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L
Hallo zusammen,

ich habe vor über einem Jahr meine 3-jährige Therapie abgeschlossen und überlege inzwischen, ob ich zurück in die Therapie gehen soll. Ich suche Rat und Austausch, vll. könnt ihr mir helfen alles in eine klarere Perspektive zu rücken. Leider muss ich ein bisschen ausholen damit alles verständlich ist, ich hoffe es ist nicht allzu wirr.

Kurz zu mir: Ich bin 25, weiblich und mache gerade meinen Master.

Vor vier Jahren habe ich meine Therapie angefangen, ursprünglich mit der Verdachtsdiagnose Borderline, die dann mit Depression ersetzt wurde. Mein Vater selbst ist psychisch sehr schwer krank und als ich noch Zuhause wohnte, habe ich immer unter permanenter Angst gelebt, etwas falsch zu machen und ihn unnötig zu reizen. Ich vermeide darum möglichst Menschen zu widersprechen und Grenzen zu setzen. Das hat mich leider oft in unangenehme Missverständnisse/Beziehungen gebracht. Ein Beispiel dafür wäre als ich bei meiner damaligen Psychiaterin war und sie unser Gespräch so interpretiert hat, dass ich akut suizidgefährdet gewesen wäre - was absolut nicht der Fall war - und ich in die geschlossene überwiesen wurde, jedoch nach einem Tag entlassen wurde, weil die Fachärzte mich letztendlich als stabil eingestuft haben.

Wenn ich keine guten Leistungen erziele (egal in welchem Bereich) fühle ich mich minderwertig und leer. Im Studium hat sich dadurch ein großer Leistungsdruck aufgebaut, der irgendwann so groß war, dass ich Abgabetermine etc. nicht mehr einhalten konnte. Die Angst hat sich dann in andere Bereiche meines Lebens eingeschlichen: Keine gute Freundin zu sein, kein gutes Kind zu sein, eine fürchterliche Schwester zu sein etc.

Um ehrlich zu sein, finde ich alles an mir so schrecklich, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie mich irgendein Mensch mögen kann. Meine Therapeutin war eine große Stütze für mich und hat mir sehr dabei geholfen, mich ein Stück weit anzunehmen und war auch der erste Mensch, der mich komplett aussprechen lassen hat und mir nicht die Worte in den Mund gelegt hat. Ich habe mich das erste Mal als Mensch angenommen und akzeptiert gefühlt.

Jetzt, wo die Therapie vorbei ist, schaffe ich es nicht diese negativen Gedanken auszusperren. Von außen wirke ich sehr gut integriert - ich studiere, rede mit meinen Kommilitonen und besuche auch die Kurse normal. Mein ehemaliger engster Freundeskreis lebt nun zerstreut in Deutschland und ich habe Probleme damit, neue Freundschaften aufzubauen. Ich habe Angst betrogen zu werden oder nicht akzeptiert zu werden. Wenn ich mit meinen Kommilitonen Zeit verbringe, bin ich angespannt und fürchte mich ständig etwas langweiliges oder uninteressantes zu sagen.

Generell verfolgt mich ständig die Angst abgelehnt zu werden und ich kann diese einfach nicht ablegen. Selbst mein engster Freundeskreis weiß nicht von meinen Problemen. Die einzige Person, der ich alles vertraue ist mein Freund mit dem ich seit 6 Jahren zusammen binwohne. Da mein Freund recht stark in sein Studiumdie Arbeit eingespannt ist, verbringe ich viel Zeit alleine, wenn ich nicht Kurs habe/mich wieder einmal nicht traue zum Kurs zu gehen. Ich habe Angst aufzustehen, den Tag zu gestalten. Ich habe Angst Aufgaben für das Studium zu erledigen, weil ich schon befürchte, dass ich es nicht gut genug machen werde und noch mehr von mir enttäuscht bin. Mein Studium oder eher meine aktuelle Universität finde ich total schrecklich und würde am liebsten abbrechen oder wechseln, will aber nicht meine Eltern enttäuschen.

Ist das normal? Ich fühle mich absolut nicht normal, aber ich glaube die meisten Leute sehen mich ganz anders. Von meinem Umfeld werde ich als fröhlich und sehr nett umschrieben. Ich reise öfters, da ich nebenberuflich als Model arbeite (allein versteht sich). In meinem Studium bin ich sehr gut, notentechnisch. Und trotzdem finde ich mich so unfassbar schei., hässlich, wertlos und nicht liebenswert. Und allein die Tatsache, dass ich diese sonderbaren Gefühle jeden Tag habe, gibt mir noch mehr das Gefühl einfach nur ein wertloser Mensch zu sein. Ich fühle mich einsam und habe das Gefühl, alle wären ohne mich besser dran. Ich bin wütend auf mich, weil ich mich so fühle, obwohl alles von außen ganz okay ist.

