Mein Grossonkel war Binnenschiffer.
Er war ein Mann der harten, einfachen Arbeit und fuhr den Rhein rauf und runter zwischen Duisburg und Rotterdam. Aufgrund seines Berufes blieb er ein Leben lang alleine und es machte auch keinen Sinn, sich extra eine eigene Wohnung zu mieten.
Also wohnte er bei seiner Mutter und seiner Schwester.
Hin und wieder sprach er dem Al kohol zu und im Familienkreis existieren Gerüchte, wonach er auf allen vieren die steile Treppe zur Wohnung hinauf kroch.
Ich bin im Besitze von Dias, die ihn beim Besuch seines Bruders ( meines Opas) zeigen. Ich staune immer wieder über seinen feinen Zwirn, den vornehmen Anzug, die Krawatte mit Krawattennadel,. die Manschettenknöpfe, den Siegelring und die golden gefasste Brille. Offenbar hatte man damals mindestens eine makellose Garnitur für festliche oder sonntägliche Anlässe.
Selbst die einfachsten Menschen.
Leider verkrachte er sich mit seinem Bruder ( meinem Opa) und so hatte ich jahrelang auch keinen Kontakt mehr zu ihm.
Er war es letztlich, der die Versöhnung einleitete, in dem er seinen Bruder im Supermarkt ansprach. Nach Ewigkeiten.
Und er war wohl das, was man damals einen feinen Kerl nannte.
Heute existiert diese Kategorie gar nicht mehr. Vermutlich würde man es mittlerweile pathologisieren und küchenpsychologisch von mangelnder Konfliktbereitschaft, Harmoniesucht und fehlenden Ellenbogen reden. Man würde aus dieser Tugend eine Defizit machen, da bin ich sicher.
Zum Glück musste er das nicht mehr erleben.
Ich hab ihn einige Male besucht in seiner kleinen Wohnung. Mutter und Schwester waren inzwischen gestorben. Mir gefiel sein altmodischer Humor und ich erinnere mich an die feinen, blaune Äderchen auf seiner Stirn. Seine Haut war schon sehr dünn geworden.........
Vor seiner letzten Einweisung ins Krankenhaus sagte er ganz klar: Ich komme nicht wieder zurück! Trotzdem hatte er ein lustiges niederheinisches Lied auf den Lippen, als er aus der Wohnung getragen wurde,.
Für mich ein absolutes Vorbild.
09.02.2022 11:24 •
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