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Umfrage: Hat dir die Erkenntnis auch geholfen?

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Abstimmungen insgesamt : 8
Hallo Leute,

ich habe einen großen Schritt nach vorne gemacht, für den ich sehr dankbar bin und das möchte ich euch nicht vorenthalten.

Das mag vielleicht jetzt trivial klingen, aber ich habe endlich verstanden, wieso ich die körperlichen Beschwerden habe, die ich habe. Zuvor habe ich nach Herz-, Schilddrüsen-, Hormon-, Allergie-, Magen-/Darm-Erkrankungen und und und gesucht, ich dachte sogar schon, ich wäre unheilbar krank und niemand könnte mir helfen. Oft war ich sehr verzweifelt - viel verzweifelter, als ich ertragen konnte. Jahre lang!

Bis ich plötzlich, nach vielen Jahren der Krankheit, darauf kam, dass das tatsächlich eine Angststörung ist. Das war im ersten Moment total erleichternd für mich, auch wenn sicherlich noch ein langer Weg vor mir liegt. Das habe ich vorher überhaupt nicht in Betracht gezogen, da bin ich einfach nicht drauf gekommen, weil ich so damit beschäftigt war, andere Ursachen zu finden. Die Beschwerden waren schließlich total grausam für mich, das musste einfach eine ganz schlimme Erkrankung sein, die noch niemand bei mir gefunden hat - so dachte ich jedenfalls immer. Es fiel mir dann wie Schuppen von den Augen, als ich den folgenden Zusammenhang begriff:

Die von der Natur gegebene Angstreaktion des menschlichen Körpers ist ein sehr sensibler Prozess, der bereits auf kleinste physiologische oder psychologische Reize ausgelöst werden kann. Nur durch eine sensible Angstreaktion konnten wir Menschen den Widrigkeiten der Welt über Jahrmillionen trotzen, um heute hier zu sein. Die Angstreaktion umfasst dabei eine Kaskade von Funktionsveränderungen des Körpers. So kommt es, dass bei Angstpatienten, deren Angstreaktion durch langes Training geschult wurde, schon geringe äußere oder innere (körperliche) Veränderungen zu einem kurzen Zustand der Ungewissheit führen, der nahtlos in die Angstreaktion übergeht. Der Körper funktioniert da nach dem Prinzip lieber einmal zu viel als einmal zu wenig Angst, was für das Überleben absolut wichtig war. Wer zu wenig Angst hatte, wurde schließlich von der Evolution ausradiert. Die Psychologie untersucht dies im Rahmen der Angstsensitivität und hat da u.a. herausgefunden, dass Menschen, die unter Angststörungen leiden, alles andere als verrückt sind. Im Gegenteil, es sind sehr soziale und intelligente Menschen, die sich um die Dinge des Lebens viele Gedanken machen. Oft mehr als andere. Doch genau das macht sie anfällig.

Besonders interessant finde ich die Erklärung der Beschwerden, für die ich immer ganz andere schwerwiegende Ursachen vermutete:

Während einer Angstreaktion werden Botenstoffe wie z.B. Adrenalin ausgeschüttet. Darauf haben wir keinen Einfluss. Das führt zu zahlreichen Veränderungen der Körperfunktionen. So entsteht eine grundsätzliche Nervösität, Unruhe, ein inneres Brennen z.B. in den Gliedmaßen durch die Ausschüttung dieser Botenstoffe, die den Körper in Alarmbereitschaft versetzen. Das ermöglicht uns eine besonders schnelle Reaktion, sollte der urzeitliche Feind uns angreifen.

Der Kreislauf wird speziell für Gefahrensituationen reguliert. Herzrasen und -stolperer sind so z.B. die Folge von Blutdruckveränderungen und der veränderten Gefäßspannung. Zudem stimulieren die Botenstoffe direkt das Herz, was du kurzen Schlagveränderungen führen kann. Die Verengung der Gefäße kann auch zu Beschwerden wie Kopfschmerzen führen, ist aber, wenn auch unangenehm, genau betrachtet, harmlos. Das lässt es ganz logisch erscheinen, dass das Herz bei Panik oft im Zentrum steht.