Tut mir leid für den langen Text...

08.05.2017 18:03 • 14.05.2017 #1


6 Antworten ↓


Perle
Hallo Lutra,

Dir hat vermutlich damals die Nestwärme gefehlt und die nötige Zuwendung und Bestärkung Deiner Persönlichkeit. Leider geht das recht vielen Menschen so. Augenscheinlich hast Du Dir eine gute Fassade aufgebaut. Das Problem ist nur, dass es mit der Zeit immer anstrengender wird, diese Fassade aufrecht zu erhalten und irgendwann kommen dann die psychosomatischen Symptome etc.

Meiner Meinung nach wäre eine Gruppentherapie gut für Dich. Du bist nicht allein und dennoch in einem geschützten Rahmen. Du kannst üben mit anderen Menschen umzugehen und zu kommunizieren. Und Du bekommst sofort ein Feedback, aus dem Du lernen kannst. Betrachte es als Übungsfeld. Außerdem lernst Du dort, Deine Fassade fallen lassen zu dürfen und das kann sehr befreiend sein.

Ich weiß nicht, was Du studierst aber gefällt Dir das Studienfach? Es wirkt nicht so auf mich, daher meine Frage.

LG, Perle

08.05.2017 19:13 • #2


A


Soll ich zurück in die Therapie gehen?

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L
Hallo Perle,

danke für dein Feedback! Ich bin Produktdesignerin und Gestaltung selbst bedeutet mir sehr viel. Mein Problem ist, dass ich mit meinem neuen Hochschulumfeld nicht zurechtkomme und mein immer präsenter Leistungsdruck, der mich sehr hemmt. Zudem möchte ich mich was das Feld angeht umorientieren (also noch immer Produktdesign, nur ein anderer Anwendungsbereich), traue mich aber nicht das durchzuziehen, weil es bedeuten würde die Hochschule erneut zu wechseln und auch ins Ausland zu ziehen. Letzteres habe ich zwar schon einmal getan, aber inzwischen habe ich wieder solche Ängste aufgebaut, das jegliches Neues mir graut. Ich will auch gar nicht darüber nachdenken, was meine Eltern sagen würden, denn in deren Augen sollte ich schon längst Vollzeit arbeiten und wie ein normaler Erwachsener leben.

Das mit den psychosomatischen Symptomen ist leider total wahr, habe diffuse Verdauungsprobleme ohne erkennbare Ursache. Mir fallen leider inzwischen auch alltägliche Dinge wie z.B. regelmäßig essen und zu trinken sehr schwer. Mir ist das alles nur so unangenehm, das z.B. meiner Hausärztin mitzuteilen, weil ich mich sehr dafür schäme.

Eine Gruppentherapie hört sich interessant an, denn ich habe so ein Gefühl, dass meine letzte Therapie bereits ausgereizt ist und ich damit nicht weiterkäme. Ich müsste eigentlich üben, was ich auch versuche indem ich z.B. versuche immer zu allen Kursen zu gehen und auch mit Menschen zu sprechen. Trotzdem kann ich manchmal Situationen nicht einordnen und bin innerlich immer überzeugt, dass alle insgeheim denken ich wäre bescheuert. Wenn mich Kommilitonen dann fragen, ob ich etwas mit ihnen machen möchte, habe ich dann Angst mich zu entlarven. ich weiß nicht ob das verständlich ist.

08.05.2017 20:11 • #3


Perle
Früher in Deiner Kindheit und Jugend warst Du abhängig von Deinen Eltern. Anerkennung wurde bei Euch über Leistung definiert. Zudem hast Du versucht, Dich quasi unsichtbar zu machen, um Deinen kranken Vater nicht zu reizen. Eine selbstbewusste Persönlichkeit konnte daraus nicht unbedingt entstehen.

Im Hier und Jetzt bist Du aber eine erwachsene junge Frau, die sich ihren Eltern gegenüber nicht mehr rechtfertigen oder unterwerfen muss. Es ist egal, was sie denken. Es ist nur wichtig, dass Du den Weg gehst, den Du wirklich und aufrichtig gehen möchtest. Nur dann kann Dein Selbstbewusstsein wachsen. Und nur dann wirst Du den dauernden Gedanken überwinden, dass kein Mensch Dich mögen würde. Du magst Dich selbst nicht und darum kannst Du Dir auch nicht vorstellen, dass andere Dich mögen könnten wie Du tatsächlich bist. Es geht darum, dass Du lernst Dich selbst zu lieben, ohne irgendwelche Leistungen von Dir selbst zu verlangen. Allein die Tatsache, dass Du auf der Welt bist ist Grund genug, dass Du geliebt wirst, von anderen und von Dir selbst.

