzte sich auf die Hinterpfoten und sah seinen Bruder unsicher an. „Was sollen wir tun?“ fragte er.
Otto war nämlich der ältere von beiden, und wenn es um Entscheidungen ging, war Konrad es gewohnt, dass Otto sie traf. Aber in dieser Sache schien das auch Otto nicht leicht zu fallen, denn er dachte lange nach, bevor er antwortete.
„Wir haben uns so etwas oft gewünscht, nicht wahr?!“ begann er schließlich. „Wir finden diesen Käfig zu eng und wir wollten schon immer ausbrechen und in die Freiheit gelangen. Jetzt haben wir die Gelegenheit dazu. Ich würde sagen: Lass uns verschwinden, bevor wir es uns doch noch anders überlegen.“
Konrad sah seinem Bruder forschend ins Gesicht. Meinte er auch wirklich, was er da sagte? Oder war er sich in Wirklichkeit gar nicht so sicher, wie es den Anschein hatte? Einfach aus dem Käfig ausbrechen – das war eine Sache, die gut überlegt sein musste.
„Hast du auch die Gefahren bedacht, die es da draußen geben könnte?“ fragte er Otto. „Stell dir vor, wir begegnen einer Katze!“
Otto schauderte. „Ja, das wäre schrecklich“, stimmte er zu.
Beiden Mäusen wurde plötzlich sehr deutlich, dass ihr Käfig nicht nur ein Gefängnis war, sondern auch ein Schutz vor Gefahren. Und auf einmal wussten beide nicht mehr, ob sie nun gern in diesem Käfig waren, weil er sie schützte, oder ob sie ihn verabscheuten, weil er ein Gefängnis war. Die Angelegenheit begann kompliziert zu werden.
Eine Weile saßen sie schweigend vor der offenen Käfigtür und putzten sich – aus lauter Unsicherheit. Äußerlich waren sie ganz ruhig. Aber in ihren Köpfen überschlugen sich die Gedanken in den schlimmsten Vermutungen.
Plötzlich schoss Konrad eine schreckliche Befürchtung durch den Kopf. „Ich glaube, ich weiß, warum das Türchen offen steht“, flüsterte er. „Es ist ein Trick, um uns hier herauszulocken! Wahrscheinlich wartet irgendwo die Katze darauf, dass wir uns zeigen, und wenn wir draußen sind, wird sie sich auf uns stürzen!“
In diesem Augenblick hörten die beiden Mäuse draußen vor dem Käfig ein leises Geräusch. Konrad wurde blass unter seinem Fell. „Das ist die Katze“ war alles, was er denken konnte – und mit einem Satz verschwand er in der hintersten Ecke des Käfigs und versteckte sich unter einem großen Büschel Heu. Dort blieb er reglos liegen.
Otto aber blickte wie hypnotisiert auf die Öffnung im Gitter. Die Unsicherheit, nicht zu wissen, was dort draußen wirklich war, schien ihm unerträglich. Und ohne richtig zu überlegen, was er tat, schlüpfte er durch die Tür ins Freie.
Die Welt draußen vor dem Käfig war weit und leer und bestand, so weit Otto sehen konnte, nur aus braunem Teppich. Spätestens nach dem 21. Mäuseschritt war ihm klar, dass diese Welt ganz anders war als die, die er hinter sich zurückgelassen hatte. Schon das Laufen fühlte sich hier ganz anders an. Das lag nicht nur an dem dicken Teppich, vor allem hatte es wohl mit der Tatsache zu tun, dass er weit und breit nichts sah, woran er sich orientieren konnte.
Im Stall existierte eine solch unendliche Leere nicht. Dort gab es den Weg vom Schlafplatz zur Futterschüssel, von der Futterschüssel ins Laufrad, vom Laufrad zur Trinkflasche und von der Trinkflasche zurück zum Schlafplatz. Diese Wege waren ihm vertraut. Selbst dann, wenn er sie einmal in einer anderen Reihenfolge ging.
Langsam begann Otto sich zu fragen, wieso er das geordnete und sichere Leben im Käfig jemals als Gefängnis empfunden hatte. Wenn so die Freiheit aussah, wollte er sie nicht.
Unsicher tat er noch ein paar Schritte, dann blieb er sitzen. Sein Herz klopfte. 25 Schritte – so weit war er noch nie gelaufen. Außer im Laufrad natürlich. Aber das war etwas anderes. Dabei verließ er wenigstens nicht seine vertraute Umgebung. Ängstlich sah sich Otto nach dem Käfig um. Da hörte er noch mal ein Geräusch. Gleichzeitig sah er eine riesenhafte Gestalt auf sich zukommen – und eine Hand von oben herunter, die ihn packen wollte!
Otto war vor Angst wie gelähmt. Er versuchte wegzulaufen, doch seine Füße waren wie Blei. Und im nächsten Augenblick hatte die Hand ihn ergriffen und ihn dort zurückgesetzt, wohin er gehörte: in eine Welt von 20 Mäuseschritten Länge und 8 Mäuseschritten Breite. Mit einem leisen Quietschen schloss sich das Käfigtürchen hinter ihm.
Vorsichtig kam Konrad unter dem Heuhaufen hervorgekrochen. Er beschnupperte seinen Bruder, und Otto kuschelte sich an ihn. Leise piepsend und eng aneinandergeschmiegt saßen sie dann in einer geschützten Ecke des Käfigs. Konrad piepste vor Wiedersehensfreude und Otto vor Erleichterung, dass er wieder in seiner vertrauten Umgebung war.
Die Unsicherheit war vorbei, das Türchen wieder zu – und die Welt wieder in Ordnung.
15.01.2011 20:20 • • 15.01.2011 #1
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