Die Magen-/Darm-Tätigkeit wird angepasst. Das Blut wird an anderen Stellen benötigt, so dass die Magen-/Darm-Funktion gehemmt wird. Einige sind appetitlos, andere versuchen durch Essen gegenzuregulieren. Es wird sogar die Darmentleerung stimuliert, da wir, wenn wir weniger Gewicht mit uns herum tragen, schneller flüchten können. Wir bekommen z.B. Durchfall. Nicht, weil etwas im Darm nicht stimmt, sondern einfach nur, weil es zu unserem Vorteil raus soll. Sogar Übelkeit hat einen Sinn, damit wir erst einmal nichts neues essen.

Aber die wichtigste Erkenntnis ist: Diese Veränderungen, die durch viele wiederkehrende Angstreaktionen erlernt und verfestigt wurden, lösen wiederum Angst aus - man denkt, es würde etwas körperlich nicht stimmen, da man die Angstreaktion nicht erkennt / erkennen kann. Dies verurscaht wiederum weitere Körperreaktionen. Das wieder Angst usw. So ist es nicht verwunderlich, dass manche Menschen vorrübergehende starke Panikattacken erleiden, in denen sich dieser Kreislauf ganz plötzlich hochschaukelt, andere über längere Zeiträume mit einer anhaltenden, sich selbst aufrecht erhaltenden Angstreaktion zu kämpfen haben, z.B. im Rahmen einer generalisierten Angststörung. Wieder andere reagieren auf äußere Auslöser wie freie Plätze. Das Punkt ist die einmal angestoßene Angstkaskade.

Im Laufe der Zeit sammeln sich bei vielen Patieten Auslöser an. Manch einer reagiert auf Koffein, das zu ähnlichen Körperveränderungen führt, andere auf den Kater nach Alk., der einer Stressreaktion gleich kommt, Wieder ein anderer hat immer morgens Probleme, weil die Ungewissheit vor dem neuen Tag die Angst morgens bereits beginnen lässt - völlig autonom und unbewusst (Jeden Morgen geht es mir schlechter). Das ist aber auch der Grund, warum Ablenkung vielen Angstbetroffenen hilft. Denn wenn man nicht darüber nachdenkt, fehlt der Stimulus, der die Angstreaktion im Körper aufrecht erhält. So ist es häufig so, dass wenn man glaubt, eine Erklärung gefunden zu haben, die Beschwerden sofort nachlassen. Oder wenn man einen Arzt aufsucht, mit einem verständnisvollen Menschen spricht. Ganz typisch.

Es erklärt allerdings auch, wieso Angstpatienten sich so sehr mit ihren Beschwerden auseinandersetzen. Schließlich signalisiert der Körper, dass man nun kämpfen muss. Man versucht also, herauszufinden, was los ist. Man grübelt und forscht, schließlich will man wieder gesund werden und nicht mehr leiden. Beim Gedanken daran entsteht wieder Angst. Ein Teufelskreis.

Ich denke zwar nicht, dass ich durch diese Erkenntnis nun sofort geheilt sein werde, aber ich weiß endlich, was mit mir los ist. Und seitdem ich das weiß, fällt es mir leichter, mich darauf einzulassen, den richtigen Umgang damit zu erlernen. Ich habe, da ich das jetzt weiß, weniger Angst und dadurch weniger Beschwerden. Und das ist der beste Beweis dafür, dass die Angst der Übeltäter ist.

Wie gesagt, vielleicht trivial. Aber das ist der größte Schritt seit Beginn der Erkrankung, den ich jemals gemacht habe. Es war unglaublich wichtig, dass ich begriffen habe, wieso das so ist, wie es ist. Nun weiß ich, womit ich zu kämpfen habe. Ich brauchte die sichere Erklärung, die mir leider kein ratlos dreinschauender Arzt gegeben hat, so dass ich selbst darauf kommen musste.

Liebe Grüße

13.11.2010 16:03 • 13.11.2010 #1




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