Das klingt jetzt so einfach daher gesagt, nicht wahr? Ich bin auch immer noch dabei zu lernen, mich selbst zu lieben, so wie ich bin. Auch ohne Leistung zu erbringen. Das, was uns in der Kindheit verwehrt wurde, ist im Erwachsenen Leben schwierig wieder aufzuholen aber es geht. Mir haben die Gruppentherapien jedenfalls dabei sehr geholfen und nebenbei haben sich daraus auch nette Freundschaften ergeben. Denke einfach in Ruhe darüber nach.

Alles Gute für Dich. LG, Perle

08.05.2017 20:55 • x 3 #4


Natty
Zitat von LutraLutra:
Mein Vater selbst ist psychisch sehr schwer krank und als ich noch Zuhause wohnte, habe ich immer unter permanenter Angst gelebt, etwas falsch zu machen und ihn unnötig zu reizen. Ich vermeide darum möglichst Menschen zu widersprechen und Grenzen zu setzen.

Hallo LutraLutra,

Mir ging das ganz genau so. Jedoch war mein Vater schwer herzkrank. Auch anderes was Du beschreibst kenne ich. Nur nicht ganz so heftig. Ich kann Dir aber sehr gut nachfühlen, glaube ich. Auch das mit der Fassade anderen Menschen gegenüber kenne ich. Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn ich erzähle wie es mir innerlich wirklich geht, dann glaubt mir das keiner. Bestürzend ist das.

Hast Du schon mal einen Test auf Hochsensibilität hin gemacht? Dafür gibt es auch spezielle Foren im Internet, falls das auf Dich zutreffen sollte.

Du hast ja einen Freund, der zu Dir hält. Das ist doch schon mal super! Er findet Dich liebenswert und attraktiv, sonst wäre er ja nicht mit Dir zusammen. Versuche Dir das mit liebenswert und attraktiv immer wieder bewußt zu machen. Ich habe inzwischen gelernt, daß es mir öfter wurscht ist, wenn ich was falsch mache oder herumstottere oder etwas nicht weiß. Aber ich glaube, ich bin da noch mindestens 100 Jahre am Lernen. Ich bereite mich halt mögligst gut vor, wenn es nur irgend geht. Wenn etwas dann nicht toll läuft, sage ich mir, ich habe mein Möglichstes getan, es ist halt nun so wie es ist. Nicht einfach, ich weiß, aber mit der Zeit lernt man das immer besser.

Ich würde an Deiner Stelle wieder weiter Therapie machen. Aber keine Stationäre, außer Du hast noch nie eine Stationäre gemacht, dann käme das auch mal in Frage um das volle Spektrum der Möglichkeiten dort mitzubekommen.

Es gibt die Möglichkeit nach einer längeren Therapie die wöchentlich eine Stunde war noch ganz lange zwei Stunden in je drei Monaten Therapie weiter zu bekommen. Falls Du keine wöchentliche Therapie bekommst, frag doch mal danach.

Liebe Grüße
Natty

08.05.2017 22:28 • #5


L
@Natty
Liebe Natty, nein, ich habe bis jetzt keinen Test auf Hochsensibilität gemacht. Ich bin aber entgegen meiner äußeren, sehr gefassten, wenn nicht manchmal sogar leicht kühlen Art, ein ziemlich emotionaler Mensch. Das mit meinem Freund versuche ich mir auch zu sagen, aber so wirklich helfen tut es mir nicht.

Heute z.B. habe ich mich wieder einmal nicht getraut zum Kurs zu gehen, obwohl ich früh genug wach war und es locker hätte schaffen können. Aber allein der Gedanke daran 3h lang Kurs zu haben und von lauter fremden Gesichtern umgeben zu sein, hat mir schon Angst gemacht.

Die Angst vor dem heutigen Kurs war dafür immerhin nicht ganz unbegründet... ich war beim Termin letzte Woche 15 Min zu spät und alle hatten bereits ihre Arbeitsplätze eingenommen. Da ich neu im Kurs war, hat die Kursleiterin vorgeschlagen mich an die eine Tischgruppe zu setzen und ging zu dieser hin und fragte nach, ob ich mich zu ihnen setzen könnte. Zuerst sagte einer aus der Gruppe ja klar, kein Problem, aber eine andere aus der Gruppe sagte dann, dass sie später mehr Platz bräuchte und ihre Freundin noch nachkäme und ob ich nicht den Tisch im Vorraum nutzen könnte, da wäre noch jemand anders. Ich fühlte mich da bereits sehr unwohl und stimmte dann einfach zu. Draußen im Vorraum saß ein anderer Kommilitone, der wie ich ebenfalls nicht deutsch ist, sondern offensichtlich ausländischer Abstammung. Ich war total wütend und habe mich richtig ausgegrenzt gefühlt. Bestärkt wurde das Gefühl dann dadurch, dass die zu spät kommende Freundin noch einen anderen Kommilitonen mitbrachte und für die beiden war natürlich noch Platz im Raum. Für uns beide im Vorraum aber wohl nicht - toll.

