Zitat von kjabo2: Ich frage mich ja gerade, ob Faulheit nicht auch als eine Art Zwang interpretiert werden könnte, der paradoxerweise aus der Überforderung durch konstante Leistungserwartungen resultiert. In einer wirklich tief durchstrukturieren Kultur wie unserer, welche unablässig Effizienz/Produktivität propagiert, scheint es ja fast, als würde man sich selbst bewusst in so einen Zustand der Faulheit zwingen, um einen stillen und dennoch innerlich verzweifelten Widerstand gegen diesen ganzen Druck zu leisten.
Du meinst Zwang im Sinne einer fast schon notwendigen Gegenreaktion?
Zitat von kjabo2: Und weißt du, was beinahe schon ironisch ist? Mich begleitet beim Nichtstun oft ein extremes Gefühl der Schuld, welches mit dem latent bedrückenden Bewusstsein einhergeht, dass ich möglicherweise meine eigenen Potentiale nicht (dauerhaft) vollständig ausschöpfe.
Das ist ja nicht ironisch, sondern folgerichtig, wenn man das ideal ständig Leistung bringen zu müssen, einmal verinnerlicht hat. Dann denkt man, dass man seine Zeit verplempert, Talente vergeudet und dergleichen.
Doch große Kreativleistungen entstanden oft aus einer Mischung von Kenntnissen und gefplegtem Nichtstun.
Die Regel bei Daueraktivität ist ja nicht der Durchbruch zum Weltveränderer, sondern Burnout und das Gefühl in ein Hamsterrad gesperrt zu sein. Ironisch finde ich, dass heute schon Ruhehzeiten 'effizient' sein müssen. Powernappig und Optimalerholung und dann wundert man sich, wieso so viele Menschen nicht mehr schlafen können oder den Kontakt zu natürichen Rhythmen uind Bedürfnisse verlieren: Schlafen, Essen, Sex, Aktivität und Passivität, alles ein Problem, eigentlich sind es natürliche Kreisläufe, im besten Fall eine Quelle der Lust. Aber Lust versteckt sich vor Leistung und Effizienz.
Wenn die Lust überwiegt, kann man diese Kreisläufe auch verändern, aber die Kombination diese Rhythmen zu zerstören, zugunsten einer unlustigen Pflicht ist ein Killer. Die Technik um Glaubenssätze zu knacken ist, sie offensiv zu hinterfragen. Was soll am Ende dabei herauskommen? Oft eine Form von Glück, was ja okay ist, wenn es sich denn einstellt, nur der vorgestanzte Weg dahin ist nicht für alle geeignet und ich bin mehr uind mehr der Meinung, dass unser rücksichtsloser Lebensstil kein Garant für Glück ist und nur in einem bestimmten Zeitfenster funktionierte.
Die Zeiten haben sich längst geändert, heute sind andere Qualitäten gefragt und es ist bitter, sich einzugestehen, dass man Jahrzehnte aufs falsche Pferd gesetzt hat. Darum iszeniert man seine angebliche Zufriedenheit in der Präsentation von Symbolen, die zeigen, dass man es geschafft hat, gleichzeitg muss es auch noch solitär sein, man war dabei, bei etwas, was nur die verstehen können, die auch dabei waren.
Schön, wenn jemand wirklich zufrieden ist, aber die Regel ist das nicht.
Zitat von kjabo2: Ich glaube, dass der Drang zur Faulheit dementsprechend als eine Art selbst auferlegter Fluchtweg verstanden werden könnte, um der nie endenden Spirale von Anforderungen zu entkommek.
Ja, wobei es auch Kulturen gibt, die legendär faul sein sollen, also nicht reaktiv. Aber im Grunde; Was war früher das Ideal? Irgendwo auf der eigenen Yacht vor St. Tropez zu chillen, was man sich aber erst erlauben durfte, wenn man es geschafft hatte. Warum soll man sich das nicht heute schon erlauben? Faulheit ist für alle zu haben, also macht man daraus ein (durch soziale Normen) verknapptest Gut.
Nicht einfach auf die Wiese legen, sondern erst auf die in der eigenen Villa. Damit alles sehen, man hat auch was dafür getan, dann darf man. Auch wenn der Zusammenhang zwischen Geld haben und Leistung erbracht haben nur ein weitere moderner Mythos ist.
Naja, was macht Dich heute schon glücklich? Für Minuten, vielleicht ein oder zwei Stunden? Glück ist eh flüchtig, Zufriedenheit ist ein Dauerzustand, eingesammelte kleine und kleinste Glückserlebnisse stellen ihn allmählich her. An sich ein spannendes Thema.
Zitat von kjabo2: Das schlechte Gewissen, welches dabei dann mitschwingt, wirft wiederum die Frage auf, ob nicht ein tiefer liegendes Unbehagen existiert, also sozusagen ein erkenntnistheoretischer Konflikt, der darauf hindeutet, dass selbst im Moment des Innehaltens die internen Konditionierungen weiter am persönlichen Selbstwert nagen.
Klar, aber Du kannst ja die Prämissen freilegen und auf Richtigkeit und vor allem Stimmigkeit für Dein Leben, Deine Wünsche, testen. Klar, ist da die Angst, wenn man jetzt schludert, holt man irgendwas nie wieder auf, aber zur Wahrheit gehört auch ein Freund von mir, der Dir wesenhaft ähnelt, er hat dieselben Glaubenssätze verinnerlicht, hochbegabt, erfolgreich, hat aber keine Lust auf das was er sehr gut macht, er erkennt die Fehler in den Strukturen (das ist zum Teil sein Job), er will ausbrechen, aus dem, was er als Wahnsinn empfindet, doch die Angst vor finanzieller Not hält ihn gefangen. Nichts spricht füt das Eintreten dieser Not, aber der Grad an Sicherheit reicht ihm nicht.
Er hat ein Kontrollthema, das Schicksal korrigiert ihn seit Jahren, aber weil er sehr gut ist, hat er effiziente Gegenstrategien, die ihn in der Idee belassen, dass man doch die Kontrolle haben kann und muss, dass man aufpassen muss und vieles nicht passiert wäre, hätte man vorher nur noch besser aufgepasst.
Franz Kafka, Der Bau, das ist irgendwie paradigmatisch. Habe ich ihm zu lesen gegeben, trifft nicht ganz auf ihn zu, sagt er. Ich mag ihn sehr, ist halt sein Thema, irgendeines hat wohl jeder. Ich sehe das inzwischen immer gelassener. Wenn man gelernt hat, kann man den Kurs korrigieren. Viele möchte angestrengt darin glauiben, dass das nicht geht, wir haben die Religion überwunden, aber den Schicksalglauben nur in die Biologie oder Wirtschaftsideologie verpflanzt. Warum wollen wir so gerne festgezurrt sein?