Am schlimmsten finde ich Gruppensituationen. Es gibt nur bereits bestehende Gruppen und das war von Anfang an mein Problem... mit einzelnen Menschen komme ich ganz passabel zurecht, aber ich weiß nicht wie ich mich in bestehende Gruppen integrieren soll.
Als ich an die Uni gekommen bin, habe ich es versucht indem ich jedem mal hallo gesagt habe oder versucht habe in den Pausen Zeit mit diesen Grüppchen zu verbringen. Gespräche habe ich geführt oder bin auch mal auf ein B. geblieben. Weil ich mich manchmal aber so unsicher fühle, rede ich dann nicht zu viel oder monoton - was von der Nervosität kommt - und werde dann schnell als arrogant eingestuft. Habe ich auch von Freunden oft erzählt bekommen, wie sich mich beim ersten Mal eingeschätzt haben... und oft fällt es mir auch schwer etwas zu den Gesprächen beizutragen, weil ich das Gefühl habe ein ganz anderer Schlag Mensch zu sein und auch teilweise absolut gegensätzliche Ansichten habe. Dann sehe ich zwei andere Kommilitonen von mir, die mit mir neu angefangen haben und kein Problem hatten Anschluss zu finden. Einfach frustrierend...

@perle
Ja, das stimmt... viele dieser Punkte sind mir selbstverständlich klar und habe ich in meiner Therapie versucht aufzuarbeiten. Es wird aber noch ein langer, mühsamer Weg, bis ich mich eines Tages okay finde.

10.05.2017 13:44 • #6


Natty
Zitat von LutraLutra:
Zuerst sagte einer aus der Gruppe ja klar, kein Problem, aber eine andere aus der Gruppe sagte dann, dass sie später mehr Platz bräuchte und ihre Freundin noch nachkäme

Liebe LutraLutra,

sehr Ähnliches habe ich auch schon öfter erlebt. Ich rechne das inzwischen einem in unserer Gesellschaft immer mehr sich ausbreitenden Egoismus und einer Rücksichtslosigkeit zu. Jedoch habe ich mir auch schon von Menschen die mir zugetan sind und die ich von ihrer Persönlichkeit her voll OK finde, sagen lassen, daß sie da eine ganz andere Ansicht haben, nämlich, daß so etwas nicht böse gemeint ist und sich die Person einfach keine Gedanken gemacht hat wie es Dir damit geht und daß das Leben halt einfach so ist. Ich glaube auch, daß diese Situation die Du erlebt hast in diesem Fall nichts damit zu tun hat, daß Du nicht deutsch bist.

Ich habe die letzten Jahre alles Mögliche und Unmögliche unternommen, um Anschluß in Gruppen zu finden und eine Freundin in meiner Wohnortnähe zu finden, sogar auch in der Kirche. In der Kirche war es besonders übel. Es ist einfach so, daß bei uns in Deutschland es oft sehr schwierig ist in bestehende Gruppen mit aufgenommen zu werden, denke ich.

Bitte gib nicht auf! Bei mir hat sich bisher nicht genau das an Kontakten ergeben, was ich mir erträumt habe. Dafür aber andersartige Kontakte die auch sehr bereichernd sind (mit halt weiter weg wohnenden Personen...).

Vielleicht geht es an der Uni ja anderen ähnlich wie Dir? Ich glaube, das ist bestimmt so. Es gibt doch sicher ein Schwarzes Brett oder Online eine Möglichkeit für Suchanzeigen / Kontaktanzeigen bei Euch. Gibt doch mal eine Anzeige auf, schildere wie es Dir geht und suche Gleichgesinnte. Auch in anderen Semestern. Wenn Du Deine Identität zunächst verbergen möchtest, dann lege eine neue eMail-Adresse z.B. bei yahoo an.

Mit dem Kurs in dem Du Dir aus der Gruppe so ausgegrenzt vorgekommen bist, durch die Abweisung: Spreche doch die Kursleiterin an und schildere Deine Situation und daß es Dir schlecht damit ging. Frage sie, ob sie dich vielleicht unauffällig unterstützen könnte. Vielleicht kann sie ja immer wieder wechselnde Gruppenmitglieder zusammensetzen? Schreibe ihr das notfalls als Brief oder Mail, wenn Du Dich sie nicht ansprechen traust.

Ich wünsche Dir alles Gute!

Liebe Grüße
Natty

14.05.2017 09:27 • #7





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Univ.-Prof. Dr. Jürgen Margraf